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Ihr Debütalbum, dessen Titel schlicht und einfach mit dem Bandnamen identisch war, schlug 1994 auf dem deutschen Musikmarkt ein wie die sprichwörtliche Bombe. SELIG wurde als die deutsche Antwort auf Nirvana bezeichnet, als "Grunge-Könige" geadelt. Die Fans lagen den Hamburgern um ihren markanten Frontmann Jan Plewka zu Füßen, so dass eigentlich einer großen Karriere nichts im Wege stehen sollte. Doch zunächst hielten Glanz und Gloria nur etwa 5 Jahre, denn nach dem dritten Album "Blender", welches 1997 erschien und durch seinen äußerst psychodelischen Grundcharakter bereits einiges von der inneren Zerrissenheit der Band ahnen ließ, ging SELIG auseinander. Der plötzliche Ruhm, die Erwartung der Fans und die nicht durchsetzbaren eigenen Ansprüche führten dazu, dass die Musiker miteinander nicht mehr klar kamen und die Reißleine zogen.
Zehn Jahre sollten ins Land gehen, ehe man sich vorsichtig wieder annäherte, viel und intensiv miteinander sprach und Stück für Stück die Vergangenheit aufarbeitete. Man verspürte plötzlich wieder Lust auf gemeinsames Musizieren und schaffte 2009 mit dem Comeback-Album "Und endlich unendlich" einen nicht für möglich gehaltenen Erfolg. Die Fans waren happy, die folgende Tournee fand vor ausverkauften Häusern statt. "Von Ewigkeit zu Ewigkeit" toppte den Erfolg nochmals. Im Februar 2013 nun spürte SELIG mit dem neuen Album "Magma" erstmals auch einige negative Schwingungen, weil "Magma" halt doch etwas anders klingt als die Vorgänger. Wir hatten die Gelegenheit, mit Stephan "Stoppel" Eggert, dem Schlagzeuger von SELIG, über das neue Album, die gerade laufende Tour und einige andere Themen zu reden.
 



001 20130410 1456988254Hallo Stoppel, Euer neuestes Album mit dem Titel "Magma" ist nun schon einige Wochen auf dem Markt. Überwiegend hagelt es positive Kritiken - wie seht Ihr selbst die Resonanz auf "Magma"?
Na ja, es gibt ja diesmal nicht nur positive Kritiken, sondern es scheint regelrecht zu polarisieren, was wir da aufgenommen haben. Das kannten wir vorher nicht, dass eines unserer Alben so kritisch aufgenommen wird. Entweder mochten die Leute SELIG, dann bekamen sie auch ein SELIG-Album und waren happy. Oder sie haben sich nicht für SELIG interessiert, dann war es ihnen egal, was wir machen. Jetzt haben wir zum ersten Mal die Situation, dass wir nach dem Anschauen der Bewertungen bei amazon.de, i-tunes usw. gedacht haben: "Nanu, hoppla, was passiert hier denn gerade?" Diese Reaktionen wurden von uns auch gemischt aufgenommen. Wir persönlich sind mit dem Album total glücklich, haben sehr viel Spaß gehabt beim Ideen sammeln, beim Schreiben und Aufnehmen der Songs und haben uns deshalb auch nichts vorzuwerfen. Wenn jetzt jemand mit dem Album nicht klar kommt, dann tut es uns natürlich leid, denn wir möchten unsere Fans gerne glücklich machen. Aber letztlich ist es dann halt so, wie es ist.

Aber Ihr könnt durchaus mit Kritik leben, wenn sie sachlich begründet ist?
Ja natürlich. Aber mir ist das - ehrlich gesagt - irgendwann zu viel. Ich habe ab einem bestimmten Punkt aufgehört, mir Zeitungskritiken und Bewertungen von Hörern und Fans durchzulesen, weil es einfach zu viel und zu umfangreich wird. Gerade im Internet sind die Leute, die etwas Scheiße finden, auch die Ersten, die auf die Tastatur einhacken und das, was sie stört, auch ablassen und aufschreiben. Irgendwann war bei mir das Maß voll und ich dachte mir: Okay, das kann jeder finden, wie er will, aber ich muss ja nun auch nicht jede einzelne Stimme dazu kennen. Selbstverständlich kann ich auch mit Kritik umgehen und ich setze mich auch gerne mit ihr auseinander. Am Ende passiert dann aber auch oft das, was ich gerade bei facebook gelesen habe. Da schrieb einer, er fand das Album erst Scheiße, jetzt findet er es okay. Er war dann trotzdem in unserem Konzert und ist so glücklich und dankbar, dass er es gemacht hat, weil es ein so geiler Abend war.

002 20130410 1950634612Für die Produktion des Albums seid Ihr diesmal gänzlich andere, neue Wege gegangen. Es begann schon damit, dass Ihr Euch für "Magma" entschlossen habt, nicht wieder alles in Eigenregie zu machen, sondern Euch einen Produzenten zu suchen. Welche Gründe gab es dafür?
Die beiden letzten Platten haben wir in einer ähnlichen Art und Weise aufgenommen, also beide in Berlin selbst produziert. Als erstes wollten wir eine geographische Veränderung erreichen, also weg aus Berlin und woanders aufnehmen. Als zweites wollten wir gerne jemanden an unserer Seite haben, der uns diese ganzen Geschichten abnimmt, die wir vorher als Produzenten selbst erledigen mussten. Wir waren alle ein bisschen müde, uns darum kümmern zu müssen. Es hängt nämlich noch so viel mehr daran, als nur Musik aufzunehmen. Und das steht einem dann irgendwann total im Wege, wenn man sich eigentlich auf die Musik konzentrieren möchte. Es gibt hier einen Abgabetermin, da brauchen wir noch eine kürzere Fassung, wo bleibt das Master? All diese Dinge und Fragen rauben einem einen Haufen Energie und Zeit. Wir hatten tierische Lust darauf, einfach mal wieder nur Band zu sein und jemanden zu haben, der die ganze Organisation regelt. Und dazu kommt, wir hatten auch mal wieder große Lust auf Input von außen. Da waren wir fünf Musiker uns auch alle total einig, so dass wir schauen konnten, mit wem wir zusammen arbeiten wollten. Mit wem würden wir Spaß haben, wer passt zu uns? Das mussten wir herausfinden. Es war eine ziemlich lange Suche mit einem wirklich glücklichen Ende für uns.

Wie seid Ihr dann ausgerechnet auf STEVE POWER gekommen? Der Mann hat ja nun einen gewissen Namen in der Branche und wird nicht unbedingt auf einen Anruf von SELIG gewartet haben.
Ganz genau. Es war purer Zufall, dass es so kam. Wir hatten vorher bereits einige Meetings mit Produzenten, bei denen wir hinterher immer das Gefühl hatten, der macht tolle Arbeit, der hat super Referenzen usw. Aber es war trotzdem nie so, dass wir nach den Gesprächen dachten: "Wow, das ist jetzt unser Mann!" Deswegen waren wir nach vielen Treffen und Versuchen ein bisschen ratlos und verzweifelt. In dem Moment hat unser Toningenieur, der auch schon unsere letzten beiden Platten aufgenommen hat, ungefragt eine Mail an Steve Power geschrieben, mit dem er vor ungefähr zwanzig Jahren mal zusammengearbeitet hat. Damals war er noch ein kleiner Tonassistent. Er schrieb also: "Hallo Steve, ich habe mich zwanzig Jahre nicht gemeldet. Jetzt tue ich es, denn hier gibt es eine Band aus Deutschland, die ist cool und die wollen einen Produzenten für ihr nächstes Album. Da dachte ich mir, ich frage Dich einfach mal und Du kannst Dir anhören, was die bisher so gemacht haben." Steve schrieb noch am selben Tag zurück, hörte in unsere Sachen rein und meinte dann, das wäre alles total interessant und er hätte große Lust, mal eine Rockband zu produzieren. Eigentlich ist er ja mehr ein Pop-Produzent. Er kam nach Hamburg, wir haben uns kennengelernt und beschnuppert und über Musik geredet. Wir spielten ihm unsere Demos der neuen Lieder über ein i-phone vor, in einer ganz miesen Qualität. Von Anfang an haben wir füreinander gebrannt und zusammengepasst. Wir dachten dann natürlich darüber nach, ob wir den Mann überhaupt bezahlen können. Er ist ja immerhin ein Top-Produzent, der schon mit richtigen Stars gearbeitet hat. Aber Steve kam uns sehr entgegen und dadurch war die Sache dann ruckzuck eingetütet.

003-l 20130410 1009813186Wie muss man sich so eine Zusammenarbeit mit einem neuen Produzenten vorstellen, der Euch bis dato gar nicht kannte? Beschnuppert und belauert man sich anfangs oder geht man gleich in die Vollen?
Steve hat gleich unglaublich gute Sachen gesagt. Wir hatten unser erstes Treffen, in dem wir uns ein bisschen beschnupperten und feststellten, es könnte für beide Seiten sehr interessant werden. Wir hatten jedenfalls gleich Lust auf eine Zusammenarbeit. Bevor es dann für uns nach England ging, kam er noch mal nach Hamburg und hat sich den letzten Stand der Dinge angehört. Wir haben abwechselnd in Hamburg und Berlin geprobt und irgendwann sagten wir: "Jetzt haben wir so viel gemacht, wir müssen mal ein bisschen aussortieren. Was können wir davon aufnehmen, wie viel Zeit haben wir, wie viele Stücke schaffen wir?" Dann spielten wir Steve unsere Favoriten vor und überhaupt alles Mögliche, insgesamt ungefähr 30 Songs. Er hat einfach dagesessen und zugehört und manchmal, wenn er mitgerissen war von der Musik, ist er aufgesprungen und durch den Raum getanzt! Da dachten wir: "Hey, das ist doch mal eine gute Reaktion! Das scheint ihm zu gefallen." Wir haben ihm auch Sachen vorgestellt, mit denen wir selbst noch nicht klar waren. Also entweder war uns der Anfang zu langweilig oder ein Teil des Songs fällt irgendwie raus, oder irgendwie so. Steve sagte dann mal: "Spielt doch einfach mal das Ende nicht am Ende, sondern als Intro des Songs. Das könnte ich mir gut vorstellen. Am Ende wirkt das ein bisschen angeklebt, aber vielleicht sollte das Lied damit anfangen." Das haben wir dann ausprobiert und sagten nur: "Wow! Das ist ja mal was tolles, darauf wären wir selbst jetzt nicht unbedingt gekommen." Steve hatte also von Anfang einen großen Einfluss auf die neuen Songs und Ideen dazu geäußert, die uns einfach Spaß machten.

Die Aufnahmen fanden ja nun nicht gerade in gewohnter Umgebung statt. Wie habt Ihr reagiert, als Ihr das erste Mal in dieser umgebauten Kirche mitten in der englischen Pampa wart?
Das war für uns eine echte Fahrt ins Blaue. Natürlich kann man sich das vorher alles im Internet angucken. Wir hatten uns zuvor mit Steve beraten, wo wir hingehen könnten für die Produktion und wohin eher nicht. Er schlug dann Sachen vor, wie Brüssel oder ein paar andere Orte, aber das sagte uns alles nicht zu. Nein, hier wollen wir nicht, da waren wir schon und Griechenland im Sommer ist viel zu heiß usw. Wir wären eigentlich ganz gern nach London gegangen, aber da war irgendwie gerade alles ausgebucht, da waren wir zu spät dran. Dann war dieser Ort in England eine Sache, die noch zu haben war. Der heißt South Thoresby und befindet sich in der Nähe von Nottingham. Christian wollte eigentlich hinfliegen und sich das mit Steve zusammen angucken, aber da kam irgendein Flugchaos oder Unwetter dazwischen, ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls saß Steve dann alleine da und vergewisserte sich, dass man dort gut produzieren und aufnehmen kann. Er meinte, es sei halt sehr urig und englisch, es ist kein Luxus, kein Londoner High-Class-HiFi-Studio, sondern eher was einfacheres. Wir verließen uns zunächst auf seine Meinung, fanden dann aber das, was im Internet zu lesen war, auch gut. Trotzdem war es, wie gesagt, eine Fahrt ins Blaue, ins Ungewisse, denn wir wussten natürlich auch nicht, wie die Zusammenarbeit mit ihm werden würde, wenn es konkret und ernst wird. Letztlich waren wir aber vom ersten Moment an total begeistert. Das war dort ein echter Familienbetrieb. Der Chef des Hauses hat sich nicht viel blicken lassen. Er führt dieses Studio schon seit Ewigkeiten und besonders Heavy Metal-Bands frequentieren es sehr gerne wegen dieser einmaligen Akustik in dieser ehemaligen Kirchenhalle. Seine Frau kochte für uns, die Kinder halfen mit beim Tisch decken und beim Abwasch und es war so, als würden wir zur Familie gehören.

