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Interview vom 19. Dezember 2018



Casting-Shows für Sängerinnen und Sänger gibt es im Fernsehen seit fast 20 Jahren. Gefühlt jeder Sender hat da sein eigenes Format. Über den Sinn und Unsinn dieser Shows und darüber, ob da immer alles mit rechten Dingen zu geht, kann man sicher streiten. Die wohl fairste Sendung dieser Art dürfte aber "The Voice Of Germany" sein. Das Konzept ist einfach: Eine Jury aus prominenten Musikern sitzt mit dem Rücken zur Bühne und kann die Bewerber nur hören. Diese singen einen Song und die Jury muss entscheiden, ob der Bewerber eine Chance auf eine große Karriere hat, oder nicht. Mit dem Schlag auf einen Buzzer stimmen sie ab, ob sie die eben gehörte Stimme gern weiter mitnehmen möchten, und am Ende des Songs wird entschieden, in welches "Team" der Bewerber kommt. Das Jury-Mitglied ist nämlich gleichzeitig auch "Coach" bzw. Gruppenleiter, und soviele Jury-Mitglieder es gibt, soviele Gruppen gibt es auch. In mehreren Shows und Duellen mit anderen Sängerinnen und Sängern müssen die Bewerber nun zeigen, was sie drauf haben. Am Ende steht ein Sieger fest, der im Idealfall eine erfolgreiche Karriere vor sich hat. Ein ähnliches Format für Kinder und Jugendliche hat es auch schon gegeben, und nun kommt das ältere Semester an die Reihe: "The Voice Of Germany Senior" startet am 23. Dezember 2018 auf Sat1. Mit dabei eine Stimme, die speziell unseren Lesern sehr bekannt vorkommen wird, nämlich die von Lutz Salzwedel, der aber schon seit fast 30 Jahren mit dem Künstlernamen DAN LUCAS unterwegs ist. Anfang der 80er war die Gruppe PASSION in der DDR seine erste Profistation. Im Jahre 1983 wechselte er zur Gruppe KARUSSELL und löste dort den großen Cäsar Peter Gläser ab. Nach knapp zwei Jahren als Mitglied dieser Band und während einer Gastspielreise in der BRD setzte sich der Musiker ab und blieb im Westen. Über die Hardrockband KARO ging sein Weg nach Nordamerika, wo er seinen bürgerlichen Namen ablegte und als DAN LUCAS eine internationale Karriere startete. Mit vielen Größen des Rockzirkus hat er gemeinsam auf der Bühne und im Studio gestanden, hat einige Alben veröffentlicht und will es jetzt noch mal wissen. Er wird sich im deutschen Fernsehen bei "The Voice Of Germany" mit anderen Sängern messen. Darüber, und wie seine bisherige Karriere so verlief, konnte sich unser Kollege Christian in dieser Woche mit DAN LUCAS unterhalten. Ein sehr freundlicher und offener Sänger hatte auf jede Frage eine spannende Antwort parat, denn Lutz, wie ihn heute aber wohl fast niemand mehr nennt, hat auch eine Menge zu erzählen ...






"The Voice of Germany - Senior" - wie kommt es denn, dass Du daran teilnimmst?
Du kennst doch sicher Angelika Mann. Die Lütte. Die rief mich im letzten Jahr um die Weihnachtszeit an und erzählte mir, es gäbe da ein neues Format, nämlich "The voice - Senior", und daran müsse ich unbedingt teilnehmen. Ich sagte ihr, sie solle es gut sein lassen, ich habe keinen Bock auf so etwas. Ich hatte mir vorher auch die ursprüngliche "The Voice Of Germany" nie angeschaut. Das interessierte mich einfach nicht. Auch hatte ich zu keiner Zeit Lust, mal für irgendwen eine Bewertung abzugeben oder gar selber bewertet zu werden. Deshalb hatte ich das für mich eigentlich abgewählt, aber die Lütte ließ nicht locker. Sie fragte, was ich schon zu verlieren hätte! Ich lerne höchstens viele neue Leute kennen, die Sendung macht Spaß und das Fernsehen selber sei auch gar nicht so schlecht. Ich überschlief das Ganze dann ein paar Nächte und bewarb mich schließlich online. Es folgten anschließend die ganz normalen Scoutings und schon war ich dabei.

Was wird von Dir dort zu sehen oder zu hören sein?
Einiges. Es ist ja inzwischen offiziell bekannt, dass ich in den Blind Auditions "You're the voice" von John Farnham gesungen habe. Das Video ist online und kann sowohl auf meinem Kanal als auch bei vielen anderen angeschaut werden. Man sieht dort auch, dass alle vier Coaches aus der Jury bei mir gebuzzert haben. Das darf ich schon verraten, aber alles andere wird sich erst in der nächsten Zeit ergeben, darüber muss ich noch Stillschweigen bewahren.

