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Vor 33 Jahren wurde die JONATHAN BLUES BAND von Peter Pabst in Ost-Berlin gegründet. Das Trio bestand damals aus Peter Pabst (Gitarre, Gesang), Hagen Dyballa (Bass, Gesang) imd Ulrich Kersten (Schlagzeug). Kersten ist heute nicht mehr dabei, aber Pabst und Dyballa haben als Gründungsmitglieder im Laufe der Zeit einige Musiker kommen und gehen sehen. Wer erinnert sich heute noch daran, dass z.B. Delle Kriese (heute RENFT), Jürgen Schötz (heute SIX) oder Bernd Kleinow vor Jahren die Jonathan Blues-Jacke getragen haben? In der DDR anfangs als Amateurband eingestuft, wurde 1986 aus der JONATHAN BLUES BAND eine Profikapelle, die ein Jahr später dann bei AMIGA ihr erstes und bis heute einziges Album veröffentlichten.001 20130411 1730927375 Auch heute noch steht das Trio regelmäßig auf der Bühne. Nicht selten haben die drei Berliner Blues-Musiker dann auch Gäste dabei. Der Neujahrsblues, der immer im Januar eines Jahres stattfindet, ist inzwischen sogar schon eine Kultveranstaltung. In diesem Jahr ging er schon zum 18. Mal über die Bühne und mit Angelika Mann und Mike Kilian waren echte Hochkaräter am Mikrophon zu erleben. Für Sommer 2013 darf sich dann schon wieder der nächste wichtige Termin in den Kalender notiert werden.
Bereits Ende 2012 verabredeten wir uns mit Bandchef Peter Pabst zu einem Interview. Aus verschiedenen Gründen zog sich das gemeinsame Vorhaben aber immer weiter in die Länge. Aber was lange währt, wird endlich gut - so heißt es. Das Interview ist längst im Kasten und kann hier jetzt nachgelesen werden...
 



JONATHAN zählt zu den ältesten und wichtigsten Institutionen in der ostdeutschen Blueslandschaft. Im Vergleich zu anderen Bands Eurer Generation sieht man Euch, wenn auch regelmäßig, doch eher selten auf der Bühne. Was macht die Band, was gibt es Neues, was liegt an?
Eines der wichtigsten Themen ist das neue Album, an dem wir schon seit einiger Zeit arbeiten. Die Planungen und einige wichtige Vorbereitungen laufen, wir sprechen mit dem Studio und sind bei der Titelauswahl. Danach entscheiden wir, ob es deutsche oder englische Texte werden sollen, oder ob es sowohl deutsche als auch englische Texte geben wird. Das hängt letztendlich von den Songs ab, die zwar alle Eigenkompositionen sein werden, aber bis jetzt teilweise noch mit englischen Texten ausgestattet sind. Wir sind im Gespräch mit unserem Freund und Mitstreiter Boddi Bodag, der aus dem Material gute deutsche Texte machen soll. Boddi kann das, und ich bin mir sicher, dass er gute Arbeit leisten wird. Selbstverständlich wird er auch als Musiker und nicht nur als Texter an dem Album mitwirken. Das ist sowieso klar.

Es wird durchgängig Eigenkompositionen zu hören geben?
Ja, so ist es jedenfalls vorgesehen. Im Laufe der Jahre hat sich so viel gutes Material angesammelt, dass wir damit nicht nur eine Platte machen könnten. Es ist, als würden wir alle platzen, wenn wir jetzt nicht ein Album machen, auf dem ein Teil des angestauten Stoffes umgesetzt wird.

003 20130411 1869856999Euer erstes und bislang einziges Album war die LP "Überdruck" im Jahr 1987. Jetzt, wie Du sagst, ist der Druck also wieder so groß?
Genau, es muss jetzt raus, und darin sind wir uns in der Band alle einig. Aber wir werden vielleicht doch noch einen oder zwei internationale Klassiker mit aufnehmen. Das werden Stücke sein, die wir seit langem im Programm haben und die durch den Stil unserer Band geprägt sind. "Dust My Broom" ist zum Beispiel ein Song, das mit unseren Live-Auftritten seit jeher fest verbunden ist. So wie wir es spielen, ist es im Laufe der Jahre ein typischer JONATHAN-Song geworden, der uns überall erkennbar macht. Aber vor allem soll auf dem Album das Material erscheinen, das bei Jonathan in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren entstanden ist. Das ist so viel, das würde sogar für zwei Alben reichen.

Wo und mit wem werdet Ihr produzieren?
André Kunze wird uns produzieren. André ist sehr erfahren und arbeitet auf dem Niveau, das wir uns wünschen. Er hat schon mit solchen Künstlern wie Frank Schöbel, Frank Zander, PUHDYS und KARAT zusammengearbeitet und weiß wie es geht. Er ist selbst auch ein sehr versierter Musiker, aber er ist auch jemand, der mit dem Genre Blues professionell noch nichts zu tun hatte. Das ist das Besondere und das Reizvolle daran, und genau darauf setzen wir. Wir möchten, dass es von der Seite unseres Produzenten tatsächlich einen unvoreingenommenen Draufblick, also eine echte Meinung von außen, gibt. Wir hatten ja früher auch schon einmal mit Matthias Schramm, dem ehemaligen Bassisten von SILLY, der ja inzwischen leider verstorben ist, zusammengearbeitet. Das war ähnlich, er hat uns auch gesagt, wie er das von außen sieht, was uns sehr gut getan hat. Auf jeden Fall soll es typische JONATHAN-Musik sein, aber es soll auch neu und frisch klingen - so wie heute handgemachte Musik klingen muss, um überzeugen zu können.

Also traditionelle Musik in einem modernen Klangbild?
Meine Kollegen und Freunde von MONOKEL KRAFTBLUES haben da zum Beispiel einen etwas anderen Ansatz. Das aktuelle Live-Album klingt wie MONOKEL schon immer geklungen hat, und das ist für diese Band auch genau das Richtige. Sie machen seit vielen Jahren konsequent ihr Ding, bleiben sich selbst treu, und die Fans sind ihnen auch immer wieder dankbar dafür. Das ist legitim, zumal sie ja auch sehr erfolgreich damit sind. Wir haben da aber andere Ambitionen. Wir möchten uns hörbar weiterentwickeln und auch Neues wagen. Niemand kann sagen, ob das funktioniert, aber wir wollen es probieren und weitergehen.002 20130411 1869240263 Wir sind regelrecht geil auf neue Einflüsse. Deshalb arbeiten wir ja auch mit den verschiedensten Künstlern zusammen. Bei unseren Neujahrskonzerten in der WABE und bei den EAST BLUES SESSIONS im Rahmen von JAZZ IN TOWN in Köpenick erlebt man uns ja mit großem Line-up, also mit ausgewählten Gästen, und das ist auch das Konzept. Da haben wir zum Beispiel Mike Kilian, ein großartiger Sänger, der den Blues wunderbar interpretiert und auch selbst bemerkenswerte Songs geschrieben hat. Aber auch wenn Mike bei uns singt, klingt es immer noch nach JONATHAN. Das liegt, ich bin da mal ehrlich, an der Rhythmus-Sektion. Es gibt viele gute Gitarristen und Sänger, aber eine eingespielte Rhythmus-Gruppe aus Bass und Drums macht das klangliche Rückgrat aus und ist signifikant für eine Band. Es ist wie der Herzschlag, ohne den nichts geht. Du siehst es auch bei Mike Seeber, der Anfang des vergangenen Jahres seine Rhythmusgruppe ausgewechselt hat und jetzt mit seinem Trio sehr glücklich ist; das hört man auch.

