Ein Nachruf von Christian Reder (Fotos: Redaktion, Rüdiger Lübeck)
Es ist 3 ½ Jahre her, dass Jörg "Speiche" Schütze seinen 70. Geburtstag feierte und gleichzeitig die Band auflöste, die er 1976 mit gegründet hatte. Nach 40 Jahren und allerlei guter wie schlechter Erinnerungen zog er einen Schlussstrich. Die schlechten Erinnerungen wurden zum finalen Konzert am 27. Dezember 2016 aber gänzlich bei Seite geschoben und eine weitere, schöne hinzugefügt. Knapp 20 Jahre waren Musiker der Band zerstritten, man strafte sich gegenseitig mit Missachtung und es wurden zwei MONOKEL-Bands geführt. Eine war Speiches Monokel Blues Band, die andere Monokel Kraftblues. Kurz vor dieser finalen Mugge im Berliner Kesselhaus reichten sich aber Speiche und Bernd "Kuhle" Kühnert, einer der Kraftblues-Musikanten, die Hände zum Friedensschluss. Mehr noch: Kuhle stand als Gast beim eben erwähnten Abschiedskonzert mit auf der Bühne (Bericht siehe HIER). So gute Drehbücher schreibt echt nur das Leben. Ebenso, wie ganz miese und überflüssige Drehbücher, wie das Neuste. Jörg "Speiche" Schütze hat am heutigen Pfingstsonntag gegen Mittag für immer die Augen geschlossen. Eine der absoluten Größen der deutschen Blues-Szene lebt nicht mehr.
Beim Dorfrock in Schmadebeck im Sommer 2015 (Bericht siehe HIER) lernte ich diesen "Speiche" persönlich kennen. Vorher kannten wir uns nur über Telefon und E-Mail, wenn es um seine Blues-Kneipe, seine Band oder ihn als deren Chef ging. An diesem sommerlichen Freitagabend saß ich beim Dorfrock nun neben ihm auf einer Bank und hörte ihm beim Erzählen zu. Ein ruhiger und zurückhaltender Typ, der so gar keine Hektik oder Stress ausstrahlte. Er saß ganz locker dort und man konnte kaum glauben, dass er gleich rockend und rollend auf der Bühne sein Tagwerk zu verrichten hatte. Sein ganzes Wesen schien eher von ruhiger Natur zu sein. Wie bitte könnte man sich denn mit so einem Typen streiten? Und das auch noch über Jahre hinweg? Es gibt Dinge, die man nicht verstehen kann und vielleicht auch nicht verstehen will. Es war aber auch letztlich nicht mein Teller Suppe, der da zu löffeln war, und ein Urteil bilden sollte man sich als Außenstehender sowieso nicht. Wie dem auch sei, ich saß neben einer lebenden Legende. Egal, mit wem ich über die Blues-Szene der DDR und überhaupt über die Blues-Bands aus Deutschland sprach, man lobte Speiche als Musiker in den höchsten Tönen und empfand ihn menschlich als Kumpel. Wenn man so manch einem Kunden so zuhörte, hätte Speiche eigentlich mit Security anreisen und schon gar nicht mit dem normalen Volk auf der Bank einer Bierzeltgarnitur sitzen dürfen. Ehrfurcht, Bewunderung und großes Ansehen genoss der Mann mit den langen Haaren und dem Spitzbart. Speiche hatte so gar keine Allüren oder Berührungsängste und sammelte schon vor seinem Auftritt reichlich Sympathiepunkte.
Nur ein Jahr später feierte seine Band - und auch die andere von der Kraftblues-Fraktion - das 40-jährige Bestehen. Dafür wurde speziell die Speiche-Band personell umgestellt und diverse Gründungsmitglieder, Gala und BuzzDee, gingen unter der Überschrift 40/70 (die 70 stand für Speiches runden Geburtstag im gleichen Jahr) auf große Jubiläums-Tour. Es war die Tour, über dessen Abschluss-Konzert ich gleich zu Anfang schrieb. Mitte Dezember, kurz vor Weihnachten und zwei Wochen vor der Abschluss-Mugge, hatte sich mein Freund und Kollege Torsten mit Speiche zu einem Interview verabredet. Natürlich sollte es um dieses besondere Konzert und um die Zukunft gehen (Interview siehe HIER). Torsten hatte schon vor dem Tourstart für Deutsche Mugge die Gelegenheit, die Band bei einer Probe zu besuchen. Als er wiederkam schwärmte auch er in den höchsten Tönen u.a. von Gala und vor allen Dingen von Speiche. Das muss ein granatenscharfer Nachmittag gewesen sein, der bleibenden Eindruck hinterließ. Nun also traf er sich mit Speiche bei ihm daheim, um über diese bewegte Karriere, das Jubiläum und einiges mehr sprechen zu können. Es waren eben nicht nur die schönen und unschönen Dinge bei MONOKEL, die sein Leben und seine Erinnerungen geprägt haben, sondern auch das Leben belastende Ereignisse wie seine Inhaftierung im Stasiknast Hohenschönhausen. Es ist schon heftig, was Menschen anderen Menschen alles so antun können. Diese Erinnerungen trug Speiche auch in sich und trotzdem war er dieser zurückhaltende und in sich ruhende Typ, der mit seiner Art auch Torsten schwer beeindruckte. Von dem Treffen bei der Probe und für das Interview erzählt er heute noch immer wieder mal. Speiche hinterließ also auch abseits der Bühne bleibende Einrücke bei den Menschen.
