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Ein Kommentar von Christian Reder. Fotos: Pixabay



Ein oder zwei Dinge vorweg: Man muss RAMMSTEIN und ihre Musik nicht mögen, um diesen Kommentar aufmerksam zu lesen. Seht es bitte mal aus der Sicht eines Betroffenen, der sich gerade schweren Vorwürfen ausgesetzt sieht, die öffentlich wurden, und die nur schwer zu entkräften sind.

Ich kenne Till Lindemann nicht persönlich (wie wohl kaum ein anderer von Euch, oder?). Mir ist er nur als Kunstfigur, nämlich als Sänger von RAMMSTEIN und als Solist, bekannt. Aber ja, ich finde die Musik der Gruppe RAMMSTEIN gut und höre sie seit den Anfängen der Kapelle. Mitte der 90er, genauer gesagt 1995, schleppte ein guter Kumpel von mir (Liebe Grüße, Uli) die Promo-Kassette einer bis dahin unbekannten Berliner Rockband namens RAMMSTEIN an. Die haben wir uns auf der Fahrt nach Frankfurt/Oder zu einem KARAT-Konzert im Auto angehört. Meine Fresse, war das geiles Zeug! Die Band war für mich in all den Jahren auch unabhängig davon, was sie musikalisch so auf der Pfanne hat, deshalb Kult, weil sie immer so unnahbar war. Man kommt nie wirklich an sie ran, Autogrammstunden gaben sie meines Wissens nie und morgens beim Brötchen holen an der Tanke laufen sie einem auch nicht über den Weg. Einzig Christoph Doom Schneider traf ich vor acht Jahren mal bei einer Backstage-Party von KARAT zu deren 40. Bandgeburtstag in der Berliner Waldbühne, wo er als Gast auf der Bühne trommelte. Auch hier war spannend zu beobachten, dass der Typ stets einen Bodyguard neben sich laufen und stehen hatte. Das war so schräg, dass es schon wieder cool war. Wie dem auch sei. Ende einer langen Vorgeschichte.


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Darüber, was das Ensemble abseits der Bühne so feiert und ablaufen lässt, habe ich mir nie Gedanken gemacht. Mich interessiert pauschal immer zuerst die Musik und nicht das Privatleben der einzelnen Musikanten. Im Falle RAMMSTEIN war es auch immer so, dass sie es gut von der Öffentlichkeit zu verbergen wusste, was Privates betrifft. Andere wälzen ihr Scheitern im Leben und in Beziehungen ja gern mal in den bunt gedruckten Auslegewaren von Wartezimmern aus, dies tat RAMMSTEIN nie. Was mir aber bekannt ist: Im Rock'n Roll und speziell bei Backstage-Partys kommt es schon mal vor, dass es zugeht wie in einem Hamsterkäfig. Mit einer promiskuitiven Grundeinstellung fällt da - manchmal auch unter Einfluss diverser Hochstimmung erzeugender Substanzen - jeder über jeden her und baut so Hormonstau ab. Es soll sogar Amateursänger geben, die nach ihren Muggen alles "wegflanken" was nicht schnell genug aus der Halle kommt (entschuldigung für meine flapsige Formulierung). Das kann man toll oder abstoßend finden … bleibt jedem selbst überlassen … aber keiner muss so tun, als sei dies nun die große Neuigkeit. Das gab es schon in den 70ern … wenn nicht sogar schon früher. Und an anderer Stelle wird sowas gern auch als "sexuelle Freizügigkeit" etikettiert. Immer so, wie man es gerade wohl braucht.

Nun steht der Vorwurf im Raum, bei RAMMSTEIN geht es bei und nach Konzerten ab wie beim Fliesenlegen. Es soll Castings geben, bei denen vorab Mädels und Frauen ausgewählt werden, die der Band - hier aber insbesondere wohl dem Frontmann - am Rande der Show sexuell gefällig sein sollen. Niemand außerhalb des "Inner Circles" kann sagen, wie das abläuft, was den Damen angeboten bzw. über den Ablauf erzählt wird, und ob da tatsächlich jemand im Unklaren darüber gelassen wird, was am Ende passieren wird. Und - das ist für mich das WICHTIGSTE: Ob es da überhaupt in erster Linie um möglichen Sex geht oder darum, dass man einfach nur von schönen jungen Frauen umgeben sein möchte. Immerhin ist man mit 60 nicht mehr der Partyhengst, dem sowas im "realen" Leben häufiger passiert. Ebenso wenig ist bekannt, ob da Drogen im Spiel sind und es eine Pflicht gibt, diese auch fröhlich einzunehmen, um dann auch ordentlich willig und gefügig zu sein. Nach über 20 Jahren Existenz einer sogenannten "Row Zero" (Das ist dieser Partybereich vor der Bühne, in dem sich die ausgewählten Frauen aufhalten und aus der sie ohne Probleme in den Backstage-Bereich gelangen können) kam nun eine der "geladenen" Damen, um schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann zu erheben. Sie sei unter Drogen gesetzt worden, hätte einen Filmriss gehabt und am anderen Tag dort blaue Flecken gehabt, wo sie a) nicht hin gehören und b) deren Entstehung sie sich nicht erklären konnte. Ob sie damit direkt zur Polizei ging, ist hier (und wohl auch woanders) nicht überliefert, aber dass die Presse davon umgehend informiert werden musste, war wohl alternativlos. Ich bitte zu beachten, dass allein dieser Fakt ein gewisses Geschmäck'le in sich birgt. Soweit das, was bisher geschah …