Auch mit neuen Einflüssen, einem unvoreingenommenen Produzenten und ausgesuchten Gastmusikern soll die Musik von JONATHAN authentisch und erkennbar bleiben. Wie würdest Du selbst Euren Stil beschreiben?
Unsere Musik beschreiben wir seit vielen Jahren mit "Blues und Boogie zwischen Butter und Beton". Es gibt die weiche, sehr gefühlvolle Seite und es gibt die harte Seite von uns. "Butter und Beton" das war immer unser Motto und ist nach wie vor unser Konzept. Dass das aktuelle Live-Album von SPEICHES MONOKEL BLUES BAND diesen Titel trägt, könnte ein Zufall sein, weil sich das Motto natürlich auch im Laufe der Jahre in der Szene etabliert hat. Es ist jedenfalls das JONATHAN-Motto.
Diese ganze MONOKEL-Trennungsgeschichte ist sowieso sehr traurig. Ich bin nicht der Einzige, dem das Ganze immer wieder Unbehagen bereitet, zumal es noch immer keinen Frieden gibt. Wenn ich mit MONOKEL-KRAFTBLUES-Gitarristen "Kuhle", also Bernd Kühnert, zusammenarbeite, ist das Thema MONOKEL aber außen vor. Kuhle ist mein Freund und ein toller Gitarrist. Ich freue mich, ihn immer wieder in meinem Line-up zu haben. Er bringt genau das in die Band hinein, was ich mir wünsche.

Welche Musiker werden an der Platte beteiligt sein?
An der Platte arbeiten mit: Mike Kilian als Sänger, Bernd "Kuhle" Kühnert an der Gitarre, Wolfram "Boddi" Bodag und Gerhard "Hugo" Laartz an den Tasteninstrumenten, die wunderbare Mercedes D. Wendler am Saxophon und selbstverständlich meine langjährigen JONATHAN-Kollegen und Freunde Hagen Dyballa am Bass und Mathias Fuhrmann an den Drums. Die Mundharmonika-Position ist noch frei. Ich habe da zwar jemanden im Auge, aber wir müssen abwarten und prüfen, ob sich das umsetzen lässt.

Die Kompositionen stammen aus Deiner Feder, die Texte auch?
Ja, die Texte kommen zunächst von mir, sind aber noch englisch. Da ist es gut, Boddi im Boot zu haben, der macht daraus dann richtig gute deutsche Texte. Mit Boddi verbindet mich sehr viel. Wir arbeiten seit langem zusammen und sind seelenverwandt. Er schreibt mir die Texte wie aus der Seele auf die Haut. Der Text zu "Katzenfreund" zum Beispiel kommt von ihm, aber das merke ich nicht mehr. Dieser Text ist schon lange zu meiner zweiten Haut geworden. Ziel ist es, alle Songs auf der Platte mit deutschen Texten zu bringen, bis auf einen oder zwei englischsprachige Klassiker, die wir vielleicht mit aufnehmen. Texte könnten auch von Kuhle kommen. Kuhle ist nicht nur ein hervorragender Gitarrist, sondern auch ein talentierter Texter. Er hat ja auch für MONOKEL KRAFTBLUES etliche gute Texte geschrieben, die sie aber noch nicht umgesetzt haben. Aber auch andere Ideen und Beiträge werden aus dem Orchester heraus kommen, es wird sehr vielseitig und facettenreich werden. Die Arrangements werden eine ziemlich harte Arbeit, und dafür haben wir natürlich auch unseren Produzenten, der dann sagt, was geht und was nicht geht.