004 20130410 1572720003Ich nehme an, die Ablenkungen hielten sich dort in Grenzen...
Ja, das stimmt, man hatte nicht die Ablenkungen einer Großstadt, wo man irgendwann sagt: "Wir machen jetzt Feierabend und gehen erst mal in eine Bar". Da gab es nämlich einfach nichts. Im Nachbarort war ein ganz kleiner Pub, aber da musste man zu Fuß eine ganze Stunde hin laufen. Oder man nahm halt ein Auto, dann ging es schneller. Natürlich klapperten wir nach und nach alle Pubs im Umkreis von 20 Kilometern ab. Es war also schon sehr ländlich, aber das hat auch dazu geführt, dass wir uns unglaublich gut auf die Arbeit konzentrieren und einlassen konnten.

Bestand nicht irgendwann mal die Gefahr, dass Ihr einen Lagerkoller bekommt?
Klar, die Gefahr lag in der Luft. Glücklicherweise haben wir es aber so gelöst, dass jeder von uns während dieses Monats, den wir dort waren, einmal kurz nach Hause gefahren ist, um für einen Moment Abstand zu gewinnen. Drei Tage zu Hause, dann ging es wieder. Aber ich muss sagen, wir sind uns tatsächlich nicht auf den Keks gegangen. Die Stimmung war durchgehend extrem gut und entspannt. Dafür sorgte schon Steve, der wirklich das Klischee eines Engländers erfüllt. Er ist echt lustig und unwahrscheinlich charmant und hat damit entscheidend zur guten Atmosphäre beigetragen. Wir haben alle wirklich einen sehr englischen Umgang miteinander gepflegt. Nach Nottingham, die nächst bekanntere Stadt, hätten wir auch mal fahren können, aber die war unendlich weit weg, deshalb haben wir es nicht gemacht. Okay, wir waren mal am Meer zum Baden, aber in eine größere Stadt haben wir es in der ganzen Zeit nicht geschafft. Wir waren tatsächlich mitten in der Pampa.

Wie würdest Du heute - mit etwas Abstand - "Magma" charakterisieren, was ist anders, als an den beiden vorigen Alben?
Erst mal haben wir ganz unbefangen losgelegt. Wir haben als Band ja einen bestimmten Sound und jeder spielt sein Instrument irgendwie immer auf eine ähnliche Art und Weise. Von daher haben wir in musikalischer Hinsicht nicht gesagt, jetzt lasst uns mal alles anders machen, härter werden oder auch melodischer. Es hat sich aus dem ergeben, was jeder von uns an Ideen auf den Tisch gepackt hat. Über die Texte haben wir uns ganz viel unterhalten. Jan wollte wissen, welche Themen uns im Moment besonders berühren. 005 20130410 1557604098Wir haben viel mehr darüber geredet, als sonst. Wir haben aber keinesfalls versucht, ganz bewusst etwas anderes zu machen, als vorher. Wenn ich jetzt Kritiken lese, in denen Hardcore-SELIG-Fans sagen, das sei ihnen alles zu poppig, weil es auf dem Album auch tatsächlich zwei, drei poppigere Songs gibt, dann kann ich denen nur sagen, dass es wirklich nicht mit der Absicht geschah, SELIG unbedingt mal im Radio stattfinden zu lassen. Es waren eben Lieder, die waren einfach da. Steve zum Beispiel sagte mal zu einem Lied, bei dem wir uns nicht so ganz sicher waren, dass er dazu gut Auto fahren kann. Er meinte zu uns, dass wir dieses Lied bestimmt noch ganz oft und lange in unserer Karriere werden spielen müssen. Er ging jedenfalls sehr unbefangen damit um, aber Engländer haben ja ohnehin keine Angst vor Pop.

