Hans die Geige am 6. Juni 2014 in Ottendorf-Okrilla

 

 

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Ein Konzertbericht mit Fotostrecke von Hartmut Helms


Wenn die Sonne unbarmherzig auf die Birne sticht, wenn die Parkplätze vor den Einkaustempeln hoffnungslos überfüllt sind, wenn eine Vorahnung von Rostbratwurst und Bier in der Luft liegt und wenn die Puhdelsjünger in Scharen aus den Dörfern fliehen, um für "Maschinen"musik den Hutberg in Kamenz zu stürmen, dann ist es wahrscheinlich bald wieder einmal Pfingsten. Es ist auch die Zeit, den Kühlschrank aufzufüllen oder spätestens jetzt die Harley aus dem Stall zu holen, um die Betonpisten auszutesten. Es ist auch Zeit, Freundschaften zu pflegen und dem gierigen Alltagsfraß den Rücken zu kehren, einige Gänge nach unten zu schalten. Für Stunden raus aus der Spur und die Muse haben, wieder sich selbst fühlen und ein wenig zu leben.

Ein "alter" Freund von mir, Musiker und Lebenskünstler, hat beinahe unbemerkt eine kleine Tradition geschaffen. Er bittet am Freitag vor dem Pfingstfest Freunde und Gäste zu einem zwanglosen "Treff & Quatsch" in das "Alte Teichhaus" nach Ottendorf-Okrilla, um unter dem Blätterdach einer 200-jährigen Kastanie das Pfingstfest einzufiedeln und seine Geige schluchzen zu lassen. Meine Liebe zur Geige ist beinahe 60 Jahre alt und den Geigenhans kenne ich, seitdem er mit seiner Kunst begann, den Sound der Schubert-Band und weiterer Combos zu verfeinern. Ich hörte ihn immer öfter im Radio, erlebte den "Rhododendron" wachsen, hatte ihn mit MAGDEBURG auf einer Konzertbühne und konnte ihn in meine gute "Stube" zum Musizieren und in meine Küche zum Spaghetti und Goulasch kochen locken. Solche und andere Erlebnisse verbinden für den Rest des Lebens. Deshalb muss seit ein paar Jahren wenigstens ein Mal im Jahr eine livehaftige Erinnerung an die Spaghetti-Stunden her. Der Weg in das "Alte Teichhaus" ist quasi vorgeplant und wenn es passt, nicht mehr zu verhindern.

Der Garten hinter dem Wirtshaus ist schon fast bis auf den letzten Stuhl und die kleinste Bank gefüllt, als ich meinen Blechfreund am Straßenrand parke. Der Duft eines Holzkohlegrills lockt zwei bunte Scheinchen aus der Geldbörse und ich darf eintreten. So viele bekannte Gesichter an den Tischen, da dauert die Prozedur eine Weile, und beim Fidelbogenkünstler mit seinen ellenlangen Haaren werden es noch einige Minuten mehr.b 20140608 1403843896 Es ist wirklich schön, diese Vertrautheit genießen zu dürfen und ein wenig ist mir, wie durch ein "herrliches Portal in einen Dom" eingetreten zu sein, der Seele "das Schreiten zu lehren". Der Moment fühlt sich an wie gestern und heute in Einem, so als wäre ich gerade in Shangri La eingetreten. Es würde auch ein besonderer Abend werden.

Der Rockgeiger, der bürgerlich Hans Wintoch heißt, hat es über die Jahrzehnte geschafft, sich immer wieder ein wenig zu wandeln und dennoch unverwechselbar zu bleiben. Das eine ist so unabdingbar, wie das andere wünschenswert ist und so schafft es der Mann mit der Geige immer wieder einmal, zu überraschen. Bei seiner Suche nach Partnern und Konstellationen findet er manchmal Talente, denen er eine Chance und eine Bühne bietet. Pfingsten 2014 heißt das Talent HENRIETTE REINKE. Die kleine zierliche Dame darf am sonnigen Pfingstfreitag aus ihrem noch nicht erschienenen Buch "Der Stein der Aphrodite" einige Leseproben, unterstützt von Violinenklängen, zum Besten geben. Diese Leseproben der 18-jährigen Autorin machen neugierig und vielleicht ist ja dieser, ihr zweiter, Leseabend wieder ein kleines Puzzlestück zum Roman, aus dem einmal eine Triologie werden soll. Es sei ihr zu wünschen.