Was hat die jüngere Bandgeschichte von JONATHAN geprägt, wie geht es Dir und Deinen Band-Kollegen?
Die letzten zehn Jahre waren bei uns allen von familiären und auch sozialen Veränderungen geprägt. Inzwischen hat sich aber alles neu gefunden und aufgestellt. Es wurden Häuser gebaut und Kinder bekommen; insofern ist im Wesentlichen alles in Ordnung. Aber leider hat es auch in der Band und im unmittelbaren Umfeld einige sehr tragische Ereignisse und schwere Krankheiten gegeben. Wir mussten und müssen das auch weiterhin hinnehmen und damit umgehen. Das Familiäre und die Sorge um unsere Nächsten standen und stehen ganz klar im Vordergrund, da sind wir uns alle einig. Das musikalische Projekt bringt uns zwar stetig voran, aber niemand macht uns deswegen Druck. Wir können uns die Zeit lassen, die wir dafür brauchen. Die Finanzierung haben wir im Griff, die macht uns keine Sorgen, und so können wir das alles ganz entspannt und ohne Hast weiterentwickeln.

006 20130411 2035707463Ihr arbeitet ohne zwingende Deadlines, seid aber stetig im Prozess. In welcher Phase seid Ihr momentan?
Wir sind bei der Materialsichtung, treffen uns mit André Kunze, um alles Schritt für Schritt abzusprechen. Unser Drummer Matthias macht das vor allem. Er klärt das Finanzielle und die Planungen. Glücklicherweise leben wir ja nicht von der Musik, sondern haben unsere Jobs: Hagen Dyballa ist Therapeut, Matthias Fuhrmann betreibt mehrere Tankstellen und ich bin hier im Bezirk Köpenick für Veranstaltungen verantwortlich. Das sind Fulltime-Jobs, die uns unabhängig machen. Wir müssen nicht muggen, um Geld zu verdienen. So bekommen wir auch keinen Tourkoller, der so manchem Musiker zusetzt, wenn er permanent auf Achse ist und von Auftritt zu Auftritt hetzt, um daheim seine Miete zahlen zu können.

Deshalb seid Ihr auch so selten live zu erleben?
Ja, wir spielen nur die Gigs, die wir spielen wollen. Auch mal für wenig oder keine Gage, wenn uns der Anlass und die Bedingungen gefallen. Allerdings, wenn uns ein Festivalveranstalter buchen will, machen wir das nicht für Peanuts. Das geht nicht; wir haben einen gewissen Marktwert und den gilt es auch zu würdigen.

In den 70ern und 80er war der Blues in Ostdeutschland eine Musik, die eine ganze, vergleichsweise scharf definierte, eigene Szene hervorbrachte. Es war eine alternative Kultur, die stark mit politischen Aussagen verbunden war oder verbunden wurde. In dem Buch "Bye Bye Lübben City" wird das umfassend dargestellt und illustriert. Wie hat sich die ostdeutsche Bluesszene seit Beginn der 1990er Deiner Beobachtung nach gewandelt?
Als Veranstalter von Stadtfesten und Konzerten im Bezirk merke ich sehr genau, wie alles mehr und mehr zum Business geworden ist. Früher gab es, was das Geschäftliche betrifft, ein Oben, eine Mitte und ein Unten. Heute gibt es offenbar nur noch oben und unten. Und unten zu sein, ist Mist, wenn ich sehe, wie wenig Geld "unten" gezahlt wird. Wir hier im Bezirk versuchen das anders zu handhaben, als so mancher Veranstalter. Wir sehen den Marktwert der Künstler und versuchen die Musiker angemessen zu bezahlen. Wir begreifen das als Förderung der bezirklichen Kultur. Aber insgesamt ist alles sehr zum Business geworden. Der Kuchen wird immer kleiner, aber einige glauben, immer und überall das größte Stück davon bekommen zu müssen. Wir haben da als Band auch schon sehr schlechte Erfahrungen machen müssen in den zurückliegenden Jahren. Es ist weniger eine musikalische Konkurrenz, die stattfindet, als eher eine geschäftliche: Wer bekommt welchen Gig, wo gibt es wie viel zu verdienen ... mir gefällt das überhaupt nicht, weil dadurch viel Kultur kaputtgemacht wird und so viel verhindert wird.

