KARUSSELL: "Unter den Sternen" (Album)

lp13 20240322 1133300626VÖ: 19.04.2024; Label: Monopol Records; Katalognummer: 941763; Musiker: Joe Raschke (Gesang, Keyboards), Reinhard "Oschek" Huth (Gesang, Gitarre), Moritz Pachale (Gitarre), Jan Kirsten (Gesang, Bass), Wolf-Rüdiger Raschke (Keyboards), Benno Jähnert (Schlagzeug); Bemerkung: Dieses Album ist ausschließlich auf CD erhältlich;

Titel:
"Edens Traum", "Unter den Sternen", "Spätsommer", "Kindertraumland", "Wenn's darum geht", "Schwarzes Theater", "Lebenskraft", "Manchmal", "Jeder gegen jeden", "Brauchen wir Dich", "Mondlicht", "Stark", "Wer die Rose ehrt"


Rezension:


Nach "Erdenwind" im Mai 2018 hätte ich wetten können, dass KARUSSELL kein neues Album mehr machen wird. Das Ding war so schwach auf der Brust, dass es aus dem Stand die Pflegestufe 3 erreicht hat. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Album keine weiteren Spuren hinterließ. Es war da und dann auch schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwunden. Umso überraschter war man dann, als die Ankündigung zu einem neuen KARUSSELL-Album das Netz durchstreifte. "Unter den Sternen" wird es heißen und am 19. April im Handel erhältlich sein. Man durfte also gespannt sein, besonders nach dem, was ich hier als Einleitung schrieb.

Die Band hat seit 2021 mit Moritz Pachale einen neuen Gitarristen in ihren Reihen. Als der Bursche in die damals 46 Jahre alte Kapelle um Vater und Sohn Raschke einstieg, war er noch ein Teenager. Geboren 2002 in Zerbst, kam er zur Welt, als KARUSSELL schon viele Jahre auf den Bühnen aktiv war und zig Erfolge gefeiert hatte. Man sollte eigentlich glauben, er würde irgendwo mit Gleichaltrigen in einem eigenen Projekt ordentlich Radau machen, so wie man es als Teenie eben macht, wenn man in einer Band spielt. Aber er entschied sich für den Einstieg bei den Rock-Dinos, und dieser war Gold wert. Um es vorweg zu nehmen: Moritz Pachale senkt nicht nur den Altersdurchschnitt von KARUSSELL, er wirkt mit seinem fantastischen Gitarrenspiel wie ein Jungbrunnen, und das überträgt sich scheinbar auch auf die anderen Kollegen. Der Schuss hätte bei der Wahl eines Nachfolgers für Jens Legler, der erst 2019 den langjährigen Klampfer Hans Graf beerbte, auch voll nach hinten gehen können, hätte man sich für einen Kollegen entschieden, der alterstechnisch auf Augenhöhe gewesen wäre. Möglicherweise hätte man sich da irgendeine Schlaftablette eingefangen, die nach einer flotteren Nummer schon so müde gewesen wäre, dass er von sich aus in die stabile Seitenlage gefallen wäre. Oder man hätte irgendeinen "Altmeister" erwischt, der seinen sich über die Jahre eingeschliffenen Stiefel hätte runter reiten wollen, und jede Nummer irgendwie hätte gleich klingen lassen. Hat ja in den 70ern auch ganz wunderbar geklappt, und warum sich kurz vor der Rente nochmal umstellen? Das alles ist dem Leipziger Ensemble aber erspart geblieben, denn man hat sich eben Moritz Pachale ins Boot geholt, und der vereint "alte Klasse" mit jugendlicher Spielfreude. Doch dazu gleich noch mehr …