Ohne Frage erkennt man bereits nach den ersten Takten auf dem Album: Jepp, das ist 100% SELIG! Ich werde dennoch den Eindruck nicht los, dass Ihr Euch von Album zu Album immer mehr in diese angesprochenen Popgefilde begebt, weicher werdet im Sound. Stichwort: "Wenn ich an Dich denke". Täuscht mich meine Wahrnehmung?
Ja, es stimmt, "Wenn ich an Dich denke" ist tatsächlich etwas völlig anderes, als die härteren, riffbetonten Sachen, die wir ja auch machen. Aber was den Sound der Nummer betrifft, so ist das wohl eine Art Stempel, die Steve Power diesen Songs aufgedrückt hat. Er hat das Album am Ende auch gemischt und er hat es vielleicht eher britisch gemischt. Vielleicht kann man das so nennen. Auf jeden Fall klingt "Magma" ganz anders, als alle anderen Platten, die wir vorher gemacht haben. Viele haben gesagt: "Das ist ja toll, endlich verstehe ich mal die Texte". Wenn ich mir selbst manchmal eine alte Platte, wie "Hier" anhöre, die noch von Franz Plasa gemacht wurde, dann denke ich schon, dass es Wahnsinn ist, wie unglaublich leise der Gesang ist, wie viel Musik da nach vorne drückt. Dadurch wirkt der Gesang total eingebettet in den Sound. Man versteht ihn zwar, aber er ist eben Teil der Gesamtabmischung. Währenddessen steht bei "Magma" der Gesang eindeutig vor der Musik, was ja auch so eine Art Pop-Eigenheit ist.

Eure Texte klingen wie immer sehr emotional und poetisch. Wie viel Persönliches und selbst Erlebtes steckt darin?
Jans Bestreben ist es auf jeden Fall, poetische Texte zu schreiben. Er ist nicht so ein sachlicher Runter-Erzähler, sondern er sucht immer nach irgendwelchen Bildern. Aber natürlich sind das schon Sachen, die uns betreffen und die wir erlebt haben. Nimm als Beispiel "433", das ist die Nummer eines Hotelzimmers, das es tatsächlich gibt und deswegen gibt es diesen Text von diesem Hotel, diesem Zimmer und dieser einen Nacht. Das hat Jan sich nicht ausgedacht, das ist real passiert.

Wem ist beispielsweise der Song "Danke" gewidmet?
Da bin ich jetzt wirklich der falsche Ansprechpartner. Ich kann Dir nicht sagen, wen Jan beim Schreiben des Textes im Auge hatte, aber ich nehme stark an, es wird jemanden geben.

Was wollt Ihr mit dem Albumtitel "Magma" ausdrücken, warum heißt die Platte so?
Weil das Wort so schön ist (lacht). Das war unser Leitbegriff, als wir anfingen, Songs zu machen. Wir saßen in der Bahn nach Berlin und Jan fragte uns, was eigentlich der Kern unserer Musik sei, was macht uns eigentlich aus, wie können wir das benennen, was ist unser Magma? Wir guckten uns an und fragten, was er denn mit "Magma" meine. "Naja", sagte Jan, "die Verbindung, die zwischen uns herrscht, wenn wir Musik machen, das nennt man Magma." Also haben wir jedes Stück, welches wir neu gemacht haben, auf die sogenannte Magma-Haltigkeit abgeklopft. Das bedeutet, ist der Song so, wie wir uns selbst hören wollen, wie wir es uns selbst vorstellen. Dieses Wort "Magma" hat uns also einen langen Zeitraum über begleitet. Auch wenn "Magma" als CD-Titel so ein bisschen nach einer Stoner-Rock-Platte klingt, was aber ja letztendlich gar nicht stimmt, so konnten wir uns von dem Begriff doch nicht mehr trennen. Also musste die Platte ganz einfach so heißen. Außerdem sagte unser Grafiker nach der ersten Sitzung: "Bitte, bitte belasst es dabei, das ist so geil: SELIG hat fünf Buchstaben, MAGMA fünf Buchstaben - der Traum eines jeden Grafikers!" Deutsche Bands nennen ja ihre Platten normalerweise "Ich bin dann mal bis Sonntag im Urlaub und komme nie wieder zurück" oder so. Man darf nicht vergessen, der Grafiker muss den Titel irgendwie auf die CD und auf das Cover quetschen. Deshalb hatten wir am Ende überhaupt keine andere Wahl, als "Magma" zu behalten.

