Joachim Witt: "Rübezahls Rückkehr" (Album)
VÖ: 08.05.2020; Label: Ventil; Katalognummer: n.n.b.; Musiker: Joachim Witt (Gesang), Chris Harms (Gitarren, Bass, Cello, Synths, Programmings & Background Gesang), Corvin Bahn (Piano, Synths, Programmings & Background Gesang), Gared Dirge (Piano, Synths & Programmings), Niklas Kahl (Drums), Gergana Dimitrova (Gastgesang bei „Zora“), EKLIPSE (Streicher bei „Ich bin immer noch hier“), Neo Patra (Zusätzliche Gitarren auf „Geist an das Licht“) ; Bemerkung: Dieses Album ist digital bereits im Dezember 2019 an alle beteiligten Crowdfunding-Teilnehmer verschickt worden. Im Februar 2020 erscheint es auf Vinyl (Schallplatte) und CD;
Titel: Geist an das Licht • Kopfschwul • Die Rückkehr • Schmerzende Welt • Gib mir den Himmel • Steinzeit • Ich bin immer noch hier • Wo blüht der Mohn • Zora • Rote Tränen • Windstille |
Rezension:
Ein Schauspieler schlüpft im Laufe seiner Karriere in verschiedene Rollen. Dabei verwandelt er sich immer und immer wieder. Joachim Witt ist auch ein Schauspieler. Mit jedem neuen Programm verwandelt er sich, lässt neue Blicke auf sich zu, wechselt die Rollen und verändert dabei nicht nur sein Äußeres. Und weil Joachim Witt kein Schauspieler ist, der ein normales Stück spielt, sondern in erster Linie ein Musiker, der beide Kunstformen exzellent zu verknüpfen weiß, gehört zu seiner Verwandlung auch immer die passende und ebenfalls ständig wechselnde Musik dazu. Und was hat der Mann uns in über 40 Jahren Karriere nicht alles schon angeboten. Im Jahre 1974 fing er unter dem Namen Julian mit Schlager an ("Ich bin ein Mann"), wechselte mit der Gruppe DUESENBERG zum Krautrock und machte sich Anfang der 80er als Solist auf, um in den Bereichen New Wave, Rock, Pop, Synthie-Pop, Neuer Deutscher Härte, Hardrock, Metal, Industrial, Darkwave, Crossover und in vielen anderen Genres seine Spuren zu hinterlassen. Mit dem "Rübezahl"-Thema verweilt der gebürtige Hamburger erstmals seit den "Bayreuth"-Platten wieder länger auf einem Feld und bestellt es ein weiteres Mal. "Rübezahls Rückkehr", so lautet der Titel des neuen Albums von Joachim Witt, womit er die 2017 begonnene Geschichte des Berggeists aus dem Siebengebirge weitererzählt.
Mit "Geist an das Licht" startet der fast 71-jährige Künstler in sein neues Programm und klingt hier so hart wie noch nie. Gitarren schreien wie durch dicken Beton, dann setzt das Schlagzeug ein und die eben noch so dumpf klingenden Töne der Gitarre werden klar und lauter. Das ist Heavy Metal in seiner reinsten Form, den uns der Meister hier um die Ohren haut. Die dazu gereichten Bilder, die uns der Text malt, sind gruselig und finster. Eine Art Endzeitstimmung verbreitet sich im Raum, als die Nummer ihre Kreise zieht. Schön ist anders, aber wir sind ja auch nicht in einer Sendung mit Florian Silbereisen.
Die "blutige Hand" schnell abgewaschen empfangen wir neugierig das nächste Lied, das da "Kopfschwul" heißt. Musikalisch lassen RAMMSTEIN schön grüßen, inhaltlich muss man dann mal genauer hinhören. Was will uns der Künstler mit dieser Wortschöpfung sagen? Dass er auch Liebe für das gleiche Geschlecht empfindet, sich diese aber auf den Geist und nicht den Körper bezieht. Da kann man es musikalisch ja durchaus auch mal rappeln lassen.
Mit "Die Rückkehr" wird es erstmals leise. Sanfte Klaviertöne breiten sich aus, eine dezent geschlagene Trommel setzt mit ein und schließlich fängt Witt an, mit zitternder Stimme den Text zu dieser beeindruckenden Hymne zu singen. Streicher, eine ferne Gitarre kommen dazu, ehe sich das Stück im Refrain aufbäumt. Eine Wand aus Sounds erhebt sich kurz, ehe uns ein Cello wieder in die ruhige Bahn leitet. Die Dramaturgie in diesem Song zeigt Wirkung - man ist eingefangen. Gleiches - insbesondere die Stimmung betreffend - begegnet uns etwas später in "Ich bin immer noch hier" wieder.
Schon an diesem Punkt des Albums hat Herr Witt es einmal mehr geschafft, seine Hörer nicht nur zu überraschen, sondern auch in Stimmung zu versetzen. An der einen Ecke kracht und scheppert es, an der nächsten werden ruhige Töne angestimmt. Inhaltlich wird einmal mehr mit Bildern gearbeitet, die Witt in den Köpfen seiner Hörer entstehen lässt, und die mit den interessantesten Wortfarben vom Meister gemalt sind.