Auf "Unter den Sternen" zeigt sich die Gruppe KARUSSELL so frisch und knackig wie schon lange nicht mehr. Auch hier möchte ich vorab schon spoilern … für meinen Geschmack ist das hier das beste Album der Band seit den 80ern.
Gleich zu Beginn hinterlegt die Formation in Person von Joe Raschke am Mikrofon mit dem Song "Edens Traum" den Wunsch nach einer besseren Welt. Es wird von einem Traum gesungen, in dem man in einer Welt ohne sämtliche durch Kommerz hervorgerufenen schlechten Eigenschaften friedlich mit allen anderen Menschen leben kann. "Wie unter Edens Bäumen könnte es sein", heißt es da, und außerdem: "Für mich das größte Kompliment, wenn man mich einen Träumer nennt". Na klar, wer möchte nicht mit John Lennon verglichen werden ("Imagine")? Musikalisch umgesetzt ist dieser Wunsch in einer stark von 80er Einflüssen geprägten Pop-Rock-Nummer, bei der erstmals der Junge Gitarrist und der entspannt vor sich hin groovende Bassist Jan Kirsten angenehm auffallen. Toller Start.
Der dem Album seinen Namen gebende Titel, der gleich an zweiter Stelle kommt, handelt vom Ausflug in die Nacht, bei dem man sich in die Wiese legt und dabei die Sterne beobachtet. Das Lied beschreibt die "unendlichen Möglichkeiten", die einem so ein Blick eröffnet und liefert einem gleich den passenden Song für eine der bald wieder zu erwartenden lauschigen Sommernächte. Musikalisch ist das Stück mit dem Opener verwandt und auch der zweite Titel wird erneut von Joe Raschke gesungen.
Daran, dass KARUSSELL eine echte Rockband ist, lässt die Kapelle in dem ebenfalls von Joe gesanglich vorgetragenen Stück "Spätsommer" keinen Zweifel. Fetter Gitarren-Sound und ein hämmernder Bass empfangen den Hörer direkt zu Beginn. Lediglich in den Strophen gleitet man in balladeske Gefilde ab, wird passend zum Thema ruhiger, um im Refrain gleich wieder richtig loszuhämmern. Das Lied handelt von den letzten Tagen eines Sommers, über ein letztes Bad im bereits kühlen Wasser des Sees und einen letzten Blick zurück auf den Ort, der einem in der warmen Jahreszeit ein Zuhause war. Mit Wehmut wird auf die nahende dunkle Jahreszeit geblickt. Textlich ist das Szenario richtig gut eingefangen und man kann das gut nachempfinden.
Ein weiterer von Joe gesungener Titel ist "Kindertraumland". Ein Stück, das von den Erinnerungen an Kindertage handelt. Wie schon im zuvor beschriebenen Song schwingt auch hier wieder eine Menge Wehmut mit, denn die Unbekümmertheit aus Kindertagen und die Lockerheit dieser Zeit wird hier vermisst. Klar ist, dass sie sich nicht mehr reproduzieren lässt, aber es wird an der Stelle des Songs in optimistischere Straßen abgebogen, wenn darüber gesungen wird, dass man sich diese Erlebnisse immer wieder in Gedanken zurückholen kann, wann immer man das möchte. Sie sind nicht weg - sie sind immer im Kopf abrufbar. Die Musik ist hier eher zurückhaltend, aber sehr detailverliebt. Da klingt eine sphärische Gitarre und der Bass blubbert angenehm dazu.
Dass Teile der Gruppe KARUSSELL keine Freunde der aktuellen Politik sind, konnte man in jüngerer Vergangenheit der einen oder anderen Wortmeldung in sozialen Netzwerken deutlich entnehmen. Manch einer von ihnen war dann des Nächtens sehr aktiv, weil ihm da wohl immer "die besten Ideen" kamen. Dies wird nun auch nochmal musikalisch mit dem Song "Wenn's darum geht" unterstrichen. Erstmals kommt nun Reinhard "Oschek" Huth als Sänger zum Zuge, und er stellt sogleich die Frage, wem man ob all der leeren Versprechungen denn nun noch glauben und vertrauen kann. Der Blick geht eindeutig Richtung Berlin und der Song spiegelt die Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik deutlich wieder. Musikalisch ist das Stück eins aus der alten KARUSSELL-Schule mit einer Mischung aus E- und Akustik-Gitarre und dem unverwechselbaren Gesang von "Oschek".
Das folgende Lied "Schwarzes Theater" knüpft da inhaltlich an. Es geht um das fremd gesteuert sein und das taube Gefühl das man hat, wenn sich etwas in eine gefühlt falsche Richtung entwickelt. Es geht ferner um die Ablenkung vom Wesentlichen durch geschickt platzierten Mumpitz (Opium fürs Volk) und die Unwissenheit darüber, wer da eigentlich die Fäden in den Händen hält. Der Texter gibt hier seine Gefühle über die derzeitige Situation wieder und fügt seine Hoffnung hinten an, dass der Vorhang bald fallen möge. Was dann wohl zum Vorschein kommt? Der Song ist recht düster arrangiert. Moritz Pachale liefert hierzu ein abwechslungsreiches Gitarrenspiel zwischen U2 und Eric Clapton, während Jan Kirsten nicht nur sehr ausladend seinen Bass spielt sondern die Nummer auch noch singt. Ein weiteres sehr passendes Detail sind die geisterhaften Synthie-Töne zum Ende hin, die die Finsternis des Inhalts noch zusätzlich verstärkt.
Weiter geht es mit "Lebenskraft", in dem Joe sein Patentrezept preis gibt, wie er einem sich annähernden Burn Out begegnet. Dieses Gefühl, langsam auszubrennen und dem Stress des Alltags nicht mehr Herr werden zu können, dürfte in der heutigen, auf Erfolg ausgerichteten Zeit sicher vielen von uns bekannt vorkommen. Der Problemlöser in Liedform kommt hier als locker dahin perlende Pop-Nummer aus den Boxen, bei der einmal mehr Moritz Pachale die 80er wieder aufleben lässt, und mit dem der Band ein echter Ohrwurm gelungen ist.
Thematisch damit verwandt ist das folgende von Jan Kirsten gesungene "Manchmal", in dem die Dinge im Leben, die einem mal gut, mal weh tun, umschrieben werden.
Zu seinem zweiten und letzten Einsatz als Sänger auf diesem Album kommt dann "Oschek" Huth im Stück "Jeder gegen Jeden" nochmals an die Reihe. Und nochmal wird ein finsteres Szenario gezeichnet, denn es geht um den Spalt in der Gesellschaft, in der keiner dem anderen mehr traut, jeder seinen Mitmenschen missgünstig gegenüber steht und das alles als realer Alptraum empfunden wird. Diese Botschaft ist dann auch dem Anlass gerecht in düstere Moll-Töne gekleidet und hat am Ende auch keine positive Botschaft in Form eines Ausblicks auf bessere Zeiten im Gepäck. Vielmehr die mahnenden Worte, dass das Leben eigentlich zu kurz dafür ist, sich gegenseitig zu bekriegen.
Alsdann haut uns Jan Kirsten "Brauchen wir Dich" um die Ohren. Er slappt den Bass wie der Teufel und singt diese Nummer hier, die von einem echten Unsympathen handelt. So einen kennt jeder von uns … einen Vordrängler, Besserwisser und Narzissten. Das Stück hier ist scheinbar das passende Gegenstück zu "Scheißtyp" von DIE ÄRZTE und ein ordentlicher Rocksong als Tritt in den Hintern all derer, die hier gemeint sind. Herrlich!
Das folgende "Mondlicht" wird ebenfalls von Jan Kirsten gesungen, und auch hier darf er sich an seinem Instrument ordentlich austoben. Eine druckvoll arrangierte Nummer mit wunderbarem Gitarrensolo von Moritz Pachale.
Das für meinen Geschmack schönste Lied ist "Stark", in dem Joe über seine "wunderschöne Marinella" singt und in dem ein echtes Herz schlägt. Hört mal genau hin … Es ist die tragische Geschichte über einen geliebten Menschen, der seinen Kampf gegen eine schwere Krankheit verlor und nun nicht mehr da ist. Das Gebet an Gott, er möge alles zum Guten wenden, kam zu spät und es ist nunmehr der Versuch "zu verstehen, warum das Wunder ausblieb". Trotz aller Traurigkeit schimmert im Refrain, in dem es heißt, dass man jetzt stark sein muss, der Optimismus durch und der Plan, allein weitermachen zu wollen, wird gefasst. Die Zeile, "Ich werde Dich tragen, in meinem Herz bis zu den letzten Tagen", ist dann das Versprechen, den Menschen auf diese Weise weiterleben zu lassen. Selbst als gefühlskalter Hauklotz dürfte Dir dieses Lied ans Fell gehen. Einfach großartig.
Als letzten Song hat KARUSSELL seinen eigenen Klassiker "Wer die Rose ehrt" als Remake mit auf die Scheibe genommen. All denen, die jetzt schon abwinken und sagen, "nicht schon wieder", sei empfohlen, sich das Stück in aller Ruhe doch anzuhören. Ihr wurde durch Jan Kirsten am Bass und den hier schon mehrfach erwähnten und gelobten neuen Gitarristen Moritz Pachale ein verdammt geiler Sound implantiert, der sich hören lassen kann. Kirsten kriecht einem mit seinen tiefen Bassläufen weit unter die Haut während Pachale im zweiten Teil des Stücks ziemlich beeindruckend zeigt, was für ein genialer Saitenhexer er doch ist. Dem Klassiker wurde so eine jugendliche Haut übergezogen und die Patina abgeschüttelt. Cäsar würde vor Verzückung wahrscheinlich ein Tränchen verdrücken. Großartig.