Als in der zehnten Stunde des Abends ein gut gelaunter Rockgeiger auf die Bühne steigt, löst das noch einmal richtig Jubel aus. Die hier im Teichhausgarten sitzen, wissen natürlich, weshalb sie hier sind und jeder an seinem Tisch in der ersten Reihe sitzt. Sie lauschen bekannten Melodien, die Hans auf seinem Instrument erzeugt und die er, jedes Mal ein wenig anders, live zum Konservenorchester den Saiten der Violine entlockt. Seine Version von "Dust In The Wind" malt mir nach Jahrzehnten noch immer ganz bestimmt Bilder ins Kopfkino und wenn "Rhododendron" vom KLEEBLATT erklingt, ist das für mich jedes Mal ein neues Deja Vu. Die Geigenpassagen darin sind noch immer unübertroffen und außerdem Boten aus einer ungemein schöpferischen Zeit des Musizierens, wenn auch in einem längst untergegangenem Land. Doch Hans streicht nach wie vor die Saiten mit dem Bogen und ich kann gut hören - Erinnerungen statt nur Nostalgie.

c 20140608 1740709808Unter dem Kastaniendach erklingt das "Ave Maria" und die Blätter werden dazu abwechselnd in blaues und blutrotes Licht getaucht. Es ist eine zauberhaft schöne Atmosphäre, als wäre hier Shangri La und der Rockgeiger spielt sich spätestens mit "Klassik III" wie in einen Rausch. Da kenne ich diesen Typen da vorn nun schon so viele Jahre, habe ihn schon so oft spielen gehört, doch an diesem Abend scheint auch ihn die Magie des Moments gefesselt zu haben. Mir ist, als hätte ich ihn noch nie derart intensiv und emotional spielen gehört. Irgendetwas reißt sich dieser Derwisch in diesen Momenten aus seiner Seele, um es in Schwingungen zu verwandeln. Da sitze ich, in eine kleine weiße Holzbank versunken, und bilde mir ein, nur für mich allein würde er eine verträumte schottische Melodie spielen, die ich von ihm zum ersten Mal höre. Ich genieße es, wie sich sein Körper in die Melodiebögen hinein wiegt, wie er plötzlich in einem Break versinkt und dann wieder die Saiten im hohen Flageolett wimmern lässt, so als müsse er noch die allerletzte Nuance aus dem Ton heraus pressen. Tief in mir kommt so etwas wie Neid auf und Bedauern, dass ich meine eigene Violine viel zu früh in den Kasten zur Ruh gelegt habe. Aber woher sollte ich wissen, dass schon wenige Jahre später die Beatles von "Yesterday" singen und East Of Eden mit "Jig-A-Jig" das Teufelsgeigen erfinden würden. Von Curved Air, Fairport Convention und dem danach folgenden Folk-Boom ganz zu schweigen.

Ich mag es besonders, wenn ich in seinem Spiel neue Nuancen entdecken kann und wie er sich freut, dass ihn mal wieder ein Gag gelungen ist. Die rauchige Cockerstimme mag ich eher im Original, wie mir auch die Klänge des Rockgeigers live viel intensiver erscheinen, als von Konserve. Auf der Bühne kann ich nachspüren, wie Hans die Geige mit seinem Instrument verschmilzt und wie seine Seele den Rosshaarbogen schwingt, um Töne zu erzeugen, die nur er kann. Sein Mimenspiel ist dann der Spiegel meines Fühlens und tief in meinem Innern kann auch ich dann wieder einen Bogen über die Saiten der Geige gleiten lassen.d 20140608 1393398702 Am liebsten ist mir der fröhliche Rockgeiger eben dann, wenn er mit seiner Violine überschwänglich Harmonien, zauberhafte Melodien und ein wenig Magie entstehen lässt, die nur im Klang einer Violine zu finden sind. Das ist einer der Gründe, weswegen ich diesen Abend im Juni brauche und warum ich zum Geigenhans, statt zum Hutberg, fahre.

Die anderen mögen es, wenn er "Up Where Be Belong" singt, mit der "Bohemian Rhapsodie" um die Wette fiedelt und sehnsuchtsvoll von "Unserer Zeit" erzählt. Mich hat er zu später Stunde mit einer kleinen Melodie überrascht, die er für "Einen Freund" singt und mir sehr persönlich scheint. Da konnte ich wieder dieses Nachspüren hinter seinem verschmitzten Lächeln entdecken. Der Abend klingt zur Mitternachtsstunde mit einer Instrumentalversion der "Nächte in weißem Satin" aus und die Meute ist erst dann zufrieden, wenn er ihnen das "T-Shirt" singt. Auch das ist Tradition im Teichhaus und darf deshalb nicht fehlen. Mir ist, als wäre dies ein ganz besonderer, außergewöhnlich intensiver Abend gewesen. Wenn die eigene Haut besonders dünn ist, gelangen "Good Vibrations" auch viel tiefer in das Herz. Genau das kann Musik und vielleicht ist deshalb Musik auch die universelle Sprache dieses Planeten. Man muss sie nicht lernen, keine Vokabeln büffeln und man kann Regeln außen vor lassen. Nur hören, fühlen, genießen und Wohlklang in geselliger Runde unter Freunden erleben. Das Leben könnte so einfach und schön sein. Pfingsten wäre ein guter Anlass, damit zu beginnen!



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Termine:

• 13.06.2014 - Dresden - "Dixiebahnhof"
• 27.06.2014 - Bischheim - "OpenAir im Park zu Bischheim"
• 05.07.2014 - Beelitz - US-Car-Treffen 2014

Alle Termine ohne Gewähr. Weitere Termine und Infos auf Hans' Homepage


Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Hans die Geige: www.rockgeiger.de
• Homepage vom 'Alten Teichhaus' in Ottendorf-Okrilla: www.altes-teichhaus.de





Fotostrecke:

 
 
 

   
   
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