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Bericht: Andreas Hähle

Fotos: Patricia Heidrich


 

...ich weiß das leben ist gar und gut...
(Rainer Maria Rilke "Das Lied des Selbstmörders")

Schon eine halbe Stunde vor Beginn des Konzerts donnerte es durch die ausverkaufte Bernauer Stadthalle am Steintor. Alle schauten zur Bühne, doch von da kam es nicht. Ein Gewitter zog heran. Als ich die vor etlicher Zeit einmal den Auftrag erhielt, "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" des Dichters Rainer Maria Rilke in eine dramaturgische Fassung zu bringen, gewitterte es jeden Tag. Zur Aufführung gelang das Stück nie, denn damals (heute wäre es rein rechnerisch anders) entschieden die Rilke-Werks-Betreuer sich grundsätzlich gegen eine Theateraufführung dieser Prosadichtung. Nichtsdestotrotz wollte ich das aufziehende Unwetter nicht als schlechtes Omen empfinden. Lieber ließ ich mich auf die angenehme Atmosphäre der Bernauer Stadthalle ein. Auf den Toiletten roch es sogar nach Orangen. Auch wenn der Mensch weiß, dass Aromen künstlich sind, genießt er diesen feinen Nasenwind. Angenehm war auch die Begleitung, welche sich zu uns gesellte, Jörg "Mischka" Mischke von "Neues Glas aus alten Scherben", der bei der Wilhelm-Busch-Tour Clubmitglied war und ersatzweise demnächst Andreas Sperling während der um einen Monat verlängerten Rilke-Tour sicherlich würdig an den Tasteninstrumenten vertreten wird - der alte "Wilderer". Andreas Sperling selber wird mit "Keimzeit" auf Tour gehen. Musiker sind halt heute in vielen Projekten integriert, weswegen an diesem Abend auch Tim Lorenz fehlte, der gerade mit Udo Lindenberg auf einer unplugged-Tour war. Tim wurde für dieses Konzert "ersetzt" durch Bela Braukmann, ein Schlagzeuger, der bereits schon mit Katharina Franck zusammenarbeitete. Leider weiß ich nicht wo und ich weiß auch nicht, was er sonst so treibt. Im Netz findet man einen Querverweis zu einer Band namens "Cultured Pearls", da das Material jedoch recht dürftig ist, der Schlagzeuger auf "wikipedia" als "B.La" ausgewiesen wird, kam ich nicht wirklich weiter bei der Recherche zu dieser Person und bitte dies zu entschuldigen.

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Die nicht gerade kleine Bühne war üppig mit Instrumenten bestückt. Requisiten, von denen man annehmen konnte, dass sie im Laufe ihres Abends ihre entsprechende Bedeutung erhalten würden. Vor dem Konzert wurde ein Spot eingespielt, eine akustische Radio-Eins-Werbung für das "Siebenklang"-Festival in Bernau, in dessen Rahmen der Club der toten Dichter auftrat. Es folgte noch eine kurze Ansprache zum Festival selbst und zum geänderten Standort. Der ursprünglich angedachte Ort des Konzerts war die VE Besamungsstation, welche sich allerdings wohl in einem Verkaufsprozess befindet. Auch ein kurzer Abriss aus Rainer Maria Rilkes zerrissener Biographie wurde dargelegt. Und zwar im Zusammenhang mit dem Ortswechsel. "Ein Mann ohne Haus, immer auf der Suche." Das sind wir heute alle, selbst die Frauen und gar die Kinder. Insofern schien es mir auch eine sehr zeitgemäße Wahl zu sein, Rilkes Gedichte neu zu vertonen und so einem großen Publikum auch neu zu offerieren. Mal ganz abgesehen von dem damit zusammenhängenden musikalischen Vergnügen.

Unter starkem Beifall und eingesampelten Drumsklängen betraten die Akteure des Abends, der "Club der toten Dichter", die Bühne. Über die eingespielte Line sang Katharina Franck, fast a capella, bevor die Band einsetzte. "Sie saß so wie die anderen beim Tee". Sparsam und dennoch ausinstrumentiert die Begleitung. Katharina Francks Stimme ist eine ganz besondere. Wandelnd sicher zwischen allen Stilen, doch fest und so als könnte sie alles klären. Wandernd auch stetig zwischen U- und E-Schubladen und mir schien: in ihrer Filigranität zu Rilkes Worten passend wie keine andere. Letzteres wird Reinhard "Max" Repke wohl auch gedacht haben.

