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Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Unterstützung
von Saskia Giedow-Luboch und Fotos von Stephan Sieger




Eine halbe Ewigkeit
Es ist nunmehr 40 Jahre her (kaum zu glauben), dass die Songs des Albums "No Parlez" für mich zum ständigen Begleiter der damaligen Zeit wurden. Das Album erschien 1983 und war mit seinen Single-Auskopplungen und der sich anschließenden Tour bis weit ins Jahr 1984 topaktuell. Ich kann nicht sagen, wie oft ich die Scheibe gehört habe, aber die Songs darauf saugte ich auf wie ein Schwamm. Ich liebe sie bis heute, sie haben sich nicht ein Stück weit abgenutzt, und seit dieser Zeit gehört der aus England kommende Musikant mit dieser einzigartigen Stimme zu meinen absoluten Favoriten. Ich hab von ihm jeden Ton, der je auf Platte und CD verewigt wurde, in meiner Sammlung, und natürlich habe ich mir auch sein neues Album "Behind the Lens" im vergangenen Jahr gleich zugelegt, als es das Licht der Welt erblickte. Es zeigt den Sänger gesanglich einmal mehr auf Top-Niveau. Auch die Musik ist in keinem Moment langweilig - im Gegenteil. Bei ihm weiß man eben, was man kriegt, wenn man sich von ihm was zulegt. Anfang der 10er Jahre hatte ich die große Ehre, ihn als Gast in einer meiner Radiosendungen zu haben. Es war wirklich spannend zu hören, was er über seine Lieder zu erzählen hatte, und schön zu erleben, was für ein freundlicher Zeitgenosse er ist. Vor acht Jahren hatte ich meine letzte Begegnung mit ihm bei einem Konzert in Essen. Jetzt, zu Beginn des Jahres 2024 sollte es wieder eine geben.


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Fast verpasst …
Für vier Muggen in Deutschland sollte Paul Young sein Besteck auspacken. So wurde es schon im vergangenen Jahr angekündigt. Eigentlich war der Besuch seines Auftritts in Erfurt von mir geplant, aber Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ungebeten kam der Mist hier in der Woche davor an, hob mich komplett aus den Angeln und hinderte mich an der Reise Richtung Thüringen. Meine Kollegen Saskia und Stephan retteten mich am Ende, denn sie machten es möglich, dass ich eine Woche später in Hamburg mit dabei sein konnte. Hamburg statt Erfurt - auch schön. In der dortigen "Fabrik" in Hamburg-Altona hatte Paul Young sein letztes von den eben erwähnten vier Konzerten in Deutschland, und die Tickets dafür verkauften sich scheinbar wie das oft genannte "geschnitten Brot".

Support aus der Schweiz
Wie es sich für ein Konzert eines Musikers seiner Klasse gehört, hat vor seinem Auftritt auch ein Nachwuchskünstler bzw. eine Nachwuchskünstlerin Zeit und Platz, sich zu präsentieren. Und so fiel die Wahl des Supports auf die Schweizerin Veronica Fusaro, die im Jahre 2014 Teilnehmerin von "The Voice of Switzerland" war und dort zum Team von Stefanie Heinzmann gehörte. Im Jahre 2019 spielte sie schon im Vorprogramm von Mark Knopfler (ex Dire Straits) und nun eben in dem von Paul Young. Um 19:45 Uhr begann ihr Auftritt, bei dem sie mit "Beach", "Say" , "Better with you" und "Weekend" vier ihrer Songs zum Besten gab. In einem silber-glitzernden Outfit kam sie sichtlich gut gelaunt auf die Bühne gehüpft, wo sie sich in den nächsten Minuten selbst auf der Akustikgitarre begleiten würde. Mit Unterstützung der "Loop-Technik", die sie dem Hamburger Publikum auch ausführlich erklärte, verschaffte sich die Künstlerin ein ziemlich breites Arrangement, ohne weitere Musiker neben sich aufstellen zu müssen. Ihr Vortrag war kurzweilig, machte durchaus neugierig auf mehr von ihr, und fiel mit 30 Minuten auch nicht aufdringlich lang aus. Als sie die Bühne verließ startete der Countdown für das Hauptprogramm. Dieser dauerte aber eine gefühlte Ewigkeit …


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Das Hauptprogramm
Es war bereits 20:30 Uhr und die gespannte Aufgeregtheit war auf dem Höhepunkt angelangt. Ein Intro setzte ein und kündigte den Beginn von Pauls Show an. Endlich sollte es losgehen. Die Spannung entlud sich mit einem ersten großen Applaus. Nach einander betraten die Musiker die Bühne, zuletzt die Background-Sängerin und dann der Meister himself … Paul Young war da! Lässig bewegte er sich zu seinem Mikro, das er im Verlauf der gleich folgenden ersten Nummer samt Ständer ordentlich herumwirbeln würde, und mit seinem 1986er Single-Hit "Some People", der von seiner Live-Band ein erfrischend neues Arrangement verpasst bekam, eröffnete er den Abend. Ein enormer Bumms kam sound-technisch von der Bühne. Der Schlagzeuger gab einen straffen Beat vor, der Bassmann slappte ordentlich einen raus und der Saitenvirtuose an der Gitarre steuerte die markanten Töne dieser wunderbar tanzbaren Nummer bei. Womit wir auch schon beim Thema "Personal" wären.

