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Ein Nachruf von Christian Reder. Fotos: Redaktion



Heute trägt nicht nur die Jazz-Welt schwarz, denn mit Ernst-Ludwig Petrowsky, auch "Luten" genannt, hat die Welt eine lebende Legende und Institution der deutschen Musikszene verloren. Am 10. Dezember 1933 als Sohn eines Großhändlers in Güstrow geboren, war Luten "der dienstälteste Jazzmusiker des Ostens" - wie er sich selbst mal bezeichnete. Ein Journalist der Melodie & Rhythmus nannte ihn 1982 sogar den "am weitesten gereisten, weltläufigsten Jazzmusiker der DDR". Er bereiste "beruflich" viele Länder der Welt und ist mit seinem Instrument, dem Saxophon, auf über 300 Platten und CDs zu hören, darunter auch auf einem Solo-Album, nämlich der nach ihm benannten LP aus dem Jahre 1978 (AMIGA, # 8 55 621).002 20230710 1984666242 Er war außerdem bis ins hohe Alter noch als Musiker auf verschiedenen Live-Bühnen zu erleben. Eins seiner letzten Konzerte, das wir von Deutsche Mugge mit ihm erleben durften, war das der Gruppe MODERN SOUL BAND im Rahmen des 10. Schulzendorfer Jazzsommer in der Patronatskirche zu Schulzendorf im Juli 2016, wo er mit seiner langjährigen Bühnenpartnerin und der Liebe seines Lebens, Uschi Brüning, einen Gastauftritt hatte. Nur wenige Monate danach wurde er nach Komplikationen bei einer Hüft-Operation aus dem aktiven Leben gerissen. Bei dieser OP im Jahre 2017 fing er sich wohl einen multiresistenten Keim ein und erholte sich von diesen Komplikationen nicht mehr. Er zog 2017 in eine Senioren WG ein, wo er gepflegt und betreut wurde. Seine Ehefrau Uschi unterstützte ihn dort nach Kräften und verbrachte trotz eigener Auftritte und anderer Verpflichtungen sehr viel Zeit bei und mit ihm. Das Bett verlassen konnte der Musiker nach Aussage einer guten Freundin nicht mehr, und an Saxophon spielen war in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr zu denken. Wo sie sonst gemeinsam auf der Bühne zu erleben waren, trat Uschi Brüning nun allein auf, aber stets an ihren Gatten erinnernd und ihn im Herzen bei sich tragend.

Dabei tat er in seinem Leben fast nichts anderes als Saxophon spielen und bei Konzerten auf der Bühne zu stehen. Das Wort "fast" steht dort deshalb, weil Ernst-Ludwig Petrowsky eigentlich Geige gelernt hatte, mit dem Instrument aber nicht wirklich voran kam. Also versuchte er sich als Jugendlicher am Saxophon und brachte sich das Spielen darauf selbst bei. Gemeinsam mit Freunden machte er zusammen Musik und setzte dort erstmals sein Saxophon ein. Eher durch Zufall, wie man in der Dokumentation "Einfach sein - für eine freie Musik" erfahren kann. Seine Kumpel wollten sich eigentlich nur sein Instrument ausleihen, doch nachdem er ihnen etwas darauf vorgespielt hatte, waren sie begeistert und ließen ihn den Saxophon-Part in der Gruppe übernehmen.
 