"Die Einsamkeit", wohl eines der Hauptmotive für Rilkes Schaffen. Ach, das verunglückte Lieben der großen Dichter. Vielleicht aber verdanken wir, bei vielen von ihnen, gerade aus diesem Grunde solche großen Werke. Eine Größe, von der viele, so auch Rilke, zu Lebzeiten leider selber gar nichts hatten. Die Einsamkeit, sanft und sehr gefühlvoll zelebriert unter grünlich angeleuchteten seltsamen Lampenschirmen, die mir etwas deplatziert erschienen. Dafür odenartig elegisch faszinierte mich die Band mit einem Satzgesang und machte mich das gleich wieder vergessen.

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An die 100 Liebesgedichte, so erzählte Katharina Franck, an seine ewig verzweifelt unglückliche Liebe Lou-Andreas Salomé, obschon er mit ihr mit Sicherheit auch glückliche Tage hatte. Die Dame war seinerzeit so etwas wie eine femme fatale, auch eine Philosophin, überaus klug und ihrer Zeit tatsächlich in ihrem gesamten Wesen - aus der historisierenden Ferne betrachtet - weit voraus. Sowohl im Geiste als auch mit ihrem unkonventionellen Verhalten. Sie hatte es auch geschafft, Friedrich Nietzsche fertigzumachen, in vielerlei Hinsicht und das soll wohl schon etwas heißen. Mit "Lösch mir die Augen aus" wurde der entsprechende Herzschmerztext in einen leichten Blues gewandelt. Wobei das Interessante an Reinhard Repkes Kompositions- und Arrangement-Stil darin besteht, dass es im Grunde keine stilistische Zuordnung gibt, deren Eindeutigkeit sich musikalisch belegen lässt. Repke prägt unverblümt seinen eigenen und macht auf diese Weise jedes Werk musikalisch außerordentlich interessant. Er hat stilistische Vorlieben, jedoch adaptiert er sie auf eine Weise, dass es fast Mühe macht, diese zu identifizieren. Diese Mühe würde einen schönen Abend verderben, also kann sie auch gut unterbleiben. Die Farben der Fukushima-Mahn-Ballons wandelten sich in gelb und violett.

Eine rockige Ballade mit vielseitigen kompositorischen Einfällen war der "Herbsttag". Wohl einer der bekanntesten Rilke-Texte. Wie gemacht für die prägnante Stimme Katharina Francks, ein Schönheitswerk trotz des lakonisch-traurigen Textes.
Mit leichten klassischen Rüschen das Kleid für den Text "Ich wollt sie hätten statt der Wiege mir einen kleinen Sarg gemacht", gesungen von Reinhard Repke mit ebenfalls prägnanter, etwas näselnder Stimme. Die Band, fast unmerklich etwas geführt von Markus Runzheimer am Bass, schwingt da leicht mit, immer passgerecht und verlieh der tiefen Melancholie auf diese Weise federleichte Flügel, auf dass man mit ihr wolkig dahinschweben konnte. Für eine kleine Weile.

Dreistimmig einstimmig wie ein kleiner Chor "Gesehn Gehofft Gefunden". Die Gitarren dominieren. Wie ein leichter Südstaaten-Blues, obschon ich gar nicht weiß, ob es überhaupt leichte Südstaaten-Blues-Musik gibt.
Katharina Franck rezitiert ein Rilke-Gedicht. Schwindende. Und auch hierin wirkt sie sehr gut, mich mit entführend in die tiefgreifende Sprache Rilkes Und es ist auch, wenn man dies anmerken darf, nicht jedermans und jederfraus Sache, solch ein Vortrag. Da muss man ihn fühlen können, den Text, sondern wird das Herz nicht mit verschenkt, welches aus wesentlich mehr besteht als aus Worten. Die Seele eben eines Gedichtes. Als die Rezitatorin auch noch beschrieb wie "über dem Bach sein Murmeln zieht", singend über einen luftig angerockten Teppich, fragte ich mich - zu diesem Zeitpunkt spätestens - weshalb man nicht schon viel früher deutsche Texte von ihr gesungen hören durfte.