Nun sollte man nach den noch gar nicht allzu lang zurückliegenden Ereignissen mit und um "Jörg Kachelmann" und "Gil Ofarim" denken, die Medien und ihre Konsumenten gingen inzwischen anders und sensibler mit derlei Vorwürfen um, und würden den Satz, "Es gilt die Unschuldsvermutung", endlich mal beherzigen, aber nichts davon ist der Fall. Ein Lernprozess hat nicht stattgefunden, im Gegenteil. Angeheizt von den Medien hat das Volk endlich wieder eine Sau, die man gnadenlos durchs Dorf jagen kann, ohne die genauen Hintergründe zu kennen. Aber eine unumstößliche Meinung hat man schon mal. Dass da eine ehemalige Lebensgefährtin des Beschuldigten und zahlreiche Frauen aus besagter "Row Zero" berichten, Lindemann sei nicht wie von dem mutmaßlichen Opfer beschrieben, und dass hinter der Bühne nix unter Zwang, unter Drogen oder ohne Einwilligung der Frauen passiere, interessiert die Berichterstatter nur am Rande bis gar nicht, und man erfährt es lediglich über die Auslandspresse (Schweiz, "Neue Zürcher Zeitung"). Das ist eine Nachrichtenkultur, wie man sie sich als - womöglich unberechtigt - Beschuldigter in seinem Land nur wünschen kann. Gerade gestern (7. Juni) berichtet ein Kölner Privatsender in seinen Abendnachrichten von dem RAMMSTEIN-Konzert in München, nutzt dafür - wohl ohne eine Akkreditierung vom Veranstalter oder der Band bekommen zu haben - ein Handy-Video, gefilmt aus dem Publikumsbereich, mit Ausschnitten der "Live-Show" (!!!), und kübelt weiter Massen von Unrat über Band und Sänger aus. Immer noch ohne direkte Beweise oder eine rechtskräftige Verurteilung im Gepäck zu haben. Die Öffentlich-Rechtlichen tun dies ähnlich, nur ohne "Handy-Videos".


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Speziell der besagte Kölner Privatsender, der seit Jahren einen Tabu-Bruch nach dem anderen begeht, für Gossen-Unterhaltung und das öffentliche Vorführen von Menschen und deren Schwächen in Talent und Aussehen (Casting-Shows, Scripted Reality) bekannt und berüchtigt ist, rümpft die Nase über jemanden, der auf eine für viele von uns seltsam anmutende Art und Weise Nähe zum anderen Geschlecht sucht? Möglicherweise steckt sogar noch was anderes dahinter, z.B. eine Hypersexualität (Sexsucht). Das wäre wie der Alkoholismus pathologisch, und seit wann nutzen wir denn sowas, um einen öffentlich an den Pranger zu stellen? Der Umgang damit (auch intern) wäre dann aber eine andere Geschichte und - ich betone das ausdrücklich - in diesem Fall nur eine mögliche Erklärung und KEINE Unterstellung in Richtung Musiker. Sollte aber vor einer öffentlichen medialen Hinrichtung in Betracht gezogen werden.

Auf mich persönlich wirkt der Vorwurf der Irin wie ein für die Gosse (Boulevard klingt für mich in Bezug auf eben genannte Medien viel zu aufwertend) willkommener Anlass, die Gruppe RAMMSTEIN endlich öffentlich fertig zu machen und abzuwickeln. Dies gelang in all den Jahren nicht, als man ihr z.B. eine rechte Gesinnung andichten wollte und das provokante aber künstlerische Verwenden von Symbolen zum Vorwurf machte. In keinem Moment war die Band angreifbar und das dürfte dem einen oder anderen "Jäger" mächtig ein Dorn im Auge gewesen sein. Ich wiederhole mich gerne: Ich kenne Till Lindemann nicht persönlich. Kenne weder seine Vorlieben noch seine Abneigungen. Es kann auch gut sein, dass ich mich mit meinem Kommentar hier mächtig verhebe und in zwei Wochen eingestehen muss, dass mich mein Gefühl getäuscht hat, aber für mich gilt im Moment (und auch in Zukunft bei möglichen anderen Fällen dieser Art) diese "Unschuldsvermutung" so lange, bis es eindeutige Beweise dafür gibt, dass hier was passiert ist, das nicht passieren durfte. Das liegt an der Erziehung, die ich genossen habe, und an meiner juristischen Ausbildung. Aber die sind keine zwingende Voraussetzung dafür, erst mal den Ball flach zu halten, den eigenen Kopf zum Denken zu nutzen und abzuwarten, was am Ende des Tages zu konstatieren ist.

Bedenke: Ein Gerücht in die Welt setzen kann jeder. Es wieder einfangen und neutralisieren ist so gut wie niemandem möglich!




   
   
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