008 20130411 1546054351Hat der ostdeutsche Blues eine Zukunft? Wer sind Deiner Meinung nach die Protagonisten, die das Erbe der "Bye Bye Lübben City"-Generation fortsetzen?
Um die Zukunft unserer Zunft mache ich mir keine Sorgen. Solange Musiker auftauchen und sich behaupten wie Mike Seeber, müssen wir keine Angst haben, dass die Geschichte einmal zu Ende gehen könnte. Mike ist einer, der den Blues in sich hat und das musikalisch auch umsetzen kann. Er hat eine eigene Handschrift und geht seinen Weg. Man kann ihn inzwischen nicht mehr übersehen oder überhören; ich bin sehr froh darüber, dass es ihn gibt. Es gab da in letzter Zeit so eine Art Überangebot an jungen sehr talentierten Bassisten und Drummern. Die können heutzutage erstaunlich gut spielen, aber richtig charismatische Typen, wie Mike Seeber, sind seit jeher selten. Er ist wirklich ein Ausnahmetalent, was ja auch durch seine Endorsement-Verträge mit Gitarren- und Verstärker-Produzenten unterstrichen wird. Wir sind lose befreundet, telefonieren von Zeit zu Zeit miteinander, und ich konnte ihm auch schon ein paar gute Tipps geben. Nicht nur musikalisch, auch was das Business betrifft. Auf seinem ersten Album sollen ja auch ein oder zwei JONATHAN-Songs erscheinen. Aber es gibt auch noch einige andere Adressen, die in Zukunft Bestand haben werden. In Thüringen gibt es eine Sängerin, Steffi Breiting, von der erwarte ich auch noch eine ganze Menge, sie sollte gefordert und gefördert werden. So wie es auch mit den anderen hochkarätigen Sängerinnen in unserem Lande war - wie zum Beispiel mit Angelika Weiz, die damals zu Günter Fischer ging. Die Steffi sollte mutig ein paar Schritte nach vorne gehen, eine eigene Handschrift und mehr Personality entwickeln, eigene Songs machen. Generell freue ich mich über die neuen Talente und Einflüsse. Wir sollten sie vorbehaltlos unterstützen, und sie sollten uns überraschen und uns immer wieder mal zu der Frage bringen: "Hej, warum wir das nicht schon mal gemacht?" Die Steffi Breiting haben wir also auf dem Schirm, der Tipp kam von Kuhle; und bei den letzten Live-Alben von ENGERLING und MONOKEL KRAFTBLUES ist sie ja bereits dokumentiert. Ich würde sie gern mal bei JAZZ IN TOWNdabei haben, auch wenn sie noch relativ unbekannt ist. Wenn wir Leute wie Angelika Mann, Christiane Uffholz oder Ed Swillms auf die Bühne stellen, dann sind das garantierte Publikumsmagneten. Aber Steffis Zeit wird kommen.

Du meinst, es ist heutzutage nicht einfach, als talentierter Musiker populär zu werden?
Ja, denn als Veranstalter ist man leider gezwungen, wirtschaftlich zu denken. Bei Stadtfesten zum Beispiel muss man die Interessen der Händler berücksichtigen. Da muss ein Bühnenprogramm laufen, das die Leute verweilen lässt, dann sind auch die Händler und Gastronomen mit ihren Umsätzen zufrieden. Da kommen bekannte Leute wie Jürgen Kerth, MONOKEL KRAFTBLUES oder auch die PISTOLEROS mit meinem alten Freund Rainer "Lello" Hansen gut an. Das ist sowieso eine echt scharfe Band. Auch TONY JACK, als ein Beispiel aus der "zweiten Bundesliga", sind klasse. Die spielen schnörkellos und geradeaus mit unglaublichem Spielspaß.