Mit der ersten Auskopplung "Love & Peace" begebt Ihr Euch erstmals auch auf die politische Ebene. Die Zeile "Wenn Du Dich selbst nicht verändern kannst, verändere die Welt" prägt sich unweigerlich ein. Was hat Euch zu dem Song inspiriert, warum ist Euch ein solches Lied gerade jetzt wichtig?
Das hat sich aus diesem ganz schlichten Rockriff heraus entwickelt. Jan hat dazu rumprobiert, ihm fiel aber nichts Konkretes ein. Wir saßen dann im Auto und im Radio lief gerade "We didn't start the fire" von BILLY JOEL, dieser Song mit den ganzen einzelnen Aufzählungen in den Versen. Jan meinte, das wollte er unbedingt mal ausprobieren und sich vielleicht pro Strophe ein Jahrzehnt vornehmen. Plötzlich entstand also der Plan zu dem Song und wurde so eine Art Gemeinschaftsprojekt von uns. Wir haben alle zusammen recherchiert, jeder hat ein paar Daten zusammengetragen. So entstand dann letztlich der Song.

007 20130410 1533861547"Alles auf einmal" reflektiert noch einmal die alte, schmerzbehaftete Zeit, in der ihr letztlich am Ruhm gescheitert seid. "Ein Leben im Überflug, mit Lügen und Selbstbetrug" heißt es darin. Ich habe gelesen, dass Ihr mit dem Song endgültig das Kapitel Eurer Trennung abschließen wollt. Kann man das überhaupt? Diese Ereignisse gehören doch zu Eurer Biographie dazu...
Klar gehört das zu unserer Biographie dazu, das will auch keiner verdrängen. Der Song hat tatsächlich viel Autobiographisches, ist sehr "Jan-mäßig" und auf unsere Band bezogen. Gleichzeitig kam es aber auch zu dem Song, weil dieses "Burn out-Thema" auch gerade in unserem Umfeld sehr präsent war. Überall tauchten Leute auf, die uns erzählten, sie können hier und da nicht mehr arbeiten, mussten dort aufhören, weil es nicht mehr ging. Es führten also mehrere Geschehnisse zu diesem Lied, natürlich auch unsere eigene Geschichte.

Soviel ich weiß, hattet Ihr für "Magma" mehr als vierzig Songs zur Auswahl. Was passiert mit denen, die es nicht aufs Album geschafft haben?
Das frage ich mich auch, da bin ich sehr gespannt drauf. Insgesamt haben wir sechzehn oder achtzehn Nummern aufgenommen, dazu noch zwei opulente, langwierige Sessions, die etwa eine Stunde dauerten. Und bei den Songs, die quasi fast fertig sind, die man vielleicht nur noch mal neu besingen müsste, sind so tolle Aufnahmen dabei... Ich habe um einige Songs regelrecht gekämpft, aber es hat nicht geklappt, ich konnte mich nicht durchsetzen, habe keine Mehrheit dafür gefunden. Es gibt wirklich Songs, die hätte ich furchtbar gerne mit auf dem Album gehabt. Manchmal hat das nur nicht geklappt, weil Jan meinte, ihm fehlen da vielleicht noch vier Textzeilen. Schade, schade. Aber die Titel muss man deshalb ja nicht in die Tonne werfen. Die sind jetzt da und ich glaube auch nicht, dass die mit der Zeit schlechter werden. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass die Nummern irgendwann mal den Weg ans Licht der Öffentlichkeit finden.

008 20130410 1679363600"Und endlich unendlich", dann "Von Ewigkeit zu Ewigkeit" - Ihr habt immer in Dimensionen gedacht, die vermuten ließen, es gibt für Euch keine Grenzen, es geht unaufhörlich vorwärts. Seid Ihr mit "Magma" nun am Ziel Eures Weges angekommen?
Nein, keineswegs, sondern wir sind mitten drauf auf unserem Weg. Mit unserer Reunion haben wir den Faden aufgenommen und den wollen wir jetzt auch nicht mehr loslassen. Da sind wir uns alle einig und sicher, weil wir zu schätzen wissen, was wir aneinander und miteinander haben. Diese Konzertabende bestätigen das jeden Tag aufs Neue. Die Konzerte machen richtig Spaß. Wenn man in die Gesichter der Leute guckt, bekommt man ganz viel zurück. Die sind wirklich am Weinen oder am Lachen, springen rum, wie früher. Kürzlich waren wir in Freiburg, da waren viele Studenten im Saal und plötzlich fingen die alle an zu hüpfen. Man fühlte sich zurückversetzt in die Neunziger. Es machte einen Riesenspaß miteinander. Erst gestern gab es wieder einen ähnlichen Auftritt und Jan sagte danach: "Eigentlich sind wir wie ein zwanzigjähriger One Night Stand".

Die Musikszene hat sich seit den Neunzigern enorm verändert. Habt Ihr es heute leichter, als damals?
Ich würde behaupten, wir haben es heute schwerer. Es hat sich eine Menge getan, was die Verbreitung von Musik betrifft. Ich denke, wir waren damals in den Neunzigern zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aus Deutschland kamen gerade nicht so viele Sachen, die anders waren. Gut, es gab die Urgesteine Westernhagen und Grönemeyer, ja. Aber dem Nachwuchs wurde noch nicht das ganz große Forum gegeben. Was das deutschsprachige betrifft, hatten FANTA 4 eine große Vorreiterrolle. Plötzlich kamen wir und die Leute freuten sich: "Hu, eine Rockband, die gar nicht nach Deutschland klingt, sondern eher nach England oder Amerika. Aber die singen trotzdem deutsch!" Das war damals etwas ganz Besonderes. Und heutzutage? Meine Güte, jede Musikrichtung, die es gibt, gibt es auch mit deutschen Texten. Insofern gibt es natürlich auch ein riesiges Angebot, was es ziemlich schwer macht, dort hervor zu stechen.

009 20130410 1846387293Würdest Du sagen, dass Ihr inzwischen auch wieder junge Leute ansprecht und begeistert oder habt Ihr lediglich Eure alte Fanbase in die heutige Zeit gerettet?
Wir haben schon viele neue Leute dazu gewonnen. Vor allem auf Festivals gelingt uns das ganz gut, zumal auf Festivals nur junge Leute und reine Freaks zu finden sind. Außerdem sollte man wissen, dass das Durchschnittalter bei "Rock am Ring" um die Zwanzig liegt. Da erreicht man schon eine Menge. Auch mit der neuen Platte haben wir uns ziemlich gewundert. Wir standen in Frankfurt auf der Bühne und da haben die jüngeren Leute das Album mitgesungen. Aber bei Klassikern, wie "Mädchen auf dem Dach" oder "Wenn ich wollte" standen die mit offenen Mündern da, weil sie die Nummern gar nicht kannten. Da ist also durchaus noch Potential nach oben in uns, auch wenn wir jetzt nicht mehr die Jüngsten sind. Es steckt aber noch ganz viel Energie in uns, die auch junge Leute erreicht.

Ihr spielt ja nach wie vor in der Ur-Besetzung. Hätte es die Reunion 2006 auch gegeben, wenn nur einer von Euch gesagt hätte: "Nein, ich will nicht noch mal von vorne anfangen"?
Da fragst Du ja was... Das ist schwierig zu beantworten. Wir sind natürlich glücklich darüber, dass alle mitgezogen sind. Ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre, wenn jemand "Nein!" gesagt hätte. Das hätte definitiv eine andere Band aus uns gemacht. Natürlich heißt man dann immer noch SELIG und fährt durch die Lande. Es ist schwer, sich das vorzustellen. Wir hatten jetzt ein, zweimal den Fall, dass Leo verhindert war oder ich nicht konnte. Wir haben dann Freunde gefragt, die sich auch bereit erklärten, für uns einzuspringen. Irgendwann gab es z.B. mal ein Radiokonzert in Münster, da spielte für mich ein befreundeter Schlagzeuger mit. Es hieß dann, das Radio möchte die Aufnahmen noch mal mischen lassen, damit sie es auch in ihrem Programm senden können. Wir haben uns das angehört und festgestellt, er war zwar ein wirklich phantastischer Trommler, aber das klang überhaupt nicht nach SELIG. Die anderen fanden das Ergebnis auch irgendwie komisch. Das klang eher, wie eine SELIG-Coverband und das nur, weil ein Musiker ausgetauscht wurde. Wir sind also praktisch wie ein altes Ehepaar, das man nicht trennen sollte.