Songs wie z.B. "Schmerzende Welt" bringen dann noch ganz andere Stimmungen ein. Denkt man beim Titel allein schon an eine weitere Metal-Nummer wie beim Opener, hat das Stück sogar seine Ausläufer in den popmusikalischen Bereich.
"Steinzeit" - eingeleitet von filigraner und zerbrechlich wirkender Klassik - schaukelt sich langsam hoch, bis im Refrain der brettharte Rock tobt. Die Hookline dieser Nummer verankert sich sofort im Kopf und bleibt dort haften. Ein echter Ohrwurm.
"Gib mir den Himmel" ist dagegen ein klassisches Joachim Witt-Stück, wenn man überhaupt über sowas wie "klassisch" in Bezug auf Witt reden kann. Es passt aber auf jedes der letzten gefühlt 10 Alben von Joachim, weil es sich vom Arrangement und seiner Stimmung her so überhaupt keiner durchlebten Witt'schen Phase unterordnen möchte.
Aus all dem bisher Gehörten ragt für meinen Geschmack dann aber der Song "Zora" heraus. Im Moment liegen noch keine Details zum Album vor, da es erst mal nur digital und ohne Inhaltsangaben an die Crowdfunding-Gemeinde verschickt wurde, aber hier ist neben Witt und einem mit weiblichen Stimmen besetzter Chor noch eine Dame mit solistischem Gesang zu hören, die mit ihrer Stimme wie weißes Licht durch dicken, zähen Nebel scheint und stark an die leider viel zu früh verstorbene Ofra Haza erinnert. Dies verleiht der insgesamt ziemlich bombastischen Rocknummer eine besonders feine Note, die Einfluss auf die Körperbehaarung hat. Diese stellt sich nämlich immer wieder dann auf, wenn die Dame anfängt zu singen. Was für eine Hammernummer!
Über den Rest der sich auf dem Album befindenden Musik und Texte möge sich der nun neugierige Leser bitte selbst ein Bild machen. In der "Rübezahl"-Rolle hatte Joachim Witt noch etwas mehr zu sagen, als er es auf der ersten Langrille dieser Art unterbringen konnte. Dieses neue Album ist kein Aufguss, sondern eine Fortsetzung … mehr noch: Ein eigenes und höchst spannendes Kapitel. Hatte ich auf der 2017er Platte so einige Schwachpunkte ausgemacht, gefällt mir die 2020er Fortsetzung bei jedem Hören besser. Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole, aber von Joachim Witt und seiner Musik wird man einfach nicht enttäuscht. Wer sein Publikum nach so vielen Jahren im Geschäft noch immer auf diese Art und Weise begeistern und überraschen kann, dem sollten sämtliche Publikums- und Jurypreise des Landes nur so um die Ohren fliegen. Man möge ihm den Himmel geben. Das wäre absolut gerecht. Aber was ist in dieser Welt schon gerecht?
(Christian Reder)
Ein Schauspieler schlüpft im Laufe seiner Karriere in verschiedene Rollen. Dabei verwandelt er sich immer und immer wieder. Joachim Witt ist auch ein Schauspieler. Mit jedem neuen Programm verwandelt er sich, lässt neue Blicke auf sich zu, wechselt die Rollen und verändert dabei nicht nur sein Äußeres. Und weil Joachim Witt kein Schauspieler ist, der ein normales Stück spielt, sondern in erster Linie ein Musiker, der beide Kunstformen exzellent zu verknüpfen weiß, gehört zu seiner Verwandlung auch immer die passende und ebenfalls ständig wechselnde Musik dazu. Und was hat der Mann uns in über 40 Jahren Karriere nicht alles schon angeboten. Im Jahre 1974 fing er unter dem Namen Julian mit Schlager an ("Ich bin ein Mann"), wechselte mit der Gruppe DUESENBERG zum Krautrock und machte sich Anfang der 80er als Solist auf, um in den Bereichen New Wave, Rock, Pop, Synthie-Pop, Neuer Deutscher Härte, Hardrock, Metal, Industrial, Darkwave, Crossover und in vielen anderen Genres seine Spuren zu hinterlassen. Mit dem "Rübezahl"-Thema verweilt der gebürtige Hamburger erstmals seit den "Bayreuth"-Platten wieder länger auf einem Feld und bestellt es ein weiteres Mal. "Rübezahls Rückkehr", so lautet der Titel des neuen Albums von Joachim Witt, womit er die 2017 begonnene Geschichte des Berggeists aus dem Siebengebirge weitererzählt.
