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Ein Bericht von Christian Reder mit Fotos von Matthias
Ziegert
Vielen Dank an Mario Richter für die Unterstützung




Es war so ein typischer Frühlingstag an jenem 5. Mai 2022. Das Wetter unbeständig und die Wahrscheinlichkeit, dass es nass von oben wird, war ziemlich hoch. Heiter dagegen versprach das Treffen mit jenem ehemaligen Schmied und späteren Rockmusiker zu werden, der einst von Cäsar entdeckt und gefördert wurde, und der später die Gruppen SET und EISENHEINRICH gegründet hat: Lutz Heinrich. Lutz hatte sich mit mir für ein Interview verabredet, und ich freute mich sehr darauf. "Sauerkraut", so nannten ihn seine Kumpels und Kollegen, was mit seiner strubbeligen Frisur zu tun hatte. Dabei hätten sie ihn auch "Schrankwand" oder "Bergmassiv" taufen können, denn als erstes fiel mir seine Größe und gewaltige Erscheinung auf. Wie dem auch sei … Lutz war ein angenehmer Gesprächspartner, konnte kurzweilig erzählen und hatte auch einige Geschichten auf Lager, die er zum Besten gab. Bei heiteren Gesprächen und in angenehmer Gesellschaft vergeht Zeit wie im Fluge, kennt Ihr das auch? Und so verflog auch die Zeit bei unserem Treffen, und die danach ebenso. Das Interview ist noch keine zwei Jahre alt, es fühlt sich aber an, als wäre es erst letzte Woche entstanden. Heute lebt "Sauerkraut" nicht mehr. Bereits im August 2023 ist er gestorben. Ich erfuhr es von einem Bekannten aus Leipzig, der die Nachricht im Fußballstadion per Durchsage bekam. Lutz war eng mit dem Fußball-Club BSG Chemie Leipzig verbunden, und deren Stadionsprecher gedachte ihm im Spätsommer ´23. Irgendwie verbreitete sich die Nachricht von seinem Tod nur langsam. Nur eine Zeitung schrieb darüber. Lutz ging leise ...


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Lutz Heinrich bei einem Auftritt in Leipzig (Foto: Archiv Lutz Heinrich)



Dass es aber so leise passiert, wollten einige seiner Freunde nicht. Einer wie Lutz hatte ein lautes "Auf Wiedersehen" verdient. Ein gutes halbes Jahr später sollte sich Leipzig nun also geräuschvoll von seinem musikalisch hoch talentierten Sohn verabschieden. Allerdings ist hier nicht die Stadt als solches, sondern die Musik- und Fan-Szene Leipzigs gemeint. Anfang dieses Jahres bekamen wir Post von Liane Fietzke. Sie ist der eine Teil des Duo ›con emozione‹. Der andere Teil ist ihr Ehemann Norbert Fietzke. Norbert arbeitete in den 1980ern mit Lutz Heinrich zusammen, begleitete ihn am Keyboard und ging gemeinsam mit ihm auf Konzertreisen. Auch im Radio und Fernsehen der DDR waren beide oft zu Gast. Logisch, dass auch Norbert einer der Künstler sein würde, der sich von seinem alten Kollegen auf der Bühne verabschieden wird. Liane machte jedenfalls Werbung für einen Abend, der unter dem Motto "Zeit der Besinnung" gestellt und für den 11. Januar angekündigt wurde. Diese Reihe wurde vor Jahren mal von Big Joe Stolle ins Leben gerufen, wird hier im "Tonelli's" jetzt von anderen Leuten weitergeführt. Immer am zweiten Donnerstag des neuen Jahres will man hier Leipziger Musikern einen Abend widmen, und heuer begann man gleich mit einem "Special", nämlich dem für Lutz Heinrich. In der Beschreibung war zu lesen, dass ehemalige Weggefährten von Lutz dessen Lieder spielen würden, und dass man mit einer Mugge gebührend vom "Eisenheinrich" Abschied nehmen wolle. Liane lud uns schließlich dazu ein, und so hatten auch wir die Gelegenheit, Lutz noch einmal ganz nah sein zu können. Die Weggefährten, allen voran der Musiker Mario Richter, das Ehepaar Fietzke und Tonelli persönlich als Veranstalter, hatten da einiges aufgefahren, um den 11. Januar und ihren Kumpel Lutz Heinrich unvergessen zu machen. Es ist ihnen gelungen, soviel sei schon jetzt verraten …

