RENFT: "Live 1990" (Album Box)

lp05b 20231127 1030978994VÖ: 24.11.2023; Label: Marktkram/BuschFunk; Katalognummer: 06579; Musiker: Thomas "Monster" Schoppe (Gesang, Gitarre), Klaus Renft (Bass), Peter Pjotr Kschentz (Saxofon, Geige, Flöte), Lutz Heinrich (Gitarre), Robert "Gohlis" Hoffmann (Keyboard), Jochen Hohl (Schlagzeug); Bemerkung: Wiederauflage des 1990 erschienenen Live-Albums auf CD samt Bonus DVD mit Konzertfilm, O-Tönen von vier beteiligten Musikern und zusätzlichem Material. Verpackt im Digipak mit Booklet. U.a. erhältlich bei Buschfunk: HIER;

Titel:
CD: "Ouvertüre", "Ermutigung", "Was mir fehlt", "Wandersmann", "Gänselieschen", "Rockballade vom kleinen Otto", "Liebeslied", "Nach der Schlacht", "Als ich wie ein Vogel war", "Zwischen Liebe und Zorn", "Wer die Rose ehrt", "Mama", "Ich und der Rock", "Banana Boat Song", "Cäsars Blues", "Going Home"
DVD: 1.) O-Töne von Monster, Jochen Hohl, Lutz Heinrich und Robert "Gohlis" Hoffmann. 2.) Konzertmitschnitt aus Weißenfels mit den Tracks "Intro Verbotstext", "Ermutigung", "Was mit fehlt", "Wandersmann", "Gänselieschen", "Liebeslied", "Mama", "Nach der Schlacht" und "Als ich wie ein Vogel war". 3.) Audiodatei "Rundfunk-Medley 1990". 4.) Audiodatei "Single 1990 - A- und B-Seite"


Rezension:


Als RENFT verboten wurde, war ich ein kleiner Stöppke, lebte "in einem anderen Land" und hörte nur die Musik, die mir Kindergartentanten auf Wanderklampfen und Kinderprogramme im TV anboten. Darum tauge ich als Zeitzeuge zum Thema RENFT auch gar nicht. Aber wenn ich was über RENFT wissen möchte, frage ich jemanden, der damals als Fan dabei war und eben auch in diesem "anderen Land" gelebt hat, in dem sich die uns allen bekannten Ereignisse um RENFT und das Verbot dieser Kapelle zugetragen haben. Für mich ist mein Kumpel Andreas DER Kenner dieser Band. Er war damals Teenager und glühgender Anhänger der Gruppe, ihrer Musik und ihrer Mitglieder (und ist es immer noch). Andreas kennt nicht nur die Band aus dem Effeff, sondern weiß auch Hintergründe. So fragte ich mich schon länger (und jetzt eben ihn), wie das denn wohl damals bei den Fans so war, als die Band verboten wurde. Wie und woher hatten sie davon erfahren, denn in der DDR gab es bekanntlich keine Boulevard-Medien, die plakativ über das Aus einer der beliebtesten Bands des Landes berichteten. "Das Verbot hatte sich sehr schnell über den Buschfunk herumgesprochen", erzählt er mir. "Trotzdem es in den Medien nicht öffentlich gemacht wurde, wussten es alle. Außerdem merkten die Leute das daran, dass RENFT über Nacht aus den Sendungen des Rundfunks und Fernsehens, und ihre Platten aus den Läden verschwunden waren." Verrückte Zeiten, über die mir Andreas da berichtet. Nur die verkauften und in "Privatbesitz" befindlichen AMIGA-LPs aus den Jahren 1973 und 1974 zeugten von der Existenz dieser Rockband, die in den 70ern auf Augenhöhe mit den PUHDYS unterwegs war. Und natürlich die Erinnerungen der Leute, die nicht aus den Köpfen heraus zu bekommen waren. Egal, ob man ihnen ihre Band nun verboten hatte, oder nicht. Die Musiker verschlug es - teils freiwillig, teils unfreiwillig - in alle Himmelsrichtungen … hauptsächlich in Richtung Westen … und der Wunsch, sie noch einmal live erleben zu können, blieb hartnäckig bei Teilen der Bevölkerung des Arbeiter und Bauernstaats bestehen. Wir wissen ja alle, "die Gedanken sind frei". Verbieten lassen sie sich nicht.

Im Herbst 1989 fielen bekanntlich ja die Betonköpfe des Landes DDR über ihre eigenen steifen Beine und kurz darauf auch die Mauer. Mit ihr waren letztlich alle bis dahin ausgesprochenen Verbote hinfällig und Künstler, die bis dahin nicht mehr in der DDR auftreten durften oder weggejagt wurden, hätten nun wieder die Chance, eine Bühne in direkter Nähe zu ihren alten Fans betreten und dort ihre Lieder singen zu können. Auch RENFT. Das Potential, das hinter einem Revival von RENFT steckte, erkannte damals wohl auch ein gewisser Wolf-Rüdiger Raschke, der mit seiner Band KARUSSELL eine Tour zum neuen Album starten und RENFT dazu als Lockmittel ins Vorprogramm holen wollte. Wie die Geschichte damals genau Fahrt aufgenommen hat, wird einem heute nochmal erzählt, nämlich auf dem neusten Produkt aus dem Hause Strecketon.

Genauer gesagt tun dies Thomas "Monster" Schoppe, Jochen Hohl, Lutz Heinrich und Robert Hoffmann, denn die vier sind Hauptdarsteller eines kleinen Filmchens, das eigens für die Wiederveröffentlichung eines Mitschnitts der RENFT-Wiedergeburt im Frühjahr 1990 produziert wurde. Dieser Mitschnitt erschien bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 bei Fluxus, einem kleinen Indie-Label aus Berlin, als Schallplatte, Kassette und CD. Das war damals eine kleine Auflage, die so schnell vergriffen war wie sie erschienen ist, und die sich deshalb zu einem der gesuchtesten Sammlerstücke der Ostrock-Szene entwickelte. Schlappe 33 Jahre später gibt es diesen Mitschnitt also wieder, denn das Label Strecketon im Vertrieb von Buschfunk hat es als Doppel-Pack mit CD und DVD wieder aufleben lassen. Und auf eben jener DVD befindet sich der gerade erwähnte Kurzfilm mit den O-Tönen einiger direkt beteiligter Musiker. Wie es zu der Tour mit KARUSSELL kam, wann genau die Idee aufkam, wer von RENFT als erstes bei den Planungen dabei war und was dieses Comeback bei den Musikanten ausgelöst hat, erzählen die vier Herren hier ebenso, wie über den lustigen Fakt, dass aus dem eigentlichen Vorprogramm der Tour plötzlich das Hauptprogramm wurde. Die Leute kamen wegen RENFT und feierten sie ab. Die Stimmung beim Auftritt von KARUSSELL war dann spürbar leiser. Vom RENFT-Comeback redet man heute noch, von der eigentlichen KARUSSELL-Tour nicht. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum Wolf-Rüdiger Raschke die Macher dieser DVD am Ende mit seinem O-Ton zum Kurzfilm hängen ließ und sich schließlich trotz An- und Rückfragen an seine Person nicht beteiligte. Wer gibt schon gerne zu, dass ihm die "gute Idee", RENFT mit auf Tour zu nehmen, so auf die Füße gefallen ist?! Wie dem auch sei … der kleine Film gibt tiefe Einblicke in die Zeit damals und macht eine Menge Spaß.

Ebenso der 37-minütige Konzertmitschnitt vom Auftritt der Band in Weißenfels im Mai 1990, der auf der DVD an zweiter Position zu finden ist. Die Kamera befand sich direkt auf der Bühne, was den Betrachter ganz nah am Geschehen sein lässt. Noch etwas näher ran mit der Linse und vermutlich hätte der Kameramann eine Darmspiegelung vornehmen können, so dicht dran war er … Für den Zuschauer natürlich total spannend und authentisch. Keine lästigen Splitt-Screens, keine grafischen Spielereien zum Aufpeppen des Programms und auch keine anderen Ablenkungen. RENFT pur und ganz nah. Ganze acht Lieder hat man im Archiv wohl noch gefunden, und die gibt es als Bewegtbilder in Farbe und mit recht gutem Ton. Als Bonus bekommt man auf der DVD noch ein Live-Medley, allerdings nur als Diashow und nicht im Bewegtbild, sowie die A) und die B)-Seite der 1990er Vinyl-Single als selbstgedrehtem Videoclip (Man schaut der Platte beim sich Drehen auf dem Spieler zu).

