Keimzeit: "Das Schloss" (Album)
VÖ: 01.02.2019; Label: Comic Helden/edel; Katalognummer: 4260486640459; Musiker: Norbert Leisegang (Gesang, Gitarre), Martin Weigel (Gitarre, Begleitgesang), Hartmut Leisegang (Bass), Andreas "Spatz" Sperling (Keyboard, Gitarren, Begleitgesang), Sebastian Piskorz (Flügelhorn, Synthesizer), Lin Dittmann (Schlagzeug, Percussion); Texte, Kompositionen: Norbert Leisegang, Produzent: Moses Schneider; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak, inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Dieses Album ist außerdem auf Schallplatte (Vinyl) erschienen;
Titel: Das Schloss • Lieblingsakkord • Der fliegende Teppich • Nicht • Seeigel • Geht schief • Actionkalle • Später • Wie viel von Deiner Liebe • Großes Geschrei • Stillstand • In Glasscherben |
Eine Führung durch das "Schloss Keimzeit"
Das Album scheint auf den ersten Blick unauffällig. Doch sollte man nicht - wie so oft im Leben - nur nach dem Äußeren gehen. Denn der Inhalt hat einiges zu bieten. Zwölf einzigartige musikalische Kunstwerke hat Keimzeit kreiert. Geschrieben hat ausschließlich der Sänger Norbert Leisegang. Das Album bietet alles von Melancholie bis Reggae und leichtem Hip Hop, von überspitztem Witz, autobiografischen Geschichten bis hin zu Alltags-Weisheiten. Keimzeit hat sich nicht neu erfunden, die Handschrift des Leadsängers ist deutlich, aber sie haben sichtlich wieder neue Wege entdeckt. Und bei jedem weiteren Hören entdeckt man immer wieder etwas Neues.
Keimzeit scheint auch selbst die Musikliebhaber zu spalten. Während ich mich mit dem Album auseinandersetze, kam ich auch in Gesprächen mit Freunden auf Keimzeit zu sprechen. Es war wohl beinahe jede Meinung vertreten. Ich muss zugeben, es ist kein "Mainstream" und Norbert hat keineswegs ein "Max Giesinger Stimmchen". Aber ist das auch unbedingt nötig? Für viele Radiosender womöglich. Für mich nicht. Mich hat Norberts Stimme sehr schnell in den Bann gezogen. Und was noch viel wichtiger ist: der Inhalt ist einfallsreich, hat Tiefgang und wird instrumental besonders gut untermalt. Es passt einfach alles zusammen. Typisch Keimzeit - und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) erfrischend.
Wer widmet denn auch schon einem Lieblingsakkord einen eigenen Song? Keimzeit. Eine Erinnerung an Norberts Teenager-Zeit, als er mit 14 Jahren seiner Tante etwas "Romantisches" vorspielen sollte, "sie meinte damit etwas von Mireille Mathieu oder Reinhard Mey". Während der "großen Melancholie" gab ihm nur sein Lieblingsakkord E-Moll auf der Gitarre Trost.
Doch mein Lieblingslied ist die Nummer 3: "Der fliegende Teppich". Ein Dialog zwischen dem Teppich und dem Boden mit der großen Frage: Wer von beiden ist wichtiger? Es scheint eine Parabel für eingefahrene Beziehungen, die dann plötzlich auseinandergehen (und "wegfliegen"). Denn genau das passiert am Ende: der Teppich fliegt davon. Man sollte auf jeden Fall genauer hinhören. Ein Gespräch mit sehr viel Witz und doch einer klaren Message dahinter!
Ein weiterer Song, der mich sofort ansprang, war "Später". Wer kennt es nicht? Die Spirale der Enttäuschungen und Vorwürfe. "Offensichtlich kommst du heute etwas später Heim", "Und keine Nachricht von dir - der Anrufbeantworter schweigt", "Du wolltest doch ...". Der mögliche Anfang von einem großen Streit und möglicherweise die erste Einsicht für das Ende einer Beziehung. "Vor einer Weile noch waren wir noch frisch verliebt." Doch es ist nicht nur der Inhalt, der mir gefällt. Der Sprachgesang, am Anfang nur von einzelnen Klaviertönen begleitet. Die weiteren Instrumente setzen nach und nach ein und so schaukelt sich die Enttäuschung auch instrumental immer weiter hoch.
Wie stellst du dir den Beginn eines Liedes namens "Stillstand" vor? Sicher nicht wie Keimzeit. Ein fetziges Lied macht sich in meinen vier Wänden breit. "Stillstand ist aktuell mein bevorzugtes Transportmittel". Besonders in der heutigen Welt, in der am besten alles mit Hochgeschwindigkeit an einem nur noch vorbeirauschen kann, vergisst man schnell das wunderbare Ruhige. Schaust du noch aus dem Fenster, wenn du beispielsweise im Zug sitzt, oder starrst du stur auf dein Handy? Oder beim Warten auf den nächsten Bus. Schaust du dich um oder doch nur nach unten aufs Handy? Bist du in deinem Urlaub wirklich auch mal "offline"? Im schlimmsten Fall wird man plötzlich ausgebremst, wenn alles zu schnell läuft. Bei Norbert Leisegang war es ein starker Sturm, der ihn bzw. seinen Zug ausbremste, mit dem er gerade unterwegs war und ihn somit zu diesem Song inspirierte. An der nächsten Haltestelle mussten dann alle Fahrgäste aussteigen. In diesem Fall brachte ein Naturgeschehen die Menschen zum Stillstand. Doch in manchen - schlimmeren - Fällen bremst einen auch der Körper aus, beispielsweise wenn er "ausgebrannt" ist oder mit einem Herzinfarkt.