Zum Inhalt einzelner Songs muss an dieser Stelle noch was angemerkt werden. Es ist immer wieder spannend, die populistischen Vollpfosten von denen zu trennen, die in ihren laut geäußerten Bedenken zu bestimmten Themen echte Sorgen haben. Der eine formuliert sie, ohne dem anderen dabei auf den Schlips zu treten. Der Andere ist so dermaßen einfach gestrickt, dass man sich wünscht, er würde einfach etwas leiser dumm sein und seine fragwürdigen Gedanken lieber für sich behalten. Davon durfte und darf man sich ja bei den weiter oben schon angesprochenen Sozialen Netzwerken immer wieder selbst überzeugen, wenn da einer mit einem von Drogen verrauchten Hirn im Netz unterwegs ist und dort seine Psychosen offen zur Schau trägt. Aber diese Leute sprechen immer für sich - nie für eine Gruppe. Es gibt viele unter uns, die wirklich echte Sorgen haben, und diese auch im Chor der vielen Stimmen äußern. Existenzängste, Angst vor Gewalt, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor Impfungen oder dem nahenden Krieg … Irgendwo müssen sich solche Gedanken schließlich Bahn brechen. Diese gilt es eben von den anderen zu unterscheiden. Und gerade auf diesem Album werden Lieder wie "Schwarzes Theater" und "Wenn's darum geht" mit Sicherheit polarisieren. Es würde mich wundern, wenn es anders wäre. Die, die der aktuellen Politik im Lande positiv gegenüber stehen, werden darin Geschwurbel und fragwürdiges Gedankengut entdecken. Andere, die sich mit dem Inhalt der Lieder identifizieren können, werden jubeln und sich freuen, dass endlich mal Musiker Farbe bekennen und die Dinge beim Namen nennen. Ich empfinde sie als gute Grundlage, auch mal unbequeme Themen zu diskutieren und zu hinterfragen, wer denn hier jetzt welche Probleme anspricht und auch Lösungsvorschläge hat. Das mag jeder für sich entscheiden, wie er dazu steht und für wie glaubwürdig er diese oder jene Wortmeldung hält. Aber irgendwann, liebe Freunde, müssen wir alle wieder eins werden. Und selbst wenn man anderer Meinung ist, lässt man dann vielleicht auch noch einmal "Edens Traum" auf sich wirken, in dem eben von einer friedlicheren Welt geträumt wird, in der man auch anderer Meinung sein kann, ohne gleich der Feind zu sein, den es zu bekämpfen gilt.

