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mittermutkl 20121118 1624028176VÖ: 09/1983; Label: CBS; Musiker: Herwig Mitteregger (alle Instrumente); Produzent: Herwig Mitteregger; Co-Produzent: Udo Arndt; Beschreibung: Das Album erschien zuerst nur auf Schallplatte und vorab als Weißmuster für Presse und Rundfunk in Form einer Kassette und Vinyl. Im Jahre 1990 erschien das Album dann erstmals auf CD, 1998 ein weiteres Mal. Inzwischen ist es schon seit Jahren nicht mehr erhältich (Stand 01/2023).

Titel:
"Kreuzberg", "So oder so", "Heiraten", "Kalt wie'n Stein", "Ocean", "Du und ich", "Deutsche Läuse", "Rudi"


"Na Fury, wie wär's mit einem kleinen Ausritt?"
In diesem Falle unternehmen wir den hier jetzt mal zusammen mit Herwig Mittereggers erstem Solo-Album "Kein Mut - kein Mädchen". Zuerst war Lok Kreuzberg eine Station, dann die Nina Hagen Band, später SPLIFF und erst im "hohen Alter" von 30 Jahren folgte die Solokarriere. Was wäre die Deutschrock-Szene ohne ihn - Herwig Mitteregger? Ihr würde in jeder Hinsicht ein wichtiges Teil fehlen! Ständig neue Ideen im Kopf, die Drumsticks immer griffbereit und an vielen anderen Projekten beteiligt (Manfred Maurenbrecher, Ulla Meinecke, Band für Afrika, Michael Fitz) spielte er ohne Zweifel lange Zeit in der ersten Liga der deutschen Musik-Szene. Inzwischen ist es leider ziemlich ruhig um h. geworden, was nicht zuletzt auch an der extrem veränderten Kulturlandschaft liegt.

Als vor 40 Jahren, genauer gesagt im Herbst 1983, sein Debüt-Album "Kein Mut - Kein Mädchen" auf den Markt kam, hatte er gerade ein wildes Jahr mit SPLIFF hinter sich. Die Band hatte mit den Platten "85555" und "Herzlichen Glückwunsch" zwei Top 10-Alben veröffentlicht und live ziemlich erfolgreich das Heimat- und angrenzende Ausland konzertant beackert. Eine Pause wollte sich Herwig danach aber nicht nehmen, sondern sein Erstlingswerk in den Windschatten der SPLIFF-Erfolge stellen. Wie schon bei SPLIFF ein Jahr zuvor, war er auch mit diesem Album wieder mal seiner Zeit voraus. Die Platte ist abwechslungsreich und beinhaltet trotz seiner lediglich acht Titel eine ganze Menge interessanter Details, die auch heute noch zünden und deren Entdeckung beim Hören für eine Menge Frohsinn sorgen.