009 20130411 2038285594Du beobachtest ja sicher auch die westdeutsche Bluesszene; welchen Eindruck hast Du, was ist gleich, was ist anders, wer sind die Leute, die Dir auffallen?
Ja, die westdeutsche Bluesszene ist natürlich auch sehr vielschichtig und bringt vieles hervor. Dass ein Henrik Freischlader so hoch gehandelt wird, ist richtig, aber es gibt da noch einige mehr solche Freischladers. Das aktuelle Album hat einen exzellenten Sound, ist aber sehr rifflastig geworden. Man weiß schon vorher, wann das Solo kommt. Als Gitarrist hat er aber das richtige Feeling und darum geht es. Er ist zu Recht ganz vorn. Ein anderes Beispiel ist BLUES COMPANY. Die sind in Dortmund eine Institution und haben viele Fans, spielen meinem Empfinden nach aber etwas langweilig. Das ist mein persönliches Empfinden - viele andere Menschen mögen das aber offenbar.
Wichtige Adressen für mich im Westen sind nach wie vor zum Beispiel Frank Dietz oder Alex Conti. Mit dem ELECTRIC BLUES DUO waren wir ja schon damals im Osten auf Tour; auch mit dem dänischen Gitarristen Peter Thorup oder dem Briten Paul Millns. Solche Projekte haben wir damals in den 80ern erfunden.
Auch mit Mitch Ryder sind wir damals aufgetreten, später wurde er dann von ENGERLING "übernommen". Mit ENGERLING verbindet uns sowieso sehr viel. Boddi war damals in den frühen 80ern längere Zeit mit uns auf Tour. ENGERLING lag eine Weile auf Eis, und es war nicht klar, ob es mit dieser Band weitergehen würde. Während Boddi mit uns auf Tour war, haben wir ihn ermuntert, mit ENGERLING weiterzumachen. So hat er, während er bei uns in der Band war, die Stücke für ein neues Album geschrieben und mit uns die Demos eingespielt. Dann hat er ENGERLING wieder zusammengetrommelt und ihnen das Material vorgelegt, um es dann mit ihnen aufzunehmen.

Das ist ja wirklich eine besondere Geschichte.
Und wir haben ja seit Jahren "Mama Wilson" im Programm. Boddi wundert es zwar, dass wir das gern spielen, aber wir meinen, dass das ein wichtiger Song ist. Wenn er allerdings von uns gespielt wird, klingt er komplett anders als bei ENGERLING. Es ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht, mit der anderen Rhythmusgruppe wird gleich ein anderer Song draus. Aber um noch einmal auf Deine Ost-West-Frage zurückzukommen, wir haben da einiges auf dem Schirm und schauen hin, aber meine ehrliche Meinung ist, dass da bisher nicht viel zusammengewachsen ist. Wahrscheinlich liegt das an unseren Biografien hier im Osten. Wir haben, bedingt durch die Umstände, eine andere musikalische Entwicklung genommen. Bei uns hat der Blues mit einer anderen Mentalität zu tun. Wir wollen wir sein und bleiben. "Bye Bye Lübben City" spielt da rein, aber auch die politische Historie, mit der die Blues-Geschichte im Osten verbunden ist. Sieh mal, Thüringen hat die ostdeutsche Bluesmusik bis heute sehr beeinflusst, auch mich. Leute wie Jürgen Kerth zum Beispiel.

Thüringen und Berlin gelten bis heute als die Blues-Zentren im Osten, musikalisch hört man die regionalen Unterschiede ...
Der Blues in Thüringen war immer anders als in Berlin, aber auch politisch war die Szene dort anders als hier. Die haben ihr "Schwerter zu Pflugscharen" nicht nur behauptet, sondern auch weitaus konsequenter gelebt, als wir hier in Berlin. Die haben das irgendwie ernster gemeint. Obwohl, wir Berliner hatten hier Ende der 70er die Bluesmessen erfunden. Da kam von Pfarrer Rainer Eppelmann eine Einladung an die Band, in der ich damals spielte, HOLLY'S BLUESBAND. Wir wurden von Eppelmann mit Schnittchen und Bier empfangen, und er erklärte uns, was er vorhatte: Bluesmusik in der Kirche, nur für karitative Zwecke. Klar, da haben wir zugesagt, mit dem Ergebnis, dass es Auftrittsverbote gab und 1981 die wichtigen Protagonisten der Band in den Westen gehen mussten. Plötzlich war ich ohne Band und habe dann JONATHAN gegründet.

