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Die Rolling Stones auf 14 ON FIRE TOUR. Ein
Konzertbericht mit Fotos von Thorsten Murr


Ich möchte mich nicht allzu ausschweifend über die Ticketpreise auslassen und darüber, wie unerträglich ich es empfand und empfinde, dass der Vor-Vor-Verkauf für dieses Konzert von einer dumpfbackigen Boulevardzeitung veranstaltet wurde, die das Ganze mit einer Abonnenten-Werbeaktion verknüpfte und zudem noch mit fehlender Sachkenntnis glänzte, als sie behauptete, es sei das erste Konzert der Rolling Stones auf der Waldbühne seit dem berühmten und berüchtigten Gig von 1965, bei dem die Fans das Mobiliar auseinandergenommen hatten. Den gleichen Unsinn verbreitete übrigens auch der öffentlich-rechtliche rbb. Nur als Querverweis für Bild-Bürger: Auf der Bridges-To-Babylon-Tour 1998 hatten die Rolling Stones, einige Tage nach ihrem regulären Stadion-Gig im Olympiastadion am 26. August, ein zweites Berlin-Konzert am 10. September in der Waldbühne eingeschoben.

Nun gut, die Tickets waren rar und teuer, die Ränge waren voll, es war extrem heiß, und das Publikum schwitzte in einem Stimmungsfeld zwischen freudiger Erwartung und spießiger Gereiztheit. "Ich habe teuer bezahlt für diesen Platz und werde nicht drei Zentimeter rücken, um jemand anderem das Sitzen zu ermöglichen ..." und ähnliches gab es zu hören. Oje, dachte ich, der Geist des Rockenroll kommt in die Jahre - und wie viele Leute werden wohl heute wieder im Publikum sein, die mit dieser Musik kaum etwas anfangen können, aber hingehen, weil es schick ist, hinzugehen.

Eine Fotoerlaubnis gab es auch nicht - mein größtes Ärgernis - und so versuche ich, so bildhaft wie möglich zu schreiben und mit einigen Handy-Schnappschüssen zumindest eine grobe visuelle Ahnung vom Geschehen zu vermitteln ...


Start Me Up
Ein bisschen nach halb neun kündigt Trommelgerassel den Auftritt an, und man weiß ja ungefähr, was gleich passiert - ist aber doch wieder überrascht und überwältigt, als sie auf die Bühne kommen und gleich richtig laut und richtig wild losrotzen.b 20140614 1407777094 START ME UP, der krachende Opener für Berlin. Und krachend ist es wirklich, denn so richtig harmonisch klingt es zunächst nicht. Bass und Drums grooven kaum hörbar im Hintergrund, während vorn die zwei Gitarristen sehr laut, aber herrlich, irgendwie ihr Ding machen und dabei versuchen, zueinander zu finden. Insbesondere bei diesem Song, der seine Magie explizit aus dem Zusammenspiel der gleich klingenden Gitarren und den scheinbar beliebig zwischen Keith Richards und Ronnie Wood hin- und hergeworfenen immer selben Riffs speist, ist das auffällig. Vielleicht hätten sie ihre Verstärker am Anfang etwas leiser drehen sollen, denke ich, und dass das auch eine gute Punk-Nummer abgegeben hätte. Aber Mick Jaggers Stimme ist noch lauter als alle Instrumente zusammen - und so scheint es, als würde er mit seinem Gesang die Kapelle in den Gleichschritt zwingen. Das Publikum jedenfalls steht vom ersten Ton an stramm und jubelt: Ja, es sind die echten ROLLING STONES!