Das Hauptprogramm dieser Veröffentlichung ist aber natürlich der Live-Mitschnitt des Konzerts vom 10. Mai 1990 in Bischofswerda, in dem es 16 Songs plus Ouvertüre zu hören gibt. Die Freunde, die die Platte, CD oder Kassette von damals schon ihr Eigen nennen können, wissen natürlich, was sie erwartet. Alle anderen können sich auf ein energiegeladenes Spektakel freuen, bei dem einen die sich auf der Bühne entladene Energie von über 15 Jahren aufgestauter Lust am Spielen der RENFT-Musik förmlich anspringt. Die Stimmung auf und vor der Bühne ist sofort wahrnehmbar, der Sound hervorragend. Keins der großen Lieder fehlt hier, und beim Lauschen des Konzerts kann man jedem einzelnen Musiker mit dem Ohr auf die Finger schauen. "Monster" füllt die Rolle als Frontmann und Sänger sehr gut aus, führt auch mit seinen Zwischentexten gut durch den Abend, und ist hier - wie auch alle anderen - in bester Form. Der vor kurzem leider verstorbene Lutz Heinrich (dessen Statement in dem oben beschriebenen Video übrigens sein letzter Auftritt zu Lebzeiten war) vertritt Cäsar bei dieser Tour ganz hervorragend als Gitarrist, denn sein Spiel auf den sechs Saiten und seine Soli hauen einem mehr als nur einmal die Füße weg. Hammer, was "Sauerkraut" für ein geiler Klampfer war. Auch Jenni Renft, dem man immer wieder nachsagt, er sei ein schlechter Basser gewesen, hatte hier einen besonders guten Tag, und so schrubbt das Ensemble hier ganz ordentlich das Bühnendeck blank. Das ist Rock'n Roll pur, das ist geil, das muss man gesehen und gehört haben. Auch das Publikum nimmt das sicht- und hörbar wahr und beim "Gänselieschen" übernimmt es stellenweise sogar den Part des Sängers. "Wandersmann", "Nach der Schlacht", "Wer die Rose ehrt", "Ermutigung" … Klassiker über Klassiker, dazu auch der Song "Rockballade vom kleinen Otto", mit dem man sich in den 70ern beim Staat blaue Flecken holte, und Exoten wie der "Banana Boat Song" - ein buntes und knackiges Programm, das man sich zu Hause um die Ohren (und Augen) wehen lassen kann und ein wunderbarer Beweis für die Aussage, RENFT sei Kult und RENFT müsse man unbedingt gesehen haben.

Hier hat Bodo Strecke ganze Arbeit geleistet und den Leuten dieses musikhistorische Dokument wieder zugänglich gemacht. Bild und Ton sind ausgezeichnet wenn man überlegt, wann und unter welchen Umständen die ganze Geschichte hier stattgefunden hat. Verpackt kommt das Ganze in einem aufklappbaren Digipak, dem das Originalcover (Karikatur) aufgedruckt und ein kleines Heftchen beigelegt wurde. Darin enthalten schöne Fotos von der Tour, kleine Zeitdokumente und das von Herbert Schulze geschossene Pressefoto zur gemeinsamen Tour von RENFT und KARUSSELL. "RENFT live 1990" ist nicht einfach nur eine Live-CD … Es ist ein kleines Geschichtsbuch, etwas Historisches. Für die, die damals dabei waren, eine schöne Erinnerung. Für die, die aus welchen Gründen auch immer nicht dabei sein konnten, ein Ausflug in die Vergangenheit mit feinstem Deutschrock und einer Party zum Nacherleben. Ganz großes Kino!
(Christian Reder)









   
   
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