Paul Youngs "Live-Family"
Die eben erwähnten Gitarren-Töne wurden von Christian Warburg geliefert, dem wir beim letzten von uns besuchten Konzert von Paul Young in Essen im Oktober 2016 bereits begegnet sind. Schon dort macht er einem als Zuhörer eine Menge Freude, und tat dies hier in Hamburg wieder. Er gehört also auch heute noch der Live-Band von Paul an. Alle anderen Mitglieder des Ensembles waren mir bis dahin unbekannt und scheinbar neu in der "Young Family". Am Schlagzeug saß Paul Stewart, die Tasten bediente Steven Reid Williams, am Bass erlebten wir Pat Davey, und Paul stand noch eine Background-Sängerin namens Sophie Hiller unterstützend zur Seite. Aber auch Christian Warburg fiel durch zusätzlichen Background-Gesang positiv auf. Und das war auch gut so, doch dazu kommen wir gleich noch.


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Ein tolles Programm
Die bis auf den letzten Platz komplett ausverkaufte "Fabrik" in Hamburg-Altona war schon nach der ersten gespielten Nummer angezündet. Wer hierher kam, wusste, was ihn erwarten würde. Immerhin kam die "weißeste aller Soulstimmen" extra aus England her, um seine Klassiker und die Lieder des neuen Albums "Behind The Lens" live zu präsentieren. Da nimmt man auch als alter Sack gerne in Kauf, dass man die ganze Zeit stehen muss. Die Setlist des Abends las sich in der Theorie wie der Garant für ein musikalisches Feuerwerk der Extraklasse. "Love of the Common People", "Wherever I Lay My Hat", "Senza una donna", "I'm Gonna Tear Your Playhouse Down", "Everytime You Go Away" und natürlich (als letzte Zugabe) "Come Back and Stay" als Klassiker, "Slipped, Tripped and Fell in Love" vom Vorgänger-Album "Good Thing" (Rykodisc, 2016), sowie "When The Stars Go Blue" und "Angel" als Vertreter der aktuellen LP waren nur ein paar der für die Show vorbereiteten Songs. Im Vergleich zum Konzert in Essen vor acht Jahren war die Darbietung von Pauls Begleitband auch eine Klasse besser. Es schepperte ordentlich und jeder der Instrumentalisten hatte sicht- und hörbar Bock auf den Arbeitstag. Die Veränderungen auf den Positionen Bass, Schlagzeug und Tastatur hatten sich also gelohnt. Besonderes Augenmerk liegt bei Pauls Muggen ja immer auf dem Bassisten, hat er durch die Vorlagen von Pino Palladino, dem genialen Tieftöner aus der 80er-Studio- und Live-Band Paul Youngs, ziemlich große Fußstapfen auszufüllen. Aber Pat Davey machte einen verdammt guten Job und ließ einen den guten Pino in keinem Moment vermissen. Er grub sich über die gesamte Distanz der Mugge immer wieder tief in die Magengrube der Zuhörer und gab alten sowie neuen Songs die richtige Würze. Besonders geil war sein Spiel bei "No Parlez" und bei "Wherever I Lay My Hat". Hammer! Steven Reid Williams an den Keyboards sorgte ebenfalls für zahlreiche Wow-Momente (fantastisch sein Fingergeflitze bei "Behind Your Smile"), auch wenn es ihm speziell bei den Klassikern nicht immer so richtig gelang, den passenden Keyboard-Ton heraus zu finden. Auch sein Kollege am Schlagzeug war gut aufgelegt und verrichtete souverän und unauffällig seinen Dienst. Und über die feinen Töne, die Christian Warburg seinen sechs Saiten entlockte und der schon beim Opener ein geiles Solo ins Gesamtbild gelötet hatte, habe ich ja schon was geschrieben. Er zeigte immer wieder, was er kann, und scherte ziemlich oft zu kleinen Soli aus, die dem Publikum Spaß bereiteten. Dies alles, und die schon näher vorgestellte Song-Auswahl für das Konzert, waren gute Voraussetzungen für einen gelungenen Abend, wäre da nicht die Tagesform des Mannes gewesen, für den die Leute ja eigentlich in die "Fabrik" geströmt waren …