Du warst an den von staatlicher Seite argwöhnisch betrachteten Bluesmessen aktiv beteiligt, der größte Teil der Band musste das Land verlassen, aber trotzdem durfte JONATHAN damals, 1987, die LP "Überdruck" aufnehmen. Das ist bemerkenswert.
Ja, das passierte, ähnlich wie bei den Plattenproduktionen der anderen Bluesbands, weil die Oberen ja irgendein Ventil brauchten, um die Szene kontrollieren und regulieren zu können. Es war natürlich alles schwierig und auch oft schwer durchschaubar; man musste sich schon auskennen, auch wenn man ins westliche Ausland auf Tour wollte. Da brauchte man schon ein cleveres Management und seine Anlaufpunkte im Apparat. Ich war ja immer der böse Bube und als Diplomat kaum zu gebrauchen. Wenn ich auf dem Weg ins Kulturministerium war, ist Hartmut König, der damalige Kulturchef, immer abgetaucht.

Aber Ihr wart auch im westlichen Ausland auf Tour.
Als wir damals, 1988, zum Midtfyns Festival in Dänemark eingeladen waren, bekam Hagen Dyballa ohne Erklärung keinen Reisepass. Hartmut König war kurz vor der Abreise zu den Weltfestspielen in Pjöngjang, hatte keine Zeit und ich war wütend. Auf einem Flur vom Ministerium für Kultur traf ich Thomas Fritzsching, den damaligen Gitarristen von SILLY. Ich war wütend, er beruhigte mich, verschwand hinter einer Tür und kam dann mit einem Referenten von König zurück. Schließlich gab es dann den Reisepass und wir sind als komplette Band gefahren. SILLY waren damals schon groß, und wir haben von Thomas' Courage profitiert. In Dänemark, als wir beim Festival ankamen, wurden wir gleich Zeugen eines "Skandals" und ich konnte mich revanchieren: SILLY spielten gerade ihre Zugaben und ich sah, wie ein "Wikinger", einer der dänischen Techniker oder Sicherheitsleute, gegenüber dem Tontechniker von SILLY handgreiflich wurde. Andere räumten schon die Backline von SILLY ab, während Thomas Fritzsching noch allein auf der Bühne Gitarre spielte und immer in Richtung dieser Sicherheitsleute spuckte, die ihn offensichtlich von der Bühne haben wollten. Also, weil er da so alleine stand und bedrängt wurde, bin ich hin und hab mich zwischen die Beiden gestellt. Der Grund für dieses Gerangel war ein Abstimmungsfehler mit den Organisatoren, wodurch SILLY mit ihren Zugaben den Zeitplan durcheinander gebracht hatten. Carlos Santana sollte als Headliner spielen und via Eurovision im Fernsehen übertragen werden. Backstage hatte er zu Tamara gesagt, es sei ihm egal, dass die Band vor ihm länger als geplant spielen würde, aber sein Management und der Veranstalter sahen das selbstverständlich anders - es gab eine feste Sendezeit, die exakt eingehalten werden musste. Also haben die Sicherheitsleute die Band von der Bühne gedrängt, was dann am nächsten Tag in allen dänischen Zeitungen zu lesen war. SILLY gewann dadurch über Nacht so sehr an Popularität, dass sie sofort einige Folge-Muggen bekamen. Später haben wir dann alle gemeinsam und ganz entspannt auf den Cases von Santana gesessen und zugesehen, wie sein Soundingenieur alles geregelt und gemixt hat. Schon bei unserer ersten Fahrt, da waren wir auch nach Dänemark eingeladen worden, hatte Hagen Dyballa auch wieder keinen Reisepass bekommen. Wir haben den damaligen Bassisten von PANKOW gewinnen können. Eine Nacht geprobt und am nächsten Tag ging die Reise los; unser Ersatzmann hat gute Arbeit geleistet, aber das war schon ein dummes Gefühl, als wir losgefahren sind mit winke-winke, und Hagen zurücklassen mussten. Das war eine Tour, etwa eine Woche lang.

