Hans-Jürgen Beyer
Achtung: Am Ende des Interviews findet Ihr noch einen Link zum Bericht mit Fotos von der Pressekonferenz Hans Jürgen Beyers am 16. Juli 2009 in Leipzig.
Sehr aufgeregt, ja! Ich muss dazu sagen, dass ich nie mit einer solchen Ehrung zu meinem 60. Geburtstag gerechnet habe. Dazu kommt, dass viele Kollegen mitwirken, und mir gratulieren werden, mit denen ich nicht rechne. Die kommen wirklich überraschend, und ich schätze sie sehr. Deswegen ist dieser ganze Tag eine einzige Überraschung und ein Höhepunkt meines Lebens.
Die Bürkholz-Formation wird sich für Dein Geburtstagskonzert nochmals zusammenfinden und live spielen...
Das ist überhaupt sensationell! Entschuldige, dass ich Dir ins Wort falle. Wir sind im Jahre 1973 verboten worden. Wir waren die letzte Band, die noch ein Verbot ausgesprochen bekam. Wir hatten ein Lied, das heißt "Finden wir uns neu", ich glaube, das war auf der Amiga-Langspielplatte "Hallo Nr. 4" drauf, und wir haben das vor drei Jahren neu produziert. Das haben wir damals noch bei Matze Schramm von Silly gemacht, der leider ein Jahr später verstorben ist. Diese Neuaufnahme ist richtig knallhart, den Hansi Beyer, den die Leute vom Schlager her kennen und lieben, erkennt man so gar nicht wieder. Die werden richtig erschrocken sein, denn das geht richtig Heavy Metal-mäßig rein. Aber das ist ganz toll und ganz interessant.
Wie sieht die Besetzung der legendären Bürkholz Formation für diesen Tag aus? Spielt Ihr in der Urbesetzung, wirst Du dort selbst auch mitwirken und werdet Ihr das Lied, von dem Du gerade gesprochen hast, dort auch vortragen?
Ja! Ich werde natürlich auch selbst singen, denn ich bin ja immer der Sänger der Bürkholz Formation gewesen. Es werden auch alle Kollegen aus der damaligen Besetzung kommen.
Das hört sich ja schon mal spannend an. Was genau wird die Leute außerdem erwarten, die Dein Geburtstagskonzert besuchen? Möchtest Du uns schon einen Einblick in das Programm gewähren, oder weißt Du das selbst noch gar nicht?
Doch, ich habe das Programm sogar hier vor mir liegen. Ich bekomme in letzter Zeit auch ziemlich viele Anrufe, in denen es sich um dieses Konzert dreht. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es gibt schon ein paar Überraschungen. "Monster" (Thomas Schoppe von Renft, Anm. d. Red.) wird z.B. dabei sein. In meiner musikalischen Vergangenheit begann ja alles mit Renft. Ich war damals noch bei den Thomanern und habe Klaus Renft kennen gelernt, der mich dann auch zu Renft geholt hat. Als ich damals zu Renft kam, war Cäsar noch bei der Armee. Und Cäsar schickte uns ein Tonband mit seinem Lied "Wer die Rose ehrt". Ich rede jetzt von den Jahren 1967 und 1968, und es war ein Verdienst von Klaus Renft, dass wir überhaupt eigene Lieder gemacht haben. Er sagte damals: "Alle deutschen Bands spielen nur nach. Habt Ihr nicht eigene Ideen für Lieder in diesem Stil?" Jedenfalls schickte uns Cäsar aufgrund der eben erwähnten Idee von Klaus von der Armee aus dieses Tonband. Daraufhin haben wir das Stück einstudiert, und dadurch war ich der Erstinterpret von "Wer die Rose ehrt". Das aber wohlgemerkt nur bei Renft. Cäsar hatte damals bei der Armee - wie sagt man so schön - auch eine Singegruppe gehabt, und da wird das Lied bestimmt auch gesungen worden sein. Deshalb habe ich zu diesem Song auch eine ganz besondere Beziehung, und werde mit Monster zusammen dieses Lied gemeinsam machen.
Wenn ich richtig informiert bin, ist der Eintritt frei, es ist also ein kostenloses Konzert...
Ja, das ist richtig. Diese ganze Veranstaltung läuft ja im Rahmen von "Klassik Open". Das findet am 07. August statt, und Beginn ist erst um 21:30 Uhr, weil auch eine Riesen-Technik dastehen wird, mit Videoleinwänden und so was. Der MDR hat sich sehr viel Mühe gegeben, um noch Ausschnitte von mir aus alten Zeiten zu finden, die dort abgespielt werden sollen. Ich war früher ja auch Sopran-Solist bei den Thomanern, und da gibt es einen Beitrag, in dem ich zu sehen bin, wie ich zusammen mit Peter Schreier singe. Ich also mit Knabenstimme, und das soll z.B. auch auf den Videoleinwänden gezeigt werden. Das finde ich jedenfalls sensationell. Dass ich diesen Bericht habe, ist für mich eine tolle Erinnerung.
Na, da darf man ja gespannt sein...
Ja! Wir werden bei der Jubiläumsgala etwas autobiographisch beginnen, so dass man mit den Thomanern anfängt, dann kommt Renft und auch Schikora muss man mit besprechen. Danach die Bürkholz Formation und mein "Tag für Tag". Außerdem wird ein Freund von mir, Jörg Hammerschmidt, etwas zum Besten geben. Der ist Stimmenimitator. Regina Thoss wird dabei sein, Eberhard Hertel, der Vater von Stefanie Hertel, hat sich überraschend angekündigt. Das fand ich toll. Barbara und Gerd Wendel, das waren schon immer ganz großartige Artisten, werden ebenfalls dabei sein. Uwe Jensen, auf ihn freue ich mich ganz besonders, wird auch mit durch's Programm führen. Etwas, was mir ganz viel Spaß macht, wird es auch auf der Bühne zu sehen geben: Ich habe eine neue Duett-Partnerin dazu bekommen, das ist Margitta Weise, die eigentlich durch "Margitta und ihre Töchter" bekannt geworden ist. Dieses Projekt hat sich jedenfalls aufgelöst, und die Töchter treten jetzt als "Schwesterherz" auf. Vor drei Wochen war in der Super ILLU eine Doppelseite von Margitta und mir zu finden. Wir haben in Hannover zwei Lieder produziert, und die werden wir am 07. August bringen. Wir beiden haben auch schon Fernsehtermine, die fest stehen. Am 27. November wird man uns in der "Wernesgrüner Musikantenschenke" beim MDR sehen können. Dort treten wir gemeinsam zum ersten Mal im Fernsehen auf. Wir bleiben aber beide Solisten, um das gleich mal deutlich zu sagen. Trotzdem werden wir gemeinsam Konzerte machen.
So ein Jubiläum geht ja nicht selten auch mit der Veröffentlichung diverser Tonträger einher. Ist da was Neues geplant, oder wird es eine "Best of"-Kopplung geben?
Ich kann nur sagen, dass das "Mach dich ran"-Team vom MDR dabei sein wird, und die werden dort filmen. Übermorgen, am Donnerstag um 11:00 Uhr, wird im Alten Rathaus zu Leipzig eine Pressekonferenz stattfinden, und da werde ich noch einiges mehr erfahren, aber auch selbst erzählen.
Wir drücken auf alle Fälle die Daumen, dass Dein Ehrentag und die geplante Veranstaltung glatt über die Bühne gehen werden.
Danke schön!
Wie wirst Du den Tag angehen?
Mit Nervosität und natürlich, wie ich jede Veranstaltung angehe, mit Professionalität. Ich muss dazu sagen, dass ich mich am Abend auch gar nicht lange mit den Kollegen aufhalten kann, denn ich habe am anderen Tag in Spremberg, zusammen mit Bernhard Brink, Ireen Sheer und Bernd Clüver, den nächsten Auftritt. Das ist auch eine Großveranstaltung. Ich werde auf alle Fälle sehr diszipliniert zu erleben und sehr aufgeregt sein (lacht).
Drehen wir die Zeit mal zurück. Du hast vorhin schon erwähnt, dass Du mit 10 Jahren dem Thomaner-Chor beigetreten bist. War das freiwillig, oder hatten die Eltern Spaß daran, auf Veranstaltungen zu gehen, bei denen der eigene Sohn mitwirkt, und haben Dich deshalb dort angemeldet?
Naja, die Wahrheit liegt sogar noch ganz woanders. Ich bin der Sohn eines selbstständigen Handwerkers gewesen. Wenn wir uns zurück erinnern, in der DDR gehörte der selbstständige Handwerker zu den Kapitalisten. Das Arbeiterkind wurde gefördert, aber mir war es nicht möglich, automatisch bis zum Abitur zu kommen. Im Jahre 1956, als ich eingeschult wurde, machte meine Mutter sich Sorgen, denn sie war sehr ehrgeizig mit mir. Sie merkte da schon, dass ich benachteiligt wurde. Meine Mutter hat mir ein Beispiel erzählt, ich hatte das schon fast vergessen, dass meine Lehrerin immer gesagt hat: "Kapitalisten sind schlechte Menschen." Sie meinte dann, dass die Kapitalisten andere für sich lange und hart arbeiten ließen. Ich habe dann wohl gesagt: "Mein Vater hat auch einen eigenen Betrieb und arbeitet bis abends um Elf." Und da hatte ich schon schlechte Karten. Für meine Mutter war es jedenfalls wichtig, dass ich irgendwie automatisch bis zum Abitur kommen kann. Da gab es in Leipzig nur die DHFK, sprich "Deutsche Hochschule für Körperkultur", wo man eine sportliche Laufbahn einschlagen konnte und so automatisch zum Abitur kam, oder aber eben den Thomaner-Chor. Und auf den Chor kamen wir sehr schnell, weil meine beiden Cousins schon Thomaner waren. Außerdem war ich auch nicht so der sportliche Typ, deshalb ist meine Mutter mit mir gemeinsam, als ich 8 Jahre alt war, zu einem Stimmbildner gegangen. Der schlug Akkorde am Klavier an und sagte: "Sing die mal nach." Das ist mir auch gelungen und er meinte ganz begeistert: "Der Junge findet ja jeden Ton. Sing jeden Ton nach, den Du hörst", das habe ich dann auch gemacht. Er sagte dann, dass ich der musikalischste Junge gewesen sei, den er je zum Vorsingen hatte. Allerdings waren zwei Wochen später bereits die Vorprüfungen, bei denen aus 250 Jungs nur 50 angenommen werden. Er war sich nicht sicher, ob man das in den kurzen zwei Wochen schaffen konnte, mich da noch mit rein zu bekommen. Er bat meine Mutter daraufhin, jeden Tag mit mir bei ihm vorbei zu kommen um zu üben. Jedenfalls wurde ich zwei Wochen später angenommen. Ich erinnere mich übrigens noch, wie er beim ersten Treffen gesagt hat: "Sing doch mal ein Lied." Also hab ich ihm dann auch ein Lied vorgesungen, das war "Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf. Freie Deutsche Jugend bau auf" (lacht)... das war das, was ich in der Schule gelernt habe (lacht immer noch). Entschuldigung... der Stimmbildner ist am Klavier auch bald zusammen gebrochen, aber egal. Das war jedenfalls nicht bei der Prüfung, sondern in meiner ersten Stunde. Bei der Prüfung habe ich wegen besonders hoher Musikalität bestanden, aber die Stimme musste noch ausgebildet werden. Es waren noch zwei Jahre Zeit, denn man wird erst ab dem 10. Lebensjahr Thomaner. Von den ursprünglich 250 Jungs waren bei der Vorprüfung nur noch 50 in der engeren Wahl, und im 10. Lebensjahr wurden von diesen 50 Jungs nur noch acht genommen. So war man ab dem 10. Lebensjahr praktisch schon eine kleine Elite.
Du erzählst, dass Du auf Anhieb die Töne so gut getroffen hast. Gab es denn vorher schon Berührungspunkte mit Musik? Und wie ging es dann weiter?
Ich hatte vorher schon Klavierunterricht. Meine Mutter legte großen Wert auf ein bisschen Hausmusik. Das war bei uns so üblich. Aber es kommt noch dazu, dass meine Mutter als Kind selbst gesungen hat, und mein Vater eigentlich ein Glenn Miller-Fan war. Das zu einer Zeit, als er das gar nicht hören durfte. Ich rede jetzt nicht von der DDR-Zeit sondern von dem anderen furchtbaren Reich das es da vorher gab. Als 16-jähriger hat er '44/'45 ganz heimlich amerikanische Sender abgehört, weil er Glenn Miller hören wollte. Meine Mutter stand auf klassische Musik, und mein Vater stand auf Elvis Presley. Ich erinnere mich noch an "Jailhouse Rock", das lief in einer Hitparade, die er heimlich aufgenommen hatte. Diese Sendung wurde von Chris Howland gemacht (vermutlich waren das entweder die Sendung "Rhythmus der Welt" oder "Spielereien mit Schallplatten", die ihm den Spitznamen Spitznamen "Heinrich Pumpernickel", später auch "Mr. Pumpernickel", einbrachte, Anm. d. Verf.) und da war Elvis Presley auf Nummer 1. Darum war ich auch schon immer im Herzen ein Fan von Rockmusik. Den alten 50er Jahre Rock mochte ich damals, aber da war ich noch Kind. Mit dem 10. Lebensjahr wurde ich Thomaner, und mein Stimmbildner war damals der damalige Thomaskantor Professor Hans-Joachim Rotzsch. Der hat nach einem halben bzw. einem Jahr festgestellt, dass sich meine Stimme ausgezeichnet entwickelte und sagte: "Wir haben hier an der Leipziger Oper ein Vorsingen. Wir suchen einen, der die Rolle des jungen Hirten in der Oper Tannhäuser übernimmt. Ich habe schon drei Jungs ausgesucht, Du musst der vierte dabei sein." So lernte ich schon sehr früh Herbert Kegel kennen. Er war übrigens der Vater des Schauspielers Björn Casapietra und des Musikers Uwe Hassbecker, war Nationalpreisträger und dirigierte an der Oper. Er ließ uns vier Jungs vorsingen, und so kam ich in die Premiere. Es gibt ja immer zwei Besetzungen bei so was. Es gibt die Premierenaufstellung und dann die zweite Besetzung. Ich war also auch mit dabei und war dann schon mit dem 11. Lebensjahr Solist an der Leipziger Oper und Sopran-Solist bei den Thomanern. Als Knabe hat man diese Kopfstimme, kommt später in den Stimmbruch und hat dann eine ganz andere Stimme. Man erlebt den Stimmwechsel ungefähr wenn man im Alter von 13 oder 14 Jahren ist, wenn sich die Stimme zur Männerstimme entwickelt. Danach war ich Tenor. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, das war 1964, hörte ich zum ersten Mal die Beatles. Als ich diese Musik zum ersten Mal hörte, war ich total weg! Der erste Song war "She Loves You" und der zweite "I Want To Hold Your Hand". Dann wollten wir das auch machen, und da waren wir wie später die Prinzen. Zu meiner Zeit bei den Thomanern hatten wir schon zwei Bands, die sich da entwickelt haben. Ich spielte Schlagzeug und wir nannten uns "Pisces". (lacht) Ein ganz komischer Name. Man durfte sich ja keinen englischen Namen geben. Alles was englisch war, war verpönt. "Pisces" ist lateinisch und heißt übersetzt "Fische". Unser Bandleader hieß Fischer, also waren wir die Fische. Wir mussten immer erst unseren Rektor fragen, ob wir auftreten dürfen, weil wir immer für die Studenten in der Mensa aufgetreten sind. Das war mitten in Leipzig im Clubhaus "Kalinin", heute ist daneben der "Kristallpalast". Und da meinte ein Student zu mir: "Du singst hier den Song ‚Set Me Free' aus dem Film Privilege. Das ist ja Wahnsinn. Du musst mal zu Renft gehen." Dabei hatten wir als Thomaner gar nicht genug Geld für eine gute Anlage, und der war trotzdem von dem Sound begeistert.
Hast Du eigentlich über die gesamte Schulzeit nur mit Musik zu tun gehabt, oder gab es auch Zeiten, wo andere Dinge wichtiger waren?
Dazu hatte ich gar nicht die Zeit. Du musst wissen, dass der Thomaner-Chor immer das Bestreben hat, zu den weltbesten Knabenchören zu gehören, und dass ich schon als Kind in Österreich, Italien und in der Schweiz war. Wir waren praktisch als Kinder schon "Reisekader" (lacht). Deshalb hatten wir am Tag auch nur eine Stunde Freizeit. Da erübrigte es sich, noch irgendein Hobby anzufangen. Uns Thomaner verband die gemeinsame Liebe zur Musik, und in dem Falle natürlich hauptsächlich zur Musik von Johann-Sebastian Bach, denn Bach war ja mal Thomaskantor.
Wie bist Du denn vom Thomaner-Chor zu RENFT gekommen?
Das kam durch den vorhin erwähnten Auftritt mit meiner Band von den Thomanern, bei der ich Schlagzeuger war. Dieser Student, der mich angesprochen hatte, sagte: "Du bist ein toller Sänger, Du musst mal zu Renft gehen." Renft spielte zu der Zeit auch diesen Song aus dem Film "Privilege", "Set Me Free". Im Original wurde der Song von dem Sänger der Manfred Mann Band, Paul Jones, gesungen. Es ging in dem Film darum, dass ein Künstler dazu benutzt wird, die Massen zu manipulieren, d.h. alle liebten diesen Star. Dieser Film hat uns alle damals bewegt, auch Renft. Und deshalb haben wir "Set Me Free" aus diesem Film auch nachgesungen. Ich bin daraufhin nach Daschwitz zu einem Konzert von Renft gefahren. Ich wusste gar nicht wie ich da reinkommen sollte, denn es war unheimlich voll. Durch irgendwelche Leute, die mich von den "Pisces" her kannten, kam ich doch irgendwie rein. Es waren Menschenmassen da, das war Wahnsinn. Man kam sich vor, als sei man bei den Stones gewesen. Der Saal war schon total voll und draußen standen immer noch ein paar Hundert Leute. In der Pause bin ich zu Klaus Renft gegangen und habe gesagt: "Guten Tag, ich bin Thomaner, heiße Hans-Jürgen Beyer. Kann ich bei Ihnen auch singen?" (lacht). Klaus sagte zu mir: "Dich kenn ich doch, Du bist der Schlagzeuger bei den Pisces, ich weiß, dass Du singen kannst. Pass auf, wir machen gerade eine Pause. Hier ist die AWA-Liste. Ich komme nach der Pause wieder, und wenn Du ein Lied davon kennst, dann sagst Du mir das. Dann kündige ich Dich an, und wir machen dann mal zusammen einen Song." Nach der Pause kam er dann wirklich, und von der Liste kannte ich nur "When A Man Loves A Woman". Den Titel "Set Me Free" konnte ich nicht singen, denn den hatten Renft schon vor der Pause gespielt, da hatte die Halle schon getobt. Das war also vorbei. Also habe ich dort auf der Bühne mit Inbrunst "When A Man Loves A Woman" von Percy Sledge gesungen, und die Leute tobten. Die wollten mich gar nicht wieder von der Bühne lassen, und Klaus Renft sagte zu mir: "Sag mal, kannst Du noch einen Song singen?", ich sagte: "Ich kenne keinen weiteren von der Liste." Das passierte alles auf der Bühne, während das Publikum da unten tobte. Klaus fragte mich: "Kannst Du improvisieren? Blues-Rock?", ich sagte "Natürlich", und das machten wir dann auch, mit "Fetz" am Schlagzeug, Gerhard Pachsteffel hieß er richtig. Der ist jetzt in Hamburg und hat eine Kneipe auf der Reeperbahn (lacht). Renft sagte danach zu mir, dass ich bis nach dem Konzert bitte auf ihn an der Garderobe warten sollte. Die Band spielte ihr Konzert zu Ende und hinterher kam Renft zu mir und fragte mich: "Willst Du nicht bei mir einsteigen?". Ich war 17 Jahre und in der 11. Klasse, hatte also noch die 12. Klasse vor mir. Aber ich konnte einfach nicht nein sagen. Ich war so fasziniert, schon allein von den Menschenmassen, die ich von den "Pisces" her überhaupt nicht kannte. So eine Begeisterung beim Publikum, wie ich das bei dem Renft-Konzert erlebt habe, war unglaublich, ich kannte das so bis dahin gar nicht. Meine Antwort war "Na klar steige ich bei Dir ein! Ich muss nur sehen, wie ich das hinbekomme." Das Schlimmste war aber, meinen Jungs aus der Band sagen zu müssen, dass ich aussteigen würde. Was folgte war, dass ich Konzertreisen mit dem Thomaner-Chor, die am Wochenende waren, einfach nicht mitgemacht habe, weil ich lieber mit Renft unterwegs war. Damit habe ich natürlich auch mit meinem Rausschmiss bei den Thomanern gespielt, und das ganze Ziel meiner Mutter, auf diesem Wege mein Abitur zu erreichen, praktisch zunichte gemacht. Da gab es ein Wochenende wo ich nicht da war und keiner wusste, wo ich war. Ich war mit Renft unterwegs. Ich kam Sonntags abends zurück zu meiner Mutter, denn Montag in der Früh begann der Schuldienst bei den Thomanern. Das war ein Internat, in dem ich groß geworden bin und von dem ich nur am Wochenende und in den Ferien nach Hause kam. Ich musste meiner Mutter gestehen, dass ich nicht mit auf Konzertreise mit den Thomanern war. Es gab einen Riesenkrach und sie meinte: "Alle suchen dich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als für Dich zu lügen. Du warst krank hier zu Hause." Sie hat mich auf jeden Fall gerettet, so dass ich noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen bin. Sonst hätten die mich bei den Thomanern kurzerhand rausgeschmissen.
Du hast Klaus Renft mal als Deinen Entdecker für die Rockmusik bezeichnet...
Das behaupte ich so, natürlich!
Aber so wie Du das erzählt hast, hast Du Dich ihm vorgestellt. Er hat Dich also nicht entdeckt, sondern Du hast Dich entdecken lassen...
Wenn man das so sieht, hast Du natürlich Recht. Ich habe das bisher immer so erzählt, weil er mir durch diesen Auftritt bei dem Konzert die Möglichkeit gab, vor Publikum zu singen. Da habe ich mich angeboten, das stimmt. Aber ab dem Moment, in dem er mich fragte: "Willst Du nicht bei mir einsteigen?", begann für mich eine andere Zeit. Ab da war ich nur noch bei guten und professionellen Bands, verstehst Du mich? Nur deshalb und durch ihn konnte ich bei einer großen Zahl Menschen bekannt werden.
Dann ist in Deiner Vita zu lesen, dass Du auch bei Schikora gewesen bist...
Das stimmt schon, das muss ich kurz erzählen. Ich habe die Jahre bis zu meinem Abitur bei Renft verbracht. Mein Vater wollte natürlich, dass ich einen richtigen Beruf erlerne. Meine Eltern waren damals schon geschieden, ich war donnerstags immer bei meinem Vater. Und da gab es immer Diskussionen: "Das gestatte ich nicht, dass Du hier mit der Beatmusik, die hier im Staate überhaupt nicht beliebt ist, die falschen Ziele verfolgst. Eine künstlerische Laufbahn, Du hast 'ne Macke! Du bist jetzt 17 Jahre alt, und das mit der Musik geht irgendwann vorbei." Er hat das überhaupt nicht akzeptiert. Ich wusste aber außer Musik nicht, was ich tun sollte. Man muss dabei wissen, dass das eine Zeit war, in der die Beatles noch existierten. Da gab's den Song "Get Back", das war zu der Zeit ihr letztes Lied. Danach kam schon so eine Underground-Musik, Bands wie Steppenwolf und Vanilla Fudge. Mein Vater war noch immer mit seinem Handwerksbetrieb selbstständig und war auf der Großbaustelle Boxberg bei Weisswasser. Da wurde ein Kraftwerk aufgebaut. Er hatte Beziehungen zum SBKM, das nannte sich "Spezialbaukombinat Magdeburg", und besorgte mir dort eine Ausbildung. Ich sollte zuerst den Beruf des Betonbauers erlernen, und wenn ich dann immer noch Lust gehabt hätte, künstlerisch aktiv zu sein, hätte ich Architektur studieren können. Das hatte ich dann auch tatsächlich vor, und wollte es meinem Vater recht machen. Mein Abitur hatte ich bereits in der Tasche und spielte weiterhin am Wochenende bei Renft. In Boxberg begann ich dann meine Ausbildung mit wahnsinnigen Arbeitszeiten. Wir begannen da um halb 12 am Montag, und freitags fiel der Hammer auch so um die Mittagszeit. In der Zeit dazwischen musste man seine Leistung erbringen. Wir begannen früh um fünf und machten abends um sechs Feierabend. Man war die ganze Zeit über auf der Baustelle und es wurde dann auch kalt. Das war schon harte Arbeit. Am Wochenende war ich weiter mit Renft unterwegs, wobei wir auch in Berlin gespielt haben. Ich weiß noch: in Schöneiche im Clubhaus der Eisenbahner. Dort lernte ich einen gewissen Schulze kennen, der machte dort die ganzen Veranstaltungen mit der Modern Soul Band, Renft u.a. im Rahmen der FDJ. So konnte der die Musik, die zu der Zeit, und ich rede jetzt vom Jahr 1970, noch nicht im Sinne des Staates war, auf die Bühne holen. Die Puhdys waren damals noch nicht da, und wir alle standen mit einem Bein im Gefängnis kann man fast schon sagen, denn dem Staat war unsere Musik zu der Zeit noch nicht recht. Die Musik war einfach nicht beliebt. Also nur unter den Oberen in dem Land war sie nicht beliebt, denn die Jugend wollte nur diese Musik hören. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Jedenfalls sprach mich dieser Schulze an und meinte: "Es gibt hier noch andere Bands, z.B. Uve Schikora und so, die haben großes Interesse, dass Du da mit einsteigst." Am Anfang war ich aber sehr "Renft-treu". Im Januar oder Februar 1970, nachdem ich ein halbes Jahr in Boxberg gearbeitet hatte, bekam ich einen Brief, den Uve Schikora geschrieben und Frank Schöbel unterschrieben hatte. Im Brief stand die Frage, ob ich nicht zur Uve Schikora-Combo kommen könnte, sie würden mit mir gerne diese Rockkonzerte weitermachen, Frank Schöbel bot mir aber auch die ersten Rundfunkproduktionen als Background-Sänger an. Außerdem war von den ersten Rundfunkproduktionen mit der Uve Schikora-Combo die Rede. Während ich in Boxberg arbeitete, lebte ich bei meiner Mutter. Die hat den Brief auch gelesen und meinte: "Junge, wenn Dir solche Leute schreiben und ein so tolles Angebot machen, dann häng den Wunsch Deines Vaters mal an den Nagel. Ich bin der Meinung, Du packst jetzt Deine Sachen und gehst nach Berlin." (lacht). Das habe ich dann auch gemacht. Ich hatte in Friedrichshagen 'ne Bude, also ein Zimmer bei einer älteren Dame. Das war die Zeit, in der Frank Schöbel noch mit Chris Doerk zusammen war. Ich habe bei vielen seiner Songs im Background gesungen, z.B. "Mädchen Du bist schön", wo ich die Oberstimme singe. In dieser Zeit, in der ich bei Uve Schikora und für Frank Schöbel sang, wurde ich dummerweise schwer krank. Ich bekam eine Gelbsucht und musste für ein 3/4-Jahr ins Krankenhaus. Ich hatte sehr großes Glück, dass das alles gut ausgegangen ist. Es war eine ganz schlimme Hepatitis mit anschließender Kur. Frank Schöbel ging mit Uve Schikora auf große Russland-Tournee, die ich sehr gerne mitgemacht hätte. Nach meiner Genesung bin ich wieder mit dazu gekommen, aber irgendwie gefiel mir das nicht mehr. Uve machte sehr viel mit Frank gemeinsam. Er fuhr praktisch zweigleisig, wie man so schön sagt. Leider wurden dadurch die Beatveranstaltungen mit mir immer weniger, dabei war ich der totale Rock-Fanatiker. Ich glaube, es war im NDR, wo ich zum ersten Mal die Gruppe "Colosseum" hörte. Das war auch der Trend im Jahre 1971, wo immer mehr Rockkonzerte gegeben wurden. Die Leute wollten gar nicht mehr tanzen, die hörten sich das nur noch an. Das war aber auch bei Renft schon so, dass man nur zuhörte und nicht tanzte. Was "Colosseum" machte war Jazz-Rock, und das wollte ich auch unbedingt machen. In Schikora fand ich da nicht den richtigen Partner. Dazu kam, dass ich mich nicht so sicher gefühlt habe. Ich wollte deshalb in Leipzig Musik studieren, um mich da auch etwas abzusichern. Ich habe mich daraufhin, ohne Schikora etwas davon zu sagen, an der Hochschule Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig beworben. Da gab es eine "TuM"-Abteilung, Tanz- und Unterhaltungsmusik, unter der Leitung von Fips Fleischer. Die haben mich sofort und mit Kusshand genommen. Zur gleichen Zeit traf ich Michael Heubach wieder, den späteren Komponisten des Liedes "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen. Michael war Keyboarder bei Renft, und in einem Gespräch kam heraus, dass er dort auch nicht mehr zufrieden war und nicht mehr länger bleiben wollte. Ich erzählte ihm, dass ich gerne auf den Spuren "Colosseums" wandeln, und eigene Sachen in diesem Stil machen wollte. Dann kam Bürkholz hinzu, übernahm die Leitung und plötzlich waren wir eine neue Band.