Das Konzert war in mehrere Blöcke aufgeteilt und es stand eine Vielzahl von Musikern auf der Bühne. Es ist schwer, eine solche Wucht an Teilnehmern und Songs in einem Bericht wie diesem auch nur ansatzweise so zu beschreiben, dass man es in der Theorie halbwegs nacherleben kann. Zu viele Eindrücke, zu viele Emotionen und zu viele Aktionen innerhalb einer kurzen Zeit. Aber ich versuche es mal. Den Abend eröffnete der Hausherr Tonelli um 20:15 Uhr mit einer kurzen Ansprache selbst. Den ersten musikalischen Höhepunkt setzte dann die Gruppe MAMA BASUTO, eine bereits 1968 in Leipzig gegründete Blues-Band. Sie stand in einer Besetzung mit Thilo "Blondi" Klemm (Gitarre), Michael "Massa" Großwig (Saxophon), Denny "Ötzi" Niesar (Posaune und Gesang), Uwe "Baywatch" Thomas (Bass) und Frank "Glatze" Träger (Schlagzeug) auf der Bühne. Thilo "Blondi" Klemm ist Lutz Heinrich bereits im zarten Alter von 16 Jahren begegnet. Das war 1974. Seitdem kannte und schätzte man sich, und lief sich in Leipzig immer wieder mal über den Weg. Seine Band begann den Abend mit einem Jimmy Smith-Covertitel, nämlich "Back at the Chicken Shack". Diesem druckvoll arrangierten Blues-Schleicher, gespickt mit feinen Soli auf Saxophon, Posaune und Gitarre, ließ die Band das Stück "Time was", im Original von CANNED HEAT, folgen, das sich ebenso charmant unter die Haut groovte wie der Titel zuvor. Einmal mehr durften die einzelnen Instrumentalisten kleine Soli einstreuen, was die Nummer ordentlich anfeuchtete. Was für ein geiler Einstieg in diesen besonderen Abend.


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Journalist Jens Fuge erinnert an Lutz Heinrich



Es folgte eine Rede von Jens Fuge, einem Leipziger Journalisten, der Lutz Anfang der 1990er kennengelernt hat. Er erzählte nun etwas darüber, wie er Lutz mit seinem Fernseh-Team erstmals über den Weg lief, als er für den MDR einen Beitrag über ihn machen wollte. Nach dieser Begegnung hatten sich der Journalist und der Musiker nicht mehr aus den Augen verloren. "Wir haben zusammen gefeiert, zusammen gekocht", berichtete der Mann auf der Bühne und fügte hinzu, welche Erlebnisse sie gemeinsam in den Jahren hatten. Jens Fuge hatte dann auch etwas über Lutz geschrieben, und trug seinen Text am vergangenen Donnerstag im "Tonelli's" vor. Er wollte seine Gedanken mit den Leuten im Saal teilen. Das war eine gute Idee, denn in seinem Nachruf zeichnete er das beeindruckende Leben des 69-jährigen Musikanten nochmal nach. Im Saal herrschte Ruhe, die Leute hörten aufmerksam zu. Erst am Ende seines Vortrags brandete lauter Applaus auf und als Bonus zeigte Fuge schließlich den MDR-Beitrag, über den er kurz zuvor noch gesprochen hatte.

Dann war wieder Zeit für Musik und für Liane (Gesang) und Norbert Fietzke (Piano, Gesang), die als Duo ›con emozione‹ einige Songs spielten. Sie starteten mit dem "Morgenlied". Liane erzählte in ihrer Begrüßung noch, wie sie das Lied zum ersten Mal hörte und warum es seinen Platz in ihrem Set gefunden hat. Das "Morgenlied" ist eine Komposition von Lutz mit einem Text von Michael Meyer. Meyer selbst war am Donnerstag ebenfalls im "Tonelli's" anwesend, aber kein Teil der Veranstaltung. Er kam als "einfacher" Konzertbesucher. Dieser schönen Pop-Perle folgten das Stück "Was ist für die Liebe, hast du mich gefragt", zu dem Text und Musik von Lutz stammen, sowie "Feuerwerk", eine Komposition von Lutz mit einem Text von Kurt Demmler. Bei zuletzt genanntem Stück hatte man ein wunderbares Saxophon-Solo, gespielt von Conny Körner, eingebaut, das aber nicht live von genanntem Musiker zu Gehör gebracht, sondern aus der Konserve eingespielt wurde. Neben diesen direkt mit Lutz in Verbindung zu bringenden Songs spielte das Duo aber auch zwei Lieder, die nicht aus der Feder von "Sauerkraut" stammten. Das war zum Einen das Lied "The Rose" von Amanda McBroom, das nur aus Klavierklängen und Gesang bestand, sowie das von Liane und Norbert selbst geschriebene Stück "Auf dem Weg zum Erfolg", mit einem Gitarren-Solo von Torsten Wichmann. Dieses kam ebenso wie das Saxophon-Solo einige Minuten zuvor "vom Band", denn auch hier stand der Kollege Wichmann nicht persönlich auf der Bühne, sondern nur sein Gitarrenspiel war zu hören. Das inzwischen seit 30 Jahren zusammen spielende Duo bedient sich bei Konzerten wohl öfter solcher Hilfsmittel. Aus Gründen der Kostenersparnis längst keine Seltenheit mehr. Das Duo ›con emozione‹ hatte hier im "Tonelli's" aber auch zu zweit einen gelungenen Auftritt, für das es vom Publikum die richtige Dosis Applaus ernten konnte, und nach vielen eher poppigen Tönen folgte nun wieder eine geballte Ladung Rock …


