VÖ: 23.03.2018; Label: Ventil Records/Believe; Katalognummer: n.n.b.; Bemerkung: Angaben, in welcher Form (Platte, Sonderauflage, etc.) das Album erscheinen wird, können derzeit noch nicht gemacht werden. Uns liegt nur eine digitale Bemusterung und kein pyhsischer Tonträger vor;
Titel: Herr der Berge • Ich will leben • Dämon • Goldrausch • Mein Diamant • Wofür Du stehst • Quo Vadis • 1.000 Seelen • Eis und Schnee • Agonie • Wenn der Winter kommt • Leben und Tod • Wiedersehen woanders |
Rezension:
Seit dem Comeback im Jahre 2012 müssen die Fans von JOACHIM WITT nie lange auf etwas Neues vom Meister warten. "Dom", "Neumond", "Ich" und "Thron" hießen seitdem die Studioalben und mit "Wir" gab es 2015 sogar ein Live-Album mit Doppel-DVD. Die Kreativität und Wandlungsfähigkeit scheint bei Witt nach wie vor sehr groß zu sein und auch keine Grenzen zu kennen. Im März d.J. steht uns nun eine weitere Verwandlung in Auftritt und Musik ins Haus: Mit "Rübezahl" wird Witts 17. Studioalbum als Solokünstler erscheinen und ihn ein weiteres Mal in mehrfacher Hinsicht verändert präsentieren. Bemerkenswert für einen Künstler, den der eine oder andere Kritiker schon seit Jahren gern aufs Abstellgleis schieben möchte, der sein Publikum aber trotzdem immer wieder erreicht!
"Rübezahl, sollt ihr wissen, ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar, bengelhaft, roh, unbescheiden, stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt …" (Musäus, 1783) Es muss noch geklärt werden, ob sich Witt, der sich äußerlich ganz offensichtlich nun auch die dem Album seinen Namen gebenden Figur des Berggeists aus dem Riesengebirge angepasst hat, selbst in ihm wiederfindet. Fakt ist aber, dass die neue Platte nicht nur seinen Namen trägt, sondern gleich auch mit eben diesem Sagen umwobenen Schrat beginnt. "Herr der Berge" heißt der erste Song, der mit brachialer Gewalt aus den Boxen dröhnt. Harte Gitarren, ein treibendes und hämmerndes Schlagzeug und dazu Witts finsterer Gesang versetzen den Hörer gleich in die tiefsten Wälder der Gegend um die Schneekoppe. Witt erzählt in seinem Lied von dem Berggeist, der über so viele Jahre nicht mehr gesehen wurde und holt ihn den Leuten somit ins Gedächtnis zurück. Vor dem inneren Auge und im Kopfkino lässt die Musik diese Sagengestalt lebendig und mit festem Schritt durch die Wälder ziehen. Was für ein großartiger Start in ein neues Witt-Programm.
Orchestrale Töne mit Streichern leiten den folgenden Titel "Ich will leben" ein. Zum Refrain türmt sich das Stück zu einem wahren Orkan mit Gitarren, Männerchor und abermals hämmerndem Schlagzeug auf und macht Witts "Forderung" mit Nachdruck deutlich, trotz all dem, was einem in der Welt die Tränen in die Augen treiben kann, leben zu wollen.
Ein weiteres Highlight der neuen CD ist das Stück "Wofür Du stehst", das den Hörer zurück in Witts Neue-Deutsche-Härte-Phase zwischen 1998 und 2008 nimmt und an große Werke wie die "Bayreuth"-Reihe oder "Eisenherz" erinnert. Gitarren, Synthie-Sounds und Witts einzigartige Vortragskunst werden auch bei den Live-Konzerten dafür sorgen, dass wieder einmal "alle nicken".
So richtig berührt und erwischt hat mich jedoch das Stück "Wiedersehen woanders", das das Album abschließt. Joachim Witt ist es hier gelungen, den Abschied von einem geliebten Menschen ganz großartig in ein Lied zu verpacken. Die im Text beschriebene Atmosphäre und die gefundenen Worte, in der Witt seine Geschichte gekleidet hat, sorgen für ein mächtiges Beben im Seelenleben. Aus dem aufgewühlten Arrangement aus Gitarren und Schlagzeug schimmert immer wieder eine zerbrechliche Klavier-Melodie heraus, die Witts Anliegen unterstreicht. Musik und Text treiben einem über die volle Distanz eine Gänsehaut über den Körper und wenn man selbst gerade in so einer Phase steckt, in der man jemanden verloren hat, fällt das Eintauchen in dieses Lied überhaupt nicht schwer. Man findet sich wieder, lässt sich treiben, fühlt sich nicht allein und vor allen Dingen abgeholt. "Wir lassen los und lassen geh'n". Besonders an dem Stück ist, dass sich der Song auch in eine andere Richtung interpretieren lässt. Es muss nicht immer der Tod sein, der einen Abschied nehmen und loslassen lässt.
Inhaltlich weiß Joachim Witt auch auf "Rübezahl" wieder einmal, Akzente zu setzen. Er setzt sich in seinen Geschichten, die er erzählt, und wie er sie erzählt, deutlich von dem ab, was uns die Masse an Küchentischlyrikern zu sagen hat, die für das Mainstream-Publikum die großen Poeten, beim ersten Kratzen an der Oberfläche jedoch nur Verkäufer von Glanz- und Einfallslosigkeit sind. Inhaltlicher Glanz und Gehalt finden sich hier in jedem einzelnen Lied wieder. Aber leider ist es Joachim Witt auf "Rübezahl" nicht gelungen, diese Inhalte wieder so für die Sinne nachhaltig in Musik zu kleiden. Es wird viel mit orchestralem und von Gitarrenwänden erzeugtem Bombast ("Dämon", "Master", "Quo Vadis") gearbeitet, dabei jedoch die Verspieltheit und Detailverliebtheit der vorher gegangenen Platten wie z.B. "Thron" oder "Ich" vergessen. Vieles hinterlässt so leider kaum Spuren und erinnert sogar an schon anderswo Gehörtes. Ich habe das Album inzwischen mehrfach laufen lassen und es in verschiedenen Situationen angehört. Während "Herr der Berge" oder auch "Eis und Schnee" immer wieder auffallen und im Kopf bleiben, bleiben andere Songs überhaupt nicht hängen und verschwinden schnell wieder in der geistigen Versenkung. Das Lied "1.000 Seelen" zieht sich z.B. wie ein Kaugummi endlos in die Länge und will trotz seiner nur 4:35 Minuten Laufzeit nicht zum Ende kommen. Auch wenn mir auf dem neuen Album dieses Mal nicht alles gefällt, so bin ich trotzdem neugierig darauf, wie die Lieder vom "Rübezahl"-Album live beim Konzert angerichtet sein werden. Live ist Musik immer was Anderes als aus der Konserve und bei der Präsentation auf der Bühne kommt ja auch noch Witts unnachahmliche Darstellung und sein Eintauchen in seine Geschichten dazu. Das kann einem eine CD sowieso nicht geben.
(Christian Reder)