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Von Reinhard Repke kannte man dies ja bereits. Die Unternehmung heißt ja auch "Club der toten Dichter" und bisher waren es drei deutsche (Heine, Busch, Rilke). Seine Stimme immer sehr nahe am Blues, immer etwas knarzig. So kann man singend Geschichten erzählen. Es geht doch. Es muss.

Vor dem "Liebesbrief" erzählte Reinhard Repke eine kleine Anekdote über Briefe. Alleine 7000 Briefe sind ungefähr von Rainer Maria Rilke veröffentlicht. Repke erzählte detaillierter über einen Brief, welchen Rilke an einen jungen Kadetten schrieb, mit welchem er bis zur vorzeitigen Aufgabe seiner militärischen Laufbahn gemeinsam Dienst schob. Weiter berichtete Repke über seine eigene Affinität zu Rilkes Texten, wobei der Bogen zum gerade stattfindenden Konzert wieder gespannt war. Katharina Franck trommelte das folgende Lied sanft mit. Hernach sang sie ohne Instrument, auch ohne ihre Gitarre, schön und klar über die sehr bewusst am Text orientiert arrangierte Musik hinweg. "Ich bin die Laute". Doch laut wurde es nur - und nicht einmal dann sehr -, wenn es sich in den Text fügte. Ohne Mikrofon sang sie am Ende des Titels klar und sicher über die ausklingende Musik-Karawane hinweg. Wieder eine wunderbare Rezitation und dann "nur" Gitarristin beim rockigen textanfänglichen "Fremd ist was deine Lippen sagen". Die Band amüsierte sich prächtig bei dieser Salonmusik, galoppierend und nie die eigene Schönheit, die musikalische, vernachlässigend. So glamourös können Rilke-Texte auch klingen. Und so fröhlich wurden wir in die Pause entlassen.

Mir gefiel vor allem auch die Verve der ja nicht (mehr) ungewohnten Repke-Stilistik, mit welcher die ja nicht unbedingt einfachen Texte von Rainer Maria Rilke (der René hieß, bevor Lou Andreas-Salomé, wie ich an diesem Abend erfuhr, ihn auf Rainer taufte, weil das männlicher klänge) in eine musikalische Form brachte, welches sowohl den Werken des Dichters angemessen war als auch dem heutigen Publikum, egal welchen Alters. Allein für dieses Engagement müsste es einen Sonder-Literaturpreis für Reinhard Repke geben.

Diesmal war es ein mystisch scheinender Keyboardflächenklang, zu welchem die Band nach der Pause die Bühne betrat und mit Katharina Franck der "schwarzen Katze" huldigte. Wie fein, wie leicht, wie schön, wie verführerisch - Repkes Melodien mit einer diesem Idiom willig und gekonnt folgenden Band.
In der Pause erzählte mir Patti, dass sie die von mir bemängelten Lampions nicht unpassend fand und meinte, dass ich von Dekoration ohnehin keine Ahnung hätte. Nun ja. Ich lauschte weiterhin gebannt den eigenwilligen und mich in alle möglichen Welten entführenden Kompositionen wie auch Katharina Francks Gesang. In dem ich mich "seltsam tief verfing". Die Wanderung durch nie gesehene Zeiten. Fast diese und den Raum verlassend mochte ich mir kaum noch weiterhin Notizen machen, sondern nur noch zuhören. "Es ist noch Tag auf der Terrasse", ein Titel, in welchem sich zwei Rilke-Texte einander umschmeichelnd verbanden. Eine Technik, die Reinhard Repke auch schon beim Heine-Programm verwendete. Sommerlich duftend, ein bisschen wie 60er Jahre und auch etwas leicht angetrunken.