Was macht Ihr generell im heutigen Umgang miteinander anders als damals, um ein erneutes Auseinanderbrechen der Band zu verhindern?
Vor allem sind wir alle sehr viel toleranter geworden und versuchen nicht mehr, permanent den anderen zu verändern. Ich sage nur: "Wenn Du die Welt nicht verändern kannst, verändere Dich selbst." Also wenn einen die Macken am anderen nerven, haben wir mittlerweile gelernt, damit umzugehen und klar zu kommen. 010 20130410 1730497170Das ist eben anders, als vorher. Damals waren wir alle eher Einzelkämpfer. Wir sind halt sehr verschiedene Typen mit ganz unterschiedlichen Hobbys und Lebensentwürfen usw. Das muss aber nichts Schlechtes sein. Wichtig ist, dass man als Band miteinander harmoniert, dann spielt die Unterschiedlichkeit der Bandmitglieder keine Rolle. Das kann sogar sehr befruchtend wirken. Früher hat sich irgendwann aus Musik und Freundschaft leider nur noch Streit und Argwohn entwickelt, das ist heute komplett anders. Wir ziehen ohne Übertreibung alle an einem Strang, sind tolerant und gehen gut und anständig miteinander um.

Ihr seid jetzt etwa vier Wochen auf Deutschland-Tournee. Wie schafft Ihr es, störungsfrei aus dieser Zeit zu kommen, denn man hockt ja doch recht eng aufeinander?
Das ist eigentlich ganz einfach. Wenn man ein bisschen Platz für sich braucht, dann setzt man sich halt ab, steht morgens auf, frühstückt und geht alleine in die Stadt oder hängt irgendwo für sich ab. Oder man geht auch mal zu zweit. Man muss aber keinesfalls den ganzen Tag zu fünft aufeinander hocken. Das ist überhaupt kein Problem für uns.

Natürlich wird der Fokus der aktuellen Tour auf den neuen Songs liegen. Aber ich denke, ohne ein paar der alten, bewährten Nummern wird es vermutlich nicht gehen. Ist es schwer, sich auf eine Setlist zu einigen, mit der jeder von Euch leben kann?
Ja, das ist schon eine schwere Geburt. Bei sechs Platten, die wir gemacht haben, kannst Du Dir das sicher vorstellen. Wir hatten auf jeden Fall Lust, so viel wie möglich vom neuen Album zu spielen. Wir haben es im November auf der Clubtour schon praktiziert, da haben wir das Album vorgestellt und komplett durchgespielt. Als Zugaben haben wir dann noch ein paar alte Stücke drangehängt. Da konnten wir natürlich in aller Ruhe gucken, was wir weg lassen können, weil es nicht so gut ankam oder funktioniert hat. 011 20130410 1366685426Wir haben uns da also Stück für Stück rangetastet und geguckt, wie man das am besten vermischen kann zwischen Alt und Neu. Es ging eigentlich auch weniger darum, ob das nun ein neuer oder ein alter Song ist, sondern wie die nacheinander funktionieren. Wir haben echt viel probiert, Zettel geschrieben und die Titel auseinandergeschnippelt, dann lagen wir mit den Schnipseln auf dem Fußboden und haben die Titel hin und her geschoben. Wir gaben uns alle Mühe damit und hatten dann irgendwann ein Ergebnis. Damit wollten wir dann nach Wien fahren und testen, wie sich das anhört, ob es eine gute Dramaturgie ergibt. Am Ende hatte es sich als sehr gut herausgestellt und wir sind bis jetzt bei diesem Plan geblieben.

Wie geht es mit SELIG weiter, wenn die Tour vorbei ist?
Danach machen wir erst mal ein bisschen Pause, bis dann der Sommer kommt. Im Sommer spielen wir ein paar Festivals und im Herbst wollen wir eventuell noch mal eine kleine Runde drehen. Das ist aber noch nicht konkret zu Ende geplant. Und ansonsten fangen wir direkt an, uns um die Zukunft zu kümmern, also uns zu treffen und als SELIG weiter Musik zusammen zu machen. Und nebenbei pflegt natürlich jeder von uns noch seine eigenen Projekte. Das ist auch ein Prinzip der zweiten SELIG-Phase, dass jeder seinen Freiraum hat, damit das Ganze nicht so eingefahren und eintönig wird. Man darf nicht vergessen, dass es auch sehr inspirierend sein kann, wenn man mal mit anderen Leuten Musik macht. Was man dort erlebt und mitmacht, nimmt man dann wiederum mit in seine eigene Band.

Stoppel, recht herzlichen Dank für das Interview. Alles Gute für Euch, liebe Grüße an den Rest der Band und weiterhin eine erfolgreiche Tournee!


Interview: Torsten Meyer
Datum: April 2013
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Torsten Meyer, Pressematerial von Motor u.a., Stoppel privat




Videoclips:

"Alles auf einmal" (Offizielles Video)


"Magma" (Album Player)



 


   
   
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