Im Sommer 2018 erreichte uns dann die Nachricht, dass Speiche schwer erkrankt sei. Es habe schon damals nicht so gut für ihn ausgesehen. Er war an Lungenkrebs erkrankt, der aber lange nicht in seinem Körper auffindbar war, so hieß es. In der Zeit des "Versteckspiels" breitete sich die Krankheit aus und weitere Organe waren befallen. Alles keine guten Vorzeichen für ein positives Ende. Einmal mehr setzte uns eine Nachricht über die Erkrankung eines unserer Musiker-Freunde unter Schock. Im September 2018 verabschiedete sich Speiche bei einem Konzert in Berlin, wo er nochmals mit seiner Nachfolge-Band SPEICHES M. auftrat, von seinem Publikum. Wir von Deutsche Mugge waren dabei und waren traurig, dass dieser nette Kerl zum Aufhören gezwungen wurde. So konnte man noch einmal das Urgestein der Blues-Szene live erleben, wie er ruhig und sachlich seinen Bass spielte und dem Sound seiner Band die richtige Würze im Tieftonbereich gab. Als er die Bühne an diesem Abend verließ, zog er in den Kampf gegen das, was ihm das Schicksal als Last auf die Schulter legte. Neben der Sorge um das eigene Leben waren es zusätzlich noch die um die Finanzen. Als Blues-Musiker wird man nicht unbedingt reich, und wenn man krank ist, kann man kein Geld verdienen. Davon habt Ich sicher schon mal gehört. Er wehrte sich aber tapfer gegen den inneren Feind, wollte so leicht nicht aus dem Leben gefegt werden. Im Juli 2019 hatte Speiche einen guten Tag und verbrachte ihn in Spremberg bei der dortigen "Rock- und Blues-Nacht". Nicht einfach nur als Gast im Publikum, sondern auch als Gast auf der Bühne. Er schnallte nochmal seinen Bass um und spielte ein paar Stücke bei der Monokel All Star Session mit. Seine Leidenschaft für die Musik war eben stärker als die Krankheit, der er zumindest an diesem Tag ein Schnippchen schlagen konnte.
Hin und wieder gab es noch interaktive Begegnungen beim Austausch in einem sozialen Netzwerk. Gegen den Krebs wehrte er sich jedoch allein und ohne Ergebnisse nach außen zu tragen. "Wie geht es Speiche eigentlich?", kam gelegentlich die Frage in der letzten Zeit auf. Auf die Frage konnten wir aber nicht antworten, denn wir haben ihn in Ruhe gelassen. Nicht alles muss öffentlich sein und nicht alles muss man wissen. Wir vom Verein/Magazin behalten Speiche so in Erinnerung, wie wir ihn alle kennen. Als den ruhigen und sympathischen Typen, den offenbar nichts aus der Ruhe brachte. Gute Reise, lieber Speiche.
Beim Dorfrock in Schmadebeck im Sommer 2015 (Bericht siehe HIER) lernte ich diesen "Speiche" persönlich kennen. Vorher kannten wir uns nur über Telefon und E-Mail, wenn es um seine Blues-Kneipe, seine Band oder ihn als deren Chef ging. An diesem sommerlichen Freitagabend saß ich beim Dorfrock nun neben ihm auf einer Bank und hörte ihm beim Erzählen zu. Ein ruhiger und zurückhaltender Typ, der so gar keine Hektik oder Stress ausstrahlte. Er saß ganz locker dort und man konnte kaum glauben, dass er gleich rockend und rollend auf der Bühne sein Tagwerk zu verrichten hatte. Sein ganzes Wesen schien eher von ruhiger Natur zu sein. Wie bitte könnte man sich denn mit so einem Typen streiten? Und das auch noch über Jahre hinweg? Es gibt Dinge, die man nicht verstehen kann und vielleicht auch nicht verstehen will. Es war aber auch letztlich nicht mein Teller Suppe, der da zu löffeln war, und ein Urteil bilden sollte man sich als Außenstehender sowieso nicht. Wie dem auch sei, ich saß neben einer lebenden Legende. Egal, mit wem ich über die Blues-Szene der DDR und überhaupt über die Blues-Bands aus Deutschland sprach, man lobte Speiche als Musiker in den höchsten Tönen und empfand ihn menschlich als Kumpel. Wenn man so manch einem Kunden so zuhörte, hätte Speiche eigentlich mit Security anreisen und schon gar nicht mit dem normalen Volk auf der Bank einer Bierzeltgarnitur sitzen dürfen. Ehrfurcht, Bewunderung und großes Ansehen genoss der Mann mit den langen Haaren und dem Spitzbart. Speiche hatte so gar keine Allüren oder Berührungsängste und sammelte schon vor seinem Auftritt reichlich Sympathiepunkte.