Das sagt schon viel aus, denn die Sendung ist vorproduziert, richtig?
Ja.

Werden dort neben Dir noch weitere bekannte Künstler auftreten oder bist Du der einzige, der eine bunte und durchaus von Erfolg gekrönte Vergangenheit hat?
Anfangs sind einige dabei, die bereits musikalisch unterwegs sind. So zum Beispiel ein Geff Harrison aus Hamburg, der vor allem in den 70er und 80er Jahren viel gemacht hat. Brian Parrish, ein Engländer, der aber im Norden Deutschlands wohnt, ist dabei ... Und noch einige andere, die bereits einige Erfolge aufzuweisen haben. Ich bin also in guter Gesellschaft.

Eigentlich solltest Du ja gar kein Musiker werden. Ich habe gelesen, dass Du vor Deiner Karriere als Lehrer gearbeitet hast. Stimmt das?
Ich habe schon immer Musik gemacht. Mit elf Jahren bekam ich von meinem Vater die erste Gitarre geschenkt. Ich durfte mich entscheiden zwischen Fußballschuhen und einer Gitarre. Obwohl ich damals auch Fußball spielte, dachte ich dann doch, Gitarre wäre die bessere Option, da brauche ich nicht so viel umher rennen. Das Spielen brachte ich mir selber bei und hatte dann auch hin und wieder ein paar Auftritte. Nach der Schule habe ich mich gerne mal hingesetzt und ein bisschen gespielt und hatte natürlich immer so zwölf, dreizehn Mädels um mich rum, was mir riesig gefallen hat. Auf Klassenfahrten oder am Lagerfeuer war immer ich derjenige, der für Stimmung sorgte. Das galt auch für Familienfeiern. Meine Eltern waren ebenfalls sehr musikalisch, das habe ich von ihnen übernommen. Irgendwann schrieb ich dann auch meine ersten eigenen Songs, dachte aber trotzdem, ich werde erst mal was ordentliches lernen. Auch mein Vater sagte das immer wieder mir: "Du kannst Musik machen, Junge, aber lerne vorher etwas". Mir fiel das Lernen immer leicht, so dass ich auch mein Abitur gut hinter mich brachte. Nach den 18 Monaten bei der Nationalen Volksarmee begann ich dann in Potsdam mein Lehramtsstudium für Englisch und Russisch.

Inzwischen bist Du ja auch wieder als Lehrer tätig, richtig?
Nicht ganz. Ich arbeite noch als Sozialpädagoge, bin aber bereits in der passiven Altersteilzeit. Das heißt, ich muss nicht mehr arbeiten. Ich bin zwar noch bis Dezember 2019 angestellt und bekomme mein Gehalt, muss aber nirgendwo mehr hin. Das empfinde ich als eine gute Regelung.

Warum hast Du denn damals diesen krisensicheren Job aufgegeben und bist Musiker geworden?
Das kam ganz zwangsläufig. Ich arbeitete drei Jahre lang ganz normal als Lehrer an einer Polytechnischen Oberschule, hatte dort auch meine eigenen Klassen. An den Wochenenden machte ich immer Musik mit meiner Familienband. Dazu gehörten z.B. meine Schwester und mein Schwager und noch zwei oder drei Freunde waren dabei. Eines Tages meinte der Direktor dann, er hätte beschlossen, dass ich erst mal keine Musik mehr machen solle. Die anderen Lehrerkollegen fühlten sich nämlich benachteiligt, weil ich beispielsweise samstags erst gegen zehn Uhr mit meinem Unterricht begonnen hatte. Das gefiel manch einem meiner Kollegen nicht. Und so entzog man mir die Spielerlaubnis. Die Abteilung Kultur und die Abteilung Volksbildung saßen auf demselben Flur in Potsdam und waren sich einig, was mein Spielverbot betraf. Ich zog daraus die Konsequenzen und kündigte. Der Direktor lachte sich darüber halb tot, weil er meinte, in der DDR könne man als Lehrer nicht einfach mal so kündigen. Einmal Lehrer, immer Lehrer! Und aus der Volksbildung kommt man eh nie wieder raus. Mich durfte hinterher auch kein anderer staatlicher Betrieb mehr einstellen, weil die Abteilung Volksbildung einfach meine ganzen Akten einbehalten hat. Man hatte da keine Chance.