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Jetzt war die Gruppe EISENHEINRICH erstmals am Start. Diese bestand zuletzt aus Gitarrist und Sänger Lutz Heinrich, Schlagzeuger Bernd Haucke - beide Gründungsmitglieder - sowie Bassist Mario Richter, der seit 2007 zur Gruppe dazu gehörte. Bernd Haucke und Mario Richter waren ebenso am Donnerstag vor Ort, wie der ehemalige EISENHEINRICH-Klampfer Bernd Fleischer. Die drei mischten sich im Laufe des Abends mit vielen anderen Kollegen, um unter dem Namen EISENHEINRICH die Songs ihres verstorbenen Band-Chefs zu spielen. Die erste Besetzung, die im "Tonelli's" zu erleben war, bestand aus Bernd Fleischer (Gitarre, Gesang), Karsten Jäger (Schlagzeug), Basti Monse (Schlagzeug), Frank Renner (Piano), Mario Richter (Bass, Gesang), Ivo Spacek (Gitarre, Gesang) sowie Ingo Zach (Schlagzeug, Gesang). Am Schlagzeug fand dann auch ein reger Austausch der Personen statt. Den Reigen knackiger Songs eröffnete das Ensemble mit dem Titel "Hollywood" vom allerersten EISENHEINRICH-Album aus dem Jahre 1995. Unnötig zu erwähnen, dass dies ein waschechter Deutschrocker ist und musikalisch natürlich auch so auf der Bühne umgesetzt wurde. Weitere Stücke waren "Öffentliches Ärgernis" vom 1997er Album "Ärger", sowie "Mitternacht", "Raben", "Worte" und "Kleine Lady". Bevor die zweite Besetzung von EISENHEINRICH an den Start gehen konnte, kam erst noch der Auftritt der Gruppe AMOK an die Reihe. Diese Deutschrock-Formation, die Lutz entdeckt und gefördert hat, trat in der Besetzung Mario Richter (Bass, Gesang), Jens "Helge" Schirmer (Gitarre) und Silvio Schrell (Schlagzeug) auf, und präsentierte ihren punkig angehauchten Song "Sonnenblume" und das bluesig-schnodderige "Sehnsucht". Auch dieser Vortrag konnte sich hören und sehen lassen, und sorgte in den Herzen der Rockfans für freudige Erregung.

Als EISENHEINRICH traten nun Bernd Haucke (Schlagzeug), Jens "Helge" Schirmer (Gitarre), Frank Renner (Piano, Gesang), Mario Richter (Bass) und Ivo Spacek (Gitarre) auf. Sie präsentierten die Lieder "Blues vom schlechten Freund", "Schmied" - beide vom Debüt-Album - und "Eisenmann", zu finden auf der 2005er Best Of-CD. Einmal mehr rappelte es ordentlich. Die dritte EISENHEINRICH-Besetzung folgte direkt im Anschluss, und diese war recht ungewöhnlich besetzt. Es agierten hier Damaris Böhme (Gesang), Heike May (Gesang), Ingo Paul (Gitarre, Gesang), Volker Reichenbach (Schlagzeug) und Mario Richter (Bass). Den Part am Mikro teilten sich hier also zwei Frauen, was der ganzen Angelegenheit eine besondere Note verlieh. Von dieser Truppe bekam das Leipziger Publikum drei Songs zu hören, darunter eine weitere Version vom "Morgenlied". Die Damen konnten mich gesanglich allerdings nicht überzeugen. Etwas übermotiviert schien man hier zu Werke zu gehen. Aber das ist nur mein persönliches Empfinden. Ingo Paul blieb dann gleich an Ort und Stelle, tauschte die Klampfe gegen die Bassgitarre, und war nun mit seiner Band FOUR ROSES zu hören. Neben ihm blühten Thomas Rosanski (Gitarre, Gesang), Bernd Fleischer (Gitarre) und Karsten Jäger (Schlagzeug) als "Vier Rosen" auf der Bühne. Sie gaben druckvolle eigene Fassungen der Songs "Hey Joe" und "Junimond" - im Original von Rio Reiser - zum Besten. Das machte richtig Laune.


