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Bericht:
Torsten Meyer

Fotos:
Torsten Meyer


WO BLEIBT DAS NEUE?
Ich bin ja eigentlich immer auf der Suche nach musikalischen Neuentdeckungen, die es wert sind, sich näher mit ihnen zu befassen. Nichts ist nämlich langweiliger, als sein Leben lang immer nur stur seine zwei, drei Lieblingsbands anzuhimmeln und zu allem Neuen die Nase zu rümpfen. Allerdings rückt gerade auf dem Gebiet der deutschsprachigen Szene nicht allzu viel Qualität nach, wie ich finde. Ja, es gibt den Trend zu diesen Pop-Chanson-Liedermachern á la Tim Bendzko, Philip Poisel und wie sie alle heißen.

Die Liste derer wird immer länger, aber auch immer "gleicher" (feiner Deutsch, hihihi...), was Machart und Klang betrifft. Deshalb war ich richtig happy, als ich mich vor einigen Wochen in der Rezension meines Kollegen Christian zum Debütalbum einer jungen, sehr vielversprechenden Sängerin aus Hamburg verfing (Rezension siehe HIER). Sie heißt MIA DIEKOW, ihr Album ist betitelt mit "Die Logik liegt am Boden". Christians Rezension sah etwas anders aus als sonst üblich, und nachdem ich mich etwas näher mit MIA DIEKOW befasste, kann ich ihn voll und ganz verstehen. Ich besorgte mir die besagte CD und war schnell gefangen von dem, was da zu hören war (und natürlich immer noch ist). Die Dame hat es geschafft, ein dermaßen interessantes, hochwertiges, ungewöhnliches und erfrischendes Album frei von allen Schubladen und Zwängen zu fertigen, dass ich den dringenden Wunsch hatte, dieses auch mal live zu erleben!

DIE TÜCKEN VON LIVEKONZERTEN
Nun ist das ja immer so eine Sache mit der Euphorie nach dem Hören einer CD. Es kann nämlich schon mal passieren, dass man den Silberling nicht mehr aus dem Player nimmt, aber nach dem Live-Erlebnis ziemlich ernüchtert wieder nach Hause geht, so wie es mir beispielsweise letzte Woche beim Konzert von MONO INC. in Berlin ging. Aber egal, das Risiko musste und wollte ich eingehen. Wie passend, dass MIA DIEKOW sich just in diesen Tagen auf den Weg zu einer winzig kleinen Tour machte, um ihr Album zu präsentieren. Na gut, "Tour" ist vielleicht übertrieben, denn mit Hamburg, Köln und Berlin standen ganze drei Städte auf dem Plan. Aber auch die BEATLES oder MADONNA haben mal klein angefangen. Und ich persönlich favorisiere es ohnehin viel mehr, wenn eine Band sich ihr Publikum durch Liveauftritte in Clubs schafft, auch wenn das ohne Zweifel eine Knochenmühle ist. MIA DIEKOW geht also lieber den steinigen Weg, obwohl mit SONY Music durchaus ein renommiertes Label hinter ihr steht und sie mit Sicherheit auch ganz anders puschen könnte. Wenn es schief geht, ist der Fall wenigstens nicht so tief. Klappt aber alles wie geplant, kann sie auf einen treuen Publikumsstamm bauen, der sie von Anfang an begleitet und ihr treu bleiben wird.

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EIN WEITGEREISTER FAN
Dass die Anfänge dazu gemacht sind, zeigte sich am Donnerstagabend, als MIAs Berlin-Konzert im Maschinenhaus stattfand. Gelegen auf dem Gelände der Kulturbrauerei, bietet diese kleine Location etwa 200 Zuschauern Platz und ist somit ein wunderbar lauschiges Plätzchen für intime Clubkonzerte. Die zwei größten Risikofaktoren waren dabei die Wahl des Wochentages - es war Donnerstag, also mitten in der Woche - und die Konkurrenz durch einige andere, durchaus interessante Konzerte an diesem Tag. Dennoch füllte MIA DIEKOW den kleinen Saal des Maschinenhauses recht gut. Allerdings war zunächst einiges an Geduld nötig. Soll heißen, obwohl es um 20:00 Uhr losgehen sollte, standen wir Wartenden um 20:00 Uhr noch immer unten am Einlass. Immer wieder hieß es: "Noch zwei Minuten", ehe es dann um 20:10 Uhr endlich rein ging. Keine Ahnung, was los war, aber das ist schon ein wenig ärgerlich, wenn man ohne jede Info stehen gelassen wird. Wenigstens konnte man die Zeit nutzen, um mit dem Einen oder Anderen aus der Warteschlange ins Plaudern zu kommen. So erfuhr ich, dass der Erste in der Reihe einen extrem weiten Anfahrtsweg hinter sich brachte, um MIA DIEKOW live zu erleben, denn er kam direkt aus Luxemburg! Das will schon etwas heißen, wenn jemand für eine bis dato doch noch relativ unbekannte Sängerin solche weiten Wege auf sich nimmt!

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DAS UNVERMEIDLICHE VORPROGRAMM
Womit ich bei einem Kartenpreis von ca. 12,00 Euro niemals gerechnet hätte: es gab ein Vorprogramm. Na gut, gib dem Nachwuchs seine Chance. In diesem Fall betrat ein junger Mann die Bühne, bekleidet mit Bart, Gitarre und grünem Karohemd. Seine "Band" lag auf einem kleinen Beistelltischchen und begann dann auch sofort auf Knopfdruck zu spielen. Also mit anderen Worten: Halbplayback. Normalerweise reagiere ich auf sowas allergisch. Ich gehe in ein Konzert, um Livemusik zu erleben, ansonsten kann ich mir auch eine CD auflegen. Aber möglicherweise ist das bei einem so jungen Künstler ja alles noch eine finanzielle Frage. Wie auch immer, er stellte sich vor als JOHNNY HEYERDAHL. Bis dahin war mir der Name völlig unbekannt, und ich fürchte, er wird mir auch nicht allzu lange im Gedächtnis bleiben. Ja, JOHNNY mühte sich, es war ihm auch eine gewisse Nervosität anzumerken. Allerdings empfand ich seine dargebotene Songauswahl als ... nun ja, ich will es mal "seltsam" nennen. Im weitesten Sinne kann man es mit Indie-Pop umschreiben, stellenweise mit schrägen Melodien und noch schrägeren Texten. Tut mir leid, mich hat das leider nicht erreicht, lieber JOHNNY HEYERDAHL. Vor allem das sich in fast jedem Song wiederholende "Oooooh-Hoho-Oooohooo" nervte ganz schön. Aber sicher wird er sich recht schnell seinen Fankreis aufbauen und verschmerzen, dass ich nicht dazugehören werde. Immerhin hat er aber eine interessante Stimme, die ich mir in einer echten Band und mit anderen Songs durchaus gut vorstellen könnte. An diesem Abend war mir die Band aber einfach zu klein und die Lieder zu dürftig.

WILLKOMMEN IN MIA DIEKOWs WELT
MADONNA begann vor einigen Wochen ihr Konzert in der O2-World nach Medienberichten mit zwei Stunden Verspätung, die Reaktion der Fans war entsprechend - hier im Maschinenhaus waren es immerhin nur siebzig Minuten. Aber komischerweise war niemand sauer, es gab keine Pfiffe oder Buuuh-Rufe. Selbst ich blieb relativ gelassen, was mir in solchen Fällen sonst ziemlich schwer fällt.

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Endlich wurde dann aber doch noch die Saalbeleuchtung gegen das Bühnenlicht getauscht, und zu den Klängen von "Dinofisch" betraten zunächst die Musiker die Bühne, ehe sich auch MIA DIEKOW einfand. Oh ja, sie war sehr süß anzusehen in ihrem hübschen, bunt verzierten Kleid, was vermutlich von ihr selbst entworfen und gefertigt wurde. Der Federschmuck im Haar ließ endgültig keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass hier eine (im positiven Sinn) verrückte und auf wunderbare Weise "andere" Person auf der Bühne steht. Wie sie selbst, so war auch ihr Programm an diesem Abend: allerfeinste Musik, nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert.

"Die Logik liegt am Boden" heißt ihr Album, und mit diesem wunderschönen Lied begann auch das Konzert. Sofort knisterte es im Publikum, man hing an MIAs Lippen, lauschte ihr wie gebannt. Was ganz sicher daran lag, dass man hier wirklich großartige Texte zu hören bekam, die es in dieser Art wohl kaum noch einmal gibt. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich, was aus der doch angeblich so schwer in Liedform zu gießenden deutschen Sprache heraus zu holen ist. MIA skizziert Szenen und Momentaufnahmen aus unserem alltäglichen Leben auf eine ihr eigene Art, aber doch überaus verständliche Weise. Es wird niemals kitschig, und selbst für die Liebeslieder hat MIA Worte gefunden, die man gerne mitsingt, ohne sich verschämt umzuschauen, ob vielleicht der Nachbar gerade zuhört und sich darüber lustig macht. Übrigens sind MIA DIEKOW-Texte ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie erstklassige Lyrics auch ohne Reime funktionieren.

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Die beiden nächsten Nummern namens "Oh Liebling" und "Kitsch" lassen deutlich werden, dass nicht nur die Texte, sondern auch die Musik höchste Aufmerksamkeit verdient. MIA DIEKOWs Songs sind sehr vielschichtig. Keine Nummer gleicht der anderen. Es scheint, als würde sie sich aus einer großen Grabbelkiste bedienen und aus den verschiedensten Fundstücken immer neue Lieder machen. Damit komme ich wieder auf Christians CD-Rezension zurück, denn auch er wollte sich nicht festlegen, was für eine Art Musik man da eigentlich hört. Fakt ist, MIA hat großartige Melodien geschrieben, die man wirklich nicht in Schubladen packen möchte. Es ist sicher Pop, klar. Aber alles andere als dieser müde, immer gleich klingende Tralala-Kram aus dem Radio. Hier wird vieles eingebaut, mal eine Prise Indie, mal ein Löffel Disco, auch leicht jazzig, funky oder bluesig darf es mal klingen. Dieser Erfindungsreichtum ist schon erstaunlich und macht mir als Zuhörer einen Heidenspaß.

MIA KANN LIVE
Vor allem die Live-Umsetzung der Songs begeisterte mich. Ich gebe zu, vorher war ich so ein bisschen skeptisch, ob wir wohl auch mit Geräuschen aus der Konserve abgespeist werden, weil ja doch einige Soundschnipsel auf der CD zu hören sind, die die Frage nach der Livepräsentation rechtfertigen. Aber hier konnte ich mich schnell entspannen, denn MIA DIEKOWs Band trug ganz entscheidend zum Gelingen des Gigs bei. Zwischen allen herrschte eine große Harmonie, sie hatten eine unbändige Lust auf's Spielen, was man ja bei "größeren" Bands nicht immer behaupten kann. Der Clou im Line Up war natürlich das Cello, hier gespielt von Lea Grant. Mal fügte sie sich gekonnt in den Soundteppich ein, mal bestach sie durch phantastische Soloeinlagen, beispielsweise im Song "Pfeffer". So ein Cello verleiht der Musik Wärme und Tiefe, wenn es denn an den richtigen Stellen eingesetzt wird, was hier unbedingt der Fall war. Ich habe mich öfter dabei ertappt, dass meine Blicke längere Zeit auf Lea ruhten, denn mit ihrer hingebungsvollen Art zu spielen zieht Lea die Zuschauer in ihren Bann. Aber natürlich leisteten auch Olaf Niebuhr (Gitarre), Marco Möller (Drums), Claudius Tölke (Bass) und Pianist Martin Hornung saugute Arbeit. Der Sound war völlig in Ordnung, es groovte anständig, auch die Lautstärke stimmte.

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Die Titel des Albums wurden bis auf einen ("Dieses Ding called love") alle gespielt. Mein persönlicher Favorit "Nonoti" war dabei und gefiel mir ebenso gut wie die Songs, die nicht auf der CD vorkommen, also entweder älter oder schon ganz neu sind. Gern gehört hätte ich noch die im Deutsche Mugge-Interview erwähnte Coverversion von Ulla Meinekes "Tänzerin". Nach dem Konzert sprach ich mit MIA darüber, und sie versprach darüber nachzudenken, die Nummer vielleicht doch mal wieder ins Set einzubauen. Es wäre schön.

MIA DIEKOW ist ein Quirl. Ständig ist sie in Bewegung, tanzt, verbiegt sich, hüpft auch mal umher. Aber sie kann auch leise. Wie z.B. bei "Black Beauty". Im Original eine richtig fetzige Tanznummer, reduzierte man den Song hier auf simple Klavierbegleitung, was wirklich Klasse war. Wenn man sie in diesen stillen Momenten vor dem Mikrofon stehen sieht, mit geschlossenen Augen und in sich gekehrt, dann flüchtet man gerne mit ihr in diese ganz eigene, andere Welt, die MIA DIEKOW sich geschaffen hat. Leider aber war man viel zu schnell am Ende dieser Welt angelangt. Es ehrt MIA DIEKOW, dass sie das Konzert nicht künstlich durch das Spielen von Coversongs in die Länge zog, sondern eben Schluss machte, als sie ihr bislang vorliegendes Material präsentiert hatte. Und das waren inklusive Zugabe immerhin fünfzehn Songs.

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ERTRAGEN ODER GENIESSEN?
Zu Beginn des Abends ließ MIA ihren Fans die Wahl, ob sie das Konzert lieber "ertragen oder genießen" möchten. Nun, für mich (und sicher auch alle anderen) schlug das Pendel ohne Frage in Richtung "Genuss". Es hat wirklich enorm viel Spaß gemacht, diese sympathische und mit einer großen Natürlichkeit ausgestattete junge Frau und ihre Musiker erleben zu dürfen. Live erfahren die tollen Kompositionen nochmal eine Steigerung, und man staunt, was für eine enorme Ausstrahlung MIA DIEKOW verbreitet, wie präsent sie auf der Bühne ist. Man muss sie einfach mögen, möchte sie manchmal regelrecht knuddeln und herzen, wenn sie einen mit ihrem erfrischenden Lächeln anstrahlt. Wer sie hinterher noch am Merchendise-Stand zur Autogrammrunde erlebte, wird das bestätigen.

Ich habe das Gefühl, da wächst etwas Großes heran, was glücklicherweise fernab von diesem Dummdödel-Casting-Mist liegt. Etwas ganz Eigenständiges, was auch nach dem hundertsten Hören noch nicht langweilt oder nervt, weil es eben Stil und Seele hat, weil die Songs nicht nach 08/15-Strickmuster gefertigt wurden. Aber genau darin liegt auch die Gefahr, dass MIA DIEKOW und ihre so gänzlich andere Musik nur einem geschlossenen Fankreis vorbehalten bleibt. Na und? Sie wird ihren Weg machen, davon bin ich nach dem Dauerlauf der CD in meinem Player, und vor allem nach diesem Konzert überzeugt.

 
 
MIA DIEKOW live - Die nächsten Termine:
16.11.2012 - München - Ampere (Support für Mark Forster)
17.11.2012 - Zürich (CH) - Papiersaal (Support für Mark Forster)
18.11.2012 - Freiburg - Jazzhaus (Support für Mark Forster)
20.11.2012 - Stuttgart - Cann (Support für Mark Forster)
21.11.2012 - Köln - Luxor (Support für Mark Forster)
22.11.2012 - Bochum - Zeche (Support für Mark Forster)
Nähere Infos und weitere Termine auf Mias Homepage

Bitte beachtet auch:
- Off. Homepage von Mia Diekow: www.miadiekow.com
- Interview mit Mia Diekow (08/2012): HIER klicken
- Rezension zum Album "Die Logik liegt am Boden": HIER klicken
- Homepage der Kulturbrauerei Berlin: www.kulturbrauerei.de
- Homepage von Mias Agentur: www.guerilla-management.com



Live-Impressionen:
 
 

   
   
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