So entstand also die legendäre Bürkholz Formation?
Ja, ich bin dann bei Uve Schikora ausgestiegen, Bernd Sarfert, später abgelöst durch Frank Czerny, und Heinz Geisler kamen noch dazu und wir gründeten die Bürkholz Formation. Und - wie der Herr Lange so schön geschrieben hat - waren wir in den Jahren der "heißeste Act" in der DDR. Ich erinnere mich noch an unser erstes Konzert als Bürkholz Formation. Ich glaube, es war in Hoyerswerda. Wir hatten erst drei Lieder geprobt, als Bürkholz kam und sagte: "Wir haben unsere erste Veranstaltung." Nur drei Lieder hatten wir erst, und das waren nur so Blues-Rock-Improvisationen (lacht). Mit dem kleinen Programm sind wir aufgetreten, und das Publikum hat getobt vor Begeisterung. U.a. haben wir da auch noch "Child In Time" von Deep Purple gespielt, was wir später aus dem Programm genommen haben. Dann folgten die ersten eigenen Lieder, und im Jahre 1972 gab es im Rundfunk der DDR in der Nalepastraße eine Zusammenkunft aller existierender Rockbands. Da hatte sich die Staatsführung wohl überlegt, dass sie den Jugendlichen im Land diese Musik lassen wollten. Das ließ sich wohl nicht mehr vermeiden. Aber sie wollten das kontrollieren und eine Voraussetzung war, dass es deutsche Texte gibt und dass auch nur auf Deutsch gesungen wird. Für diese deutschen Texte gab es von da an Lektorate. Wir durften damals unter Luise Mirsch, so hieß die Redakteurin, bei der wir unsere musikalischen Vorschläge einbrachten und die dann auch Textautoren für uns suchte, die ersten Lieder produzieren.
Und wie ging es dann mit der Bürkholz Formation weiter?
Weiter ging es u.a. mit der großen Freundschaft zur Gruppe OMEGA aus Ungarn. Wir hatten damals in Chemnitz ein gemeinsames Konzert mit der Band, danach auch in Magdeburg in der Stadthalle. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, so dass die Musiker von OMEGA sagten: "Ihr seid die erste Gruppe, die wir auf eine gemeinsame Tour am Balaton mitnehmen." Wir planten also eine Ungarn-Tournee für das Jahr 1973. Wir wären damit die erste Rockband aus der DDR gewesen, die in Ungarn gespielt hätte. OMEGA setze sich dafür ein, dass wir sie als Vorgruppe auf dieser Tournee begleiten durften. Die Künstleragentur in der DDR sah das aber anders und wollte das auch nicht. Die sahen die Gruppe WIR mit Wolfgang Ziegler für diese Tournee vor. Wir waren uns aber trotzdem sicher, dass wir diese Tour mitmachen würden. Auf einer Fahrt zu einer Mugge in Sangerhausen sagte Thomas Bürkholz, dass die FDJ vor seiner Tür gestanden, und gefragt hätte, was wir zu den Weltfestspielen für Beiträge bringen würden. Bürkholz antwortete denen: "Da sind wir gar nicht da. Da sind wir mit OMEGA auf Tournee am Balaton." Kurz bevor wir dann alle in den Urlaub gingen, gab es noch ein Riesenkonzert in Radeberg. Das war Open Air, und mit dabei waren die "College Formation" und andere namhafte Bands aus dieser Zeit. Wir waren dabei der Höhepunkt, weil wir mit dem Titel "Wer bloß ist heute groß" einen Nummer 1 Hit hatten, mit einem Text von Gerulf Pannach. Diesen Nummer 1 Hit gab es übrigens nicht als Rundfunkproduktion, sondern die haben den in der Stadthalle Magdeburg live mitgeschnitten. Und dieser Live-Mitschnitt ist bei DT64 in der Hitparade von Jürgen Rummel gelaufen. Dieses große Konzert, moderiert von Chris Wallasch vom damaligen Schlager-Studio, war sehr gut besucht. Wallasch kündigte uns mit den Worten an: "Jetzt kommt die Bürkholz Formation. Ihr letztes Konzert vor ihrer Tournee mit Omega in Ungarn." So hat er das auch tatsächlich angesagt, und wir fingen mit dem Hit "Wer bloß ist heute groß" an. Das ging vier Takte und plötzlich… Strom aus! Die Leute tobten, rannten auf die Bühne und eine Box fiel um. Wir als Band nahmen Reißaus. Wir mussten vor den Menschenmassen, immerhin waren 3000 Leute da, flüchten. Was wir da noch nicht wussten war, dass es dann da auch zu einem Polizeieinsatz kam. Fest stand dann aber sehr schnell, dass der Strom nicht einfach so ausging, sondern dass der Strom abgestellt wurde. Das Konzert war nach den vier Takten von uns jedenfalls zu Ende und ging auch nicht weiter. Es gab Tumulte und wir sind ins Auto gestiegen und mussten alle von dort wegfahren. Später trafen wir uns dann im Hotel mit Chris Wallasch. In diesem Gespräch äußerte Thommi Bürkholz schon die Befürchtung, dass es möglicherweise deshalb das Aus für die Band geben könnte. Chris Wallasch sagte noch: "Was könnt denn Ihr dafür. Der Strom war weg und es ging nichts mehr. Deshalb war das Publikum außer Rand und Band." Nach diesem unschönen Ende sind wir dann alle in den Urlaub gefahren. Ich war mit meiner Familie in Heringsdorf auf Usedom und bekam plötzlich ein Telegramm von Thommi Bürkholz. Das Telegramm besagte: "Lieber Hans, bitte komme sofort in die Nalepastraße. Es wurde ein sofortiges Verbot für die Bürkholz Formation ausgesprochen." Boah! Ich bin sofort zurück nach Berlin. Ich hatte nach meiner Rückkehr sowieso noch Lieder zu produzieren, u.a. hieß eins davon "Gewöhnen kann ich mich nicht". Im Studio waren Lothar Klunter und Luise Mirsch, und wir haben die Lieder noch aufgenommen. Du musst wissen, dass Lothar Klunter, zuständig beim Festival-Komitee für Unterhaltungskunst war, und schon immer bei den Rockkonzerten, u.a. auch in Magdeburg, dabei war. Er hat zur Band schon vorher mal gesagt: "Den Hans-Jürgen Beyer hätten wir gerne für ein Schlager-Festival in Rostock." Ich habe damals noch gesagt: "Nein, das mache ich nicht. Dann verliere ich meine Rockfans." Wir alle sind dann später einen Kompromiss eingegangen, d.h. unter der Bedingung, dass Michael Heubach mir das Lied schreibt, mache ich das. Das war so schlagerähnlich, das weiß ich noch (Hans-Jürgen singt den Refrain des Liedes vor, Anm. d. Verf.). Dieses Lied wollte ich an dem Tag, an dem unser Verbot ausgesprochen wurde, ebenfalls produzieren. Wir waren eigentlich alle recht ratlos und ich habe gesagt: "Ich singe die Lieder jetzt noch ein, aber als Band gibt's uns nicht mehr." Thommi war auch da und wir haben uns gefragt: "Was machen wir jetzt?" Die Bürkholz Formation durfte jedenfalls nicht mehr existieren und die Tournee mit Omega am Balaton war ebenfalls hinfällig. Es gab uns nicht mehr. Wir suchten nach einem Weg… Bürkholz schlug vor, "Wir nennen uns Hans-Jürgen Beyer und Band", denn es gab ja auch schon eine "Veronika Fischer & Band". Aber den Vorschlag bekamen wir nicht durchgesetzt, wir mussten alle unserer Wege gehen.