Nur ein Jahr später feierte seine Band - und auch die andere von der Kraftblues-Fraktion - das 40-jährige Bestehen. Dafür wurde speziell die Speiche-Band personell umgestellt und diverse Gründungsmitglieder, Gala und BuzzDee, gingen unter der Überschrift 40/70 (die 70 stand für Speiches runden Geburtstag im gleichen Jahr) auf große Jubiläums-Tour. Es war die Tour, über dessen Abschluss-Konzert ich gleich zu Anfang schrieb. Mitte Dezember, kurz vor Weihnachten und zwei Wochen vor der Abschluss-Mugge, hatte sich mein Freund und Kollege Torsten mit Speiche zu einem Interview verabredet. Natürlich sollte es um dieses besondere Konzert und um die Zukunft gehen (Interview siehe HIER). Torsten hatte schon vor dem Tourstart für Deutsche Mugge die Gelegenheit, die Band bei einer Probe zu besuchen. Als er wiederkam schwärmte auch er in den höchsten Tönen u.a. von Gala und vor allen Dingen von Speiche. Das muss ein granatenscharfer Nachmittag gewesen sein, der bleibenden Eindruck hinterließ. Nun also traf er sich mit Speiche bei ihm daheim, um über diese bewegte Karriere, das Jubiläum und einiges mehr sprechen zu können. Es waren eben nicht nur die schönen und unschönen Dinge bei MONOKEL, die sein Leben und seine Erinnerungen geprägt haben, sondern auch das Leben belastende Ereignisse wie seine Inhaftierung im Stasiknast Hohenschönhausen. Es ist schon heftig, was Menschen anderen Menschen alles so antun können. Diese Erinnerungen trug Speiche auch in sich und trotzdem war er dieser zurückhaltende und in sich ruhende Typ, der mit seiner Art auch Torsten schwer beeindruckte. Von dem Treffen bei der Probe und für das Interview erzählt er heute noch immer wieder mal. Speiche hinterließ also auch abseits der Bühne bleibende Einrücke bei den Menschen.
Im Sommer 2018 erreichte uns dann die Nachricht, dass Speiche schwer erkrankt sei. Es habe schon damals nicht so gut für ihn ausgesehen. Er war an Lungenkrebs erkrankt, der aber lange nicht in seinem Körper auffindbar war, so hieß es. In der Zeit des "Versteckspiels" breitete sich die Krankheit aus und weitere Organe waren befallen. Alles keine guten Vorzeichen für ein positives Ende. Einmal mehr setzte uns eine Nachricht über die Erkrankung eines unserer Musiker-Freunde unter Schock. Im September 2018 verabschiedete sich Speiche bei einem Konzert in Berlin, wo er nochmals mit seiner Nachfolge-Band SPEICHES M. auftrat, von seinem Publikum. Wir von Deutsche Mugge waren dabei und waren traurig, dass dieser nette Kerl zum Aufhören gezwungen wurde. So konnte man noch einmal das Urgestein der Blues-Szene live erleben, wie er ruhig und sachlich seinen Bass spielte und dem Sound seiner Band die richtige Würze im Tieftonbereich gab. Als er die Bühne an diesem Abend verließ, zog er in den Kampf gegen das, was ihm das Schicksal als Last auf die Schulter legte. Neben der Sorge um das eigene Leben waren es zusätzlich noch die um die Finanzen. Als Blues-Musiker wird man nicht unbedingt reich, und wenn man krank ist, kann man kein Geld verdienen. Davon habt Ich sicher schon mal gehört. Er wehrte sich aber tapfer gegen den inneren Feind, wollte so leicht nicht aus dem Leben gefegt werden. Im Juli 2019 hatte Speiche einen guten Tag und verbrachte ihn in Spremberg bei der dortigen "Rock- und Blues-Nacht". Nicht einfach nur als Gast im Publikum, sondern auch als Gast auf der Bühne. Er schnallte nochmal seinen Bass um und spielte ein paar Stücke bei der Monokel All Star Session mit. Seine Leidenschaft für die Musik war eben stärker als die Krankheit, der er zumindest an diesem Tag ein Schnippchen schlagen konnte.
Hin und wieder gab es noch interaktive Begegnungen beim Austausch in einem sozialen Netzwerk. Gegen den Krebs wehrte er sich jedoch allein und ohne Ergebnisse nach außen zu tragen. "Wie geht es Speiche eigentlich?", kam gelegentlich die Frage in der letzten Zeit auf. Auf die Frage konnten wir aber nicht antworten, denn wir haben ihn in Ruhe gelassen. Nicht alles muss öffentlich sein und nicht alles muss man wissen. Wir vom Verein/Magazin behalten Speiche so in Erinnerung, wie wir ihn alle kennen. Als den ruhigen und sympathischen Typen, den offenbar nichts aus der Ruhe brachte. Gute Reise, lieber Speiche.
Videoclips: