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Ein Konzertbericht mit Fotos von Bodo Kubatzki




Obwohl ich in den 80er und 90er Jahren selbst in einer Band gespielt habe und für diverse musikalische Einflüsse offen gewesen bin, ist Gerhard ‚Gundi' Gundermann, dieser singende Baggerfahrer aus dem Lausitzer Braunkohlerevier, irgendwie an mir vorbeigegangen. Auf ihn, seine Musik und Texte wurde ich erst durch den mit vielen Preisen dekorierten Spielfilm "Gundermann" aufmerksam.001 20240120 1565315777 An dieser Stelle kommen die beiden Protagonisten des heutigen Konzerts ins Spiel, Alexander Scheer, der den Gundermann im Film so eindrucksvoll verkörperte, und Andreas Dresen, Regisseur des Films. Alexander Scheer, bekannt durch unzählige Filme und Serien, ist nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern auch ein umtriebiger Musiker und Sänger. Schon im umjubelten Film "Sonnenallee" aus dem Jahr 1999 wollte er als die Figur des Michael schon immer ein Pop-Star sein. Acht Jahre später mimte er in den Spielfilm "Das wilde Leben" sehr authentisch den Rolling Stones Gitarristen Keith Richards. Im Schauspielhaus Hamburg soll er das Publikum als David Bowie begeistert haben. Hätte ich gern gesehen. Den Film "Gundermann" habe ich inzwischen mehrfach gesehen, und bin immer wieder fasziniert von der ambivalenten Figur des Gundermann, die von Alexander Scheer so glaubhaft dargestellt wird. Auf der einen Seite ist da der im Dreischicht-System arbeitende Baggerfahrer, der in seiner Freizeit wunderbare Musik und Texte schreibt. Auf der anderen Seite ist es der Stasi-Informant, der Kollegen und Freunde bespitzelt, und sich des Ausmaßes seines Tuns erst sehr spät bewusst wird.

Alexander Scheer gibt der Figur nicht nur ein Gesicht, sondern auch seine Stimme bei der Interpretation von Gundis Liedern. Andreas Dresen gehört meines Erachtens zu den besten deutschen Regisseuren, der es immer wieder schafft, in seinen Filmen das Lebensgefühl der (meist ostdeutschen) Menschen einfühlsam und humorvoll darzustellen. Filme wie "Sommer vorm Balkon" (2005) oder das Drama "Halt auf freier Strecke" (2011) fallen mir da auf Anhieb ein. 2018 erschien dann mit "Gundermann" der bisher wohl erfolgreichste Film von Andreas Dresen. Für die Premiere des Films am 13. August 2018 in Essen wurde eigens eine Band gegründet, der Scheer und Dresen angehörten. Damals konnte niemand ahnen, dass dieses Bandprojekt Bestand haben würde. Inzwischen hat die Band eine Vielzahl von Konzerten gespielt und auch eines mitgeschnitten, das man als Doppelalbum erwerben kann. Oder man hat das Glück, Tickets für eines ihrer Konzerte zu erwerben, so wie wir.

Wie fast alle Konzerte der aktuellen Tour, ist auch das in der Greifswalder Stadthalle ausverkauft. Punkt 19:30 Uhr erlischt das Licht im Saal. Es braucht einige Momente und diverse Pfiffe, bis sich die Musiker auf die Bühne begeben. "Leine los" heißt der erste Song, eine typisch schwermütige Gundermann-Ballade, die neu im Programm der Band ist. Andreas Dresen erzählt im Anschluss, dass die Band heute erstmalig ein neues Programm spielen wird. Doch die nächsten Songs sind Klassiker von Gundermann. Wir hören "Ich mache meinen Frieden", "Wenigstens bis morgen" und "Schwarze Galeere". Alexander Scheer und Andreas Dresen teilen sich die Gesangsparts oder singen zweistimmig. Bei den beiden letztgenannten Stücken hören wir die ersten von noch vielen wunderbaren Gitarrensoli von Pankow-Gitarrist Jürgen Ehle. Der Song "Männer und Frauen" ist laut Andreas Dresen 1988 auf Gundermanns einziger Amiga-LP "Männer, Frauen und Maschinen" erschienen. Die Refrain-Melodie dazu habe ich seit Jahrzehnten im Ohr. Doch irgendwie fehlte mir der Bezug zu Gundermann. Kein Wunder, denn das eingängige Stück kannte ich als "Wichtig sind Tage die unbekannt sind". Der Song des polnischen Sängers Marek Grechuta und seiner Band ANAWA wurde bereits 1972 auf der Amiga-LP "Hallo Nr. 4" veröffentlicht. Gundermann nahm sich diesen Song und schrieb einen neuen, vom Alltag im Revier geprägten Text dazu. So entwickelte er sein eigenes Stück Musik daraus. Auch die rockige Nummer "Die Zahlen" ist eine Coverversion. Das von Jürgen Ehle gesungene Stück stammt von der Berliner Punk-Band DIE LETZTEN ECKEN.


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Alexander Scheer | Andreas Dresen & Band zeigen sich an diesem Abend sehr vielseitig. Der Wechsel zwischen tiefgründigen Balladen, eingängigen Songs und rockigen Stücken kommt gut an. Andreas Dresen weist darauf hin, dass es noch rockiger werden würde, und dass getanzt werden darf. Einige der Gäste haben sich schon Plätze gesucht, wo sie sich tanzend bewegen können. Mich beeindrucken mehr die balladesken Songs, deren Melodien und Texte sich mir durch den Film und die CD dazu eingebrannt haben. "Soll sein" ist so ein Song. Nicht nur hier hat Gundermann seine Gedanken in wunderbar poetische Bilder verpackt und eine ebenso wunderschöne Melodie dazu geschrieben. Dieser Song und andere, von Alexander Scheer so eindringlich gesungen, berühren mich immens. Überhaupt macht seine Art zu Singen und zu Performen viel von dem besonderen Reiz des Konzertes aus. Es ist dann eben doch sein schauspielerisches Talent, mit dem er sein Publikum mitzureißen vermag.

Aber auch die Ensemble-Leistung möchte ich hervorheben. Es steht eine hervorragende Band auf der Bühne, mit Harry Rosswog am Bass und Nicolai Ziel am Schlagzeug sowie Jens Quandt an den Keyboards. Jens Quandt und Andreas Dresen arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen. Quandt zeichnete nicht nur für den Soundtrack zum Film "Gundermann" verantwortlich. Er komponierte auch die Musik zu einigen anderen Filmen von Andreas Dresen. Die anderen drei Musiker habe ich bereits erwähnt. Dass Dresen auch Gitarre und Ukulele spielt noch nicht. Auch dass Alexander Scheer immer mal wieder zur Mundharmonika greift, soll nicht unerwähnt bleiben.

Andreas Dresen spickt das Programm auch mit einigen Anekdoten. So erfahren wir, dass seine Eltern im Winter 1962/63 in diesem Haus in Greifswald, das heute Stadthalle heißt, gewirkt haben, und ihn hier wohl auch gezeugt hätten. Eine andere Anekdote besagt, dass ein gewisser Bob Marley in den 70er Jahren im Trabi durch die damalige DDR gefahren sein soll, und in der Lausitz auf Gundermann gestoßen ist. Dieser hätte ihm einen Song in einem eigenartigen Rhythmus vorgespielt, aus dem schließlich der Lausitzer Reggea entstand. So kommen wir in den Genuss, "Hier bin ich geboren" als Reggea zu hören. Im Laufe des Konzerts kann dann auch Jürgen Ehle einen Zusammenhang zu Greifswald herstellen. Vor vierzig Jahren hatte hier PANKOWs Rockspektakel "Hans im Glück" seine Premiere. Der Song "Stille", gesungen von Ehle, stammt daraus. Mit "Harte Zeiten" schließt sich ein weiterer Song von Ehles Stammband an.


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Die Songs "Weisstunoch" und "Gras" holen uns zurück in die Welt der wunderbaren Gundermann-Balladen. Der zweitgenannte Song wird zu einem emotionalen Höhepunkt, da ein Großteil des Publikums den eingängigen Refrain mitsingt. "Aber hallo! Und da sagen viele, wir Norddeutschen wären so unterkühlt.", meint Andreas Dresen voller Begeisterung. Dass es im Norden auch ausgelassen zugehen kann, zeigt das nächste Stück. Bei "Alle oder keiner" hält es niemanden mehr auf den Plätzen. Es wird getanzt und der Refrain gemeinsam mit der Band intoniert. Die Musiker haben Spaß und das Publikum tobt vor Begeisterung. Dresen stellt unter Beifall die Band vor und verspricht weitere Ausgelassenheit. Doch zunächst folgen mit "Engel über dem Revier" und "Das Leichteste der Welt" zwei ruhigere Stücke, wobei das Zweitgenannte von dem hessischen Liedermacher Gisbert zu Knyphausen stammt. Im Laufe des Abends hörten wir bereits den Song "Sommertag" von ihm. Mit der wunderschönen Liebeserklärung an seine Tochter "Linda", erklingt nochmal ein Lied von Gerhard ‚Gundi' Gundermann, dessen Leben zwischen Bagger, Familie und Bühne, 1998 mit nur 43 Jahren ein viel zu frühes Ende fand. Was bleibt sind seine anrührenden Lieder, die ein zunehmend größeres Publikum finden. Dazu tragen auch Alexander Scheer und Andreas Dresen mit ihrer fantastischen Band bei. Am Schluss des Konzerts lassen sie es mit "Heroes", von David Bowie, nochmal so richtig krachen. Insbesondere Alexander Scheer tobt sich nochmal so richtig aus, inklusive eines Bades in der Menge.

Mein Dank geht an die BuschFunk Vertriebs GmbH für die Fotogenehmigung, und auch dafür, dass wir nach dem Konzert die Möglichkeit hatten, kurz mit den Künstlern zu sprechen.



Setlist:
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