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Ein Beitrag von mit Fotos von Petra Meißner (Die Autogrammkarte von NA UND
ist Pressematerial der Band und wurde von Angela Ullrich zur Verfügung gestellt)



Ich gehöre zu den Menschen, die Filme und Dokus über die Musiker aus dem Osten ganz besonders lieben und dafür sogar noch den Fernseher einschalten. Man möchte bei der Vielzahl der gemachten Filme meinen, es ist schon alles erzählt. Vom Schema her sind viele Dokus zu diesem Thema gleich aufgebaut. Erstens: Die Musik der Band im Allgemeinen. Zweitens: Das Leben der Musiker im Besonderen. Drittens: Möglichst peinliche Statements der Fans der Band für die Quote.


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Der Regisseur Tim Evers und sein Team (schon aufgefallen durch die Rosenstolz-Doku) beackert das Thema Musik im Osten ganz anders. Schon bei der Suche nach Akteuren und Zeitzeugen stellte er die Weichen in Richtung Amateurbands. Die Freizeit-Mugger haben bei ihm den gleichen Stellenwert wie Stars. Dass aus einigen vorgestellten Amateuren im Laufe der Jahre Profimusiker werden,001 20240105 1824306747 ist dem Lauf der Dinge und der Leidenschaft für Musik der handelnden Personen geschuldet und wird auch im Film berichtet. Ich hatte das Glück, in Leipzig im Zeitgenössischen Forum zum Preview des Films "Wie Tina Turner nach Niedertrebra kam" dabei sein zu dürfen. Dieser Film hat mich aus verschiedenen Gründen total berührt. Er wurde dann noch auf dem MDR zur besten Sendezeit ausgestrahlt.

Der Tim erzählt die Geschichte von Britta Radig aus Apolda (die sechzehnjährig die Tina Turner macht), Angela Ullrich aus Dresden (Gründerin der ersten Mädchenband der DDR NA UND und heute CRAZY BIRDS), vom Sänger und Komponist Dirk Michaelis, von Makarios (Frontmann von DIE ART) und von der Amateurband YOGA aus Bleicherode. Allen gemeinsam ist, dass sie im Osten zwar viele Auftrittsmöglichkeiten hatten, aber Equipment war schwer zu beschaffen und das Eis war dünn, wenn man eigene Textideen durchsetzen wollte. Dieser Aspekt wurde in vielen Filmen zum Thema schon ausführlich erzählt. Tim Evers und die Produzentin Susann Schimk beleuchteten noch andere Aspekte. Richtig toll fand ich die Vorstellung der Gastwirte Edith und Ralf Bärthel aus Prießnitz. Ohne die engagierten Kneiper hätte sich nie und nimmer die große Zeit der Dorfgasthofsäle ergeben. Ich habe sie selbst noch miterlebt. Wenn man heutzutage die Kommunikation in größeren Runden von Ossis fördern will, wirft man Sätze ein wie: "Auf welchen Dorfgasthofsälen wart ihr denn früher so zum Tanz?" Der Abend ist gerettet, die Beteiligten sind nicht zu bremsen.

Auch das Filmteam war nicht zu stoppen, die Zeit von früher sichtbar zu machen. Naturgemäß gibt es von Amateurmusikern aus ihren Anfangsjahren kaum bewegtes Material. Das Team um Tim Evers und dem Kameramann Sebastian Hattop halfen sich mit einem Kunstgriff. Die Szenen, die ihnen die Musiker schilderten, wurden nachgestellt. Dies war so perfekt, dass man als Zuschauer ständig damit beschäftigt war, zu ergründen, sind das alte Aufnahmen oder ist das nachgespielt? Mit der Sendung "Lebensretter" hat der MDR mit diesem Reenacting ja Erfahrung. Die Ausstattung stimmte bis aufs i-Tüpfelchen, viele Alltagsgegenstände von Früher konnte man wiedererkennen und schmunzelnd wurde realisiert: genau so sahen wir in der Zeit aus. Ich war jedenfalls begeistert zu sehen, wie die Band NA UND mit dem Handwagen ihr dürftiges Equipment zum Auftrittsort schleppte oder wie der Band-Lada von YOGA beladen wurde.

004 20240105 1419200492Eine Hutschachtel als Schlagzeug-Ersatz, dieses "einfach machen" war typisch für die damalige Zeit. Angela Ullrich hatte als 17-jährige mit der Hutschachtel ihrer Mutter und Topfdeckeln ihr erstes Schlagzeug gebastelt. Übrigens, die Spenderin der Schachtel war tatsächlich in Leipzig mit anwesend. Man merkte, der verantwortliche Redakteur für diesen Streifen, Matthias Göpfert vom MDR, hielt die Fäden für die Handlung straff in der Hand und hatte ein gutes Feeling für die Künstler. Nur durch dieses Vertrauensverhältnis waren die Mitwirkenden bereit, auch Persönliches preiszugeben. Das ist ein großer Pluspunkt dieses Streifens.

Ein richtig guter Film wurde es aber durch viele sehr emotionale Szenen. Gänsehautmomente waren für mich, wie Angela Ullrich vom tödlichen Unfall von zwei Bandmitgliedern erzählte und den Bass von ihrer verunglückten Freundin von der Wand nahm. Oder wie Makarios von seinem schlimmen Unfall sachlich berichtete. Der Film beginnt damit, wie Britta Radig nach Jahrzehnten den Saal des Dorfgasthofs besucht, in dem sie das erste Mal aufgetreten ist. Bis heute weiß ich nicht: ist der Ort Realitität oder nachgestellt?

Der Film war aber nicht nur Dokumentation der Amateurmusikszene der damaligen Zeit. Es war für mich eine spannende Reise in die Vergangenheit, für die ich dem Filmteam und den Akteuren unendlich dankbar bin. Die Doku reiht sich ein in die Reihe der guten und ehrlichen Ostmusik-Filme wie "flüstern & SCHREIEN". Wenn man bedenkt, es gab im Osten 2000 Amateurbands … Und schon allein deshalb musste so eine Geschichte ganz einfach mal erzählt werden.



Hinweis: Der Film steht noch bis zum 11. Dezember 2024
in der ARD-Mediathek zum Anschauen bereit: HIER entlang





   
   
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