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Ein Konzertbericht mit Fotos von Jens Lorenz




Ein wenig skeptisch war ich schon, als ich mich letzten Donnerstag aufmachte, um das erste Mal in meinem Leben den Alten Schlachthof in Dresden zu besuchen. Natürlich war es nicht die Location selbst, an der ich zweifelte, sondern eher an dem gewagten Termin mitten in der Woche.a 20140407 1261964372 SCHANDMAUL hatte sich angesagt. Mit im Gepäck als Vorgruppe: DIE KAMMER. Wohl, Platz zwei in den Charts ist eine Hausnummer. Eine Hausnummer allerdings, die bei den hartgesottenen Fans auch zwiespältige Gefühle zurücklässt. Sind die Münchner jetzt auf den Zug des Mainstreams aufgesprungen? Der Wechsel zu Universal und die Nominierung für den Echo sind auch nicht gerade Garanten dafür, dass dem nicht so ist. Trotzdem. Es bleibt ein Donnerstag. Und auf einen Donnerstag eine so große Location füllen zu wollen, spricht zumindest für Selbstbewusstsein.

Doch meine Zweifel erwiesen sich als unbegründet. Und das in jedweder Hinsicht. Schon als ich gegen Viertel nach Sieben das Gelände des Alten Schlachthofes erreichte, konnte ich anhand der Vielzahl der mich auf dem Weg zur Location begleitenden "Gefährten" erahnen, dass Dresden wohl nicht mit dem Berlin-Syndrom zu kämpfen hatte und das Konzert gut besucht sein würde. Zumeist dunkel gekleidet, hier und da auch eine Mittelaltertracht, fehlte die Deutsche Hausfrau, die sich klatschend das seichte Gewäsch einer Echo-Verleihung als kulturellen Höhepunkt ihres ach so aufregenden Lebens einverleibt, gänzlich. Meine Stimmung hob sich merklich.

Es war ein warmer Frühlingsabend. So angenehm die Temperaturen für den Spaziergänger vor den Toren des Schlachthofes auch sein mochten, drinnen war es schon fast glühend heiß und ließ dem Besucher bereits vor dem ersten Ton des Abends den Schweiß in wahren Bächen über Gesicht und Körper laufen. Dafür erwies sich aber die Location insgesamt aber als sehr angenehm und bekommt von mir das Prädikat "absolut empfehlenswert". Ein eigener Parkplatz, ein weitläufiges Foyer, einen separaten Raucherbereich, trotz der Zuschauermenge keine unendlich lange Schlangen vor den beiden Bars, höfliches und kompetentes Personal. Im hinteren Bereich des Saales gab es Terrassen, so dass auch die weiter hinten stehenden Zuschauer noch immer einen guten Blick auf die Bühne hatten. Eigentlich hätte ich gewarnt sein müssen. Laut Veranstalter hätte es um 19:45 Uhr losgehen sollen, doch stillschweigend ging ich davon aus, dass das vor 20:00 Uhr eh nichts wird. Ein Irrtum, wie sich zeigte, als ich die ersten Takte von der Bühne noch im Raucherbereich sitzend vernahm. Hektisch packte ich meine Kameras zusammen und bahnte mir schubsend und um Entschuldigung heischend den Weg durch die Massen zum Fotograben. Aller Bemühungen und eines für meine Person nahezu utopisch hohen Tempos zum Trotz verpasste ich den ersten Titel komplett. DIE KAMMER gab sich die Ehre und nahm dabei nur wenig Rücksicht auf einen trödelnden Fotografen.

DIE KAMMER sind ...
Marcus Testory (Gesang, Gitarre)
Matthias Ambré (Gitarre, Gesang)
Tabea Müller (Cello)
Aline Deinert (Violine)
Matthias Raue (Violine, Viola)
Oliver Himmighoffen (Schlagzeug)
Dirk Klinghammer (Tuba)

Testory (ehemals Chamber) und Ambré (ehemals ASP) sind ja in der Szene längst keine Unbekannten mehr. Bereits früher arbeiteten sie erfolgreich bei den verschiedensten Projekten zusammen. Seit 2011 wandeln sie nun wieder auf gemeinsamen musikalischen Pfaden. "Die alten Weggefährten besinnen sich zurück auf das, was sie beide vortrefflich beherrschen: auf handgemachte Songs, in bewährter Singer-Songwriter-Tradition. Mal melancholisch und morbide, mal sarkastisch, mal mit augenzwinkernden Charme dargebracht." So zu lesen auf der Web-Site der Band.

d 20140407 1296217031Was als erstes auffiel wenn man das sie begleitende "KAMMER"-Orchester sah bzw. hörte: Es gab keinen Bass. Stattdessen zeichnete sich Dirk Klinghammer für die Tuba verantwortlich. Was ich anfänglich für eine durchaus witzige und kreative Idee hielt, entwickelte sich im Laufe des Abends mehr und mehr befremdlich. Immer wenn man einen Bass erwartete, trötete die Tuba und ein um das andere Mal ward ich an böhmische Blasmusik erinnert. Ob die Tuba nun tatsächlich zu DIE KAMMER passt oder nicht, das mögen andere entscheiden. Ich persönlich hätte letztlich einen Kontrabass oder eine akustische Bassgitarre als besser empfunden.