Und was kam direkt danach? Gab es andere Jobs?
Nein, denn man muss dazu sagen, dass bei den anderen Bands keine Stellen frei waren. Den anderen Kollegen von der Bürkholz Formation ging's ganz schlimm. Die bekamen ein Berufsverbot und mussten erstmal normalen Berufen nachgehen. Nur Michael Heubach und ich, weil wir beide Studenten an der Hochschule für Musik waren, durften weitermachen. Aber nur bei unterschiedlichen Bands und nicht zusammen. Den anderen wurde u.a. vorgeworfen, sie hätten es beim Studium ein bisschen schleifen lassen und sowas… Das war bei Michael und mir nicht der Fall. Nebenbei bemerkt: Ich habe mein Studium auch sehr ernst genommen. Michael Heubach ging dann zur Horst Krüger Band, wo er das Lied, was schon bei der Bürkholz Formation entstanden ist, nämlich die "Tagesreise", fertig produzieren konnte. Mir bot das Komitee für Unterhaltungskunst einen Fördervertrag an. Der Fördervertrag beinhaltete Tanzunterricht, das Zustandekommen einer Produktion und das Kennenlernen eines Komponisten. Ich hatte schließlich auch Familie und die Posten bei den Rockbands waren alle besetzt. Andererseits wollte ich nicht zum Schlager. Ich lernte Arndt Bause kennen, er studierte an der gleichen Hochschule wie ich in Leipzig. Er studierte noch, obwohl er als Schlagerkomponist bereits bekannt war. Ich lernte ihn vom Unterricht kommend auf dem Gang der Hochschule kennen. Er sagte zu mir: "Du bist Hansi Beyer. Für dich schreibe ich ein Lied." (lacht) Das tat er tatsächlich, das war das Lied "Tag für Tag". Das weiß ich noch. Ich war in der Brunnenstraße und habe das gesungen, allerdings habe ich an dem Erfolg des Liedes sehr gezweifelt, weil ich eigentlich ein sehr lebhafter Mensch bin und immer auch lebhafte Musik machen wollte, wie es die Rockmusik für mich auch war. Der Song hier war so ein ruhiger, getragener Titel. Ich habe also an den Erfolg nicht geglaubt.
Man kann aber sagen, als die Bürkholz Formation verboten wurde, hattest Du das Glück, Arndt Bause kennen zu lernen?
Das auch. Auch schon das Kennenlernen von Lothar Klunter und dem daraus resultierenden Fördervertrag, der besagte, dass sie alles für mich tun und mir einen Komponisten empfehlen würden. Und die verfrachteten mich gleich in die Schlagerrichtung. Und das war dann der eben erwähnte Titel "Tag für Tag". Den habe ich im Mai 1974 im Schlager Studio gesungen. Das hatte das Schlager Studio vorher noch nie erlebt, wie mir Wallasch später sagte, dass es da sofort ein Dacapo, also einen Taktapplaus, gab. Ich bin damals noch mit dem Zug gefahren, weil ich damals noch kein Auto besaß. Damals gab es auch nur das eine DDR-Fernsehprogramm, und auf der Rückreise im Zug wurde ich sofort angesprochen: "Sind Sie nicht der, den wir gestern im Fernsehen gesehen haben?". Das war für mich unglaublich.
Deine Karriere als Rocksänger hast Du jedenfalls dann beenden müssen, und bist ins Schlagerfach gewechselt. Ein sehr ungewöhnlicher Weg, denkt man z.B. an Roy Black, der Zeitlebens immer vom Schlager zum Rock wollte, was ihm nie gelang...
Ach... noch ein bekannteres Beispiel: Peter Maffay! Der sang Schlager und suchte immer den Weg zum Rock.
Stimmt, da hast Du Recht. Jedenfalls wechselt man als junger Mann nicht so ohne Weiteres vom Rock zum Schlager. Hast Du diesen Schritt eigentlich jemals bereut?
Ich muss es noch mal sagen: Es lag an dem Staat, in dem ich gelebt habe. Der hat meine Band verboten. Wir haben einen unheimlich großen und treuen Anhang gehabt, ähnlich der einer Fußballmannschaft. Und ähnlich wie in England, wenn bei den Fußballspielen Tumulte sind, bekommen die Vereine auch Spielverbot. Und so hat man das mit uns als Band gemacht.
Also kann man sagen, dass Du eher unfreiwillig ins Schlagerfach gewechselt bist.
Ja, ich bin unfreiwillig da rein gekommen. Das ist eine Tatsache. Da kann ich auch nicht dran vorbei. Für mich war das schlimm, und ich habe mich auch anfangs geschämt. Ich hatte auf den Veranstaltungen noch versucht, meine Vergangenheit anklingen zu lassen und sang von Tom Jones "She's A Lady", aber das wollten die Leute von mir überhaupt nicht hören. Das ist auch heute noch so, zumindest bei uns in Ostdeutschland. Da weiß ich genau, dass man mit dem Covern von Tom Jones-Titeln Probleme hat (lacht). Ich wusste, dass ich nur dann weiter existieren kann, wenn ich mich zum Schlager bekenne. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang daran, dass ich damals zu Renft gegangen bin, die in Berlin im "Haus der jungen Talente" spielten. Dort traf ich Kurt Demmler. Demmler war auch der Texter des Liedes "Tag für Tag". Wir kamen da ins Gespräch und ich habe gesagt: "Oh, Mensch… die Musik. Ich kann das nicht mehr machen." Da antwortete er: "Warum Du Dich da schämst, kann ich nicht verstehen. Das ist ein Super-Song! Überleg mal, was der für einen Erfolg hat." Und damit hat er mir erstmal die Richtlinie gegeben. Das weiß ich noch wie heute. Kurt hat gesagt: "Schämen darfst Du Dich nicht dafür. Das Lied ist einfach gut."
Du hast 1974 die eben genannte Single aufgenommen. Ein Jahr später, also 1975, wurde Deine erste LP veröffentlicht. Wie ist diese Scheibe entstanden?
Die LP ist deshalb entstanden, weil "Tag für Tag" ein sensationeller Erfolg war, denn er war überall die Nummer 1. Und wenn man eine Nummer 1 hat, und das ist heute auch noch so, dann entschließt sich die Plattenfirma, eine LP zu machen. So war das, und das machte dann Arndt Bause, als mein Entdecker für den Schlager. Nicht "Entdecker", sondern weil er mir den Hit geschrieben hat. Mit dem Wort "Entdecker" muss ich, nachdem ich mit Dir gesprochen habe, ein bisschen vorsichtig sein (lacht). Er hat mir jedenfalls den ersten großen Hit geschrieben. Dann hat er auch das komplette Album komponiert, das hat schon irgendwie Spaß gemacht. Es gab ja auch noch Nebenprojekte. Ich war, wahrscheinlich weil ich der einzige in meiner Gilde war, der ein anderes stimmliches Potential hatte, nebenbei auch noch Festival-Sänger. Ich war der einzige Sieger des Interpretenwettbewerbs. Damals gab es nur einen Sieger, das war im Mai 1974 in Chemnitz und drei Monate später war ich mit "Tag für Tag" in Sopot. Da bin ich dann - ich glaube - vierter geworden. Ein Jahr später war ich beim "Orpheus". Da bin ich schon mit einer eigenen Komposition hingefahren und habe von dort einen dritten Platz mitgebracht. An die Zeit der LP-Produktion im Studio habe ich aber keine besonderen Erinnerungen.
Stimmt es, dass die erste Single auch im Westen veröffentlicht worden ist?
Ja, das stimmt! Den Titel "Tag für Tag" hat die Firma "Philips" veröffentlicht. Die habe ich auch hier liegen...
Weißt Du, wie die im anderen Teil des Landes gelaufen ist?
Nein, das weiß ich leider nicht.
Demnach gab es auch keine Gastspiele in der BRD?
Nein, die gab es nicht. Ich hatte nicht das Glück, im Westen spielen zu dürfen.
Du hast als Schlagersänger unheimlich viele Tourneen gespielt. Eine ganz besondere Konzertreise führte Dich 1976 nach Japan, wo Du auch einen Preis gewonnen hast. Wie war's da unten, gibt es da besondere Erinnerungen an diese Reise?
Das ist eine lange Geschichte...