Dass Mitteregger von SPLIFF kam und dort maßgeblich an dem Erfolgs-Sound der eben genannten zwei Alben mit geschraubt hatte, ist seinem Debüt-Werk deutlich anzumerken. Man ahnte zwar vorher schon, dass er bei seiner Band bereits den größten Fingerabdruck neben Reinhold Heil hinterlassen hatte, aber der endgültige Beweis wurde nun mit dieser Langrille geführt.
Gleich die erste Nummer "Kreuzberg" weist eine eindeutige Verwandtschaft zum SPLIFF-Output auf. Ein Teppich aus treibendem Beat, großzügigem Einsatz von Elektronik und feinster E-Gitarre gewoben, bilden den kratzbürstigen Untergrund für einen Mitteregger typischen Text. Dass "die schlechten Frauen die besten" sind, ist dann auch gleich die erste Botschaft, die uns der Musikant für die nächsten Minuten mit auf den Weg gibt. Aber wie schon bei SPLIFFs "Deja Vu", so muss der Hörer auch bei dieser Nummer erst heraus hören, was uns der Meister hier wohl erzählen will. Musik zum Mitdenken und Erkunden, da darf dann auch gern mal geraten werden, wo folgendes Szenario wohl stattgefunden haben kann: "… fünf Leute sitzen hier, dabei sind wir zehn".
Weniger zu Raten hat der Hörer bei der als Single ausgekoppelten Düster-Nummer "Kalt wie'n Stein". Eine zerbrochene Liebe beschäftigt das Lied-Ich und der Fakt, dass er für die Angebetete nicht mehr von Interesse ist - und "genau das ist zuviel" für ihn. Die Ex zieht derweil mit jemand anderem durch die "kalte Welt", und das schmerzt enorm. Diese seelische Endzeitstimmung wird hier hervorragend auch musikalisch eingefangen. Über allem steht natürlich Mittereggers Getrommel. Eine Mischung aus Drum-Computer und handgemachten Beats. Aber dies ist nur ein Teil dieser sagenhaft geilen Mischung aus einem Synthie-Teppich, einer aus der Ferne herein klingenden E-Gitarre und eben Herwigs unruhigem Schlagzeugspiel, die dieses Lied einleiten. Im Verlauf entwickelt es sich zu einem regelrechten Ohrwurm. Der Beat wird treibend, die E-Gitarre rückt präsenter klingend in den Vordergrund und dann beginnt Mitteregger seinen von Liebesschmerz gezeichneten Gesang. Ein Meisterwerk - zeitlos, melancholisch-schön und immer wieder mitreißend.
Ebenso mitreißend ist der Song "Deutsche Läuse", womit sich hier sogar Angus Young, Malcolm Young und Bon Scott von AC/DC auf das Album verirrt haben. Die schrieben dieses Lied nämlich im Jahre 1977 und nannten es "Crabsody In Blue" (zu finden auf der Australischen Pressung des Albums "Let There Be Rock"). Der gebürtige Österreicher Mitteregger nahm es als Vorlage für seinen Text, allerdings fiel das Arrangement bei ihm wesentlich rotziger, dreckiger und hardrockiger aus, so dass die Autoren wohl voller Hochachtung mit der Zunge geschnalzt haben dürften, als ihnen die Belegversion eingereicht wurde. Worum es inhaltlich geht, darüber streiten sich die Geister. Die einen glauben, es sei schlicht die Übersetzung des Originals, andere glauben, es ist Herwigs Abrechnung mit der Neuen Deutschen Welle. Möge sich jeder selbst ein Bild davon machen.
Und dann ist da natürlich "Rudi". Ein Stück, mit dem sie Dich heute wohl überall vom Hof jagen würden, das aber so genial ist, dass es sich mit nichts anderem vergleichen lässt. Mitteregger im anfänglich flüsternden, später emotionaleren Zwiegespräch mit sich selbst (sein zweiter Vorname ist Rudolf) zu synthetisch-hypnotischen Klängen und Effekten. Hin und wieder trommelt h. ein paar Beats rein und zum Ende hin greift er auch zur Gitarre, die er einmal mehr "aus der Ferne" in seinen Song hinein klingen lässt. Eine Hammernummer mit genialen Momenten, die sogar Smudo von den Fantastischen Vier Anfang des neuen Jahrtausends coverte. Aber zeig mir einen Radiomoderatoren, der das Lied heute noch spielen würde. Da passt dann die Zeile, "Besser Du fährst Auto, und ein anderer lenkt", ganz gut.
Natürlich hätten auch der poppige Rocksong "So oder so", das mit atmosphärischen Spannungsbögen ausgestatte "Ocean", das im heimatländisch-österreichischen Dialekt eingesungene "Heiraten" oder die gefühlvolle Ballade "Du und ich", die er für seine Tochter Dinah geschrieben hat, eine ausführliche Beschreibung verdient, aber vorher müsstet Ihr Euch erst eine Thermoskanne Kaffee machen und ein paar Bütterchen schmieren, denn das könnte dann ein verdammt langer Tag werden. Es würde hier einfach den Rahmen sprengen, aber Ihr könnt sie Euch zumindest hier am Ende in der "Seh- und Hör-Bar" komplett anhören.

Mitteregger schraubte dieses Album im Sommer ´83 allein im Spliff Studio zusammen. Nach der intensiven Zeit mit der Lok, der Nina Hagen Band und Spliff, wo er immer einer von vielen war, wollte er möglicherweise mal schauen, ob er auch allein eine Platte machen kann, die Zeichen setzten kann. Pünktlich zu seinem 30. Geburtstag kam "Kein Mut - kein Mädchen" dann auf den Markt und stellte ziemlich deutlich klar: Er konnte! Ach ja … und singen kann der h. übrigens auch, falls man es bis dahin noch nicht mitbekommen haben sollte.

Die Zeichen waren mehr als deutlich gesetzt. Die Scheibe klingt warm, die Lieder kraftvoll, es sprudelt nur so vor Lebendigkeit. Leise und laute Töne wechseln sich ebenso ab wie klare und verklausulierte Aussagen. Seine Texte treffen Dich da, wo sie treffen sollen, sind nicht platt serviert sondern werden mit der unausgesprochenen Aufforderung zum Denken gereicht. Mal blickst Du sofort durch, ein anderes Mal musst Du länger hinhören und wieder ein anderes Mal kannst Du interpretieren wie Du willst … es passt vieles. Mal finster, mal sarkastisch, mal das Kind beim Namen nennend. Mitteregger kann alles, und alles kann bei Mitteregger passieren. Kurz gesagt: Du findest hier alles, was Dir die NDW zu der Zeit nicht bieten konnte. Und dass sich Pop- mit Rockmusik nicht beißen muss, hervorragend zusammen funktionieren kann und dass man in dem Genre immer noch was Neues erschaffen kann, beweist Mitteregger hier so ganz locker nebenbei. Zwar sind alle Platten, die von ihm danach kamen, auch nicht schlecht, aber die Messlatte legte er mit seinem Erstlingswerk verdammt hoch. Höher springen ging dann nicht mehr, auch wenn "Immer mehr" nur ein Jahr später zu seinem größten kommerziellen Erfolg werden sollte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
(Christian Reder)






Seh- und Hör-Bar:




















   
   
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