Insgesamt aber hielten die sieben Musiker und Musikerinnen das, was auf ihrer Internetpräsenz angekündigt war. Die Songs waren eng an den Folk-Rock angelehnt, auch wenn es - bedingt durch die durchweg akustischen Instrumente - wesentlich ruhiger zuging, als sonst im Milieu üblich. Titel wie "The Orphange" oder "Hither & Thither" wussten zu überzeugen und bleiben sicher dem einen oder anderen im Gedächtnis (oder Ohr) hängen. Das Publikum war für das interessante Projekt durchaus zu begeistern, was es mit Applaus zwischen den Titeln und Mitklatschen während selbiger auch ziemlich lautstark kundtat. Umso verwunderlicher war es, dass DIE KAMMER letztlich ohne Zugabe aus dem Vorprogramm entlassen wurde. Natürlich ist es für eine Akustik-Session in einer relativ großen Location nicht ganz leicht, die Leute richtig anzuheizen. Und wenn man als Headliner SCHANDMAUL im Rücken hat, ist es doppelt schwer aus dem langen Schatten, den die Münchener werfen, heraus zu treten. DIE KAMMER ist denn wohl auch eher ein Projekt für kleinere Locations, indem man gerade die musikalischen und verbalen Nuancen der Lieder besser wahrnehmen kann. Eine Empfehlung sind sie auf jeden Fall wert.

Was folgte war die obligatorische Umbauphase. Wenn man diese genauer verfolgte, konnte man feststellen, dass die Bühnenproduktion selbst wesentlich aufwendiger ausfallen würde, als noch in den vergangenen Jahren. Natürlich hatten in der Pause die wenigsten dafür einen Blick, denn die Mehrzahl der Besucher nutzten die Zeit für Zigarette, Bier oder einfach nur frische Luft. Viel Zeit blieb nicht.

SCHANDMAUL sind ...
Thomas Lindner (Gesang, Akkordeon, Gitarre, Klavier)
Tobias Heindl (Violine)
Stefan Brunner (Schlagzeug, Percussion, Gesang)
Martin Christoph Duckstein (Gitarre, Banjo, Gesang)
Birgit Muggenthaler-Schmack (Flöte, Dudelsack, Schäferpfeife)
Matthias Richter (Bass)

Das Dresdner Konzert zur Unendlich-Tour 2014 wurde dann auch mit einem Titel des neuen Albums eröffnet. "In Deinem Namen" war der Auftakt zu einem Abend bunt gemischt aus lebenslustigem Folk, der teilweise mit härteren Tönen der Gitarren zum Rock konvertierte und in dem auch die mittelalterlichen Klänge nie zu kurz kamen.e 20140407 1312413168 Instrumentale Einlagen wussten ebenso zu überzeugen, wie das Entertainment eines Thomas Lindner. Schnell wurde klar, dass sich Schandmaul trotz ihres Erfolges treu geblieben sind und ein Abdriften in den, von Plattenfirmen diktierten, Mainstream vorerst nicht zu befürchten ist.

Apropos Erfolg. Platz zwei in den Charts ist natürlich ein toller Erfolg, aber eben nur eine Momentaufnahme. Dass sich SCHANDMAUL mit ihrem Album auch nach der Woche der Veröffentlichung immer noch in den Top 10 der Charts halten konnte, halte ich eigentlich für den viel größeren Erfolg. Thomas Lindner bedankte sich dafür natürlich auch beim Publikum und sorgte dann am Beginn des Konzertes erst einmal für Aufklärung ganz anderer Art.

Tatsächlich war nämlich die Person an der Violine nicht wie sonst üblich Anna Kränzlein sondern Tobias Heindl, was nun aber tatsächlich keiner übersehen konnte. Dieser vertritt schon seit dem Konzert in Wiesbaden ALLY THE FIDDLE, die mit Sohn Luis Adrian erst vor kurzem ihr zweites Kind zur Welt gebracht hat. Mit Tobias, so Lindner, hat man sich einen Musiker an Bord geholt, der nun tatsächlich niemals schwanger werden kann. Inwieweit sich nun allerdings die Live-Termine von SCHANDMAUL und FIDDLER'S GREEN, von denen Tobias Heindl ja eigentlich kommt, in Zukunft miteinander vereinbaren lassen, blieb offen. Gleichwie.