Mit "Glasscherben" schließt Keimzeit ihren Rundgang durch "das Schloss" besinnlich ab.
Ich lege dieses Album jedem ans Herz, der wie ich ein großer Fan der deutschen Sprache und den unglaublich möglichen kreativen Wortspielerein ist. Damit schließe ich die Rezension mit einem Zitat von "Glasscherben": "Das Glück spiegelt sich meistens erst in Glasscherben."
(Sarah Müller)
Das Album scheint auf den ersten Blick unauffällig. Doch sollte man nicht - wie so oft im Leben - nur nach dem Äußeren gehen. Denn der Inhalt hat einiges zu bieten. Zwölf einzigartige musikalische Kunstwerke hat Keimzeit kreiert. Geschrieben hat ausschließlich der Sänger Norbert Leisegang. Das Album bietet alles von Melancholie bis Reggae und leichtem Hip Hop, von überspitztem Witz, autobiografischen Geschichten bis hin zu Alltags-Weisheiten. Keimzeit hat sich nicht neu erfunden, die Handschrift des Leadsängers ist deutlich, aber sie haben sichtlich wieder neue Wege entdeckt. Und bei jedem weiteren Hören entdeckt man immer wieder etwas Neues.
Keimzeit scheint auch selbst die Musikliebhaber zu spalten. Während ich mich mit dem Album auseinandersetze, kam ich auch in Gesprächen mit Freunden auf Keimzeit zu sprechen. Es war wohl beinahe jede Meinung vertreten. Ich muss zugeben, es ist kein "Mainstream" und Norbert hat keineswegs ein "Max Giesinger Stimmchen". Aber ist das auch unbedingt nötig? Für viele Radiosender womöglich. Für mich nicht. Mich hat Norberts Stimme sehr schnell in den Bann gezogen. Und was noch viel wichtiger ist: der Inhalt ist einfallsreich, hat Tiefgang und wird instrumental besonders gut untermalt. Es passt einfach alles zusammen. Typisch Keimzeit - und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) erfrischend.
Wer widmet denn auch schon einem Lieblingsakkord einen eigenen Song? Keimzeit. Eine Erinnerung an Norberts Teenager-Zeit, als er mit 14 Jahren seiner Tante etwas "Romantisches" vorspielen sollte, "sie meinte damit etwas von Mireille Mathieu oder Reinhard Mey". Während der "großen Melancholie" gab ihm nur sein Lieblingsakkord E-Moll auf der Gitarre Trost.
Doch mein Lieblingslied ist die Nummer 3: "Der fliegende Teppich". Ein Dialog zwischen dem Teppich und dem Boden mit der großen Frage: Wer von beiden ist wichtiger? Es scheint eine Parabel für eingefahrene Beziehungen, die dann plötzlich auseinandergehen (und "wegfliegen"). Denn genau das passiert am Ende: der Teppich fliegt davon. Man sollte auf jeden Fall genauer hinhören. Ein Gespräch mit sehr viel Witz und doch einer klaren Message dahinter!
Ein weiterer Song, der mich sofort ansprang, war "Später". Wer kennt es nicht? Die Spirale der Enttäuschungen und Vorwürfe. "Offensichtlich kommst du heute etwas später Heim", "Und keine Nachricht von dir - der Anrufbeantworter schweigt", "Du wolltest doch ...". Der mögliche Anfang von einem großen Streit und möglicherweise die erste Einsicht für das Ende einer Beziehung. "Vor einer Weile noch waren wir noch frisch verliebt." Doch es ist nicht nur der Inhalt, der mir gefällt. Der Sprachgesang, am Anfang nur von einzelnen Klaviertönen begleitet. Die weiteren Instrumente setzen nach und nach ein und so schaukelt sich die Enttäuschung auch instrumental immer weiter hoch.
Wie stellst du dir den Beginn eines Liedes namens "Stillstand" vor? Sicher nicht wie Keimzeit. Ein fetziges Lied macht sich in meinen vier Wänden breit. "Stillstand ist aktuell mein bevorzugtes Transportmittel". Besonders in der heutigen Welt, in der am besten alles mit Hochgeschwindigkeit an einem nur noch vorbeirauschen kann, vergisst man schnell das wunderbare Ruhige. Schaust du noch aus dem Fenster, wenn du beispielsweise im Zug sitzt, oder starrst du stur auf dein Handy? Oder beim Warten auf den nächsten Bus. Schaust du dich um oder doch nur nach unten aufs Handy? Bist du in deinem Urlaub wirklich auch mal "offline"? Im schlimmsten Fall wird man plötzlich ausgebremst, wenn alles zu schnell läuft. Bei Norbert Leisegang war es ein starker Sturm, der ihn bzw. seinen Zug ausbremste, mit dem er gerade unterwegs war und ihn somit zu diesem Song inspirierte. An der nächsten Haltestelle mussten dann alle Fahrgäste aussteigen. In diesem Fall brachte ein Naturgeschehen die Menschen zum Stillstand. Doch in manchen - schlimmeren - Fällen bremst einen auch der Körper aus, beispielsweise wenn er "ausgebrannt" ist oder mit einem Herzinfarkt.
Mit "Glasscherben" schließt Keimzeit ihren Rundgang durch "das Schloss" besinnlich ab.
Ich lege dieses Album jedem ans Herz, der wie ich ein großer Fan der deutschen Sprache und den unglaublich möglichen kreativen Wortspielerein ist. Damit schließe ich die Rezension mit einem Zitat von "Glasscherben": "Das Glück spiegelt sich meistens erst in Glasscherben."
(Sarah Müller)
Making Of: