Interview vom 19. September 2019
Hans-Jürgen Reznicek ist besser unter dem Namen Jäcki Reznicek bekannt. Er ist einer der besten Bassisten unseres Landes und hat bei unzähligen Produktionen, von denen man teilweise gar nichts weiß, mitgewirkt. Oder wusstet Ihr, dass er mit seinem Spiel auf dem Bass sogar Lieder von Gaby Rückert, Frank Schöbel, Wenzel oder Dieter "Quaster" Hertrampf bei Aufnahmen im Studio veredelt hat? Bekannter ist er jedenfalls als Bassist von PANKOW und SILLY und natürlich auch von EAST BLUES EXPERIENCE. Und mit den beiden zuletzt genannten Kapellen hat er in den nächsten Wochen und Monaten richtig viel vor. Diese Pläne und bereits vorbereiteten Aktivitäten wollten wir uns von Jäcki in einem Gespräch mal näher vorstellen lassen. Bei der Gelegenheit sind wir mit ihm zusammen auch tief in seine Laufbahn eingetaucht und haben dabei ein paar Schätze gehoben, die selbst unserem Kollegen Christian, der ein großer Anhänger von Herrn Rezniceks Arbeit ist, neu waren. In den folgenden Zeilen könnt Ihr nun das zweistündige Interview nachlesen, das Jäcki und Christian Ende September geführt haben ...
Einige aufregende Wochen stehen bei Dir an. Aber eigentlich ist es bei Dir ja immer aufregend, da Du einen chronisch vollen Terminkalender hast. Jetzt jedoch ist es sehr speziell. Wir beginnen mal damit, was als nächstes kommt, nämlich die neue CD von EAST BLUES EXPERIENCE (Rezension HIER). Die Scheibe erscheint Anfang Oktober. Kannst Du uns vielleicht schon ein bisschen verraten, was Ihr da zusammengeschraubt habt?
Zunächst mal sei gesagt, dass die Platte "Make it better" heißt und am 4. Oktober auf den Markt kommt. Ich finde, es ist ein großartiges Album geworden. Das begann schon bei den Proben, die richtig Spaß gemacht haben. Es ist ja so, dass wir vier uns quasi blind verstehen. Vier übrigens deshalb, weil Adrian Dehn nun ja fest dazu gehört. Peter Schmidt kommt in der Regel mit neuen Songs an, manchmal sind auch Coversongs dabei, und wir gucken uns nur an und spielen auf Anhieb so, wie es sein soll und muss. Es sind maximal noch zwei oder drei kurze Absprachen notwendig und dann läuft es. Ich finde das faszinierend. Wir gingen nach den Proben zu Rainer Oleak in dessen Studio, die Tonscheune, und fühlten uns sofort wohl, denn dort ist es richtig gemütlich. Die technische Ausstattung des Studios war vom Feinsten, man findet dort wirklich alles, was das Musikerherz begehrt. Ob alte Bassgitarren, alle möglichen Synthies, technische Studiogeräte aller Art, es ist einfach alles vorhanden. Dazu kommt, dass Rainer Oleak nicht nur ein toller Mensch, sondern auch ein hervorragender Musiker, Produzent und Tonmeister ist. Und auch in der Tonscheune herrschte zwischen uns ein nahezu blindes Verständnis. Rainer spielte auf unsere Aufnahmen dann noch ein bisschen Orgel und Klavier drauf, was ungewöhnlich ist, weil wir ja eigentlich eine reine Gitarrenband sind. Doch bei manchen Songs hat es förmlich danach geschrien, dass da noch eine Hammond Orgel oder ein Wurlitzer Klavier zu hören sein musste. Insgesamt machte es uns total Spaß. Zu den Songs kann man sagen, es ist ein tolles Sammelsurium von dem, was EAST BLUES EXPERIENCE ausmacht. Es ist eine Mischung aus Blues, natürlich auch aus Rock, ein bisschen Soul, aber auch ein paar Country-Klänge sind dabei. Ich habe vor einigen Jahren durch den Deutsch-Kanadier Driftwood Holly die Country- und Folkmusik für mich entdeckt, weshalb es mir natürlich richtig Spaß machte, genau diese Nummern zu spielen. Besonders an dem Album ist noch etwas anderes: Wir haben nämlich diesmal gleich zwei deutsche Coverversionen dabei. Zum einen ist es der Song "Blues" von PANTA RHEI, den seinerzeit Ed Swillms komponiert hat und der von Veronika Fischer hervorragend gesungen wurde. Wir alle finden den Song richtig toll und wollten den unbedingt auf der neuen Platte drauf haben. Und dann haben wir noch "Himmelblau" von Ines Paulke gecovert, zu dem Andreas Hähle den Text beigesteuert hat. Es ist immer irgendwie blöd, wenn man von seiner eigenen CD so schwärmt, aber die Scheibe ist wirklich toll geworden und es hat riesigen Spaß gemacht, mit den Jungs zu musizieren. Die Songs wurden allesamt live eingespielt, was ja heute auch nicht mehr üblich ist. Nur die Gesangsparts und ein Gitarrensolo wurden synchronisiert.
Wie viel Zeit habt Ihr denn im Studio verbracht?
Das kann ich Dir so genau gar nicht sagen. Lange war es jedenfalls nicht. Vielleicht zwei, höchstens drei Wochen. Wie gesagt, es klappte vieles auf Anhieb. Nimm beispielsweise Peter oder Adrian, unsere beiden Sänger. Die gehen in die Gesangskabine und meistens waren die Aufnahmen nach dem First Take erledigt. Für mich als Nicht-Sänger ist das phänomenal. Ähnlich ist es mit den Soli, ohne dass ich jetzt zu doll angeben möchte. Manche Basictracks saßen halt gleich. Den ersten Song zum Beispiel haben wir eingespielt und Rainer Oleak meinte: "Den nehmen wir so. Es wäre Quatsch, den nochmal aufzunehmen. Das war perfekt und kann höchstens verschlimmbessert werden". So lief eben die ganze Studioproduktion ab.
Im Januar und Februar 2020 geht Ihr mit dem Album auf große Tour. Da macht Ihr dem Bandnamen alle Ehre, denn sämtliche Konzerte finden nur "in the East" statt. Warum gibt es keine Gastspiele in den gebrauchten Bundesländern?
Das ist für kleinere Bands, wie wir es sind, relativ schwer. Auf der einen Seite muss man die Clubbesitzer verstehen, die sagen, wir können bei ihnen auftreten, aber eben auf eigenes Risiko, da keiner weiß, wie viele Leute kommen. Die Clubs können uns also keine Festgage anbieten. Das verstehe ich, denn so ein Club muss auch überleben und letztlich sind wir Musiker ja davon abhängig, dass es die Clubs auch weiterhin gibt. Und aus Sicht einer Band ist es so, dass wir nicht einfach mal losfahren können. Wir haben dann ja Fahrt- und Hotelkosten und die müssen ja wenigsten wieder reinkommen. Natürlich würden wir sehr gerne überall spielen und ich bin sicher, wir würden auch überall gut ankommen, denn bei EAST BLUES EXPERIENCE geht gerade live dermaßen die Post ab, das ist der blanke Wahnsinn. Das ist also ein echtes Handicap. Bei DRIFTWOOD HOLLY ist es ähnlich. Man will als Veranstalter natürlich kein Minus machen, als Band will man das aber auch nicht. Gut wäre es, wenn man ein paar Sponsoren hätte, die das alles tragen, aber auch die musst Du erst einmal finden.
Wann fangt Ihr denn mit den Vorbereitungen für die Tour an? Oder seid Ihr schon damit zugange? Sind die Proben bei Euch relativ schnell abgefrühstückt oder benötigt Ihr doch ein paar Übungseinheiten mehr?
Im Moment haben wir überhaupt keine Zeit zum Proben, weil Ronny Dehn und ich ja bei SILLY aktiv sind und wir somit fast ein Überpensum zu bewältigen haben. Wenn die SILLY-Tour zu Ende ist, stehen bei mir noch drei Gigs mit DRIFTWOOD HOLLY an. Also ich schätze mal, wir werden erst drei oder vier Tage vor Beginn der EAST BLUES EXPERIENCE-Tour mit den Proben beginnen können. Aber es ist ja in der Band so, dass jeder ordentlich vorbereitet ist und fast alles auf Anhieb klappt, so dass die Proben fast nur pro forma stattfinden. Klar ist, dass wir vor allem die neuen Songs spielen wollen und die vielleicht etwas Übung brauchen, aber mehr Zeit haben wir vorher einfach nicht. Weihnachten ist ja auch noch dazwischen. Aber wir sind alle Profis und jeder muss sehen, dass er seine Parts drauf hat, dann wird das schon.
Du schwärmst ja in den höchsten Tönen von EAST BLUES EXPERIENCE. Wo liegen für Dich denn die größten Unterschiede in der Bandarbeit bei EAST BLUES im Vergleich zu SILLY? Was macht beide Kapellen aus Deiner Sicht so besonders?
Über EAST BLUES EXPERIENCE habe ich gerade genug geschwärmt. Bei SILLY ist es dieses riesige Repertoire an wirklich geilen Songs. Ich habe mich jetzt ja gründlich vorbereitet auf unsere Tour "Zehn Alben - zehn Städte - zehn Shows" und musste mir dafür wieder unzählige SILLY-Songs anhören. Solche, bei denen ich dabei war, aber auch die, bei denen ich noch nicht mitgespielt habe. Und immer wieder entdeckt man dabei Neues, denn man hört sich ja nicht jeden Tag seine eigene Musik an. Durch die Tour-Vorbereitung muss ich es aber machen und bin immer wieder überrascht, was für großartige Songs diese Band hat und hatte. Ich werde oft nach meinem Lieblingssong von SILLY gefragt. Aber ich kann das gar nicht so einfach beantworten, weil es eben so viele tolle Nummern gibt. Klar gibt es ein paar Tendenzen, aber letztlich gibt es unglaublich viele super Songs von SILLY.
Lass uns da mal eintauchen. Die SILLY-Tour im Herbst mit den Gästen AnNa R. und Julia Neigel ist das nächste dicke Ding, was Du vorhast. Wie kam es denn zu der Konstellation mit AnNa R. und Julia Neigel? Und wer kam überhaupt auf die Idee, mit den zehn Alben zehn Städte zu bereisen?
AnNa R. war schon mal auf der Tour "SILLY und Gäste" dabei. Sie war damals noch bei ROSENSTOLZ stark eingebunden und konnte deshalb mit SILLY nur drei oder vier Gigs machen. Sie war aber schon immer ein großer SILLY- und Tamara Danz-Fan. ROSENSTOLZ hatte auch mit "Hurensöhne" und "Wo bist du" zwei SILLY-Songs gecovert. Da gibt es auch die lustige Story, dass wir mal auf einem Konzert gefragt wurden: "Wieso spielt ihr eigentlich einen Song von ROSENSTOLZ?" Und wir mussten klarstellen, dass es eigentlich umgekehrt ist, also ROSENSTOLZ einen SILLY-Song im Programm hat. Da war es also naheliegend, AnNa zu fragen, ob sie Lust hätte und sie hat ohne Zögern "Ja" gesagt. Auch Julia Neigel kennen wir schon ewig. Wir hatten mal irgendwann ein Konzert in Ludwigshafen. Und da waren wir mit Tamara und SILLY die Vorband von Jule Neigel, die damals gerade mit "Schatten an der Wand" einen Riesenhit hatte. Wir hatten dann öfter mal losen Kontakt miteinander. So hatte ich zum Beispiel mal mit ihr bei der "Hope-Gala" in Dresden zu tun und auch später lief man sich immer mal über den Weg. Sie spielte u. a. auch bei Maschine mit, was nicht verwunderlich ist, denn sie ist nach wie vor eine hervorragende Sängerin und großartige Rockröhre. Wenn man sich ein paar alte Songs von SILLY anhört, schreien die förmlich nach einer solchen Stimme. Also fragten wir auch bei Julia nach und sie gab uns ohne langes Zögern ihre Zusage.
Einige aufregende Wochen stehen bei Dir an. Aber eigentlich ist es bei Dir ja immer aufregend, da Du einen chronisch vollen Terminkalender hast. Jetzt jedoch ist es sehr speziell. Wir beginnen mal damit, was als nächstes kommt, nämlich die neue CD von EAST BLUES EXPERIENCE (Rezension HIER). Die Scheibe erscheint Anfang Oktober. Kannst Du uns vielleicht schon ein bisschen verraten, was Ihr da zusammengeschraubt habt?
Zunächst mal sei gesagt, dass die Platte "Make it better" heißt und am 4. Oktober auf den Markt kommt. Ich finde, es ist ein großartiges Album geworden. Das begann schon bei den Proben, die richtig Spaß gemacht haben. Es ist ja so, dass wir vier uns quasi blind verstehen. Vier übrigens deshalb, weil Adrian Dehn nun ja fest dazu gehört. Peter Schmidt kommt in der Regel mit neuen Songs an, manchmal sind auch Coversongs dabei, und wir gucken uns nur an und spielen auf Anhieb so, wie es sein soll und muss. Es sind maximal noch zwei oder drei kurze Absprachen notwendig und dann läuft es. Ich finde das faszinierend. Wir gingen nach den Proben zu Rainer Oleak in dessen Studio, die Tonscheune, und fühlten uns sofort wohl, denn dort ist es richtig gemütlich. Die technische Ausstattung des Studios war vom Feinsten, man findet dort wirklich alles, was das Musikerherz begehrt. Ob alte Bassgitarren, alle möglichen Synthies, technische Studiogeräte aller Art, es ist einfach alles vorhanden. Dazu kommt, dass Rainer Oleak nicht nur ein toller Mensch, sondern auch ein hervorragender Musiker, Produzent und Tonmeister ist. Und auch in der Tonscheune herrschte zwischen uns ein nahezu blindes Verständnis. Rainer spielte auf unsere Aufnahmen dann noch ein bisschen Orgel und Klavier drauf, was ungewöhnlich ist, weil wir ja eigentlich eine reine Gitarrenband sind. Doch bei manchen Songs hat es förmlich danach geschrien, dass da noch eine Hammond Orgel oder ein Wurlitzer Klavier zu hören sein musste. Insgesamt machte es uns total Spaß. Zu den Songs kann man sagen, es ist ein tolles Sammelsurium von dem, was EAST BLUES EXPERIENCE ausmacht. Es ist eine Mischung aus Blues, natürlich auch aus Rock, ein bisschen Soul, aber auch ein paar Country-Klänge sind dabei. Ich habe vor einigen Jahren durch den Deutsch-Kanadier Driftwood Holly die Country- und Folkmusik für mich entdeckt, weshalb es mir natürlich richtig Spaß machte, genau diese Nummern zu spielen. Besonders an dem Album ist noch etwas anderes: Wir haben nämlich diesmal gleich zwei deutsche Coverversionen dabei. Zum einen ist es der Song "Blues" von PANTA RHEI, den seinerzeit Ed Swillms komponiert hat und der von Veronika Fischer hervorragend gesungen wurde. Wir alle finden den Song richtig toll und wollten den unbedingt auf der neuen Platte drauf haben. Und dann haben wir noch "Himmelblau" von Ines Paulke gecovert, zu dem Andreas Hähle den Text beigesteuert hat. Es ist immer irgendwie blöd, wenn man von seiner eigenen CD so schwärmt, aber die Scheibe ist wirklich toll geworden und es hat riesigen Spaß gemacht, mit den Jungs zu musizieren. Die Songs wurden allesamt live eingespielt, was ja heute auch nicht mehr üblich ist. Nur die Gesangsparts und ein Gitarrensolo wurden synchronisiert.
Wie viel Zeit habt Ihr denn im Studio verbracht?
Das kann ich Dir so genau gar nicht sagen. Lange war es jedenfalls nicht. Vielleicht zwei, höchstens drei Wochen. Wie gesagt, es klappte vieles auf Anhieb. Nimm beispielsweise Peter oder Adrian, unsere beiden Sänger. Die gehen in die Gesangskabine und meistens waren die Aufnahmen nach dem First Take erledigt. Für mich als Nicht-Sänger ist das phänomenal. Ähnlich ist es mit den Soli, ohne dass ich jetzt zu doll angeben möchte. Manche Basictracks saßen halt gleich. Den ersten Song zum Beispiel haben wir eingespielt und Rainer Oleak meinte: "Den nehmen wir so. Es wäre Quatsch, den nochmal aufzunehmen. Das war perfekt und kann höchstens verschlimmbessert werden". So lief eben die ganze Studioproduktion ab.
Im Januar und Februar 2020 geht Ihr mit dem Album auf große Tour. Da macht Ihr dem Bandnamen alle Ehre, denn sämtliche Konzerte finden nur "in the East" statt. Warum gibt es keine Gastspiele in den gebrauchten Bundesländern?
Das ist für kleinere Bands, wie wir es sind, relativ schwer. Auf der einen Seite muss man die Clubbesitzer verstehen, die sagen, wir können bei ihnen auftreten, aber eben auf eigenes Risiko, da keiner weiß, wie viele Leute kommen. Die Clubs können uns also keine Festgage anbieten. Das verstehe ich, denn so ein Club muss auch überleben und letztlich sind wir Musiker ja davon abhängig, dass es die Clubs auch weiterhin gibt. Und aus Sicht einer Band ist es so, dass wir nicht einfach mal losfahren können. Wir haben dann ja Fahrt- und Hotelkosten und die müssen ja wenigsten wieder reinkommen. Natürlich würden wir sehr gerne überall spielen und ich bin sicher, wir würden auch überall gut ankommen, denn bei EAST BLUES EXPERIENCE geht gerade live dermaßen die Post ab, das ist der blanke Wahnsinn. Das ist also ein echtes Handicap. Bei DRIFTWOOD HOLLY ist es ähnlich. Man will als Veranstalter natürlich kein Minus machen, als Band will man das aber auch nicht. Gut wäre es, wenn man ein paar Sponsoren hätte, die das alles tragen, aber auch die musst Du erst einmal finden.
Wann fangt Ihr denn mit den Vorbereitungen für die Tour an? Oder seid Ihr schon damit zugange? Sind die Proben bei Euch relativ schnell abgefrühstückt oder benötigt Ihr doch ein paar Übungseinheiten mehr?
Im Moment haben wir überhaupt keine Zeit zum Proben, weil Ronny Dehn und ich ja bei SILLY aktiv sind und wir somit fast ein Überpensum zu bewältigen haben. Wenn die SILLY-Tour zu Ende ist, stehen bei mir noch drei Gigs mit DRIFTWOOD HOLLY an. Also ich schätze mal, wir werden erst drei oder vier Tage vor Beginn der EAST BLUES EXPERIENCE-Tour mit den Proben beginnen können. Aber es ist ja in der Band so, dass jeder ordentlich vorbereitet ist und fast alles auf Anhieb klappt, so dass die Proben fast nur pro forma stattfinden. Klar ist, dass wir vor allem die neuen Songs spielen wollen und die vielleicht etwas Übung brauchen, aber mehr Zeit haben wir vorher einfach nicht. Weihnachten ist ja auch noch dazwischen. Aber wir sind alle Profis und jeder muss sehen, dass er seine Parts drauf hat, dann wird das schon.
Du schwärmst ja in den höchsten Tönen von EAST BLUES EXPERIENCE. Wo liegen für Dich denn die größten Unterschiede in der Bandarbeit bei EAST BLUES im Vergleich zu SILLY? Was macht beide Kapellen aus Deiner Sicht so besonders?
Über EAST BLUES EXPERIENCE habe ich gerade genug geschwärmt. Bei SILLY ist es dieses riesige Repertoire an wirklich geilen Songs. Ich habe mich jetzt ja gründlich vorbereitet auf unsere Tour "Zehn Alben - zehn Städte - zehn Shows" und musste mir dafür wieder unzählige SILLY-Songs anhören. Solche, bei denen ich dabei war, aber auch die, bei denen ich noch nicht mitgespielt habe. Und immer wieder entdeckt man dabei Neues, denn man hört sich ja nicht jeden Tag seine eigene Musik an. Durch die Tour-Vorbereitung muss ich es aber machen und bin immer wieder überrascht, was für großartige Songs diese Band hat und hatte. Ich werde oft nach meinem Lieblingssong von SILLY gefragt. Aber ich kann das gar nicht so einfach beantworten, weil es eben so viele tolle Nummern gibt. Klar gibt es ein paar Tendenzen, aber letztlich gibt es unglaublich viele super Songs von SILLY.
Lass uns da mal eintauchen. Die SILLY-Tour im Herbst mit den Gästen AnNa R. und Julia Neigel ist das nächste dicke Ding, was Du vorhast. Wie kam es denn zu der Konstellation mit AnNa R. und Julia Neigel? Und wer kam überhaupt auf die Idee, mit den zehn Alben zehn Städte zu bereisen?
AnNa R. war schon mal auf der Tour "SILLY und Gäste" dabei. Sie war damals noch bei ROSENSTOLZ stark eingebunden und konnte deshalb mit SILLY nur drei oder vier Gigs machen. Sie war aber schon immer ein großer SILLY- und Tamara Danz-Fan. ROSENSTOLZ hatte auch mit "Hurensöhne" und "Wo bist du" zwei SILLY-Songs gecovert. Da gibt es auch die lustige Story, dass wir mal auf einem Konzert gefragt wurden: "Wieso spielt ihr eigentlich einen Song von ROSENSTOLZ?" Und wir mussten klarstellen, dass es eigentlich umgekehrt ist, also ROSENSTOLZ einen SILLY-Song im Programm hat. Da war es also naheliegend, AnNa zu fragen, ob sie Lust hätte und sie hat ohne Zögern "Ja" gesagt. Auch Julia Neigel kennen wir schon ewig. Wir hatten mal irgendwann ein Konzert in Ludwigshafen. Und da waren wir mit Tamara und SILLY die Vorband von Jule Neigel, die damals gerade mit "Schatten an der Wand" einen Riesenhit hatte. Wir hatten dann öfter mal losen Kontakt miteinander. So hatte ich zum Beispiel mal mit ihr bei der "Hope-Gala" in Dresden zu tun und auch später lief man sich immer mal über den Weg. Sie spielte u. a. auch bei Maschine mit, was nicht verwunderlich ist, denn sie ist nach wie vor eine hervorragende Sängerin und großartige Rockröhre. Wenn man sich ein paar alte Songs von SILLY anhört, schreien die förmlich nach einer solchen Stimme. Also fragten wir auch bei Julia nach und sie gab uns ohne langes Zögern ihre Zusage.
Mit diesen beiden Sängerinnen verfügt SILLY ja nun über zwei unterschiedliche Stimmen und Sängerinnen, die auch verschiedene Stimmungen bedienen können. Während Julia die Rockröhre ist, ist AnNa eben eher für die ruhigen, zerbrechlichen Songs zuständig. Waren diese unterschiedlichen Stimmen auch die Herausforderung, das Ganze entsprechend umsetzen zu können?
Wir wollten ohnehin nicht nur mit einer einzigen Sängerin auf Tour gehen, denn das Prinzip von "SILLY & Gäste" ist ja eben, dass wir uns zwei Gäste suchen, die zusammen passen, aber trotzdem unterschiedlich sind. Alles andere würde keinen Sinn ergeben. Anfangs stand sogar die Idee mit drei Sängerinnen im Raum, doch das ist logistisch ja noch schwerer zu stemmen. Und nun haben wir halt zwei gefunden, von denen die eine die Rockröhre ist und die andere eher ruhiger rüberkommt, aber trotzdem etwas Schmutziges in der Stimme hat. Das passt gut. Wir haben die ersten Proben hinter uns und hatten sogar schon einen kleinen, geheimen Vorab-Gig. Wir haben da eine Stunde zusammen gespielt, was für uns sehr wichtig war, um mal auszuprobieren, wie das live läuft und funktioniert. Und ich muss sagen, es war super. Hinzu kommt, dass sich keine der beiden zu schade ist, auch mal die zweite Stimme oder den Chor zu geben, wenn die andere den Hauptpart singt. Das finde ich toll, denn das würde längst nicht jeder Sänger mitmachen.
Gab es für diese Aufgabe noch andere Optionen oder waren nur AnNa und Julia im Gespräch?
AnNa und Julia waren tatsächlich unsere beiden Favoritinnen und als sie beide ihre Zusage gaben, fiel uns ein Stein vom Herzen. Aber natürlich gab es auch in ganz andere Richtungen ein paar Überlegungen, die wir dann gar nicht weiter verfolgt haben. Übrigens haben sich auch von ganz alleine Sängerinnen bei uns gemeldet und ihr Interesse bekundet, mal bei SILLY mitzumachen. Da waren durchaus bekannte Namen dabei, die ich jetzt aber nicht nennen will. Und, das will ich nicht unterschlagen, es waren nicht nur Sängerinnen dabei, sondern auch Sänger! Doch wir hatten ja die Zusagen von AnNa und Julia, deshalb mussten wir das alles nicht weiter verfolgen. Unsere Wünsche hatten sich erfüllt, was wollten wir also noch lange überlegen. Wenn es sich natürlich während der Proben herausgestellt hätte, dass es wider Erwarten doch nicht funktioniert, na gut, dann hätten wir die Karten logischerweise neu mischen müssen.
Wie oft wird denn nun für die anstehende Tour geprobt? Wird das eher intensiv ablaufen oder habt Ihr noch gar nicht damit angefangen?
Du musst wissen, wir bereiten uns jetzt auf insgesamt 65 Songs vor. Das ist ein Riesenpensum, welches ich so in meiner langen Musikerkarriere noch nie zu bewältigen hatte. Das muss man sich mal überlegen! Du musst Dir die Songs ja nicht nur wieder neu raus hören, sondern am Ende musst Du sie beherrschen und auswendig können. Das ist wirklich enorm, was wir uns selber durch das Prinzip "Zehn Alben - zehn Städte - zehn Shows" aufgehalst haben. Wir spielen eine Art Best of-Programm, wo Songs aus allen zehn Alben dabei sein werden, die wir einfach spielen müssen. "Bataillon d'amour", "Mont Klamott", "Wo bist du" oder "Asyl im Paradies" und einige andere können wir einfach nicht weglassen. Aber da will ich noch nicht zu viel verraten, denn es soll ja auch die eine oder andere Überraschung dabei sein. Und an jedem Abend werden wir drei bis vier Songs spielen, die wirklich nur an dem jeweiligen Abend stattfinden. Das sind also schon vierzig Songs, auf die man sich vorbereiten muss, von denen aber jeweils vier nur einmal aufgeführt werden. Das ist schon heftig, aber diese Idee kommt super an. Der Vorverkauf läuft hervorragend, Berlin war sofort ausverkauft. Da machen wir jetzt noch ein Zusatzkonzert, nämlich eine öffentliche Generalprobe. Dresden, Leipzig und Magdeburg sind auch schon ausverkauft. In Weimar, Rostock und Neubrandenburg sind nur noch wenige Karten vorhanden, wer also noch kommen will, der muss sich beeilen. Das ist natürlich super, zumal man bedenken muss, dass die Werbetrommel dafür eigentlich erst jetzt so richtig gerührt wird. Im September ging es los mit Interviews und Fernsehen, wir waren beispielsweise bei der "Goldenen Henne" dabei. Dann kommen noch die Printmedien dazu. Und trotzdem ist schon die Hälfte der Tour ausverkauft, nur durch Präsenz auf Facebook und generell im Internet. Es gibt tatsächlich Fans, die zehn Karten gekauft haben! Davor ziehe ich wirklich den Hut, das ist Wahnsinn.
Das kann ich mir gut vorstellen, denn Du sagt es ja gerade, dass von den zehn Shows keine wie die andere sein wird. Es wird exklusive Songs geben, das ist schon was. Gibt es denn ein Konzert oder ein Album, auf das Du Dich selber besonders freust?
Das werde ich sehr oft gefragt. Aber die Frage ist sehr schwer zu beantworten. Da sind gerade bei den älteren Alben so viele Sachen dabei, die ich noch nie gespielt habe oder wenn, dann noch mit Tamara in den Neunzigern. Wenn ich mich nun aber entscheiden müsste, gefällt mir wohl das "Paradies"-Album am besten. Es war das letzte Album mit Tamara, und sie hat da auch alle Texte ganz alleine geschrieben. Ganz hervorragende Texte übrigens. Wir hatten damals im ersten eigenen Studio zwangsläufig richtig viel Zeit, um die Platte zu produzieren.
Du sagtest gerade, die ganze Vorbereitung und die Proberei für die Tour sind sehr anstrengend und aufwändig. Zumal ja auch Platten dabei sind, an deren Entstehung Du gar nicht beteiligt warst. Unter welchen Aspekten habt Ihr die Lieder ausgesucht, die letztendlich aus den Alben extrahiert und gespielt werden?
Ach hör bloß auf… SILLY hat ja ein unglaubliches Repertoire. Im Prinzip könnten wir acht Stunden lange Konzerte spielen, ohne dass uns dabei langweilig werden würde. Deshalb ging es auch bei uns nicht so einfach ab. Der eine wollte unbedingt diesen Song haben, der andere aber lieber jenen und am Ende war es meistens ich, der zur Ordnung mahnte und sagte: "Leute, es sind alles absolut geile Songs, aber wir müssen uns mal irgendwann entscheiden, welche wir nun ins Programm nehmen". Dann kamen auch noch Julia und AnNa dazu, die natürlich auch so ihre Favoriten hatten, die sie gerne singen wollten. Irgendwann waren wir dann aber so weit, dass wir die Setlisten zusammen hatten. Ein Grundprogramm von 60 bis 90 Minuten haben wir uns schon erspielt und geprobt. In ca. vierzehn Tagen treffen wir uns wieder und dann geht es weiter.
Wer von Euch wird denn "Der letzte Kunde" vortragen? Das ist ja eigentlich ein reiner Männersong, ohne den Ihr aber sicher nicht von der Bühne gelassen werdet.
Da hast Du Recht, aber das wissen wir wirklich noch nicht. Am liebsten wäre uns natürlich gewesen, wir hätten mit Mike Schafmeier den Originalsänger dabei, doch das geht wohl irgendwie nicht.
Da kannst DU Dich ja mal dran versuchen.
lacht… Nein, das lassen wir lieber, ich bin nun wirklich kein Sänger. Die Entscheidung bleibt also noch offen. Wir haben diese Frage auch schon mal in einem Internet-Interview gestellt bekommen und die Fans sind ebenfalls schon sehr gespannt, auf wen die Wahl fallen wird.
"Der letzte Kunde" wäre ja ein ganz besonderes Stück, was Ihr ja durchaus mit ins Best of-Programm nehmen könntet.
Nein, ins Programm wollten wir die Nummer nicht einbauen. Der Song ist ja noch vom ersten SILLY-Album "Tanzt keiner Boogie" und sehr speziell. Zumal Tamara ja immer sagte, für sie geht SILLY erst beim "Mont Klamott"-Album los. "Tanzt keiner Boogie" war mehr ein Sammelsurium der verschiedensten Produktionen vom Rundfunk und von AMIGA über mehrere Jahre hinweg. Die Platte war also regelrecht zusammengestückelt. Und wenn Du meine persönliche Meinung dazu hören willst: "Der letzte Kunde" ist zwar ein Hit, keine Frage, aber nicht wirklich SILLY-typisch. Und deshalb gehört der für mich und auch für die anderen Bandmitglieder nicht ins Best of-Programm. Da gibt es ganz andere Songs, die unbedingt gespielt werden müssen.
Die beiden Damen AnNa R. und Julia Neigel werden offiziell als Gäste geführt, denn sie vertreten auf dieser Tour ja Tamara Danz als Sängerin. Wäre das für SILLY nicht auch ein gutes Konzept für die Zukunft, auf den kommenden Touren und Platten mit wechselnden Sängern und Sängerinnen zu arbeiten? Also so ähnlich wie beim CLUB DER TOTEN DICHTER von Maxs Repke, wo das ja auch gut funktioniert?
Wir spielen auf der Tour ja auch Songs aus der Ära nach Tamara Danz, denn diese Zeit gehört ebenfalls zu SILLY. Seit 2010 sind drei Platten entstanden, auf denen großartige Nummern drauf sind. Ich sage nur "Alles rot" oder "Vaterland". Wir wollen jetzt erst einmal die Tour anständig über die Runden bringen, sehen, wie alles ankommt bei den Fans. Das Interesse zeigt uns jedenfalls, die Leute lehnen uns nicht ab, sondern sind neugierig und freuen sich auf uns. Und dann wird man sehen, wie es weitergeht, wir sind da ziemlich offen und wollen uns überhaupt nicht festlegen. Vielleicht wird eine feste Zusammenarbeit daraus, vielleicht läuft es auch auf das hinaus, was Du eben gesagt hast. Das wäre, wie ich finde, auch ein interessantes und gutes Konzept. Es gibt ja neben dem CLUB DER TOTEN DICHTER auch international ein paar Bands, die nach diesem Muster verfahren. Wir haben uns bewusst noch nicht entschieden, was in der Zukunft passiert, also abwarten.
Okay, dann lassen wir die aktuellen Ereignisse an dieser Stelle mal für einen Moment ruhen, denn ich möchte unseren Lesern auch gerne den Musiker Jäcki Reznicek ein bisschen näher vorstellen. Lass uns dafür in die Tiefen der Geschichte eintauchen. Bist Du dafür bereit?
Na klar, leg los.
Vorneweg die Frage: woher kommt Dein Spitzname Jäcki? Okay, es kommt vom Vornamen. Aber seit wann hast Du den Spitznamen und wer hat ihn Dir verpasst?
Den Namen trage ich seit der 10. Klasse. Und wenn man weiß, wie alt ich bin, dann wird klar, dass das schon ziemlich lange her ist. Es gibt gleich zwei Entstehungsgeschichten. Zum Einen stammt er von meinem Nachnamen Reznicek ab (Anm. d. R.: Betonung liegt auf "…cek", gesprochen …tschäck). Gleichzeitig machte ich ja damals auch schon Musik und war Sänger in einer Schüler-Beatkapelle. Wir waren total verrückt nach dieser ganzen englischen Musik und waren uns einig, wir müssen uns unbedingt englische Namen geben. Und so kamen wir darauf, dass Hans auch Jack heißen könnte. Daraus wurde dann Jäcki, das gefiel mir. Diese beiden Geschichten fielen also zeitlich ziemlich zusammen und so bin ich seitdem Jäcki. Die meisten Leute kennen meinen echten Vornamen ja gar nicht, was ich aber auch gar nicht schlimm finde.
Vor knapp 15 Jahren haben wir beide für ein 80er Jahre-Portal ein Interview gemacht. Ich erinnere mich noch genau, dass Du mir damals erzählt hast, Du wolltest schon immer Bassist werden und nicht etwa Gitarrist.
Ja, das stimmt. Diese Story gehört auch richtig zu mir. Ich war mit zwölf, dreizehn Jahren wie schon gesagt ein großer Fan der damaligen Beatmusik und bin es übrigens noch heute. Mir hatten es damals Bands wie THE WHO, THE KINKS, ROLLING STONES, BEATLES und andere Bands, die es so gab, angetan. Insbesondere nahmen mich die BEATLES gefangen, deren großer Fan ich immer noch bin. Und aus irgendwelchen Gründen war ich besonders verzückt von Paul McCartney. Ich fand es toll, wie der gesungen hat und ich wollte ebenso toll singen können, genauso gut Bass spielen können wie er, ich wollte so klasse aussehen wie Paul, ich wollte so gute Songs und Texte schreiben wie er, ich wollte so berühmt werden wie er, ich wollte so viel Geld verdienen und natürlich wollte ich auch so viele Mädchen haben wie er. Also genau das, wovon man mit vierzehn Jahren eben so träumt. Manches klappte ja später, manches leider nicht.
Hast Du denn sofort das Bassspielen gelernt oder gab es vorher noch andere Instrumente?
Paul McCartney war der Grund, weshalb ich sofort Bass spielen wollte. Erst viel später erfuhr ich, dass Paul ja eigentlich Gitarrist war und ist, und dass er nur zwangsläufig zum Bassgitarristen wurde. Nun war es ja so, dass man zu DDR-Zeiten nicht mal einfach so an einen Bass gekommen ist, weshalb ich auch erst mal auf einer Gitarre anfing zu spielen. Später schwenkte ich dann aber doch auf Bassgitarre um und es ergab sich, dass in meinem Heimatort Dresden jemand einen selbstgebastelten Beatles-Violin-Bass hatte. Der wollte den verkaufen und obwohl sich das Ding unmöglich spielen ließ, war ich unglaublich stolz, dass ich nun so einen Bass hatte wie mein Vorbild. Zumindest sah der Bass von weitem so aus. In unserer Schülerband war ich also wie gesagt der Sänger und der Bassgitarrist. Wir hatten auch einen Gitarristen, der dann irgendwann aber nicht mehr gut genug war. Wir beschlossen deshalb innerhalb der Band, dass er lieber die Bassgitarre spielt, weil es da nicht so auffiel. Und ich übernahm dafür zwangsläufig die Gitarre. Ich fummelte mich da auch recht gut ein, aber trotzdem wurde es niemals mein Instrument. Ich fühlte mich immer wieder zum Bass hingezogen. Das war schon komisch. Es gibt ja die unbewiesene Behauptung, dass sich manche Charaktere bestimmten Instrumenten zuwenden. Ob das immer so stimmt, sei mal dahin gestellt. Irgendwann jedenfalls war unser Freund dann auch am Bass dermaßen schlecht, dass es nicht mehr weiterging mit ihm und wir uns einen guten Gitarristen einkauften, so dass ich wieder an meinen geliebten Bass zurück konnte. Dabei ist es zum Glück bis heute geblieben.
In Deiner Jugend war also die Musik das vorherrschende Thema. Du warst also nicht unbedingt der Junge, der mit anderen auf Bäume geklettert ist oder Fußball gespielt hat. Warst Du wirklich hauptsächlich im Keller zu finden, um mit anderen Gleichgesinnten die Musik der BEATLES nachzuspielen?
Natürlich habe ich als Kind auch Burgen gebaut oder Abenteuerspiele gespielt. Fußball spielte ich nicht, aber dafür Handball. Sogar aktiv in einer richtig guten Mannschaft. Ich sage immer, mit etwas Glück hätte ich auch eine Karriere als Profihandballer in der DDR machen können. Dann ging es aber mit der Musik los und die hatte mich so gepackt, dass ich mich eines Tages entscheiden musste, wo es hingehen sollte. Als Handballer hatte man ja zwangsläufig auch mal blaue Finger oder geschwollene Hände und man konnte nicht mehr spielen. Deshalb musste ich eins von beiden sein lassen und zum Glück entschied ich mich gegen das Handballspielen, denn als Handballer wäre meine Karriere schon lange vorbei. Aber das Ganze geht ja noch viel weiter. Ich werde zum Beispiel oft gefragt, was ich jungen Menschen sage, die Musiker werden wollen und mich fragen, was auf dem Weg dahin das Wichtigste ist. Ich sage ihnen dann immer, man muss dafür brennen und das wirklich wollen. Wenn man nur halbherzig dabei ist, wird das nichts. Genauso war es bei mir. Ich wollte das unbedingt, habe mich zur Musik regelrecht hingezogen gefühlt und dann macht man auch alles Mögliche, um ans Ziel zu kommen. Uns Musiker zwingt ja niemand, zu üben oder Songs zu schreiben. Der Antrieb muss schon von alleine und von innen heraus kommen.
Wann bist Du denn in Deine erste Band eingestiegen bzw. wann hast Du Deine erste Band gegründet?
Meine erste Band habe ich zusammen mit meinem Bruder gegründet. Das war diese Schülerband, von der ich vorhin gesprochen habe. Lass mich überlegen… das muss so 1968/69 gewesen sein.
Kannst Du Dich auch noch an Deinen allerersten Auftritt vor Publikum erinnern?
Ja klar. Wir hatten ja anfangs noch nicht so viel eigenes Material. Und damals ging man immer zu irgendwelchen Bands, die ja zu der Zeit noch viel und oft spielten. Es war quasi an jedem Wochenende irgendwo was los. Und egal, ob man die Band nun kannte oder nicht, man ging oft zu denen hin und fragte, ob man nicht in der großen Pause mal auf ihrer Bühne ein paar Songs spielen darf. Dazu musst Du wissen, die Bands gaben damals ja keine Konzerte, sondern die spielten zum Tanz. Das dauerte schon mal sechs, sieben Stunden und natürlich war es dann auch üblich, dass die Bands zwischendurch mal Pausen machten. Die größeren Pausen zogen sich manchmal bis zu 45 Minuten hin. Und während solcher Pausen hatten wir unsere ersten größeren Auftritte. Für uns war das immer schön und ziemlich aufregend, weil man dadurch schon mal über gute Verstärker spielen und in gute Mikrofone singen konnte. Ach, da fällt mir gerade noch ein, dass einer meiner allerersten Auftritte in Dresden-Lockwitz zu einer Schulfeier war. Allerdings spielten wir da nur einen einzigen Song, und zwar "The last time" von den ROLLING STONES.
Es heißt, Du seiest mit Deiner ersten Kapelle bei der notwendigen Einstufung, die man ja in der DDR haben musste, gescheitert. War das mit dieser Schülerband und stimmt die Geschichte denn überhaupt?
Ja, die Geschichte stimmt. In der DDR musste man ja, um überhaupt Geld verlangen zu dürfen, eine Einstufung vorweisen und konnte dann so und so viel Geld verlangen. Natürlich hat man das in der Praxis niemals so gehandhabt, sondern hat sich mit dem Kneiper oder sonstigem Veranstalter vorher unterhalten und gefragt: "Was gibst Du mir?" Der Kneiper war in der Regel zufrieden, denn die Bands zogen Publikum und das Publikum wiederum sorgte für seinen Getränkeumsatz. Da fragte niemand nach dem Ausweis bzw. der Einstufung der Band, aber manchmal kam man eben doch nicht daran vorbei. Jedenfalls gab es ja in der DDR diese 60:40-Quotenregelung. Also für die, die das nicht kennen: 60% der gespielten Songs mussten aus der DDR kommen, die anderen 40% durften aus dem kapitalistischen Ausland sein. Wir haben jedoch überhaupt keine DDR-Musik gespielt und auch keine Schlager aus dem Westen, sondern wir spielten zu 100% verbotene Musik. Bei der Einstufung konnten wir das natürlich nicht machen. Das bedeutete, dass wir uns für diese halbstündige Einstufungsveranstaltung irgendwelche Songs draufdrücken mussten, in die wir keinerlei Herzblut steckten und auf die wir auch null Bock hatten. Dementsprechend schlecht waren wir dann wohl auch. Die Kommission, die uns prüfte, bestand aus Kulturfunktionären, Instrumentallehrern und sonstigen Leuten. Die sagten zu uns, wir wären so schlecht gewesen, dass man uns den Einstufungsnachweis nicht geben könne. Aber wenn wir uns verpflichten würden, Instrumentalunterricht zu nehmen, könnten wir in einem halben Jahr wieder vorbei kommen. Für dieses halbe Jahr bekamen wir eine befristete Spielerlaubnis und waren darüber natürlich happy. Für mich kam hinzu, dass in dieser Kommission auch ein Basslehrer saß, nämlich Werner Stürmer, der sich mir dann gleich als Basslehrer anbot. Ich nahm dankend an, denn ich wollte ja auch wirklich Unterricht nehmen. Als dann ein halbes Jahr später der Termin für die nächste Einstufung dran war, gab es die Band schon nicht mehr. Aber ich konnte für mich sagen, dass ich guten Unterricht bekam, wofür ich meinem Lehrer auch heute noch sehr dankbar bin. Ich machte dann übrigens eine Soloeinstufung, das war nämlich auch möglich.
Dein Weg führte anschließend zur Musikhochschule Dresden. Gab es alternativ zur Musikerlaufbahn für Dich noch andere berufliche Optionen? Hast Du nach der Schule vielleicht sogar eine ganz andere Ausbildung angefangen?
Man kann es als Jugendlicher natürlich noch gar nicht richtig einschätzen, aber ich spürte schon früh, dass mein Herz eigentlich nur für die Musik schlägt. Besonders für die Bassgitarre. Natürlich habe ich auch einen Beruf erlernt, und zwar entschied ich mich für Elektromonteur mit Abitur. Der Beruf an sich war mir völlig egal, ich hätte auch Klempner oder sonst was gelernt, Hauptsache ich konnte Musik machen. An die Idee, Profimusiker zu werden, dachte ich damals überhaupt noch nicht, das war alles jenseits von Gut und Böse. Letztlich war es mein Lehrer Werner Stürmer, der meine Eltern und mich dazu überredete, mich an der Musikhochschule in Dresden zu bewerben. Für mich war das der Olymp, Musik studieren zu dürfen. Ich ging also eines Tages zu der Aufnahmeprüfung und hatte eine richtige Leck-mich-am-Arsch-Stimmung, denn ich war überzeugt, dass die mich sowieso nicht nehmen. Mein Lehrer kam mit zur Prüfung und war aufgeregter als ich. Am Ende hatte ich die Prüfung im Hauptfach Bass bestanden. Dazu kamen aber noch Prüfungen in Musiktheorie und am Klavier. Und in der Klavierprüfung bin ich durchgefallen, weil ich natürlich nicht Klavier spielen konnte. Lothar Spiller, mein späterer zweiter Lehrer, erklärte dann aber, dass er mich gerne nehmen würde. Ich musste mich verpflichten, in dem kommenden Jahr bis zum Beginn meines Studiums Klavierunterricht zu nehmen, und damit war das Thema gegessen. Von da an hatte mich das Fieber gepackt und ich schwor mir, alles daran zu setzen, um den Studienplatz auch wirklich zu bekommen. Das meinte ich vorhin mit dem "man muss brennen". Du musst Dir vorstellen, ich hatte Elektromonteur gelernt, war weit weg von Dresden in einem Internat, musste aber zum Klavierunterricht immer wieder nach Dresden fahren und spielte an den Wochenenden mit meiner Band. Das musst Du wirklich wollen, sonst tust Du Dir das alles nicht an. Ich musste ja auch immer mit der Bahn fahren, denn ein Auto oder Motorrad hatte ich noch nicht. Außerdem war es so, dass sich meine Kumpels mit ihren Freundinnen trafen oder in die Kneipe gingen, um Bier zu trinken, während ich im Kulturraum saß und Klavier übte. Wie gesagt, das muss man wollen und nicht etwa doch lieber ein Bierchen trinken gehen. Heute bin ich froh, dass ich damals so gebrannt habe.
Bist Du noch während Deines Studiums zu Klaus Lenz gekommen oder war das später?
Ja, das war während des Studiums.
Und wie kamst Du in die Band von Klaus Lenz? Hat er Dich entdeckt oder wie lief das ab?
Ich war schon immer so ein Typ, dem jede Musik gefallen hat. Louis Armstrong sagte mal: "Es gibt keine schlechte Musik, es gibt nur schlecht gespielte Musik". Deshalb hatte ich schon mit siebzehn, achtzehn Jahren gar keine Berührungsängste mit Musik. Schon im ersten Studienjahr habe ich in Dresden in allen möglichen Hotels und Bars in sogenannten Bar-Bands gespielt und wurde dafür von meinen Kommilitonen ausgelacht, wie ich denn nur so eine Musik machen könne. Aber a) verdiente ich dadurch schon richtig Geld und b) hatte ich dadurch bereits gigantisch viele Erfahrungen gesammelt. Gleichzeitig hatte ich noch eine Bluesband am Start und spielte in einigen kleineren Jazzbands mit, da ich auch ein großer Jazzfan war. Du merkst also, ich habe schon ganz früh alles Mögliche gemacht. Und irgendwann bin ich dann von der einen Bar-Band in die nächstbessere aufgestiegen, verdiente mehr Geld, musste nicht mehr so lange spielen und auch das Niveau war schon etwas höher. Von dort kam ich dann als Aushilfe zum MANFRED LUDWIG SEPTETT, die eine sogenannte KGD-Kapelle waren. Die begleiteten also mit ihrer Kapelle für die Konzert- und Gastspieldirektion Artisten und Sänger. Das war eine ziemlich harte Schule, denn Du bekamst erst kurz vor dem Auftritt die jeweiligen Noten, dann wurde eingezählt und Du musstest spielen. Nach dem großen Galaprogramm wurde dann noch zum Tanz aufgespielt. Natürlich waren das alles hervorragende Musiker, die auch sämtlich viel älter waren als ich Jungspund. Später gab es dann noch eine Band namens PROJEKT SOUL, die hauptsächlich Soulmusik gemacht hat. Ich habe also quer durch den Gemüsegarten gespielt. Wie kam ich denn nun zu Klaus Lenz? Also Du musst Dir vorstellen, wenn irgendwo die KLAUS LENZ BIGBAND gespielt hat, war das für die Musiker ein Muss, dorthin zu gehen, weil es wirklich immer super war, was dort geboten wurde. Lenz hatte immer großartige Musiker in der Band, die man stellenweise noch gar nicht kannte. Für uns waren das die Musikgötter. Wir nannten diese Musik damals Bigbandrockjazz. Und plötzlich bekam ich ein Telegramm, wo drin stand, dass ich mich sofort unter dieser Telefonnummer bei Klaus Lenz melden soll. Was??? Der große Klaus Lenz schickt mir ein Telegramm??? Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen! Ich war doch nur ein 20-jähriger Musikstudent, der nachts in der Bar spielte und am Wochenende Blues machte! Also nahm ich meinen Mut zusammen und meldete mich bei Klaus Lenz. Der sagte zu mir: "Ich habe gehört, Du sollst richtig gut sein. Kannst ja mal nach Berlin kommen". Das tat ich dann auch und hatte eine richtige Audition, also eine Art Vorspiel. Die ganze Bigband saß dort rum und hörte zu. Ich musste Sachen vom Blatt spielen, was ich ja vorher beim MANFRED LUDWIG SEPTETT bereits geübt hatte. Ich musste improvisieren, was ich durch meine Jazz- und Bluesbands konnte. Trotzdem hatte ich auch hier wieder, wie schon seinerzeit bei der Hochschulprüfung, so eine Egal-Stimmung. Ich konnte mir nicht vorstellen, was die mit so einem jungen Bassisten aus Dresden anfangen wollten. Und das rettete mich wahrscheinlich am Ende, denn sie haben mich genommen. Zwar flog ich kurz danach wieder raus, weil der bisherige Bassist wohl sein Veto einlegte. Klaus Lenz brachte mich sogar zum Zug und sagte mir: "Jäcki, mach Dir keine Sorgen, in spätestens vier Wochen melde ich mich wieder bei Dir". Und so spielte ich plötzlich in der größten und angesagtesten Jazzband der DDR. Es war ja auch deshalb so erstaunlich, weil dort alles ältere Musiker spielten, die auch alle tausendmal besser waren als ich. Da habe ich natürlich unglaublich viel gelernt. Allerdings brauchte man auch ein hartes Fell und musste viel einstecken können. Und auch hier stelle ich wieder fest, wenn man nicht hundertprozentig für die Sache brennt, wird das nichts. Ich studierte in Dresden an der Hochschule, gleichzeitig probte ich in Berlin mit der KLAUS LENZ BIGBAND und gab mit denen auch schon Konzerte, und nicht zu vergessen: ich spielte ja auch immer noch mit meiner Band PROJEKT SOUL. Und das alles mit dem Zug! Das ist schon Wahnsinn gewesen.
Man muss nicht nur brennen, sondern wenn man Dir so zuhört, dann wird klar, man darf sich auch für nichts zu schade sein, denn alles, was Du gemacht hast, hat Dich in irgendeiner Form ein Stückchen weitergebracht.
Genau das meine ich ja damit. Man kann nur vieles immer gar nicht so genau abschätzen und muss höllisch aufpassen, dass man sich nicht irgendwie dabei verzettelt. Aber ich hatte wohl immer ein gutes Gespür für die Situation und manchmal sicher auch ein bisschen Glück. Aber wenn man den Lottoschein nicht abgibt, kann man auch kein Glück haben. Abgesehen davon wird man auch niemals dümmer dabei. Und man kriegt Respekt vor der Musik, auch wenn man nicht unbedingt ein Fan dieser Musik ist. Das muss auch nicht sein, aber man bekommt Respekt vor der Leistung der Musiker. Ich zum Beispiel habe jahrelang Country-Musik abgelehnt, weil ich das einfach furchtbar fand. Und irgendwann fuhr ich mal in die Vereinigten Staaten und im Radio lief ausschließlich Country-Musik. Da merkte ich erstmals, wie geil diese Musik eigentlich war! Und warum lehnte ich die davor immer ab? Weil ich nur die schlechte Country-Musik aus der DDR kannte. Und da sind wir wieder bei dem vorhin genannten Satz von Louis Armstrong.
Um das Ganze mal zeitlich ein bisschen einzutakten: Einen störungsfreien Beginn einer Musikerkarriere gab es ja in der DDR fast nie. Wann hat Dich denn die Armee geholt und Deinen musikalischen Werdegang unterbrochen?
Ich war auf der Elektromonteurschule in Falkenberg/Elster. Das war irgendwo zwischen Torgau und Cottbus. Dort war ich im Internat und hatte meine Schülerband. Wie das so ist, kam dann die Einberufung zur Armee. Jetzt muss man wissen, ich hatte als Kind einen Herzfehler, lag monatelang im Krankenhaus und musste auf unzählige Kuren fahren. Irgendwann galt der Herzfehler dann als geheilt. Ich wollte natürlich nicht zur Armee und nahm einfach mal alle meine Unterlagen mit. Die interessierte das zwar alles nicht, aber sie schickten mich nochmal zur Untersuchung bei ihren Armeeärzten. Und da wurde mir dann nach etlichen Untersuchungen mitgeteilt, dass ich leider dauerhaft ausgemustert und für den Wehrdienst nicht geeignet bin. Ich natürlich: "Och ist das schade…" (lacht). Am Abend habe ich das dann mit meinen Kumpels ausgiebig gefeiert. Die Armee hatte mich also nicht erwischt und konnte demzufolge nichts in meinem Leben durcheinanderbringen.
1979 ging es dann bei Dir weiter, als Du zu Veronika Fischer gewechselt bist. Du bist also quasi vom Jazz zum Pop gesprungen. Auf welchen Wegen hast Du denn zu Vroni gefunden? Und warum bist Du überhaupt bei ihr eingestiegen, denn musikalisch war das ja doch etwas ganz anderes.
Du hast es ja gehört, ich habe fast alles mal gespielt, aber mein Herz schlug immer noch für den Jazz, besonders für den Free Jazz, der in der DDR ja hervorragend besetzt war. Ich selber habe auch die eine oder andere eigene Free Jazz-Band gegründet, oft auch in Form eines Duos. Durch meine Leidenschaft zum Free Jazz wurde ich sogar mal eingekauft durch einen Klassik-Professor namens Günther Philipp, der sich auf die Fahnen geschrieben hatte, die Improvisation auch wieder zurück in die Klassik zu holen. Also das war schon alles auf einem sehr hohen Niveau. Vor allem war daran bemerkenswert, dass Günther Philipp, der zu den berühmtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit zählte, einen Musikstudenten in seine Band holte. Die Krönung des Ganzen war dann für mich aber wirklich die KLAUS LENZ BAND. Es war ja damals gerade die hohe Zeit des Rockjazz mit Namen wie Miles Davis oder Jaco Pastorius. Da passte unsere Bigband gut rein. Wir spielten mit Klaus Lenz auch viel im sozialistischen Ausland. Unter anderem traten wir beim "Debrecen Jazz Festival" auf, wo wir mit Zbigniew Namyslowski zusammen spielten, der damals einer der weltberühmtesten Saxophonisten war. Mein Herz schlug also schon mehr für den Jazz als für irgendeine andere Musik. Trotzdem bin ich immer offen für andere Stilistiken, weshalb ich wohl auch ein Gespür entwickelt habe, gute Musik zu erkennen. Dadurch kannst Du auch als Jazzfan einschätzen, ob eine Schlagerband gut ist. Dadurch wurde ich auf Veronika Fischer aufmerksam, die damals bereits einige große Hits hatte. Das ist zwar auch so eine Art Pop-Chanson-Schlager, aber irgendwas war bei ihr anders. Da hörte man andere akkordische Strukturen heraus, der Groove war ein anderer. Vroni suchte jedenfalls gerade eine neue Band. Und der Keyboarder, den sie sich eingekauft hatte, war der von der KLAUS LENZ BIGBAND und der hieß Christian Pittius. Dazu kam unter anderem Axel Stammberger und noch ein paar andere. Letztlich hatte Vroni sich eine Band aus Jazzern zusammengestellt. Eigentlich hatte die Band schon einen Bassisten, aber der hatte Christian "Pitti" Pittius nicht so gefallen. Irgendwann fragte er mich dann, ob ich mir vorstellen könne, in der VERONIKA FISCHER BAND mitzumachen. Als ich dann sagte, dass ich mir das durchaus vorstellen könne, fiel Pitti völlig ins Essen vor Überraschung und Freude. Der dachte nämlich, ich wäre ausschließlich ein Hardcore-Jazzfan. Ich weiß noch wie heute, dass wir dann eines Tages mal mit Klaus Lenz in Berlin spielten und plötzlich sah ich Veronika Fischer im Publikum. Das war natürlich wieder mal sehr aufregend für mich, denn ich kannte Vroni bis dato nicht. Zumal Vroni ja zu der Zeit bereits weltberühmt in der DDR war (lacht). Es war aber gar nicht so einfach, zu Vroni in die Band zu kommen, denn verständlicherweise war Klaus Lenz nicht sehr amüsiert darüber. So nach dem Motto: "Erst entdecke ich Dich und dann kehrst Du mir den Rücken". Aber manchmal muss man eben auch eine unpopuläre Entscheidung treffen. Und siehe da, ein halbes Jahr später blieb Klaus Lenz im Westen.
Franz Bartzsch schrieb ja die ganzen großen Hits für Vroni, der ja ohnehin in Sachen Songwriting ein recht talentierter Mann war. Wie drückt man sich denn Lieder von Franz Bartzsch drauf, wenn man wie Du doch eigentlich vom Jazz kommt?
Zunächst hatten wir ja eine andere Band, die ausschließlich aus Jazzmusikern bestand. Das Tolle an dieser Band war, dass wir, nachdem Vroni die Band zusammengestellt hatte, erst mal ein Jahr, ich wiederhole: ein Jahr (!) nur im sozialistischen Ausland gespielt haben. Wir waren also in der DDR gar nicht präsent. Natürlich flüsterte man sich zuhause hinter der Hand zu, dass die Fischer eine neue Band hätte und dass das alles bekannte Musiker seien, die darin spielen. Man fragte sich dann natürlich auch, wann die denn mal in der DDR zu sehen sein würden. Nach diesem einen Jahr nur im Ausland waren wir natürlich wahnsinnig gut eingespielt. Den ersten Auftritt hatten wir dann bei "Rock für den Frieden", wo den Leuten vor Staunen die Kinnlade runterfiel. Später stießen dann noch Thomas Natschinski und Micha Behm dazu. Und eines schönen Tages wollte Vroni dann doch wieder mit Franz Bartzsch zusammen arbeiten - warum auch immer. Nun musst Du wissen, dass ich der einzige war, den sie aus ihrer zweiten Band behalten hatte. So kam ich zu Franz Bartzsch in die Band, zusammen mit Frank Hille und Jürgen Ehle, den ich bis dahin überhaupt nicht kannte. Und wieder kannte meine Aufregung keine Grenzen, denn das waren erneut hervorragende Musiker, die noch dazu viel älter waren als ich. Nun kam ich mit meinem Jazz-Verständnis dahin und musste feststellen, die spielten ganz anders. Da gibt es auch eine Story, die für mich nicht so toll war, die aber absolut hörenswert ist. Bei einer unserer ersten Proben brach Franz Bartzsch plötzlich ab und sagt zu mir: "Jäcki, das ist ja alles schön und gut, wie Du hier Bass spielst. Aber erstens zerspielst Du mir den Song mit Deinem ganzen Bassgeklimper und zweitens ist es nicht mal auf den Punkt gespielt." Das waren harte Peitschenhiebe für mich. Aber der Mann hatte absolut Recht! Spätestens dort lernte ich, wie wichtig es war und ist, die Songstruktur zu beachten. Im Jazz kannst Du natürlich frei von der Leber weg spielen, was für mich auch heute noch das Schöne am Jazz ist. Aber in der Popmusik hast Du als Instrumentalist spezielle Funktionen, die Du gut ausfüllen solltest. Das waren meine ersten Begegnungen mit Franz und auch mit Frank Hille, der ebenfalls ein begnadeter Musiker war.
Hattest Du Songs aus Vronis Repertoire, die Du besonders gern live gespielt hast?
"In jener Nacht", was ja ein Duett mit Franz Bartzsch war, spielte ich ganz gerne. Dann hatten wir eine Coverversion vom BEATLES-Song "Let It Be" im Programm, wo wir vor den eigentlichen Song "Black Bird" gebaut haben. Hier ist es ähnlich wie bei SILLY: Es gibt so viele hervorragende Songs von Vroni, das ist einfach der Hammer!
Du sagtest gerade, Frank Hille und Jürgen Ehle waren mit in der Band. Also genau die Jungs, mit denen Du Anfang der 80er Jahre die Gruppe PANKOW gegründet hast. Wie war das damals, als Vroni die DDR verließ und Ihr eine eigene Band auf die Beine gestellt habt? Gab es die Idee zu der eigenen Band schon vor Vronis Ausreise oder war es quasi aus der Not heraus geboren?
Na ja, zuerst blieb ja Franz Bartzsch in Westberlin. Für ihn kam Rainer Kirchmann von PRINZIP zu uns und es lief alles ganz gut weiter. Wir hatten damals übrigens schon immer auf den Konzerten einen Block von drei, vier Songs, die wir ohne Vroni gemacht hatten. Da konnte sie sich einen Moment ausruhen oder auch mal umziehen. In dieser Zeit jedenfalls fing es schon dann, dass Rainer Kirchmann und Jürgen Ehle eigene Songs schrieben, die so in Richtung POLICE oder THE CLASH gingen. Das passte natürlich überhaupt nicht zu Vroni und ihrer Musik. Aber sie war sich nicht zu fein, uns während der Konzerte den Freiraum zu geben, diese drei Nummern ohne sie zu machen. Irgendwann ist dann Vronis Mann mit dem gemeinsamen Sohn über Ungarn in den Westen abgehauen. Sie selber bekam einen Pass ausgestellt und wohnte in Westberlin, quasi für die geplante Familienzusammenführung. Das war für uns schon eine komische Zeit, denn wir kamen alle aus Ostberlin zu den Proben, unsere Sängerin reiste aber aus Westberlin an. Eines Tages hatte sie genug davon und sie entschied sich, im Westen zu bleiben. Das war allerdings ein ziemlich blöder Zeitpunkt, denn wir hatten eine Tournee vor uns. Zum Glück sprang Stefan Diestelmann für Vroni ein und schon war ich wieder beim Blues gelandet. Es war aber eine tolle Tournee. Aus dieser Situation heraus entstand dann die Idee, eine eigene Band aufzumachen, die aber ganz anders sein sollte als das, was wir bis dahin gemacht hatten. Wir hatten ja mit Rainer, Jürgen und Frank drei wirklich großartige Sänger dabei und mich als Mitrufer. Aber die drei wollten partout nicht singen, also gingen wir auf die Suche nach einem Sänger. Nun gab es damals die GAUKLER ROCKBAND und es ging das Gerücht um, dass die einen tollen Sänger hätten. Jürgen und ich gingen dann gleich mal inkognito zu drei GAUKLER-Konzerten und fanden den André Herzberg tatsächlich super. Wir fackelten dann auch gar nicht lange, erzählten ihm von unseren Plänen mit der neuen Band und fragten ihn, ob er Interesse hätte. So entstand PANKOW.
Ich schiebe mal kurz eine Frage dazwischen. Bei meinen Vorbereitungen auf dieses Interview stieß ich auf die Anmerkung, Du seiest einer der wenigen Fretless-Bassisten der DDR gewesen. Seit wann hattest Du denn so ein Instrument und seit wann hast Du es eingesetzt?
Ich bin als Jazzliebhaber immer noch totaler Jaco Pastorius-Fan. Der war einer der größten Jazz-Bassisten und spielte eben auf einem Fretless-Bass. Dadurch entdeckte ich noch weitere Fretless-Bassisten, wie zum Beispiel Pino Palladino, der auch bei Paul Young gespielt hat. Selbst wenn das manche als englischen Schlager bezeichnen mögen. Aber das meinte ich vorhin, wenn man Abneigungen gegen manche Musik hat, merkt man oftmals nicht, was gut ist und entdeckt auch bestimmte Sachen nicht. Ich muss an dieser Stelle einfügen, dass ich eigentlich "nur" vier Jahre lang Jazz-Kontrabass studiert hatte. Im Jazz war der Kontrabass aber völlig out. Da habe ich noch eine kleine Geschichte auf Lager. Ich rückte ganz stolz mit meinem Jazz-Kontrabass bei der KLAUS LENZ BIGBAND an, aber Klaus empfing mich gleich mit den charmanten Worten: "Mit dem altmodischen Ding kannste in Dresden Dixieland machen. Aber nicht hier bei mir!" Also im Jazz war der Kontrabass völlig verpönt. Irgendwann kam mir dann der Gedanke in den Sinn, dass ich zwar Bassgitarre spiele, aber auch schon mal mit dem Kontrabass ein bundloses Instrument am Wickel hatte. Und da gibt es so ein Zwischending, nämlich den Fretless-Bass. Ich wollte es wenigstens mal ausprobieren und besorgte mir für den Anfang einen ganz billigen DDR-Bass, entfernte da die Bünde und testete das Ding mal in aller Ruhe, um zu sehen, ob ich damit überhaupt klar komme. Ja, ich fand das toll und holte mir als nächstes einen Fender-Jazz-Bass, den ich übrigens heute noch habe. Und von da an fing ich bei PANKOW an, den Fretless-Bass in die Songs einzubauen, wo es nur ging. Am prägnantesten war es beim Titel "Doris", wo die gesamte Einleitung nur aus Fretless-Bass und Gesang besteht. Ich dachte mir, normalerweise fangen die Lieder immer mit Klavier, Gitarre oder Gesang an. Warum denn nicht auch mal mit einem Bass? Die Kollegen stimmten mir zu und so konnte ich meinen Fretless-Bass auspacken und meine Ideen in die Band einfließen lassen. Natürlich war das eher begrenzt, denn PANKOW hat ja zumeist Geradeaus-Rock gemacht und da passte ein Fretless-Bass nicht immer rein. Hinzu kam, dass zu dieser Zeit gerade die Slapping-Technik in der DDR aufkam, es aber keiner so richtig konnte. Also wirklich jeder Bassist wollte plötzlich slappen. Ich konnte es, weil ich es geübt hatte. Aber bei den anderen war es so, dass jeder geslappt hat, was das Zeug hielt, nur hat es meistens gar nicht in den Song gepasst. Das hat mich mächtig gestört, so dass ich mir gesagt habe, ich gehe jetzt einen ganz anderen Weg und spiele Fretless-Bass. Und ich behaupte an dieser Stelle einfach mal, ich war der erste und damals einzige Fretless-Bassist der DDR. Falls das nicht stimmt, kann man sich gerne melden und es richtig stellen.
Wenn es immer so schön heißt: "Er war einer der Ersten" oder "Er war einer der Besten", dann muss es ja auch noch andere gegeben haben. Kanntest Du die anderen Kollegen, die das auch konnten?
Nein, genau das meine ich doch, ich kannte keinen, der das außer mir beherrscht hat! Die ganzen Jazz-Bassisten spielten doch eher Kontrabass und vielen Bassgitarristen war das Fretless-Bass-Spielen auch einfach zu schwer. Bei mir kam zu dieser Zeit übrigens noch etwas dazu, was in den Kontext mit Franz Bartzsch und Frank Hille gehört. Wir waren nämlich in der DDR auch noch angesagte Studiomusiker. Man kann wirklich sagen, ohne dabei rot zu werden, dass ich bei jeder zweiten Produktion im DDR-Rundfunk oder Fernsehen Bass gespielt habe. So habe ich zum Beispiel bei "Traumzauberbaum" von Reinhard Lakomy und bei der Kinderfernsehserie "Spuk unterm Riesenrad" den Bass gespielt. Ebenso bei "Erna kommt" oder diversen Songs von Holger Biege, zum Beispiel "Reichtum der Welt". Ich kann das gar nicht alles aufzählen. Und immer wieder staunten die Leute, dass ich auch Fretless-Bass spiele. Dadurch hatte ich durchaus ein Alleinstellungsmerkmal.
Nun war es ja in der DDR nicht so, dass man in den nächsten Musikladen ging und gesagt hat: "Ich hätte gerne einen Fretless-Bass". Wo hattest Du denn das Ding her?
Den habe ich mir wie alle meine Instrumente auf dem Schwarzmarkt besorgt. Das war einer dieser Nachbauten des Fender-Jazz-Basses, wo ich die Bünde rausgenommen und das Ding selber präpariert habe.
Woran erinnerst Du Dich denn besonders gerne zurück, wenn Du an die 80er Jahre und speziell an PANKOW denkst? Das war ja eine ganz heiße Zeit und Ihr wart ja ohne Frage eine der frischen, neuen Bands, die an den Start gingen. Was war das für Dich für eine Zeit? Wie sah Dein Leben als Teil dieser Band aus?
Die Zeit war super und ich bin immer noch so dankbar und froh, dass ich diese Zeit in dieser Band miterleben durfte. Wir waren schon alle gestandene Musiker, aber wir waren mit PANKOW aufmüpfig, wir waren frech, wir waren jung und wir wollten anders sein als die restlichen DDR-Bands. Das war schon alles recht "new-wavig" angehaucht, aber alles auf einem sehr hohen Niveau. Es machte totalen Spaß. Wir konnten zusammen diskutieren, wir haben schöne Tourneen gemacht, wir haben im Westen gespielt, wo wir auch sehr gut ankamen bei den Leuten. In der DDR hatten wir gigantischen Erfolg, nicht zuletzt auch wegen unserer Rockspektakel wie "Paule Panke" oder "Hans im Glück". Das war schon eine Besonderheit. Es gab zwar in dieser Art auch Programme von SPLIFF, aber in der DDR war das eben völlig neu. Unser erster Hit war "Inge Pawelczik". In dem Lied ging es um einen One-Night-Stand. Dafür wurden wir von offizieller Stelle beschimpft und es wurden Leserbriefe fingiert. Angeblich hatte sich sogar eine echte Frau Inge Pawelczik gemeldet, was aber wahrscheinlich gar nicht stimmte. Auf jeden Fall kam das Lied bei den jungen Leuten super gut an, denn das kannte wirklich fast jeder. Plötzlich singt nämlich mal eine Band Tacheles und nicht nur zwischen den Zeilen versteckt. Und so ging es ja dann mit anderen Songs weiter.
Du sagtest gerade, Ihr wart mit PANKOW auch in der BRD. Ich nehme mal an, das war Deine erste Westreise?
Nein, ich durfte schon mit Veronika Fischer in den Westen.
Was ja heute völlig normal ist, war früher für viele Musiker ein echtes Highlight, nämlich dass man einfach seine Instrumente gepackt und irgendwo gespielt hat. In der DDR war das ja nicht möglich, denn da gab es eine Grenze, über die es nicht hinausging. Was ging damals in Dir vor, was hast Du empfunden, als Du erstmals die innerdeutsche Grenze überwunden hast und im Westen spielen konntest?
Am prägnantesten war es natürlich in Berlin. Wenn man nach Hamburg, Hannover oder zu Euch ins Ruhrgebiet gefahren ist, war das ja fast schon wie Ausland für uns. Das war alles so unendlich weit weg. Aber Berlin, das war etwas Besonderes! Man konnte Westberlin ja auch vom Ostteil aus sehen. Das war schon krass, wenn man innerhalb Berlins plötzlich in einer ganz anderen Welt war. Für uns aus dem Osten war das alles schön bunt, ging aber auch mit einer totalen Reizüberflutung einher. Das kannten wir so nicht und deshalb war das natürlich extrem aufregend. Mein erster Westberlin-Gig war für eine kommunistische Zeitung. Wir traten zwei Abende nacheinander in "Huxleys neuer Welt" auf und mussten danach immer wieder zurück in den Ostteil, sind aber am nächsten Morgen sofort wieder rüber nach Westberlin. Viel einkaufen konnten wir nicht, denn wir hatten das Geld dafür nicht, aber allein die vielen neuen Eindrücke, die Gerüche, das Bunte, das war toll. Und dann darf man da auch noch auftreten und den Leuten hat es gefallen… mehr geht nicht.
In dieser Zeit mit PANKOW warst Du mit einer Dame liiert, die selbst Musik machte und mit MONA LISE sogar eine eigene Band hatte. Ich spreche von Lise Reznicek. Als die Songs für deren Album aufgenommen wurden, warst Du auch im Studio als Gastmusiker dabei. Gab es auch sonst noch Unterstützung für Liese und ihre Band?
Na klar, ganz viel sogar. Liese hat also die Band gegründet und ich habe sie nach Kräften unterstützt. Ich war quasi von Beginn an so was wie der Mentor der Band. Liese und ich haben zusammen die Songs der Band geschrieben. Von ihr kamen die Texte und Einfälle für die Melodien, aber ich war zumindest beteiligt an den Kompositionen. Ich habe mit den Mädels geprobt, habe die Songs arrangiert und bestimmte Sachen im Studio habe ich auch eingespielt, weil die Mädels noch nicht ganz so fit waren. Ich steckte also sehr tief drin in der Band. Ich habe MONA LISE auch an den Manager von PANKOW vermittelt, dadurch war MONA LISE immer unsere Vorband, außer wenn wir bei der Armee gespielt haben, da war es umgekehrt, also PANKOW die Vorband von MONA LISE. Im Internet geistert ein Bild rum, da habe ich die Gitarristen von MONA LISE vertreten, weil die vom Studium aus in irgendein Armeelager mussten. Und so hatte ich auf der Tournee, wo MONA LISE Vorband war, einen Doppelgig gehabt und bei beiden Bands gespielt. Und beim allerletzten Gig der Tour habe ich mich schminken lassen und bin im Röckchen aufgetreten. Aber mit Bart! Conchita Wurst gab es also damals schon (lacht).
Also es ist wirklich so gewesen, dass PANKOW und MONA LISE regelmäßig gemeinsame Konzerte gegeben haben, und nicht nur hin und wieder, richtig?
Ja, regelmäßig. MONA LISE war zu circa zwei Dritteln einer PANKOW-Tournee immer mit dabei. Aber natürlich gaben sie auch ihre eigenen Konzerte.
Im Jahr 1986 wurdest Du nicht nur zum besten Bassisten Deines Landes gewählt, sondern als solcher auch in die Supergroup GITARREROS berufen. Im Fußball gibt es einen Teamchef, der sich die Spieler ran holt, wenn es etwas anzusagen gibt. Wie lief das bei den GITARREROS ab?
Es gab die Idee von zwei Kulturfunktionären, die meinten, hier werden doch jedes Jahr die besten Musiker gekürt - warum bilden wir daraus nicht mal eine Art Allstar Band? Es war nicht immer genau erklärbar, wieso der eine Musiker auf den ersten Platz, der andere auf den zweiten kam und weshalb der Nächste nur Dritter wurde. Aus diesem Grund entstanden die GITARREROS. Mit dabei waren die vier besten Gitarristen des Landes, und zwar Bernd Römer von KARAT, Uwe Hassbecker, damals noch bei STERN MEISSEN, des weiteren Gisbert Piatkowski von NO 55 und Jürgen Ehle von PANKOW. Gleichzeitig gehörten die besten Sänger zu der Band, also Mike Kilian, Herbert Dreilich und Toni Krahl. Als Sängerin war lediglich Tamara Danz dabei. Nun brauchte man eine Rhythmusgruppe als Begleitung und da waren in dem Jahr Jäcki Reznicek am Bass und Schlagzeuger Stefan Dohanetz die Sieger an ihren Instrumenten, beide von PANKOW, also wurden auch die noch dazu geholt.
Wer hat Dich denn angesprochen, dass Du als Bassist für die GITARREROS vorgesehen bist?
Das weiß ich gar nicht mehr. Aber das war ja ohnehin relativ klar, da ich auf den ersten Platz gewählt wurde. Zweiter war in dem Jahr übrigens Peter Rasym. Aber es ist ja auch völlig Wurst, denn der Erste war genauso gut wie der Zweit- und Drittplatzierte. Aber ich war nun mal auf dem ersten Platz, deshalb war ich dabei.
Gleiche Frage wie eben zu PANKOW: Welche Erinnerungen hast Du an diese Tour und die zahlreichen Konzerte heute noch? Sieht man sich heute die Fotos an, wirkt es ja nicht nur wegen der bunten Klamotten und den verwegenen Frisuren so, als sei es ein ziemlich verrückter Zirkus gewesen.
Du kannst Dir vorstellen, dass so eine zusammengewürfelte Band aus den besten DDR-Musikern schon ein tolles Erlebnis war. Natürlich kannten wir uns alle, aber hatten vorher nie in dieser Form zusammengespielt. Deshalb war das für uns wie eine Art Kinderausflug. Wir hatten eine Superstimmung, es machte gigantischen Spaß. Man war losgelöst aus seinen eigenen Bandstrukturen, was man uns allen wohl auch angemerkt hat. Über die ganzen Aftershow-Partys will ich jetzt mal lieber nicht reden (lacht)…
Da traf sich ja wirklich die Crème de la crème des DDR-Rock und Pop. Nach dieser Zeit bei den GITARREROS kam es ja auch zu verschiedenen Kooperationen und Abwerbungen durch andere Bands. Uwe Hassbecker ging beispielsweise von STERN MEISSEN zu SILLY, Tamara Danz sang ein Duett mit Herbert Dreilich usw. Und Du wurdest letztlich Gastmusiker bei SILLY für das Album "Bataillon d'amour". Wie ist es dazu gekommen? Ich meine mich zu erinnern, dass die Initiative von Tamara ausging, oder?
Zum Album "Bataillon d'amour" sei angemerkt, dass ich ja der einzige Musiker der DDR war, der einen Fretless-Bass spielen konnte und der vor allem auch einen hatte. Irgendwann mal bekam ich einen Anruf von Matthias Schramm, der wollte in einem bestimmten Song einen Fretless-Bass spielen und wollte sich den von mir borgen. Nun halfen wir DDR-Musiker uns untereinander, wo es nur ging, deshalb war es für mich überhaupt keine Frage. Nach relativ langer Zeit rief ich Matthias an, weil wir mit PANKOW wieder auf Tour gehen wollten und ich meinen Fretless-Bass brauchte. Mathias Schramm hatte den Bass aber nicht zu Hause, sondern der lag im Studio. Nun wohnte ich damals ganz in der Nähe des AMIGA-Studios und fuhr deshalb hin, um meinen Fretless-Bass abzuholen. Ich kam in das Studio und da waren Ritchie Barton und Tonmeister Helmar Federowski. Als die hörten, weshalb ich da war, meinten sie, dass Matthias Schramm den Bass-Part noch gar nicht eingespielt hat. Ich brauchte den aber unbedingt. Und da sagte doch einer von den beiden: "Jäcki, spiel Du das doch schnell ein". Ritchie erzählt das heute immer so, dass ich einen total roten Kopf bekam und aufgeregt war. So nach dem Motto: "Ich soll hier für die berühmte Kapelle SILLY etwas einspielen…" Und so kam ich zum Mitwirken beim Song "Bataillon d'amour". Mein Fretless-Bass drückte dem Song ja gewissermaßen seinen Stempel auf und es ist ja auch heute noch einer der größten SILLY-Hits. Etwas später dann war ich mit MONA LISE bei der Fernsehsendung "rund", bei der auch zufällig SILLY eingeladen war. Wie das dann so ist, man sieht sich bei den Proben, kommt ins Quatschen, trinkt auch den einen oder anderen Wein zusammen. Und plötzlich nahm mich Tamara beiseite und fragte leise, ob ich nicht Lust hätte, bei SILLY einzusteigen, denn mein Fretless-Bass macht sie richtig glücklich. Das war für mich der Hammer, denn ich war selber in einer super erfolgreichen, bekannten Band und wurde von einer anderen super erfolgreichen und bekannten Band gefragt, ob ich bei ihnen einsteigen will. Das ist wirklich extrem aufregend für einen Musiker. Natürlich wollen solche Entscheidungen wohlüberlegt sein. Auf der anderen Seite mussten diese Entscheidungen aber getroffen werden.
Was wurde denn aus Matthias Schramm, der ja eigentlich der etatmäßige Bassist bei SILLY war?
Ich glaube, der hat dann nur noch komponiert und produziert. Inzwischen ist er ja leider verstorben. Meines Wissens trat er aber nicht mehr groß in Erscheinung nach dem Ausscheiden bei SILLY. Meine Entscheidung für SILLY hatte ja auch gewisse Gründe. Einerseits war es schon die Liebe zum Fretless-Bass, denn dieses Instrument lag mir sehr am Herzen. Und das war natürlich bei einer Musik, wie sie SILLY gemacht hat, viel besser einsetzbar als beim Geradeaus-Rock, den PANKOW spielte. Außerdem gab es zu diesem Zeitpunkt bei PANKOW ganz viele Diskussionen, auch politische, zwischen Jürgen und André, die zwar immer sehr interessant waren, aber eigentlich wollte ich hier proben und nicht immer erst eine Stunde lang diskutieren. Es kamen also viele Sachen zusammen und ich trennte mich auch wirklich mit ganz schwerem Herzen von PANKOW. Wäre PANKOW nicht erfolgreich gewesen, hätte ich keinen Moment überlegt. Aber sie waren ja inzwischen genauso erfolgreich und angesehen wie SILLY. Es konnte übrigens auch kaum einer verstehen, dass ich diesen Wechsel vollzogen habe. Wäre ich zu KARAT oder den PUHDYS gegangen, von denen ich auch Angebote hatte, dann hätte man gesagt, der macht das für mehr Geld und damit er öfter in den Westen fahren kann. Das war Blödsinn, denn SILLY durfte nicht in den Westen, PANKOW aber schon. Dass ich innerhalb der Ebene SILLY-CITY-PANKOW, die alle gleichwertig waren, gewechselt habe, konnte keiner verstehen.
Du hast auch bei SILLY turbulente Zeiten erlebt. Unter anderem den Wandel von Tamara Danz als Sängerin zu Tamara Danz als Texterin und Sängerin. Hast Du von diesem Prozess, in welchem sie sich die Textdichterei mit Hilfe von Gundermann beigebracht hat und damit in die Fußstapfen von Werner Karma getreten ist, bewusst wahrgenommen oder verlief diese Metamorphose abseits des Probenraumes und ohne eure direkte Aufmerksamkeit?
Also ich kam ja von PANKOW. Und PANKOW war eine Band, in der zu 75 % über die Texte diskutiert wurde, während die Musik eh klar war. Deshalb spielten die Texte auch für mich eine große Rolle. Werner Karma hatte natürlich für SILLY unendlich viele großartige Texte geschrieben. Aber wie das so ist, kam es eben auch hier eines Tages mal zu Querelen, was bestimmte Texte anbelangte. Ich sage es mal so: wenn Du zehn Texte schreibst, kann es eben passieren, dass davon nur vier gut sind. Oder man will an mehreren Texten noch nachträglich dies und jenes ändern, weil es sich besser singen lässt oder man manche Textstelle nicht so ausdrücken würde, wie der Texter es vorgibt. Und auf dieser Ebene gab es eben einige Diskussionen zwischen Werner und Tamara. Deshalb reifte dann bei Tamara die Entscheidung, selber etwas zu machen, was sie sich vorher nie getraut hatte. An einem Werner Karma muss man erst mal vorbeikommen. Aber irgendwie ging es nicht mehr miteinander. Nun durften wir ja in unserer Zusammenarbeit mit BMG in Westberlin schon das Album "Februar" aufnehmen, aber obwohl die Musik größtenteils fertig war, fehlten noch eine Menge Texte. Wir machten uns also in Westberlin auf die Suche nach einem Texter. Zunächst trafen wir auf den Gitarristen von NENA, dann kam Rio Reiser ins Studio. Zuletzt kam auch noch Gundermann ins Gespräch, den ich bis dahin noch gar nicht wahrgenommen hatte. Tamara und Gundermann setzten sich dann zusammen und merkten schnell, dass sie auf einer Wellenlänge lagen und sich gut die Bälle zuwerfen konnten. Es war schon verrückt: wir nahmen in Westberlin die Musik für das Album auf, während Tamara mit Gundermann in Ostberlin die Texte schrieb und anschließend rüberkam und die Texte einsang. Da waren natürlich Texte dabei wie "Ein Gespenst geht um" oder "S.O.S.", die waren nicht so genehm. Man wollte uns natürlich dazu bringen, die Texte noch einmal zu überarbeiten, aber Tamara wies darauf hin, dass man im Osten den Vertrag mit der BMG unterschrieben hat, die Songs fertig sind und es einen Riesenstress geben würde, wenn man jetzt noch etwas verändern müsste. Zum Glück waren die alle so devisengeil, dass man ein Auge zudrückte und uns machen ließ.
Mit der Wende vergrößerte sich dann ja auch Dein Einsatzgebiet. Du warst ja schon zu DDR-Zeiten als Studiomusiker sehr aktiv, wie wir gehört haben. Aber jetzt konntest Du ja parallel zu SILLY auch noch in ganz anderen Bands mitspielen. Und genau das hast Du dann kurz nach dem Mauerfall in Farin Urlaubs Gruppe KING KONG getan.
Es ist doch klar, nach der Wende war es für die DDR-Bands alles andere als einfach. Die Leute wollten verständlicherweise nun erst einmal ihre Idole sehen, die sie bisher nur aus dem Radio kannten. Das hat sich zwar schnell wieder gegeben, aber erst mal waren wir DDR-Musiker abgemeldet. Ich war zum Glück jemand, der seine Finger überall drin hatte. Ich habe zu DDR-Zeiten sogar Chanson mit Barbara Thalheim gemacht, habe meine erste Bass-Schule geschrieben und schon unterrichtet. So ging es nach der Wende weiter. Ich schrieb meine nächste Bass-Schule, hatte einen Job an der Musikhochschule und spielte in verschiedenen Bands, auch in Jazz-Bands. Dadurch, dass wir bereits im Preußen-Tonstudio waren, wo das "Februar"-Album von SILLY und später dann "Hurensöhne" entstanden, hatten wir natürlich Kontakt zu Uwe Hoffmann, dem Produzenten der ÄRZTE. Diese hatten sich ja zum damaligen Zeitpunkt getrennt, jeder machte seins, Farin Urlaub zum Beispiel die Band KING KONG. Die fand ich super, vor allem der Bassist war hammermäßig. Der stieg aber aus mir nicht bekannten Gründen aus der Band aus und sie holten einen anderen. Eines Tages fragte mich Uwe Hoffmann, zu dem ich immer noch Kontakt hatte, ob ich ihm aus dem Osten den einen oder anderen guten Bassisten empfehlen könnte. Na gut, ich gab ihm eine Empfehlung, möchte jetzt aber keine Namen nennen. Man kam aber nicht zusammen und so meinte Uwe Hoffmann dann zu mir: "Mensch Jäcki, ihr habt doch mit SILLY gerade nicht so viel zu tun. Mach Du das doch!" Da fühlte ich mich natürlich sehr geehrt. Farin Urlaub wusste von alledem nichts, weil der gerade im Urlaub war. Ich ließ mir zunächst mal die Songs von KING KONG schicken und stellte fest, dass der Bass auf eine Art gespielt wurde, die mir nicht lag und die ich zu der Zeit auch nicht konnte. Es klang sehr punkig und rockig, wurde mit Plektrum gespielt. Und da ich gerade auf dem Fretless-Bass-Trip war, war das eben etwas ganz anderes als das, was ich in dem Moment bei SILLY praktizierte. Es kam dann zu einem Telefonat mit Uwe Hoffmann, wo ich ihm sagte, dass ich das nicht kann, dass ich mich nicht blamieren wollte und deshalb lieber absagen möchte. Daraufhin sprach Uwe den legendären Satz: "Jäcki, ob Du das kannst oder nicht, entscheiden wir bei der Probe". Und auch hier war mein Ehrgeiz wieder angestachelt, so dass ich mich brav hinsetzte und mit dem Plektrum übte, bis der Arzt kam. Und schon war ich Bandmitglied bei KING KONG.
So richtig kommerziell gezündet hat KING KONG ja nicht.
Das war schade, denn ich fand die Band damals und auch heute noch richtig gut. Das Handicap war aus meiner Sicht, dass die ÄRZTE-Fans mit dieser Musik nichts anfangen konnten und die anderen, die die Musik vielleicht gut fanden, sagten: "Igitt, da ist einer von den ÄRZTEN dabei…" Das ist so meine Theorie, aber ob es stimmt, weiß ich auch nicht.
Mir ging das damals genauso. Farin Urlaub machte nun etwas gänzlich anderes als mit den ÄRZTEN und das passte für mich auch nicht zusammen. Aber Bela B. erging es mit seinen Soloprojekten nicht anders.
Ich glaube, KING KONG hatte sogar mehr Erfolg als Bela B. Aber auch die Zeit bei KING KONG war für mich eine super Zeit, ich konnte Erfahrungen sammeln und mal wieder auf eine ganz andere Art Bassgitarre spielen. Wir hatten eine Tour über sechs Wochen quer durch Deutschland, das machte echt Spaß und schweißt zusammen. Außerdem haben wir zwei Alben eingespielt. Es war schön.
KING KONG war am Ende, als die ÄRZTE zurückkamen. Bei den ÄRTZEN stieg Rod Gonzales als neuer Bassist ein. Hättest Du nicht gleich von KING KONG rüber wechseln können zu den Ärzten?
Das ist eine interessante Frage, die mir oft gestellt wurde, aber ich musste mich ja zum Glück nicht entscheiden. Und wenn doch, hätte die Entscheidung gegen SILLY ausfallen müssen. Ich weiß auch nicht, ob ich darüber nun traurig sein soll oder froh. Na klar hätte ich gerne bei den ÄRZTEN gespielt. Aber ob mir die Entscheidung gegen SILLY wirklich so leicht gefallen wäre ...?!
Und weil du ja sowieso schon so wenig zu tun hattest, bist Du 1991 auch noch Dozent an einer Uni geworden, an der Du in den 70ern selber studiert hast. Wie bekommt man denn diesen Job als Professor? Und mit welchem Antrieb hast Du diese Aufgabe übernommen?
Ich habe nach dem Studium immer Kontakt zu meinen beiden Lehrern gehalten, speziell zu meinem Hochschuldozenten Lothar Spiller. Viele vergessen die Menschen, die ihnen auf den richtigen Weg geholfen haben, ich gehöre aber nicht zu denen, denn ich habe beiden unendlich viel zu verdanken. Lothar Spiller hatte meine Karriere sowieso verfolgt. Kurz nach der Wende sprach er mich dann mal an und sagte: "Jäcki, ich will in den Vorruhestand gehen und suche einen Nachfolger. Ich würde mir wünschen, dass Du das machst". Für mich war das eine ganz große Ehre, dass mein einstiger Lehrer mich als seinen Nachfolger haben wollte. Andererseits war das eine große Herausforderung, denn Hochschuldozent ist schon ein ganz schön großer Brocken. Nun dachte ich, mein Einstieg soll nach und nach erfolgen, dass ich anfangs vielleicht immer mal ein paar Stunden übernehme. Er machte mir aber klar, dass jetzt eine Ausschreibung erfolgen wird und er danach aufhört. Ich musste also ins kalte Wasser springen und bin nun seit 1991 Dozent an der Musikhochschule Dresden.
Gibt es da eine Altersobergrenze, ab der man nicht mehr dozieren darf?
Ja, die gibt es. Ich bin seit 1. August dieses Jahres Rentner und als Rentner darf man im staatlichen Dienst keine Festanstellung mehr haben. Ich habe also meine feste Anstellung verloren, darf aber als Honorarkraft weiter an der Hochschule arbeiten.
Bei SILLY ging es 1993 wieder so richtig los. Ich erinnere mich daran, dass Euer Album "Hurensöhne" sogar ziemliche Beachtung im Westen fand.
Ja, das kann man so sagen. Wir hatten inzwischen wieder viele Auftritte, auch im Fernsehen, die Platte verkaufte sich gut, die Gundermann-Konzerte kamen dazu, ich selber hatte weiterhin meine kleine Jazz-Band am Laufen, es war also alles in Ordnung. Ich stieg in dieser Zeit auch bei EAST BLUES EXPERIENCE ein, was natürlich wieder eine aufregende Geschichte für mich war. Aber darüber sprachen wir ja bereits am Anfang.
Über die einschneidendste und schlimmste Geschichte in den 90ern, nämlich über die Erkrankung und den Tod Deiner Bandkollegin Tamara Danz möchte ich jetzt gar nicht mehr so viel sprechen, denn darüber ist schon vieles gesagt worden. Trotzdem gibt es zwei Fragen, die ich stellen möchte. Die erste ist, wie und wo Du 1996 von dem Moment erfahren hast, der Tamara von ihrem Leiden erlöste?
Meine letzte Begegnung mit Tamara hatte ich vierzehn Tage vor ihrem Tod. Wir saßen in Münchehofe zusammen und Tamara war von der Krankheit schon sehr gezeichnet. Sie saß zwar im Rollstuhl, aber wenn man die Augen zumachte, war sie immer noch die große, burschikose berlinernde Tamara Danz. Und bei diesem Treffen sagte sie zu mir diesen Satz, der es mir auch heute noch eiskalt den Rücken runter laufen lässt: "Jäcki, wenn ich sterbe, lasst nicht auch noch SILLY sterben". Das hat sich bei mir total eingebrannt. Ich wollte dann kurz darauf zum Bergwandern nach Norwegen, hatte mein Auto schon vollgepackt und wollte frühmorgens losfahren. Wie das so ist, hörte ich vorher noch schnell meinen Anrufbeantworter ab und fand den Anruf von Uwe oder Ritchie - ich weiß gar nicht mehr genau von wem - vor, dass Tamara in der Nacht eingeschlafen war. Natürlich habe ich sofort meinen Urlaub abgesagt.
Du bist einer von denen, die an bestimmten Tagen im Jahr an Tamara erinnern, in dem Du Bilder auf Facebook postest oder über sie sprichst. Was war für Dich persönlich das Besondere an Tamara? Immerhin hat sie ja bei so vielen Menschen einen derart großen Eindruck hinterlassen, dass sie selbst und ihr Tod auch nach 25 Jahren immer noch eine so große Rolle spielt.
Ich für meinen Teil bringe ihr zum Beispiel jedes Jahr zu ihrem Geburtstag ein paar Blümchen an ihr Grab. Das ist mir einfach ein Bedürfnis. Ansonsten ist es so, dass ich mich gerade jetzt anlässlich unserer bevorstehenden Tour wieder mit den ganzen SILLY-Sachen auseinandergesetzt habe und dabei erneut feststelle, was Tamara für eine gigantisch gute Sängerin war. Ich weiß, es gibt viele gute Sängerinnen, aber Tamara hatte eben etwas ganz Eigenes. Das Singen ist dabei nur das Eine, zusätzlich braucht man aber auch noch eine gewisse Ausstrahlung auf der Bühne, was Tamara ohne Zweifel hatte. Mehr ging nicht! Außerdem war sie ein richtiger Kumpel. Und was mir ganz besonders an Tamara gefiel: Sie hatte ein absolutes Gerechtigkeitsbedürfnis. Das war und ist mir immer noch sehr sympathisch, denn es geht im Leben einer Band nicht immer geradlinig zu. Das war es, was Tamara ausmachte. Hinzu kam natürlich noch ihre burschikose und berlinerische Art, weshalb man sie gerne in Talkshows einlud. Tamara war einfach eine Gesamtpersönlichkeit, dabei immer nett, verträglich, kollegial und kumpelhaft.
Tamara sagte Dir, aber sicherlich auch anderen, ihr sollt SILLY nicht sterben lassen. Glaubst Du, dass Ihr ab 2005 alles in ihrem Sinne gemacht habt oder würde sie Euch heute wegen mancher Entscheidung sogar den Kopf waschen und die Leviten lesen?
Genau solche Diskussionen passieren ja auf Facebook und auch sonst im Netz. Keiner von uns kann sagen, wie Tamara heute ticken würde. Auf jeden Fall hätte sie SILLY weiter vorangetrieben mit allen Konsequenzen, die an einem solchen Bandleben dranhängen. Selbst wir als Insider können nicht wissen, welche Entscheidungen Tamara im Laufe der Jahre getroffen hätte. Schon gar nicht solche Leute, die Tamara überhaupt nicht kannten, aber sich heute aufspielen und meinen, Tamara würde sich im Grabe umdrehen. Das ist der größte Blödsinn. Ich behaupte mal, sie hätte alle Entscheidungen immer im Sinne von SILLY getroffen. Auch das war übrigens ein Punkt, der mir an ihr richtig gut gefallen hat. Tamara war nämlich immer ein Teamplayer und dachte im Sinne der Band. Das ging so weit, dass sie sich aufregte, wenn es hieß: Tamara Danz & SILLY. Sie meinte dann, sie ist genau wie ihre Kollegen ein Teil von SILLY und will nicht extra genannt werden. Es heißt ja schließlich auch nicht Ritchie Barton & SILLY.
Ich habe ja nun Deine vielen Stationen nur angerissen und ein oder zwei Fragen zu jeder Station gestellt. Hätten wir jeden Punkt vertieft und auch die zahlreichen Nebenprojekte noch angesprochen, dann wäre dieses Interview hinterher in ausgedruckter Form gleich zum Buchbinder gegangen. Wann kommt denn die große Biographie von Jäcki Reznicek in Buchform, damit nicht immer nur an der Oberfläche gekratzt wird?
Ich weiß es nicht. Aber ich gebe zu, die Idee geistert schon eine Weile in meinem Kopf herum. Ich hätte gar nichts dagegen, man müsste nur einen Verlag finden, der das Buch herausbringt und hoffentlich auch Käufer, die sich dafür interessieren.
Fast vergessen hätte ich übrigens noch die Gruppe RAUSCHHARDT. Wird es dort mit Dir als Bassisten eigentlich noch weitergehen?
Ich hoffe doch, dass es irgendwann damit weitergeht, denn das ist eines meiner Projekte, die mir richtig großen Spaß gemacht haben und die mir wirklich am Herzen liegen. Aber es ist sehr schwer, denn wir haben alle unsere eigenen Projekte, müssen alle Geld verdienen. Vom Tisch ist das Thema jedenfalls noch nicht. Vor allem Tom Rauschhardt steht immer noch in den Startlöchern. Im vorigen Jahr bin ich schon mal nach Braunschweig ins Studio gefahren, da haben wir schon mal mit Tom drei Songs als Demoversion aufgenommen, die Tom dann einem Heavy Metal-Produzenten geben wollte. Also es gärt auf jeden Fall, aber vor allem aus terminlichen Gründen ist das nicht so einfach zu realisieren. Es ist ja leider auch so, dass RAUSCHHARDT eine relativ unbekannte Band ist und wir nach der langen Pause quasi wieder ganz von vorne anfangen.
(Zum Zeitpunkt, als dieses Interview geführt wurde, lebte Tom Rauschhardt noch. Der Musiker ist am 29.9.2019 leider verstorben und somit dürfte auch seine Band Geschichte sein, Anm. d. Red.)
Ganz am Anfang hast Du schon verraten, dass es dieses Jahr noch Konzerte mit DRIFTWOOD HOLLY geben wird. Wann gibt es denn das dritte Album und wann startet die nächste große Abenteuer-Tour?
Holly kommt jetzt erst einmal für ein paar Solokonzerte nach Deutschland, weil ich ja mit SILLY unterwegs bin. Zum Glück haben sich dann doch noch drei Termine ergeben, wo ich auch mitspielen kann und die komplette Band auf der Bühne steht. Ansonsten hat jetzt die berühmte Produzentin Sylvia Massy, die von RED HOT CHILI PEPPERS bis Johnny Cash schon für viele produziert hat, mit Holly zwei Songs aufgenommen. Ich habe in Berlin die Bässe dafür eingespielt und nun müssen wir abwarten, was sich daraus entwickelt. Eine Zusammenarbeit mit einer so erfolgreichen Frau ist schon Wahnsinn.
Jäcki, in knapp zwanzig Jahren wirst Du in einem Alter sein, wo man schon mal darüber nachdenken kann, den Rock'n'Roll sein zu lassen.
(lacht) Ja ...
Wirst Du irgendwann mal zu Deinen Wurzeln zurückkehren und Deinen Lebensabend im Jazzbereich verbringen?
Das kann ich im Moment nicht sagen. Derzeit könnte ich mir eher vorstellen, meinen Lebensabend in Kanada mit Country-Musik zu verbringen.
Damit sind wir am Ende. Haben wir noch etwas Wichtiges vergessen, was demnächst noch auf dem Plan steht?
Wichtig ist vor allem die SILLY-Tour, dann natürlich auch das Album von EAST BLUES EXPERIENCE und die Gigs mit Driftwood Holly im Dezember. Stillstand wird es bei mir jedenfalls nicht geben, sofern in Sachen Gesundheit keine Probleme auftreten.
Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Warwick, Deutsche Mugge (u.a. von Grit Bugasch)
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Warwick, Deutsche Mugge (u.a. von Grit Bugasch)