Dietrich Kessler: "Stasi-Knast" (Buch)

kessler2024 20240223 1885166533VÖ: 01.02.2024;
Verlag: Engelsdorfer Verlag;
ISBN-13: 978-3969407172;
Autor: Dietrich Kessler;
Beschreibung: 294 Seiten, Taschenbuch/broschiert, Wiederauflage des 2001 veröffentlichten Buches;


Rezension:


Die junge Generation, die die DDR nicht mehr erlebt hat, wird viele Erzählungen aus der Zeit vor 1989 wohl nur schwerlich begreifen oder gar glauben können, wenn ein Betroffener seine Erlebnisse offenbart. Die Zeit war damals eine Andere. Die Welt ebenso, und die Menschen erst recht. Was damals alles (un)möglich war und was z.B. manch ein Musiker mitmachen musste, ist heute weit weit weit weg. Gott sei Dank. Einfach auf eine Bühne gehen und dem Publikum seine Musik vorspielen, ging schon mal nicht. Dafür bedurfte es eines "Ausweises" und einer "Eignungsprüfung" vorweg. Und was Du sagen bzw. singen durftest, entschieden ebenfalls Andere für Dich. Wenn da irgendwas nicht gepasst hat, warst Du plötzlich im Fokus der Behörden. Ein Spiel- und damit Berufsverbot hing für "ausgewählte" Musiker immer irgendwie in der Luft, und der Grat zwischen Knast und Freiheit war scheinbar ein sehr schmaler. Das Arbeitsleben eines Musikers, der nicht der "Norm" entsprach, wurde durch Willkür und dem Wohl und Wehe von Leuten bestimmt, die man nicht zum Feind haben wollte. Frag nach bei den Herren der BÜRKHOLZ FORMATION oder RENFT …

Oder aber bei Dietrich Kessler. Er ist einer derer, die die ganze Klaviatur der Schikanen von der Stasi vorgespielt bekamen und live-haftig miterlebten, was einem passieren konnte, wenn man nicht "auf Linie" war. Kessler, in der DDR Musiker der KLOSTERBRÜDER und der Gruppe MAGDEBURG, schrieb darüber das Buch "Stasi-Knast", das 2001 erstmals erschien, und nun in einer überarbeiteten und ergänzten Fassung wiederveröffentlicht wurde. Er gibt darin einen kurzen Einblick, wo er eigentlich herkommt, wie er Musiker wurde und was er alles gemacht hat. Das war es dann auch schon mit der "Kultur" und der sonst üblichen Musikerbiographie in diesem Buch, denn der Fokus liegt ganz woanders. Dietrich Kessler erzählt vielmehr sehr ausführlich über die Dinge, die er nach seinem 1981 gestellten Ausreiseantrag in der DDR erleben musste. Diesen Ausreiseantrag stellten die Musiker der Gruppe MAGDEBURG nämlich geschlossen, was damals in der Form noch nie passierte. Sie hatten die Schnauze voll von den Steinen, die man ihnen immer wieder in den Weg legte. Lest dazu auch das Interview mit Dietrich in unserer Rubrik "Interviews". Die Geschehnisse nach dem Stellen der Anträge, all die Schikanen, die Kessler dann über sich ergehen lassen musste, seine Verhaftung, sein Verhör bei der Staatssicherheit und die Untersuchungshaft im Stasi-Knast … Orte, Menschen, Verhaltensweisen, viele Kleinigkeiten und Dinge, die gesagt wurden … an all das kann sich Kessler sehr gut erinnern und gibt seine Erinnerungen bis ins kleinste Detail wieder. Einmal eingetaucht in seine Erzählung ist man hautnah dabei, was ihm in den frühen 80ern wiederfuhr. Bedrückend, erschreckend, beklemmend. Punkt für Punkt und detailiert wird hier aufgearbeitet, was passiert ist, bis zu dem Punkt, an dem ihn der Westen frei kaufte und er in die BRD ausreisen konnte.

"Stasi-Knast" war lange vergriffen und nicht mehr im Handel erhältlich. Teilweise zu Phantasiepreisen wurden gebrauchte Exemplare im Netz zum Kauf angeboten. Dabei gehört so ein Werk in den Geschichtsunterricht von Schulen. Gegen das Vergessen! Der Engelsdorfer Verlag hat jetzt zumindest dafür gesorgt, dass das Buch - um sechs Seiten im Vergleich zur Erstauflage erweitert - wieder greifbar ist und Menschen es lesen können. Vielleicht entdeckt nun doch noch der eine oder andere Lehrer diese Geschichte aus erster Hand, diesen Erlebnisbericht eines direkt Betroffenen, und gibt ihn an seine Schüler weiter, damit diese die Freiheit, die wir alle heute genießen dürfen, richtig zu schätzen wissen. Möge der Autor seinen inneren Frieden wieder gefunden haben und sowas nie wieder passieren.
(Christian Reder)









   
   
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