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Das war schon in den frühen 50ern des letzten Jahrhunderts. Seitdem hat Luten auf verschiedenen Bühnen gestanden und Jazz gemacht. In den Beiträgen alter Melodie & Rhythmus-Hefte aus den 60ern, die in unserem Archiv lagern, findet man heute nicht mehr allzu viele Namen, die einem bekannt vor kommen oder die man gut kennt. Seinen Namen kennt man aber schon. Sogar sehr gut. Er gilt völlig zu Recht als Urvater des DDR-Jazz, und wurde als solcher auch mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Im Jahre 1982 erhielt er den Kunstpreis der DDR und war dann auch Träger des Nationalpreises der DDR. Im Jahre 1997 wurde er mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet. Den Grundstein für seinen beruflichen Erfolg legte er dann 1962 als Mitbegründer des Manfred Ludwig Sextetts (Das Wort "Ludwig" im Bandnamen ist sein Vorname, "Manfred" gehörte zu Manfred Schulze), das 1964 eine LP mit der US-amerikanischen Sängerin Dorothy Ellison aufnahm (AMIGA, # 8 50 047) und bis 1970 zig Lieder produzierte. Im Sommer ´68 war er Teil der Gruppe STUDIO 4, mit der er beim internationalen Montreux Jazz Festival teilnahm. Nach seinem Ausstieg beim Manfred Ludwig Sextett gründete er im Jahre 1971 mit Ulrich Gumpert die Jazz-Rock-Band SOK und 1973 die Free-Jazz-Gruppe SYNOPSIS, die sich im Jahre 1984 unter dem Namen ZENTRALQUARTETT neu formierte. Mit dem ERNST-LUDWIG-PETROWSKY-QUARTETT gab es sogar eine Kapelle, die seinen Namen trug, und von der mit "Just For Fun" im Jahre 1973 in der Bundesrepublik sogar ein Album veröffentlicht wurde (Free Music Production, #FMP 0140). Luten hinterließ in unzähligen Bands und Projekten seine Spuren, u.a. bei Klaus Lenz, The George Gruntz Concert Jazz Band (mit der er seit den 80ern auch im westlichen Ausland tourte), Heinz Becker Group, Ulrich Gumpert Workshop Band, Günter Sommer Et Trois Vieux Amis, Globe Unity Orchestra, Tony Oxley's Celebration Orchestra und dem Not Missing Drums Project. Seit 1983 arbeitete Petrowsky regelmäßig mit Uschi Brüning zusammen, spielte in ihrer Live-Band und produzierte mit ihr Alben. Luten und Uschi kannten sich aber schon lange davor … Irgendwann wurden die beiden gar ein Paar, und nachdem er im Oktober 1981 knapp drei Wochen mit dem Bergisch-Brandenburgischen Quartett in den USA unterwegs war - er spielte dort in New York, Baltimore (Maryland), Richmond (Virginia), Greensboro (North Carolina), Philadelphia (New Jersey) sowie Allentown (Pennsylvenia) - und anschließend mit Heinz Becker und Klaus Koch vierzehn Tage in Indien Konzerte gab, folgte im Jahre 1982 die Hochzeit der beiden.
 
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Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Wirken eines der größten Musiker unseres Landes. Er war Vorbild für viele Kollegen und Inspiration für den Nachwuchs. Den US-Musiker Ornette Coleman hatte er selbst zu seinem Idol auserkoren, dabei musste er sich wirklich hinter keinem anderen Kollegen verstecken, denn er machte als Autodidakt über die Grenzen unseres Landes hinaus Karriere. In den letzten Tagen ging es Petrowsky leider immer schlechter. Die hohen Temperaturen dieses Tropensommers waren da nicht förderlich, wie die eben schon erwähnte Freundin erzählt. Heute am Montag, den 10. Juli 2023, ist Luten eingeschlafen und wurde von all seinen Leiden erlöst. Keiner von uns weiß, was "danach" passiert, aber zu wünschen ist ihm, dass er wieder stehen und Saxophon spielen kann. Irgendwo da draußen. Vielleicht mit seinem alten Kumpel Manfred Schulze, Manne Krug begleitend, und fachsimpelnd mit dem sich kurz vor ihm verabschiedet habenden Joachim Schmauch. Ein schöner Gedanke, der vielleicht auch seine Frau Uschi etwas tröstet. Unser tief empfundenes Beileid sprechen wir ihr und seiner Familie auf diesem Wege aus, verbunden mit dem Wunsch nach viel Kraft in der nächsten Zeit.




   
   
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