Na, wir haben doch Zeit ;-)
Im Mai 1976 produzierte ich ein Lied vom Komponisten Martin Hoffmann, der heute das Holstein Kiel Orchester leitet. Der Song hieß "Alles blüht", und der wurde neben drei anderen Beiträgen von Sängern aus der DDR für diese Japan-Reise nominiert. Aus japanischer Sicht hatte man sich für mich und mein Lied entschieden. Im August 1976 bekam ich die Einladung aus Japan. Lothar Klunter rief mich an und sagte: "Ich gratuliere Dir, Du bist eingeladen, im November nach Japan zu fliegen. Wir organisieren alles." Meine Freude war unvorstellbar groß! Die Reise nach Japan war für mich unvorstellbar. Der Veranstalter des World Popular Festivals in Tokio war die Firma Yamaha. Yamaha nahm das gleichzeitig auch als Werbeveranstaltung, und im Show-Teil hatten die überall ihre großen Orgeln und Keyboards aufgestellt, die sie von Kindern spielen ließen. Das war sensationell. Yamaha hatte über 2500 Einsendungen, und aus diesen 2500 Liedern wurden 46 ausgewählt, die bei dem Festival dabei sein durften. Da kannst Du Dir vorstellen, wie stolz und glücklich ich war. Und über meine Reise nach Japan gibt's noch eine Story, ich weiß nicht, ob ich die erzählen soll...
Gerne, nur zu!
Ok, jedenfalls wurde ich im September auch nach Leipzig eingeladen. Ich hatte eine eigene Band, das war die Gruppe "Con Fuoco" (zu Deutsch: mit Feuer). Die Frau Oelschlegel ließ das ganze Team zusammen kommen und sagte: "Wir müssen innerhalb einer Woche ein Programm zusammen stellen, weil ihr die Auszeichnung besitzt, nach Indien zu fahren. Im Rahmen des Regierungsbesuchs von Erich Honecker wird ein Kulturprogramm zusammengestellt, das als Vorprogramm zum Honecker-Besuch laufen wird." Diese Tournee sollte im Oktober stattfinden und ich brachte daraufhin den Einwand: "Das kann ich gar nicht machen, denn ich fahre doch nach Japan." Das Programm wurde trotzdem innerhalb einer Woche zusammengestellt, und es wurde mit dem Komitee abgestimmt, dass ich von Neu Dehli im Anschluss an den Auftritt nach Tokio zu fliegen hatte. Dazu muss man jetzt aber die Bedingungen der DDR kennen lernen: Man musste vorher unterschreiben, dass man nur 20,- Mark der DDR bei sich tragen darf, wenn man ins Ausland fährt. Und weil ich von Neu Dehli aus alleine nach Japan weiterfliegen sollte, musste das ja auch noch extra organisiert werden. Da wurde dann für mich ein Sicherheitsbetrag in Dollar hinterlegt. Die Reise nach Indien war eine Traumreise! Es war wunderschön da und die Inder waren von uns total begeistert. In den Garderoben waren Ratten und Geckos (lacht)… das werde ich nie vergessen! Nachdem wir drei Wochen durch Indien gereist waren, kamen wir in Dehli an, das restliche Team und meine Band fuhr weiter und ich blieb im Hotel. Am anderen Morgen ging meine Maschine nach Japan. Ich habe dann zu dem Kulturmann, der mich abgeholt und ins Hotel gebracht hat, gesagt: "Was ist denn, wenn ich morgen los fliege? Ich habe keinen Pfennig bei mir. Mir wurde aber gesagt, dass ein Sicherheitsbetrag für mich hinterlegt sein soll." Der wusste davon nichts, ging mit mir aber in die Botschaft in Dehli, wo einer saß, der früher in Japan beschäftigt war. Den sollte ich danach fragen. In der Botschaft der DDR in Indien habe ich dann gegessen und den Herrn kennengelernt. Der sagte mir: "Den Sicherheitsbetrag können wir Ihnen nicht geben. Ich kann Ihnen aber die Telefonnummer der Botschaft in Japan geben, und wenn Sie in Tokio gelandet sind, haben Sie wenigstens eine Anlaufstelle, wo Sie anrufen können." Da habe ich gefragt, wie ich den anrufen soll, wenn ich keinen Pfennig bei mir habe. Die haben mich ohne Geld durch die Welt reisen lassen, kannst Du Dir das vorstellen?
Nicht wirklich...
Kannst Du nicht? Das ist aber die Wahrheit und war der Wahnsinn! Deshalb erzähle ich auch diese Geschichte. Mit der Telefonnummer der Botschaft in Japan in der Tasche ging's dann zum Flughafen. Mein Flug sollte um 5:00 Uhr in der Früh gehen, da streikte aber das Flugpersonal, so dass meine Maschine erst um 11:00 Uhr abflog. Mein Flug ging über Bankok und Hong Kong nach Tokio. Überall hat die Maschine Zwischenlandungen gemacht und in Bankok wurden die Passagiere sogar gebeten, die Maschine zu verlassen. Für mich dachte ich: "Ich verlasse die Maschine jetzt nicht. Vielleicht verlangen die vor Dir jetzt irgendwo Geld, und Du hast nichts bei Dir." Das Personal fing dann an, die leere Maschine sauber zu machen, und ich bin tatsächlich als einziger sitzen geblieben. Ich hatte einfach Angst, mich da ohne Geld zu blamieren. Dann flogen wir weiter in Richtung Hong Kong. Ich weiß noch, das war "India Airlines" und die Maschine war nur halb voll. Eine schöne Inderin kam auf mich zu und bot mir an, dass ich mich auf den drei freien Plätzen hinlegen und schlafen könnte. Sie deckte mich zu und ich konnte schlafen. Kurz vor Hong Kong weckte sie mich, ich solle aus dem Fenster schauen. Unter uns sah ich im Landeanflug auf Hong Kong herrliche Inseln und Steinberge aus dem Wasser ragen. Sie fragte mich: "Would you like a drink, please?", mein Englisch war aber nicht so gut und ich sagte "Yes". Sie brachte mir dann einen Drink und sagte: "2,50 Dollars, please". Und das war's… ich bin in die Falle getappt. Ich gab ihr dann mit rotem Kopf meine 20 Ostmark, sie nahm sie an sich, ging fünf oder zehn Minuten weg und kam dann wieder: "What kind of money is that?." Ich sagte, dass das Ostmark seien, worauf ich zur Antwort bekam: "The drink is a present from India Airlines" (lacht). Die haben mir also den Drink geschenkt.
Wir sind dann später in Tokio gelandet, und ich hatte große Angst, dass ich von dort nicht mehr wegkommen würde. Ich wusste nicht, wo ich hin musste. Ich hatte keine Adresse und nichts. Die Maschine kam wegen des Streiks in Neu Dehli 5 Stunden später als geplant in Japan an. Dann kam ich auch noch in eine Zollkontrolle, und die Japaner haben mich über eine halbe Stunde lang kontrolliert. Man muss dazu wissen, dass der Veranstalter Yamaha für die ganzen europäischen Sänger, Komponisten und Interpreten einen extra Charterflug von Frankfurt am Main los fliegen ließ. Ich erhielt die Nachricht, dass der Komponist meines Liedes, Martin Hoffmann, schon in Tokio angekommen war, und ich hoffte, er würde mich dort am Flughafen abholen. Als ich nach der Zollkontrolle runter kam, sah ich eine Flughalle voller Menschen und alles was ich hatte, war eine Telefonnummer der DDR-Botschaft. Keine Yen in der Tasche… nichts! Bis auf meine 20 Ostmark (lacht). Ich stand da und überlegte: "Was machst Du denn jetzt?". Die Japaner sprechen kein Englisch und selbst das kannst Du auch nicht genug. Und wie ich so durch die Menschenmassen schaue, steht da plötzlich einer mit einem Schild, auf dem stand, "Hans-Jürgen Beyer". Da war ich Zuhause (lacht). Das war meine Story, die ich bei dem Festival erlebt habe. Ich habe bei dem Festival die Silbermedaille bekommen, das entspricht dem 2. Platz, für "Outstanding Performance", also für außergewöhnlich gute Gesangsleistung. Alle Künstler bekamen dort gleich im Anschluss ihr Geld, der DDR-Sänger nicht! Der Veranstalter hätte das so mit der DDR abgemacht. Das Ende der Geschichte ist, dass ich dann wieder in der DDR gelandet bin. Ich hatte in Tokio einen hohen Dollar-Preis gewonnen, und die wollten mir den noch nicht mal 1:1 in Ostmark geben. Ich hab dann mal nachgefragt, und gesagt: "Hier gibt's aber doch Intershop Geschäfte, wo ich mein Geld ausgeben könnte", womit ich mich erstmal unbeliebt gemacht habe. Ich bekam nur den Satz zu hören: "Seien Sie doch froh, dass Sie überhaupt dahin fahren durften." Ich habe jedenfalls kein Westgeld erhalten. Über das Thema Geld kann man heute ja sprechen, und ich wollte damit auch nur mal erzählen, was früher bei uns in der DDR so los war.
Das war aber nicht die einzige Reise nach Japan, richtig? Ich habe gelesen, dass es zwei Jahre später eine weitere Reise und einen weiteren Preis gab, nämlich den Ersten...
Stimmt, ich war zwei Jahre später mit dem Lied "Ein Augenblick der Ewigkeit" noch mal in Japan. Da haben die mich wieder eingeladen, und ich bin mit den ganzen Festivalteilnehmern noch mal nach Japan geflogen. Aber von der Reise gibt es keine so spannende Gesichte zu erzählen, wie von der ersten. Ich hatte den ersten Preis gewonnen und es gab das gleiche Schauspiel wie beim ersten mal. Nur hatte ich diesmal vorweg unterschrieben, dass ich keinen Wert auf Geld legen würde. Beide Reisen waren für mich aber ganz toll!
Leider gibt es keine komplette Diskografie von Dir. Wieviele LPs hast Du vor der Wende bei der AMIGA veröffentlicht?
Es gab zu Ostzeiten vier Langspielplatten, die ich produziert habe. In den Jahren 1975 die LP "Tag für Tag - Warten auf ein Wiedersehen", 1976 die LP "Dieses Lied zieht mit mir", auf der Rückseite des Covers ist ein Foto von mir, wie ich in Japan auftrete, 1979 die LP "Schenk mir einen Augenblick" und 1982 die LP "Die Show beginnt".
Wie hast Du persönlich den Fall der Mauer erlebt, der sich ja dieses Jahr zum 20. mal jährt?
Ich war in Putbus auf Rügen, als die Grenzen geöffnet wurden. Kleine Vorgeschichte: Ich war zusammen mit Frank Schöbel und einigen anderen Kollegen einer der Mitunterzeichner für das "Neue Forum", und meine Eltern sind hier in Leipzig auch mit auf die Straße gegangen. Am besagten Tag des Mauerfalls, es war der 09. November, hatte ich im Theater Putbus einen Auftritt. Das Theater war an diesem Abend nicht mehr gut besucht, weil ja - wenn wir uns mal zurück erinnern - die Zeit so spannend war, dass man keine Nachrichten und keine Tagesschau verpassen wollte. Neben der Tagesschau wollte man aber auch als Gegensatz dazu die "Aktuelle Kamera" gucken (lacht). Diese Zeit war so was von geil. Die Mauer war dann gefallen und ich hatte am anderen Tag noch in Stralsund zu tun. Am liebsten wollte ich gleich nach Berlin. Wir waren alle sehr aufgeregt und wir haben - ganz klar - auch ein Glas mehr getrunken. Ich hatte davon noch im Theater erfahren und es war nicht zu glauben. Als ich in Stralsund am anderen Tag fertig war, bin ich noch in der Nacht von Stralsund kommend durch West-Berlin gefahren. Ich habe das mit wahnsinniger Freude genossen. Ich kann mich da noch sehr gut erinnern. An allen Ecken wurde Feuer gemacht, es gab kostenlos Rotwein und was dort alles möglich war. Dazu diese grenzenlose Freude. Ich wohnte damals auch noch in Berlin und bin dann jeden Tag rüber nach West-Berlin.
Wir hatten dieses Thema schon in vielen unserer Interviews: Viele Musiker aus Deutschland, egal ob West oder Ost, fielen nach der Wende in ein künstlerisches Loch, weil sich die Leute mehr für Musik aus dem Ausland interessierten. Wie ging es Dir in dieser Zeit?
Ja, dazu kann ich Dir einen wunderschönen Satz sagen: Ich habe nicht gewusst, dass ich mit meiner Unterschrift für das "Neue Forum" gleichzeitig mein musikalisches Aus unterschrieben habe (lacht). Da ist auch was Wahres dran. Ich hatte eine eigene Band und nach dem Mauerfall verging noch knapp ein halbes Jahr. Im Februar rief mich der Deutschlandfunk an und fragte an, eine Veranstaltung gemeinsam mit Tom Astor zu machen. Ich habe gefragt: "Wie kommen Sie denn auf mich?", und da antwortete Peter Puder vom Deutschlandfunk: "Bedanken Sie sich bei den Menschen, die gut von Ihnen sprechen." Diese Show fand dann statt, auch mit vielen anderen Interpreten aus dem Westen. Ich bekam u.a. zu hören: "Du bist ja ein toller Sänger. Mit Deiner Stimme kannst Du doch alles machen." Da war ich noch voller Hoffnung, und es kam auch ein Herr, der die Künstler für die MS Europa, ein Kreuzfahrtschiff, einkaufte. Er sagte zu mir: "Sie sind vielseitig, sowas wie Sie brauche ich. Ich gebe Ihnen ein Engagement auf der MS Europa, sie müssen dort eine Show machen. Aber tun Sie mir bitte einen Gefallen: Singen Sie alles, was wir hier heute an internationalen Songs gehört haben, aber bitte keine Lieder aus dem Osten. Das kennt bei uns keine Sau." Da ging das gleich los… Das Geld was ich verdiente habe ich gleich in Arrangements investiert. Ich habe z.B. Titel aus "Phantom der Oper" und "Another Day In Paradise" von Phil Collins gesungen. Ich musste mich da erstmal zurecht finden, denn das waren alles reiche Leute, die da auf der MS Europa Urlaub machten. Das wurde dann für mich sehr erfolgreich, ich hatte damit gut auf Schiffen zu tun, während ich hier an Land nichts mehr zu tun hatte. Ich kann mich noch erinnern, dass wir 1990 die D-Mark bekommen haben und dass danach für uns plötzlich keine Arbeit mehr da war. Meine Band, die wirklich aus hervorragenden Musikern bestand, stand vor meiner Tür und fragte: "Hansi, wie geht's denn weiter?", ich sagte: "Jungs, ich habe selbst keine Ahnung und keine Arbeit. Ich gehe jetzt erstmal auf's Schiff, aber ich kann da keine Band mitnehmen." Das war eine Tragik, denn die besten Musiker haben in Berlin in der Dynamo-Sporthalle sauber gemacht und ähnliche Jobs annehmen müssen...
Wie ging es in den 90ern bei Dir beruflich weiter? Ab wann zeichnete sich ab, dass es wieder aufwärts ging?
Ich sah in Deutschland überhaupt keine Chance mehr. Das war ein neues Leben, ich habe mich nur noch auf Engagements auf Schiffen vorbereitet. Ich habe so natürlich die ganze Welt gesehen. Und man wurde auf dem Schiff von Bürgern aus dem Westen angesprochen: "Warum haben wir eigentlich nie was von Ihnen als Künstler gehört? Sie müssen jetzt aber glücklich sein, dass Sie solche Reisen mitmachen dürfen. Also über Ihre Karriere mache ich mir keine Gedanken, Sie kommen ganz bestimmt noch groß raus." Die Leute waren auch alle begeistert. Ich erinnere mich an eine Tour nach Rio de Janeiro, wo ich mit Ute Freudenberg zusammen auf einem Schiff war. Sie spielte und wohnte damals noch im Westen. Sie hat im Westen nicht Fuß fassen können und spielte damals mit dem Gedanken, zurück nach Weimar zu gehen. Auch sie war nur auf Schiffen unterwegs. Wenn ich sage "nur Schiffe", klingt das möglicherweise nur negativ. Das war schon eine schöne Sache. Aber man arbeitet auch in Konkurrenz mit anderen Künstlern. Auf dem Schiff zu arbeiten heißt auch, nicht viel Geld zu verdienen, weil die das schon gegenrechnen, dass man da eine Reise mit macht und die Verpflegung auf dem Schiff kostenlos hat. Viele, die auf dem Schiff ständig arbeiten, ich meine jetzt die Crew, die kündigen an Land ihre Wohnungen und ziehen kurz mal bei den Eltern ein, wenn sie wieder zu Hause sind. Das konnte ich auch nicht machen. Ein "auf dem Schiff" war dann auch wirklich ein "NUR auf dem Schiff arbeiten". Ich möchte diese Zeit nicht missen, es war fantastisch. Heute nehme ich aber nur noch Reisen, die ich gerne machen möchte. Um die Frage zu beantworten, ab wann es wieder aufwärts ging: Ich muss dazu sagen, dass ich auf dem Schiff eine Tänzerin kennen gelernt habe, sie ist Australierin, die ich später auch geheiratet habe. Sie ist Lateinamerikanische Tänzerin und ihr Tanzpartner lebte in Holland. Darum bin ich mit ihr zusammen auch für zwei Jahre in die Nähe von Breda in Holland gezogen. Dann rief mich ein Freund und Kollege, Frank Hengstmann, ein Kabarettist aus Magdeburg, an und sagte: "Du musst wieder zurück kommen, das geht wieder los. Dich ruft hier in Holland bloß keiner an. Für das Fahrgeld, um ständig zwischen Deutschland und Holland hin und her zu fahren, ist noch nicht genug da, aber Arbeit bekommst Du wieder." Meine Frau und ich entschieden uns, wieder zurück zu kehren. Meine Frau meinte, dass sie bei dem Verkehrschaos und der riesigen Stadt Berlin nicht zurecht käme, weshalb wir in meine Geburtstadt Leipzig gezogen sind. Und dann ging das tatsächlich wieder mit Veranstaltungen los. Ich hatte inzwischen auch einiges dazu gelernt. Meine Frau hörte mit dem Tanzen auf, und ich hatte später eine Show mit ihr gemeinsam. Ich tanzte also jetzt auch ein bisschen und hatte damit ein Programm zu bieten. Man konnte sich damit wieder über Wasser halten. Man darf aber nicht vergessen, dass ich, als die Mauer fiel, schon 40 Jahre alt war. Dieter Bohlen hat mal richtig gesagt: "Wer in diesem Beruf über 30 ist, ist eigentlich schon tot." So gesehen hatte man auf einen Hit keine Chance mehr. Olaf Berger war damals 18 oder 19 Jahre alt. Genauso wie Inka. Die waren jung und hatten eine Chance. Für die beiden freue ich mich. Aber für uns war's schwer. Durch die Freundschaft zu Uve Schikora, der heute noch für mich ab und zu produziert, hatte ich immer mal wieder ein Hoch. Das erste war das Lied "Kaiserin", mit dem ich 1995 bei Dieter Thomas Heck war. Die Redakteure waren davon begeistert, obwohl das ein Schlagersänger, Michael Hansen, geschrieben hat. Das war ein tolles rockiges Lied mit einem Riesenchor. Dadurch lernte ich Dieter Thomas Heck kennen, der mir etwas später auch das Du anbot. Im Jahre 1999 produzierte ich noch mal das Remake von Schikoras Song "Ich wünsch Dir die Hölle auf Erden". Kennst Du das noch?
Ja, das hat auch Christian Franke mal gesungen...
Ja, genau! Und davon haben wir praktisch ein Remake gemacht, damit war ich 1999 im ersten Show-Palast in Böblingen bei Dieter Thomas Heck, zusammen mit Vanessa Mae, André Rieu, Bonnie Tyler, u.s.w. Nur große Namen. Das war noch mal ein toller Erfolg.
Jetzt habe ich hier auf meinem Zettel noch ein paar Fanfragen. Ein Fan möchte wissen, ob es stimmt, dass Du zusammen mit Lili Ivanova im Duett gesungen hast. Die Mutter dieses Fans behauptet dies nämlich, er selbst konnte aber nirgendwo etwas finden. Ist da was dran?
Das stimmt. Komisch, dass Du danach fragst, ich habe das jetzt erst vom MDR auf Video wieder bekommen. Der MDR hat viel und gut für das Jubiläumskonzert, worüber wir eingangs gesprochen haben, recherchiert und u.a. auch diesen Auftritt wieder gefunden. Ich hatte im DDR-Fernsehen eine eigene Show, die hieß "Show per Post". Die ging immer eine Stunde, und ich habe da u.a. Schlagzeug mit Zicke Schneider gespielt, habe Keyboards gespielt, habe gerockt und habe Opern gesungen. Und u.a. hatte ich einen ausländischen Gast, Lili Ivanova, mit der ich zusammen das Lied von Julio Iglesias "All Of You" gesungen habe. Das hab ich hier auch jetzt auf Video, das kann ich Dir gerne vorspielen.
Aber das gibt es nicht auf Platte oder CD?
Nein, das lief nur im Fernsehen. Aber die Aufnahme klingt gut.
Eine weitere Frage war, welche Zeit Du zum Arbeiten angenehmer empfunden hast. Die in der DDR oder die im vereinten Deutschland.
Oh, das sind ja Fragen… Man muss alles mit dem richtigen Augenmaß sehen. Ich habe das immer alles differenziert gesehen. Meine Liebe war immer die zur Rockmusik, und das ist heute noch mein Herz. Und so hat mir dieses Verbot 1973 ungeheuer wehgetan. Ich bin dadurch in ein Genre reingekommen, das ich vorher eigentlich nicht geachtet habe. Heute, das muss ich hinzufügen, bin ich nicht unglücklich darüber, dass ich zu dieser Musik gezwungen wurde, weil ich gelernt habe, diese Vielseitigkeit, die in mir ist, zu entdecken. Das hätte ich mit der Rockmusik nie machen können. Ich habe z.B. auf den Schiffen von Schlager über Chanson bis zu Musicals und Klassik alles gesungen, wo das Publikum gestaunt hat, was ich für eine musikalische Breite habe. Das macht mich glücklich und damit überlebe ich heute. Zu Ostzeiten war es schön, dass ich Fernsehsendungen machen konnte und Rundfunksendungen hatte. Heute musst Du um alles kämpfen, um wirklich alles. Ich weiß aber nicht, ob gerade durch diesen Kampf, und dann als Ergebnis etwas erreicht zu haben, die Freude dann nicht genauso groß sein kann, wie damals, wo man durch den Erfolg alles geschenkt bekam. Man wurde dann ja auch irgendwie satt, weil alles immer in den gleichen Bahnen lief. Es passierte nichts Neues. Um es auf das künstlerische zu übertragen, ich habe zu Ostzeiten Gelegenheiten gehabt Dinge zu machen, die mir heute einfach nicht mehr möglich sind, z.B. die "Max Arie" im Fernsehen zu singen. Sowas ist heute nur noch den großen Stars des Westens möglich, dass sie sich vielseitig präsentieren dürfen. Das darf ich heute nicht mehr. Aus dem Ding bin ich raus. Dazu kommt, dass ich bei keiner großen Plattenfirma unter Vertrag stehe. Eine Andrea Berg, die ich schon kannte, als sie noch nicht so bekannt war, und mit der ich gemeinsam Tourneen gemacht habe, bekommt alles gestellt und Produktionen auch bezahlt. Wenn ich ein neues Lied habe, bezahle ich viel Geld für meine eigene Produktion aus eigener Tasche. Und das immer mit dem Risiko, dass ich das einem Redakteur vorstelle, der mir sagt: "Wir finden die Nummer Scheiße. Das spielen wir nicht." Man möchte am liebsten eine Sicherheit haben. Ich habe einen Manager, dem sag ich dann schon: "Bevor ich hier ein neues Lied produziere, ruf erstmal den und den an und frag, ob sie Interesse haben, mich im nächsten Jahr in diese oder jene Fernsehsendung einzuladen. Sonst brauche ich nichts zu machen." Das ist ja auch mit einem unheimlichen Aufwand verbunden. Ich habe hier aber eine Lösung gefunden: Ich mache Lieder, die ich auch für meine Live-Arbeit brauche. Und da kann ich mich nicht nach den Konzepten der Rundfunkanstalten richten. Wenn das beim Rundfunk durchfällt und die das dort nicht spielen, habe ich trotzdem eine tolle Nummer für mein Live-Programm.
Dann habe ich hier noch eine Frage, bei der ich lange überlegt habe, ob ich sie stellen soll. Ein Fan fragt, wie Deine Kollegen damals reagiert haben, als Du vom Rock zum Schlager gewechselt bist. Gab es da auch Spott, oder wie waren die Reaktionen?
Ja sicher, es gab teilweise sehr üble Reaktionen, die mir auch sehr wehgetan haben. Es ging soweit, dass man mich einen "Rock-Verräter" nannte. Das hat mich schon sehr geschmerzt. Ich habe das ja ganz anders gesehen. Ich musste doch auch weitermachen mit der Musik und es bot sich gerade keine andere Band an. Die Positionen als Sänger waren überall besetzt. Dazu war es doch ein Riesenglück. Wer hatte denn schon sofort als erstes einen Hit?
Welche Zukunftspläne hast Du? Was möchtest Du in Deinem Beruf noch erreichen und welche konkreten Pläne liegen bereits vor?
Wenn man 60 Jahre alt ist, aber ich fühle mich nicht wie 60, das sage ich jetzt ganz ehrlich, macht man sich gedanklich nicht mehr viel Hoffnung. Wenn ich etwas Neues mache, gehe ich ganz sachlich an die Sache heran und sage: "Der Misserfolg ist normal. Ein Erfolg wäre sensationell." So denke ich heute. Und unter diesem Motto freue ich mich jetzt auf die Zusammenarbeit mit Margitta. Das ist etwas Neues, das vom Publikum bisher gut aufgenommen wird. Mit dem Projekt haben wir auch sofort Fernsehen gehabt. Das hat mich sehr gefreut. Und wenn es schief geht, ist es auch nicht so schlimm. Wir wollen uns beide auch nicht gegenseitig behindern, d.h. wir nennen uns nicht "Margitta & Hans", sondern wir bleiben beide emanzipiert und machen beide hauptsächlich solistisch weiter.
Die letzte Fanfrage lautet: Wirst Du Deinen Fans noch lange erhalten bleiben, oder denkst Du schon über den Ruhestand nach?
Um Gottes Willen! Erstens ist es so, und ich rede da wieder von Finanzen, dass ich nicht in der finanziellen Situation bin, dass ich mich jetzt schon zur Ruhe setzen kann. Wir haben zu Ostzeiten auch niemals das verdient, was die Künstler in den alten Bundesländern verdienen konnten. Ich freue mich, mir geht es gut und ich möchte gesund bleiben, und danach muss ich auch leben, um so lange wie möglich auf der Bühne stehen zu können. Abgesehen davon, nicht weil ich das muss, sondern ich liebe meinen Beruf. Das ist die Hauptsache. Ich liebe diesen Beruf und mich muss man irgendwann wohl von der Bühne wegtragen. Wenn ich den Spaß an meinem Beruf nicht mehr hätte, das wäre ganz furchtbar für mich.
Lieber Hans-Jürgen, wir sind am Ende des Interviews. Möchtest Du den Lesern unseres Magazins vielleicht noch etwas mit auf den Weg geben?
Natürlich möchte ich allen Lesern alles Liebe und Gute wünschen. Ich freue mich über die Leser, die die Geduld gehabt haben, meine Geschichten hier zu lesen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mich auf meinem Geburtstagskonzert am 07. August besuchen kommt.
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Hans-Jürgen Beyer privat und Pressematerial, Redaktion