Welche Blues- oder andere Musik beeinflusste Dich früher, welche beeinflusst und inspiriert Dich heute, welche jüngeren Bluesmusiker sind Deiner Meinung nach international die Protagonisten einer neuen Generation?
Ganz klar war das Johnny Winter während seiner Blütezeit in den 70ern und 80ern; er war ja danach eine Zeitlang völlig am Boden, rappelt sich aber jetzt gerade wieder hoch und wird immer besser, man glaubt es kaum. Natürlich Stevie Ray Vaughn, aber auch Peter Green und Eric Clapton, wobei Clapton erst in den letzten Jahren, seit er seine CROSSROADS-Festivals macht, das finde ich genial. Auch die Band mit Doyle Bramhall II und dem Slide-Mann der Allman Brothers, Derek Trucks.011 20130411 1325474727 Besonders hat es mir aber Matt Schofield angetan. Ein Engländer, zurzeit überall gefeiert als der Blueshero, ausgezeichnet als bester Bluesgitarrist 2011. Schofield spielt in seiner Band meist mit Orgel und Drums, die Orgel übernimmt den Bass. Der Mann hat wahnsinnig gute Songs und coole Sounds. Ich beobachte ihn seit etwa einem Dreivierteljahr sehr intensiv. Vom Sound her möchte ich mich auch dorthin entwickeln, es geht ja immer auch um den speziellen Sound. Er spielt einen Two Rock Amp, das ist absolute Oberklasse.
Ich schaue auch hin, welche Technik die Leute verwenden. Ich selbst habe erst vor kurzem mein Equipment gewechselt und mir einen Verstärker von Bogner, den Goldfinger 45, gekauft, um mit meinem Sound das zu erreichen, was ich mir vorstelle. Obwohl Bogner Deutscher ist, ist er hier ein relativ unbekannter Exot, aber drüben in den USA, wo die Firma ist, ist er sehr populär. Matt Schofield verwendet zum Beispiel auch einen Klone Centaur Overdrive. Das ist ein Effektgerät, das Kultding schlechthin, was ich schon mal hatte, aber, weil es damals nicht passte, an Kuhle Kühnert verkauft habe. Nun kaufe ich es von Kuhle zurück, weil ich es jetzt gut verwenden kann. Naja, so läuft das ja immer unter Musikern, die auf der Suche nach ihrem perfekten Sound sind.
Manchen Gitarristen ist es ja egal, die spielen eben auf dem Equipment, was gerade da ist. Manche klingen auch dann noch phänomenal, aber manche klingen eben immer anders. Das muss jeder für sich selbst wissen. Ich habe auch viel bei Mike Seeber hingehört, der sehr bewusst seine Gitarren und seine Technik auswählt. Mike ist ja auch so ein Tüftler, der ständig seinen Sound verfeinert und vieles ausprobiert. Das gefällt mir an ihm. Wir tauschen oft unsere Erfahrungen und Meinungen aus, ich frage bei ihm oft nach. Aber das ist eine Never Ending Story.

Eine never ending Story - das wäre auch ein gutes Motto für JONATHAN. Peter, vielen Dank für das Gespräch! Deutsche Mugge wünscht gutes Gelingen bei der Plattenproduktion und bei den anstehenden Konzerten!


Interview: Thorsten Murr
Datum: April 2013
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Torsten Meyer, Thorsten Murr, Pressematerial


 


   
   
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