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Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Pressematerial GiG/WEA Records



Wir reden heute viel über das Wetter. Richtig ist es eigentlich nie und es bietet unseren Nachrichten viel Stoff, um das Programm abendfüllend zu gestalten. Mal ist es zu nass, dann ist es wieder zu trocken, und immer wieder viel zu heiß. Und gibt es im Juli mal drei Wochen am Stück nur Sonnenschein und Temperaturen über 30 Grad reden wir gleich über eine Dürre biblischen Ausmaßes, und die ARD muss dringend einen "Brennpunkt" senden - wie passend. Wetterextreme, die ganz neu "erfunden" wurden und die es erst seit wenigen Jahren gibt? Mitnichten. Der Sommer 1983 war dermaßen heiß, dass Temperaturen über 40 Grad gemessen wurden, und die Monate Juni, Juli und August zusammengefasst den vierttrockensten des Jahrhunderts bildeten. Damals entwickelte man deshalb aber noch lange keine Schnappatmung, sondern feierte den Sommer so, als könnte es der letzte gewesen sein. Während sich die Menschen heute in die klimatisierten Wohnungen zurückziehen, in abgedunkelten Räumen Filme streamen, Online-Casinos besuchen oder Spiele auf dem Smartphone daddeln, und dabei die Apokalypse lautstark beweinen, ging die Jugend damals raus ins Freie … ins Freibad oder den Park … und genoss das Leben. Mit dabei die passende Musik, die die Laune zusätzlich hob und die zum Soundtrack des jeweiligen Sommers wurde.





Im Sommer 1983 war es der Song "Codo" von Tauchen/Prokopetz aus Österreich. Eigentlich nannte sich das Unternehmen - erweitert durch zwei deutsche Damen aus Hagen - DÖF, was für "Deutsch-Österreichisches Feingefühl" stand. Und dieses Feingefühl bewies das Quartett auch mit eben genannter Nummer, die als Single veröffentlicht wurde und ab dem 2. August 1983 für fünf Wochen den ersten Platz der Media-Control Single-Charts belegte. DÖF waren Joesi Prokopetz und Manfred O. "Fredi" Tauchen, die aus der Alpenrepublik kamen und eigentlich Theaterkünstler und keine Popmusiker - geschweige denn Sänger - waren. Ihnen schlossen sich Annette Humpe, die damals schon mit ihrer Gruppe IDEAL von sich reden machte und zahlreiche Hits feierte, und Inga Humpe, ihre jüngere Schwester, die zuvor bei der Punk-Formation NEONBABIES gesungen hatte, an. Doch wie kam es überhaupt zu DÖF und dem Zusammenschmelzen zweier Pop-Musikerinnen mit zwei Theaterkünstlern?

Joesi Prokopetz erinnert sich daran, dass der Plattenproduzent Markus Spiegel, der auch Falco entdeckt hatte, ihn und Fredi Tauchen ansprach und meinte, "Macht doch was, ihr seid gut". Daraufhin schrieben die beiden Österreicher ein Programm, das sie dem Produzenten schließlich auf Papier und als Demo vorlegten. Spiegel konnte damit jedoch nur wenig anfangen, und stellte den beiden die damals bereits in Berlin lebende Annette Humpe zur Seite. In den eigenen vier Wänden nahmen Tauchen und Prokopetz dann mit Gitarre und Kassettenrekorder ein weiteres Demo auf, um Frau Humpe die eigene Idee möglichst breit ausgelegt vorstellen und schmackhaft machen zu können. Annette sei - so Prokopetz - dann in Österreich angekommen, habe das Demo gehört und sich schief gelacht. Sie fand das dermaßen gut, dass die Entscheidung für eine Zusammenarbeit schnell fiel. Schließlich wurde auch noch Inga Humpe eingeflogen, die im Studio mit ihrer wunderbaren Stimme den Refrain einsang, den die Menschen heute noch kennen und viele tatsächlich auch noch auswendig mitsingen können. Damit war DÖF geboren und der potentielle Hit im Kasten. Prokopetz nennt den Song heute einen Glücksfall, der sich wegen der damals aus heiterem Himmel entstandenen Eigendynamik so nicht wiederholen lässt. In einem Interview mit dem Autor dieser Zeilen im Jahre 2007 sagte er konkret, "… dass er ("Codo") zu einem Megahit geworden ist, war an und für sich ein erfreulicher und segensreicher Irrtum, aber trotzdem in gewisser Weise ein Irrtum."


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Codo auf der Rückseite vom LP-Cover (Zeichnung: Manfred Deix)



Was der Hörer und die Fans der Band damals aber nicht wussten war, dass die Melodie von "Codo" nicht wirklich auf den eigenen Mist der Frau Humpe gewachsen war. Vielmehr diente ein "Ost-Schlager" als Vorlage. Gerd Christian sang auf seinem 1981er Album "Sag ihr auch" das Lied "Küss mich und lieb mich", das ihm sein Bruder Holger Biege schrieb. Dieses Stück lieferte für den Song "Codo" quasi die Hookline - sprich die Melodie des Refrains. Dies wurde von Annette Humpe in Interviews später wohl auch bestätigte. Nach seiner Übersiedlung in die BRD im Jahre 1983 erfuhr Holger Biege eher durch Zufall, dass Annette Humpe seine Melodie einfach kopiert und für "Codo" neu verwendet hatte. Laut Quellen im Internet soll sie sich dann sogar über Ossis lustig gemacht haben, die gegen ein solches Plagiat sowieso nichts machen könnten. Dies soll Biege zum Anlass für einen Rechtsstreit,002 20230815 2027416234 ein sogenanntes Plagiatsverfahren, genommen haben, den er - laut der gerade schon genannten Quelle im Netz - in erster Instanz gewann und in dessen Berufungsverfahren er einen Vergleichsvorschlag der Gegenseite ablehnte. Prokopetz erinnert sich anders und meinte, Biege sei bei beiden Versuchen, Recht zu bekommen, gescheitert. Wie dem auch sei …