Wild und hungrig
Und sie sind voller Dampf und Energie, man spürt es förmlich. Wie rausgelassene Raubtiere stürzen sie sich auf ihr schreiendes Futter. YOU GOT ME ROCKING ist der zweite Song, und auch der geht richtig ab, zumal er mit einem der bewährtesten Stones-Motive, einem fröhlichen "Hey, hey!", ausgestattet ist. Mick Jagger freut sich und ist in Plauderlaune. Er begrüßt Berlin und Deutschland auf Deutsch und erzählt dann, auf Englisch, dass sie eigentlich Wind Of Change von den Scorpions spielen wollten, es aber zu schwierig gewesen sei, es zu erlernen. Später witzelt er auch noch über den neuen Berliner Flughafen, auf dem sie gerne gelandet wären, aber auch das hätten sie nicht hinbekommen.c 20140614 1716311743 Sicher hätte er noch eine Weile länger geschnattert, aber Richards unterbricht die Rede, haut einfach mal kurz in die Saiten, und nach der eben gehörten Mitstampf-Nummer kommt jetzt etwas für den Hüftschwung: IT'S ONLY ROCK AND ROLL. Alle mögen es, und weiter geht's im Programm, wie an dieser Stelle erwartet, mit TUMBLING DICE von EXILE ON MAINSTREET, gefolgt vom 1981er WAITING ON A FRIEND, zu dem Jagger eine akustische Gitarre beisteuert. Neueren Datums ist die Nummer DOOM AND GLOOM, bevor der angeblich vom Publikum online gewählte Wunschsong zum Vortrag kommt: GET OFF OF MY CLOUD. Schade, ich hatte nämlich auch gevotet und für JUST MY IMAGINATION, der alten Temptations-Nummer, gestimmt, aber den hätten viele der heute Abend in der Waldbühne Versammelten wahrscheinlich sowieso nicht gekannt.

Wie gute alte Kumpels
Nach OUT OF CONTROL und HONKY TONK WOMEN, zu dem dieses Mal keine Puppen aufgeblasen werden, aber frivole Manga-Clips über die Leinwand flimmern, stellt Mick Jagger die, vergleichsweise kleine, Band vor: BOBBY KEYS am Sax, TIM RIESE, Saxofon, CHUCK LEAVELL an den Tasten, LISA FISCHER und BERNARD FOWLER als Backing Vocals und DARRYL JONES am Bass. Es mag penibel anmuten, aber bei der Aufzählung der vier echten Stones höre ich zum ersten Mal, dass CHARLIE WATTS vor RONNIE WOOD genannt wird. Offenbar ist das auch für die Band ein Novum, denn als der Drummer aufgerufen wird, ist er gerade irgendwo im Off verschwunden und erscheint erst wieder, als Ronnie bereits seinen Applaus einheimst. Dieses kleine Durcheinander und einige ähnliche Szenen,e 20140614 1654165409 die die einstudierte Routine kurz stören, machen das ganze Götterspektakel sehr sympathisch. Ohnehin haben Jagger und Gefährten heute etwas angenehm Kumpelhaftes an sich.

Es folgt der Gesangsauftritt von KEITH RICHARDS. Auch Keef begrüßt das Publikum und bringt es zum Lachen als er sagt: "It's good to be here tonight. It's good to be anywhere." YOU GOT THE SILVER, zu dem er von Ronnie sehr fein begleitet wird, und CAN'T BE SEEN sind dieses Mal seine obligatorischen zwei Stücke.

Special Guest: Mick Taylor
Dann gibt's mit MIDNIGHT RAMBLER einen knallharten Bluesrock auf die Ohren - und der wird wesentlich geprägt von dem wahrscheinlich besten Gitarristen, der jemals bei den Stones gespielt hat: MICK TAYLOR. Über zehn Minuten dauert die wilde Orgie, in der Taylor seine Qualitäten präsentiert und eine erstklassige Leadgitarre spielt, während sich Keith und Ronnie um den rhythmischen Fortgang des Stückes kümmern. Wow, das ist für mich der Höhepunkt des Abends! Wenn der etwas beleibte Taylor zwischen seinen dürren Ex-Kollegen rein optisch auch wie ein Fremdkörper wirkt, umso hervorragender ist sein Auftritt. Ein echter und hörbarer musikalischer Zugewinn,d 20140614 1436843673 was man von den sonstigen Special Guests der Stones in den vergangenen zwanzig Jahren nicht immer behaupten konnte. Denn die steigerten freilich das beiderseitige Renommee, steuerten aber musikalisch meist nicht allzu viel bei.