Das Album ist insgesamt - ich erwähnte es bereits - ein echt starkes Teil geworden. Es ist gut produziert, hat einen glasklaren Klang, viele verspielte Momente, und eine eindeutige Handschrift. Diese wurde ihr von den Produzenten Wolf-Rüdiger Raschke und Alex Wende verpasst. Ihr Pinselstrich gibt jedem der Stücke herrliche Konturen. Keine Ahnung wie es gekommen ist, aber es ist absolut erfreulich, dass Jan Kirsten mehr "Sichtbarkeit" auf dem neuen Album bekommen hat. Nicht nur gesanglich (so viele Songs auf einer Platte gab es bisher mit seiner Stimme nicht), sondern auch handwerklich am Bass tritt er deutlich in den Vordergrund. Das eröffnet klanglich neue Möglichkeiten. Sein Spiel klingt bei TAKAYO schon geil, nun darf es das auch bei KARUSSELL. Zum Gitarristen ist bereits alles gesagt. Er ist in jedem einzelnen Lied wenn nicht mit einem Solo, dann aber zumindest mit irgendeiner raffinierten Feinheit zu hören und steht wie Kirsten auch deutlich im Vordergrund. Einzig die spärliche Ausbeute von "Oschek-Liedern" will ich noch erwähnen. Ist die Nachtigall müde? Von ihm hätte ich gern noch zwei oder drei Songs mehr gehört, immerhin ist er DIE Stimme dieser Band. Aber dann wäre das hier wohl ein Doppelalbum geworden, oder? Für mich befindet sich KARUSSELL auf einem guten Weg in die Zukunft. Die Band war beim Sachsendreier schon die positive Überraschung und hat mit ihren Auftritten dort sämtliche im Vorfeld geäußerten Bedenken in alle Winde zerstreut. "Unter den Sternen" lässt jetzt auch das schwache Vorgänger-Album in Gänze vergessen und zeigt die Band wieder als echte Rockband mit tollen Songs und guten Ideen. Bitte mehr davon, und nicht erst wieder in sieben Jahren. Vielleicht treibt sie ja der junge Moritz Pachale schnell wieder ins Studio für ein nächstes Album … Wer weiß?!
(Christian Reder)









   
   
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