"Auf Hoher See" ging es weiter und SCHANDMAUL hatte zu keiner Zeit der über zweistündigen Show Probleme, das Publikum zum Tanzen, Klatschen oder Mitsingen zu animieren. Wobei letzteres tatsächlich nur für die Fans in Frage kam, die auch wirklich textsicher waren. Denn wenn es überhaupt etwas an dem Konzert zu kritisieren gab, dann das der Gesang nur sehr schwer zu verstehen war.f 20140407 1402581497 Was mehr als verwunderte. Violine, Flöte, Dudelsack, Gitarren, Schlagzeug ... all die Instrumente waren perfekt abgemischt und ich habe selten einen so klaren Klang (wenn man die Location in Betracht zieht) gehört. Dasd der Mix des Gesangs dann derart abfiel, war wirklich schade.

SCHANDMMAUL hatte, wie auch schon in den vorangegangenen Konzerten, ihre Mottenkiste dabei, aus der die "ganz ollen Kamellen" gezaubert wurden. Zwar war der als erstes mit großem Pomp hervorgezauberte Titel "Teufelsweib" alles andere als das, aber daran störte sich nun wirklich keiner. Und neben dem zweiten Stück "Kurier" fand Thomas Lindner dann auch noch ein örtliches Telefonbuch, was er zu Recht ignorierte, und einen Gürtel. Wer den da wohl hinein getan hatte? Wie auch immer. Der Gürtel wurde seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt und die Gefahr, dass die Hose rutschen würde, war gebannt. Überhaupt ist ja ein SCHANDMAUL-Konzert alles andere, als die bloße Aneinanderreihung von Songs. Es gab Anekdoten, Geschichten und Geschichtchen zu Hauf zwischen den Liedern und langweilig konnte es nun wahrlich niemanden werden.

Nach den ersten drei Titeln im Fotograben hatte ich mich in den hinteren Teil des Saales zurückgezogen, auf die bereits erwähnten Terrassen aus Holz. Doch schon nach kurzer Zeit begann ich zu bezweifeln, ob das tatsächlich eine so gute Idee war. Denn um mich herum wurde getanzt und gehüpft, was nicht nur das Fotografieren mit einem Tele nahezu unmöglich machte, nein, man musst gar Angst haben ob das Podest all den Belastungen einer tobender Menge gewachsen war. Es hielt. Gott sei Dank auch bis zum Schluss. "Der Teufel hat den Schnaps gemacht ..." war von der Bühne zu hören. "Na und ...", skandierte die Menge. Was anderswo vielleicht als deplatziert, ja nahezu primitiv gewirkt hätte, passte hier nahtlos in eine Show, die nicht nur Wein, Weib und Gesang sondern auch so manches an Nachdenklichem und Ernsten zu bieten hatte.g 20140407 1171371506 Natürlich "Bunt und nicht braun" ... die Anti-Nazi-Hymne. Gerade in Dresden ein sensibles Thema. Vom Publikum ebenso begeistert aufgenommen wie das Konzert insgesamt.

Auch unterstützte SCHANDMAUL die Initiative von VIVA CON AGUA, die sich für Wasserprojekte auf der ganzen Welt verantwortlich zeichnet, und die die durchaus kreative Idee hatte, Becherpfand als Spenden zu sammeln. Das sparte nicht nur das Abgeben an der Bar - die Becher landeten einfach in einer großen Tonne - sondern der Pfand wurde für einen guten Zweck gespendet. Und damit auch jeder verstand worum es ging, verteilte Thomas Lindner gleich auch Wasserflaschen im Publikum, was in Anbetracht der im Alten Schlachthof herrschenden Temperaturen zudem noch für eine willkommene Abkühlung sorgte.

Insgesamt mixte SCHANDMAUL ein musikalisches Gebräu als alten Klassikern und neuen Songs von ihrem aktuellen "Unendlich"-Album, das kaum Wünsche offen ließ. Bei "Leb!" oder "Vogelfrei" konnte gnadenlos abgefeiert werden, aber auch Balladen wie "Dein Anblick" und "Euch zum Geleit" fanden ihren Platz in der Setlist. Letztere für mich einer der Höhepunkte des Abends, wenngleich erst im Zugabeteil gespielt. Rundum, so kann man wohl sagen, ein Konzert, bei dem jeder auf seine Kosten kam und wohl keiner sein Kommen bereut hatte.
 




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Termine von Schandmaul:

• 12.04.2014 - München
• 31.07.2014 - Lustenau
• 01.08.2014 - Magdeburg
• 16.08.2014 - Hamburg
• 22.08.2014 - Erfurt

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf der bandeigenen Homepage



Bitte beachtet auch:

• off. Homepage von Schandmaul: www.schandmaul.de
• off. Homepage von Die Kammer: www.die-kammer.com
• Homepage vom 'Alten Schlachthof': www.alter-schlachthof.de





Live-Impressionen

 

Vorprogramm: Die KAMMER
 
 
 
 
 
Hauptprogramm: SCHANDMAUL
 
 
 




   
   
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