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Tonstörungen
Paul Young selbst hatte am Samstagabend massive Probleme, deren Ursachen hier nicht bekannt sind. Auch ist nicht bekannt, ob diese nur in Hamburg zu beobachten waren, oder schon bei der Show eine Woche vorher in Erfurt. Möglicherweise hatte er einen schlechten Ton auf seinem Monitor. Vielleicht war er auch insgesamt an dem Tag nicht gut drauf … Ich hoffe aber inständig, dass dies tatsächlich nur eine temporäre Störung und inzwischen nicht die Regel ist, denn eine Stimme wie seine ist zerbrechlich. Er hatte ja schon einmal in den 80ern eine Auszeit nehmen müssen, weil ihm seine Stimme drohte verloren zu gehen. Mir als Fan seiner Kunst trieb es teils Tränen in die Augen. Leider keine Freudentränen. Er versemmelte dermaßen viele Töne, war nicht im Takt bzw. im Flow mit seiner Band, und wirkte stellenweise echt ausgebrannt. Besonders in schlechter Erinnerung sind mir "Love Of The Common People" und "Whereever I Lay My Hat" geblieben, bei denen man wirklich den Eindruck hatte, es seien nicht seine Songs und er hätte mit beiden Stücken gesanglich gerade sein erstes Rendez Vous gehabt. Dabei sind es zwei seiner Parade-Stücke … Bei anderen Songs kam er nicht mehr in die Höhen, in die er noch vor acht Jahren kam, und ohne die Unterstützung seines Gitarristen und der Sängerin, die so manche Situation (chor-)gesanglich retteten, wäre es wohl noch ärger ausgefallen. Seinen Helden so ins Straucheln geraten zu sehen, tut weh und mir für den Sänger unheimlich leid. Wie gerne hätte ich geschrieben, dass man ein echt tolles Konzert erleben konnte, aber das würde nur in Teilen der Wahrheit entsprechen. Ich kenne ihn anders … das Publikum begeisternd und abholend, und nicht es verschreckend und vertreibend. So verließen dann leider auch einige der Besucher nicht bis zum Schluss bleiben wollend den Saal, was dem Künstler gegenüber auch nicht sonderlich respektvoll und fair war. Er wird seine eigenen Lieder wohl kaum mit Absicht schlecht performt haben. Andere hingegen feierten ihren Paul, applaudierten ihm trotz teils schlechter Performance und forderten am Ende sogar lautstark Zugaben. Auch ihnen konnte man Recht geben, denn hier soll auf alle Fälle nicht unerwähnt bleiben, dass Young bei den neueren Stücken, insbesondere beim gefühlvollen "Angel" und dem soulig-mitreißenden "Slipped, Tripped And Fell In Love", gesanglich durchaus überzeugen konnte. Wer weiß, was da los war …


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Am Ende des Tages …
Als Fazit kann man sagen, wir haben einen Weltstar live erleben dürfen, der keinen guten Tag hatte. Seine Band dagegen einen ausgesprochen guten. Einmal mehr möchte ich Christian Warburg an der Gitarre und Pat Davey am Bass lobend erwähnen, deren Beitrag die Höhepunkte der Show setzten. Beim Song "I'm Gonna Tear Your Playhouse Down" standen beide mit ihren Soli sogar im Vordergrund, und ihr Chef überließ ihnen die Bühnenkante. Das, was Paul für seine Konzertbesucher vorbereitet hatte, las sich zumindest auf dem Papier exzellent. Es war eine wirklich gute Mischung aus Klassikern der 80er und 90er, sowie neueren Songs der letzten beiden Platten. Aber wie auch schon in Essen vor acht Jahren, war die Show mit knapp 70 Minuten plus 20 Minuten Zugaben einfach zu kurz. Sein Repertoire gibt weit mehr her, als die Länge eines Kurzfilms. Um 22:00 Uhr war die "Soul-Messe" schließlich gelesen und das Licht ging an. Und das war dann wirklich ein Ärgernis, zumal einem jede Dorfkapelle inzwischen fast 100 Minuten Nettospielzeit liefert und dann noch Zugaben dran hängt. Zeitgemäß ist so eine kurze Bühnenshow jedenfalls nicht mehr - es sei denn, man heißt Madonna.

Egal! Komm bitte wieder …
Ich würde mir ein Wiedersehen mit Paul Young auf jeden Fall wünschen. Er ist immer eine Reise wert, seine Musik inzwischen historisches und äußerst wertvolles Kulturgut und er selbst ist für seine reine Anwesenheit zu feiern. Der inzwischen 68-jährige Brite wird nicht mehr - wie früher - in kurzen Abständen neue Platten rausbringen. Das dürfte klar sein. Zwischen der aktuellen Scheibe (ich wiederhole mich: auf der Platte zeigt er sich stimmlich brillant) und seinem Vorgänger lagen nun auch schon sieben Jahre. Aber ihn nochmal in Bestform und die schwache Vorstellung vom Samstag neutralisierend erleben zu dürfen, das wäre fein. Schöne Grüße auf die Insel. Mach Dir nix draus, Paul. Wir alle haben schlechte Tage. Warum sollst Du Dir nicht auch mal einen nehmen dürfen?



Setlist:
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Fotostrecke:

Veronica Fusaro
 
 
 
 
 






   
   
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