Greatest hits, great show
Dann wieder ein bisschen "Huhu": MISS YOU, einer der Songs, bei dem sich alle einig sein können und mitsingen. Bei früheren Konzerten bin ich traditionell bei diesem Programmpunkt Bier holen gegangen oder habe selbiges weggebracht. 2006 aber gab es für mich die Überraschung, als KEITH RICHARDS auch dieses Disco-Lied mit ein paar rauen und prägnanten Extrariffs zu einem gültigen Stück Rockmusik zu machen verstand. So auch heute Abend. Sehr fein. GIMME SHELTER vereinnahmt dann wiederum mit seiner düsteren Grundstimmung und verzaubert gleichzeitig durch eine gewohnt brillante LISA FISCHER, die, soweit ich weiß, nun auch schon seit 25 Jahren zum Line-up gehört.

Höllisches Finale
Ein wildes und ausgelassenes JUMPING JACK FLASH läutet das Finale ein, und dann verdunkelt sich die Bühne, um einen Moment später komplett in glutrotes Licht getaucht und von höllischem Nebel umwabert zu erscheinen: SYMPATHY FOR THE DEVIL! Immer wieder ein Erlebnis, und immer wieder ist es erstaunlich, wie Keith Richards ein dreckiges Solo spielt, das wie immer etwas linkisch klingt, aber auch wie immer trotzdem passt.
Setlist:

• Start Me Up
• You Got Me Rocking
• It's Only Rock 'n' Roll
• Tumbling Dice
• Waiting On A Friend
• Doom & Gloom
• Get Off Of My Cloud
• Out Of Control
• Honky Tonk Women
• You Got The Silver
• Can't Be Seen
• Midnight Rambler
• Miss You
• Gimme Shelter
• Jumpin' Jack Flash
• Sympathy For The Devil
• Brown Sugar
• Zugaben
• You Can't Always Get What You Want
• Satisfaction
Es hätte auch komplett daneben gehen können, aber selbst das wäre egal, denn das tausendfache "Hu-hu" des begeistert mitsingenden Auditoriums macht diesen Song sowieso zum ultimativen individuellen "Weißt-du-noch-Mitnahme-Event". Schnell noch BROWN SUGAR, mit dem berüchtigten Saxofon-Part von Bobby Keys, - und dann winken uns all die Musiker zu und sind erstmal eine kleine Weile weg.

Ein Chor aus Berlin
Noch bevor sich auf den Rängen ein korrekter "Zugabe"-Chor bildet, marschiert ein richtiger Chor auf die Bühne und intoniert das Intro von YOU CAN'T ALWAYS GET WHAT YOU WANT. Es sind die Fabulous Fridays von der Berliner Universität der Künste, und während ich auf den Screens die Gesichter der jungen Sängerinnen und Sänger sehe, frage ich mich, ob sie sich je der Tragweite dieses Momentes bewusst sein werden. Nachdem Jagger den Gesang übernimmt, schunkelt sich die Band in die Ballade hinein, deren Höhepunkt ein erstaunlich langes und sauberes Solo von Ronnie Wood ist, der dazu sogar ganz allein auf den Laufsteg zur Satellitenbühne darf. Nach dieser ergreifenden Hymne kann dann nur noch SATISFACTION kommen. Abgerockt und hingerotzt in stoischer Pflichterfüllung. Immerhin kommt MICK TAYLOR noch einmal auf die Bühne, wenn auch nur mit nicht hörbarer akustischer Gitarre, ist es doch ein schönes Abschlussbild, das traditionell nahtlos in ein kleines aber feines Feuerwerk übergeht.

Als es vorbei ist, etabliert sich in mir die Erkenntnis, dass es nach wie vor etwas ganz Besonderes ist, diese Band live zu erleben. Die Jahre der Abstinenz von 2007 bis heute scheint es nicht gegeben zu haben. Sie sind frisch, sie sind wild, sie sind hungrig - worauf auch immer. Eine innere Genugtuung macht sich in mir breit, soeben erneut die zwar nicht beste aber größte und großartigste Rock-and-Roll-Band aller Zeiten erlebt zu haben.

Danke, liebe ROLLING STONES, für diese Show!
Danke, dass es Euch immer noch und immer wieder gibt!
Danke, dass Ihr nicht ANGIE gespielt habt!
Bis bald!




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Bitte beachtet auch:

• off. Homepage der ROLLING STONES: www.rollingstones.com




Live-Impressionen:

 
 
 
 

   
   
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