Mit "Geist an das Licht" startet der fast 71-jährige Künstler in sein neues Programm und klingt hier so hart wie noch nie. Gitarren schreien wie durch dicken Beton, dann setzt das Schlagzeug ein und die eben noch so dumpf klingenden Töne der Gitarre werden klar und lauter. Das ist Heavy Metal in seiner reinsten Form, den uns der Meister hier um die Ohren haut. Die dazu gereichten Bilder, die uns der Text malt, sind gruselig und finster. Eine Art Endzeitstimmung verbreitet sich im Raum, als die Nummer ihre Kreise zieht. Schön ist anders, aber wir sind ja auch nicht in einer Sendung mit Florian Silbereisen.
Die "blutige Hand" schnell abgewaschen empfangen wir neugierig das nächste Lied, das da "Kopfschwul" heißt. Musikalisch lassen RAMMSTEIN schön grüßen, inhaltlich muss man dann mal genauer hinhören. Was will uns der Künstler mit dieser Wortschöpfung sagen? Dass er auch Liebe für das gleiche Geschlecht empfindet, sich diese aber auf den Geist und nicht den Körper bezieht. Da kann man es musikalisch ja durchaus auch mal rappeln lassen.
Mit "Die Rückkehr" wird es erstmals leise. Sanfte Klaviertöne breiten sich aus, eine dezent geschlagene Trommel setzt mit ein und schließlich fängt Witt an, mit zitternder Stimme den Text zu dieser beeindruckenden Hymne zu singen. Streicher, eine ferne Gitarre kommen dazu, ehe sich das Stück im Refrain aufbäumt. Eine Wand aus Sounds erhebt sich kurz, ehe uns ein Cello wieder in die ruhige Bahn leitet. Die Dramaturgie in diesem Song zeigt Wirkung - man ist eingefangen. Gleiches - insbesondere die Stimmung betreffend - begegnet uns etwas später in "Ich bin immer noch hier" wieder.
Schon an diesem Punkt des Albums hat Herr Witt es einmal mehr geschafft, seine Hörer nicht nur zu überraschen, sondern auch in Stimmung zu versetzen. An der einen Ecke kracht und scheppert es, an der nächsten werden ruhige Töne angestimmt. Inhaltlich wird einmal mehr mit Bildern gearbeitet, die Witt in den Köpfen seiner Hörer entstehen lässt, und die mit den interessantesten Wortfarben vom Meister gemalt sind.
Songs wie z.B. "Schmerzende Welt" bringen dann noch ganz andere Stimmungen ein. Denkt man beim Titel allein schon an eine weitere Metal-Nummer wie beim Opener, hat das Stück sogar seine Ausläufer in den popmusikalischen Bereich.
"Steinzeit" - eingeleitet von filigraner und zerbrechlich wirkender Klassik - schaukelt sich langsam hoch, bis im Refrain der brettharte Rock tobt. Die Hookline dieser Nummer verankert sich sofort im Kopf und bleibt dort haften. Ein echter Ohrwurm.
"Gib mir den Himmel" ist dagegen ein klassisches Joachim Witt-Stück, wenn man überhaupt über sowas wie "klassisch" in Bezug auf Witt reden kann. Es passt aber auf jedes der letzten gefühlt 10 Alben von Joachim, weil es sich vom Arrangement und seiner Stimmung her so überhaupt keiner durchlebten Witt'schen Phase unterordnen möchte.
Aus all dem bisher Gehörten ragt für meinen Geschmack dann aber der Song "Zora" heraus. Im Moment liegen noch keine Details zum Album vor, da es erst mal nur digital und ohne Inhaltsangaben an die Crowdfunding-Gemeinde verschickt wurde, aber hier ist neben Witt und einem mit weiblichen Stimmen besetzter Chor noch eine Dame mit solistischem Gesang zu hören, die mit ihrer Stimme wie weißes Licht durch dicken, zähen Nebel scheint und stark an die leider viel zu früh verstorbene Ofra Haza erinnert. Dies verleiht der insgesamt ziemlich bombastischen Rocknummer eine besonders feine Note, die Einfluss auf die Körperbehaarung hat. Diese stellt sich nämlich immer wieder dann auf, wenn die Dame anfängt zu singen. Was für eine Hammernummer!
Über den Rest der sich auf dem Album befindenden Musik und Texte möge sich der nun neugierige Leser bitte selbst ein Bild machen. In der "Rübezahl"-Rolle hatte Joachim Witt noch etwas mehr zu sagen, als er es auf der ersten Langrille dieser Art unterbringen konnte. Dieses neue Album ist kein Aufguss, sondern eine Fortsetzung … mehr noch: Ein eigenes und höchst spannendes Kapitel. Hatte ich auf der 2017er Platte so einige Schwachpunkte ausgemacht, gefällt mir die 2020er Fortsetzung bei jedem Hören besser. Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole, aber von Joachim Witt und seiner Musik wird man einfach nicht enttäuscht. Wer sein Publikum nach so vielen Jahren im Geschäft noch immer auf diese Art und Weise begeistern und überraschen kann, dem sollten sämtliche Publikums- und Jurypreise des Landes nur so um die Ohren fliegen. Man möge ihm den Himmel geben. Das wäre absolut gerecht. Aber was ist in dieser Welt schon gerecht?
(Christian Reder)
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