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Bevor der Abend langsam zum Ende kam, spielte noch eine weitere … nämlich die vierte Besetzung von EISENHEINRICH. Dieses Mal bestand sie aus Bernd Fleischer (Gitarre, Gesang), Basti Monse (Schlagzeug), Frank Renner (Piano, Gesang), Mario Richter (Bass), Ivo Spacek (Gitarre, Gesang), Ingo Zach (Percussion, Gesang) und dem Hausherrn Tonelli (Gesang). Dieser Auftritt war geprägt von zwei RENFT-Klassikern, nämlich dem "Apfeltraum" und dem "Gänselieschen". Somit wurde auch der Bogen zu RENFT gespannt, bei deren 1990er Tour der liebe Lutz ja bekanntermaßen aktiv ins Geschehen eingriff. Davon kann man sich seit November des letzten Jahres auch in Bild und Ton überzeugen, denn das legendäre Album "Live 1990" ist bei Marktkram neu aufgelegt und mit einer zusätzlichen DVD versehen worden, auf der Lutz mit RENFT auf der Bühne zu sehen ist. Die von EISENHEINRICH gespielten Versionen konnten sich übrigens echt hören lassen. Das knallte richtig. Danach mussten Matthias und ich das Haus leider verlassen, denn die böse Uhr zeigte bereits auf Zahlen, die uns längst haben überfällig werden lassen. Es war kurz vor 0:00 Uhr und wir hatten noch die Heimreise vor der Brust. Im "Tonelli's" ging es aber noch mit einem weiteren Auftritt der Gruppe MAMA BESUTO weiter, die den Schlusspunkt hinter einen beeindruckenden Konzertabend setzen sollten. Beim Verlassen des Ladens nahmen wir noch die Töne von Herbie Hancocks "Watermelon Man" wahr, die die Leipziger Blueser ziemlich ansprechend über die Bühnenkante wuppten, dann hat uns die Leipziger Nacht verschluckt.

Nun sollte man es ja tunlichst vermeiden, für Tote zu sprechen. Aber ich vermute mal ganz stark, dass "Sauerkraut", wenn er denn von oben zugeschaut hat, eine ganze Menge Spaß an diesem Donnerstagabend mit seinen bunten und abwechslungsreichen Darbietungen gehabt hat. Die alten Freunde, Weggefährten und das Konzertpublikum im "Tonelli's" haben ihn und seine Musik richtig gefeiert. Das hätte sicher sein Herz erwärmt. Zwar war mit Bernd Haucke nicht nur sein EISENHEINRICH-Kollege, sondern auch ein Vertreter der Gruppe SET live vor Ort, jedoch kam die Musik dieser in Lutz' Biographie nicht unbedeutenden Band SET leider zu kurz. Es kann sein, dass ich was überhört habe, aber von SET befand sich laut meinen Aufzeichnungen und Erinnerungen nicht ein einziger Titel auf der Setlist. Warum? Das wissen nur die Protagonisten. Auch kam die Frage auf, warum niemand von RENFT dabei war. Dies wird mit Sicherheit daran gelegen haben, dass Thomas "Monster" Schoppe derzeit nicht gut drauf ist. Persönliche und gesundheitliche Probleme ließen ein Kommen sicher nicht zu. Aber sonst? Sonst gibt es über den Abend nichts zu meckern. Die Idee mit dieser Konzertreihe, und dem "Special" für Lutz Heinrich im Besonderen, sind gute. Der leider nicht mehr unter uns weilende Musiker wäre sicher stolz gewesen, dass so viele Menschen an ihn gedacht und sowas für ihn auf die Beine gestellt haben. Wir fühlten uns jedenfalls bestens unterhalten.






 
 
 
 




   
   
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