Bevor das alles passierte, eroberte die zu Musik gewordene Science-Fiction-Parodie "Codo" Europa und die Herzen der Musikfreunde. Im Sommer ´83 lief die Nummer rauf und runter - überall. Zuerst in der Musiksendung "Formel 1" mit Peter Illmann, dann auf allen Radiostationen und nicht zuletzt auch bei Dieter Thomas Heck in der Hitparade. Der Liedtext handelt von einem raumfahrenden Wesen aus dem All, das der Erde näher kommt. Zur damaligen Zeit, wo kurz zuvor Spielberg mit "E.T." und auch Louis de Funes mit seinen Außerirdischen-Filmen das Kinopublikum begeisterten, genau der richtige Stoff. Der Hauptdarsteller des Songs ist ein Wesen namens "Codo der III.", der "aus der Sternenmitte" stammt, wo er "der Dritte von links" ist. Laut Joesi Prokopetz ist "Codo" eine Abkürzung für "Cosmischer Dolm" bzw. "Cosmischer Depp". Inga Humpe sah in "Codo" ein geschlechtsloses Wesen, das durch die auf dem LP-Plattencover gewählte Zeichnung, nämlich einer herzförmigen, geflügelten Figur mit "Wurmfortsatz" zwischen den Beinen, dann aber doch nicht ganz so geschlechtslos ist. Inga verkörperte die Figur nicht nur gesanglich, sondern auf der Bühne auch in einem Glitzerkostüm und auf einer Schaukel sitzend. Dieser "Codo" bringt in dem Lied der Menschheit, die bereits seit 2000 Jahren ohne Liebe lebt, das zurück, was sie schon seit Generationen sehnlichst vermisst. Genauer gesagt sind das die auf der Erde verbotene Liebe und die gute Laune, wofür zuerst aber der Hass überwunden werden muss. Dieser wird behütet und aufrecht gehalten von Tauchen und Prokopetz in ihren Rollen als "Herr des Hasses" und seines Gehilfen, die im Song durch Sprechrollen und nicht durch Gesang in Erscheinung treten. Eine wunderbare kleine Geschichte mit dem Anliegen, Frohsinn zu stiften und die Menschen in der Welt dafür zu sensibilisieren, immer schön nett zueinander zu sein und das auch zu bleiben.

Musikalisch umgesetzt mit einem dem damaligen Zeitgeist entsprechenden und der Neuen Deutschen Welle eindeutig zuzuordnenden Arrangement, erschaffen mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und einem sphärischen Synthie-Teppich, brauchte die Song-Rakete schließlich nicht lange, um zu zünden. Die Nummer geht schließlich auch heute noch nicht nur direkt ins Ohr und die Blutbahn, sondern auch in die Beine. Obwohl Joesi Prokopetz dem Vorhaben der Plattenfirma, "Codo" als erste Single aus dem Album an den Start zu bringen, skeptisch gegenüber stand, ging die Nummer ab wie ´n Flummi. Wie schon erwähnt blieb das Lied in Deutschland ganze fünf Wochen auf Platz 1 der damals noch existierenden Media-Cotrol-Single-Charts. Auch in Österreich, den Niederlanden und Belgien platzierte sich das Lied auf Nummer 1. In Frankreich, Italien und Skandinavien rangierte "Codo" ebenfalls auf vorderen Plätzen. Die Single verkaufte sich insgesamt 1,2 Millionen Mal. Für heutige Verhältnisse utopische Zahlen. Die Plattenfirma veröffentlichte neben der Standard 7"-Single auch noch eine 12" Maxi-Single, auf der sich die 5:11 Minuten lange Maxi-Version von "Codo" befindet. Als besonderes "Schmankerl" erschien das Lied auch in einer jiddisch-englischen Version unter dem Titel "Cojdoj, the Flying Schissel", das auf der Single "Love Me" als B-Seite gereicht wurde. Das dazugehörige Album "DÖF" verkaufte sich schließlich über 500.000 Mal und kam bis auf Platz 9 der deutschen Album-Charts.





Den Erfolg von "Codo" konnte DÖF bzw. Tauchen/Prokopetz nicht wiederholen. Vielleicht lag es auch daran, dass "Codo" im gesamten Programm auf dem Album und der Live-Bühne ein echter Ausreißer war, den Prokopetz in dem hier schon erwähnten Interview sogar als "Ausrutscher" bezeichnete. Der Rest waren eher Lieder für Erwachsene, Sketche und den Massengeschmack nur wenig bedienende Kunst. Es folgten aus dem Album noch die Singles "Taxi" (Platz 57 der deutschen, Platz 10 der Dänischen [!!!] und Platz 2 der österreichischen Single-Charts) und "Love Me" (ohne Platzierung), beide aber ohne die Mitwirkung von Inga Humpe, die tatsächlich nur für "Codo" zum Einsatz kam und sonst nur im Background zu hören ist. Kurz darauf trennten sich Joesi Prokopetz und Manfred Tauchen wegen interner Spannungen.

"Codo" hat die vergangenen 40 Jahre gut überlebt, erfreut sich zweier Cover-Versionen aus den Jahren 1994 und 2004, und ist nach wie vor ein Party-Hit, der irgendwo immer zu hören ist, egal ob auf Sommer- und Stadtfesten, Ü40-Partys oder im Programm manch einer rollenden Disko. Nun bist Du also auch schon 40, lieber "Codo". Herzlichen Glückwunsch und bleib uns noch möglichst lange im Ohr …




   
   
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