Ohne Crime geht gar nichts heutzutage. Und so kommt mystifiziert der "Nachtwächter" daher. Das Sandmännchen zu Rilkes Zeiten. Die Musik trieb ihn voran durch die dunklen Gassen wie die Hunde, die sich um den Ring reißen. Man kann ja nie wissen, was in den unheimlich dunklen dünnen Straßen vor sich geht. Auch nicht in Bernau.
"Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen", erzählte uns singend Andreas Sperling, zweitstimmig unterstützt von Katharina Franck. Das Schlagzeug schwieg. Gitarre und Bass umzärtelten den Gesang. Sachte miteinander flirtend, bis Repkes Gitarre, ganz kurz nur, noch einen kleinen Vers hinzuperlen wollte. Zum Ende hin...
Rosarot wurden nun die Lampions angeleuchtet. Beim "Panther". Den Gerhard Schröder gerne aufsagte. Natürlich bei weitem nicht so sanftpfötig und anmutig wie der "Club der toten Dichter". Dieser schien mich exakt nachempfinden lassen, wie der Panther im Käfig hin- und hergeht. Wie man es von den Raubkatzen aller Art in den Zoos und Tiergärten kennt. Mytisch die Orgel. Melancholisch offen der Ausklang des Titels.

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"Und jetzt zur Auflockerung das Lied des Selbstmörders", kündigte Reinhard Repke den vielleicht tatsächlich von Rilke ein wenig spöttisch gemeinten Text an, munter coupletartig interpretiert und fröhlich musiziert.
"Das Karussell", ein, wie Reinhard Repke bemerkte, in verschiedenen Radiostationen gespielter Titel des "Club der toten Dichter", dem Thema auch musikalisch frönend. Jahrmarktsmusik. Mit entsprechenden hinter- und vordergründigen Klängen. Eine bunte subtile Situationsbeschreibung des ewig sich immer wieder Ergebenden.
"Rot war der Abend" führte Reinhard Repke uns mit einer leichten Häme ein, indem er seine Begegnung mit einem Wolf erzählte. Keine Rotkäppchengeschichte, jedenfalls nicht im kindlichen Sinne. Sondern wenn dann schon im vollends erwachsenen.

Ausführlich und ausschweifend stellte der Projektleiter seine heutige Band vor. Nach einer gefühlten, wenn auch unterhaltsamen halben Stunde dieser Bandvorstellung inklusive der Verabschiedung vom Publikum das letzte offizielle Lied für diesen Abend. Wiederum - selbstverständlich - in jener schwer zu beschreibenden Stilistik, welche vielleicht eines Tages als repkesk in die musikalische Weltgeschichte und in die Geschichte musikalischer Bearbeitung deutschsprachiger Weltliteratur eingehen könnte. Um es rilkistisch auszudrücken: Wer weiß das schon...

Die erste Zugabe sang uns vom "Leben laut und Sterben leise" und war eine neue Vertonung, eine von Katharina Franck. Ergreifend und schön.
Natürlich gab nach dieser Soloeinlage auch die Band noch etwas zu. Sich selbst. Und die ganz eigenwilligen wunderbaren Texte von Rainer Maria Rilke. Dafür und für das gesamte Konzert wurden sie in der Stadthalle Bernau mit langanhaltenden Standing Ovations belohnt. Welche Ehre! Für uns, die wir dabei sein durften.

Hinweis: Reinhard Repke und Katharina Franck werden auch zu Gast in der Sendung "Wahl-Lokal" auf www.rockradio.de sein und sich dort den Fragen des Autors dieses Berichts stellen. Ausgestrahlt wird die Live-Sendung am 5.6. von 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

 

Tourdaten:
19.06.2011 Speyer
03.07.2011 Wismar
03.08.2011 Binz
19.08.2011 Witzenhausen
21.08.2011 Lollar
26.08.2011 Prenzlau
02.09.2011 Plauen
03.09.2011 Meerane
07.09.2011 Koblenz
10.09.2011 Bonn
16.09.2011 Dresden
23.09.2011 Schweinfurt
23.10.2011 Hamburg
29.10.2011 Trier
30.10.2011 Lörrach
06.11.2011 Mainz
11.11.2011 Kreuztal
12.11.2011 Potsdam
18.11.2011 Cottbus
19.11.2011 Fürstenwalde
11.12.2011 Alt Ruppin

 


 

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