Ist das tatsächlich so gewesen? Ich meine, wir reden hier von einer anderen Zeit, nämlich die 70er, und von einem anderen Land, der DDR. Konnte man da wirklich nicht sagen, ich wechsel jetzt einfach mal meinen Job?
Nein, das ging nicht. Man durfte auch nicht während des Studiums schnell mal was Neues anfangen, die Studienrichtung wechseln. Auch konnte man sein Studium nicht verlängern oder unterbrechen, weil man zwischendurch mal eine Auszeit nehmen wollte. Das Studium begann immer am 1. September und war nach vier Jahren bzw. acht Semestern zu Ende. Man musste alle Prüfungen bestehen, konnte maximal eine davon nachholen, ansonsten war man raus und weg vom Fenster. Genauso war es eben nicht möglich, einfach so den Job zu wechseln oder woanders anfangen zu arbeiten. Es wurde alles vorbestimmt und geplant, wo man sich aufhält und was man zu tun hatte.

Nichtsdestotrotz hast Du ein Musikstudium absolviert.
Richtig. In dem Moment, wo man mir das Musikmachen verbieten wolle, habe ich gekündigt, bin also einfach nicht mehr zur Arbeit gegangen. Stattdessen habe ich mich in Potsdam am Konservatorium beworben, habe extern noch ein paar Konsultationen mit Professoren und Gesangslehrern gemacht. Ich büffelte das ganze Zeug, also Musikästhetik, Musikgeschichte, Musiktheorie usw. Das musste man alles lernen. Irgendwann gab es dann eine Prüfung, die ich zum Glück praktisch wie auch theoretisch mit einer superguten Note bestand. Danach war ich also professioneller Musiker. Witzigerweise hat man mich am Tag meiner Prüfung aus der Volksbildung entlassen, denn man war der Meinung, mit mir können sie nichts mehr anfangen. Ich glaube aber, es muss da jemanden gegeben haben, der mir künftig keine Steine mehr in den Weg legen wollte.

Wann genau war denn Dein Einstieg bei der Gruppe PASSION? War das noch während des Studiums oder erst danach?
Das war kurz danach. Ich spielte mit meiner Band gerade in Potsdam im Lindenpark. PASSION war dort ebenfalls zu Gast. Ich unterhielt mich ein bisschen mit dem Geiger von PASSION, dem Uli Schroedter. Bei dem Gespräch kam zur Sprache, dass sie einen neuen Sänger suchen und ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen. Da ich gerade meine Prüfung erfolgreich erledigt hatte, sagte ich: "Okay, ich denke darüber nach". Kurz darauf fuhr ich nach Leuna, wo Wilfried Gutjahr wohnte und stieg dann als Berufsmusiker bei PASSION ein.

PASSION war ja nun eine sehr spezielle Band, die eine einzigartige Musik gemacht hat. Es trieb euch damit sogar bis nach Russland. Woran erinnerst Du Dich heute noch ganz besonders, wenn Du den Namen PASSION hörst?
Es war tolle Rockmusik, die wir spielten. Das ging von GENTLE GIANT bis KANSAS, begünstigt natürlich dadurch, dass wir alles in der Band dabei hatten: verschiedene Flöten, Keyboard, Geigen ... Es war einfach super. Leider interessierte das damals aber nicht allzu viele Leute.

Wann fand dann Dein Wechsel zu KARUSSELL statt? War das 1983 oder 1984?
1983 war die Werkstattwoche der Tanzmusik in Suhl. Die fand jedes Jahr statt. Das war dort wie eine Art Bandkarussell. Man konnte schauen, was für neue Leute auf dem Markt sind, wer was spielt und wer eventuell in welcher Band einsteigen könnte. An mich sind damals wirklich ganz viele Bands herangetreten. Zum Beispiel ELECTRA. Oder auch NO55. Die suchten damals einen neuen Sänger, weil Gala gerade zur Armee musste. Sogar KARAT fragte bei mir an. Letztlich schaffte es dann aber Herr Raschke, mich als Sänger zu KARUSSELL zu holen, wo Cäsar ja ausgestiegen war. Ich hatte da wenig Einfluss drauf. Gerne hätte ich etwas anderes gemacht, da ich ja eine Menge Angebote hatte, die auch sehr gut klangen. Ich hätte gutes Geld verdienen und viel rumkommen können, bin aber letztlich dann doch bei KARUSSELL eingestiegen.

Du sagtest eben, Cäsar ist kurz vorher bei KARUSSELL ausgestiegen. In welcher Verfassung hast Du die Band vorgefunden, als Du da angefangen hast?
Eigentlich waren die recht gut drauf. Sie hatten auch viele Pläne für die Zukunft. Warum Cäsar überhaupt ausgestiegen war, hat sich mir nie erschlossen. Man munkelte, er wollte sich wieder mehr mit dem Blues beschäftigen, sich selbstständig machen, er wollte überhaupt andere Musik machen… Die anderen hielten sich diesbezüglich immer bedeckt und für mich war es ein schönes Abenteuer. Mit mir zusammen stieg auch Tom Leonhard bei KARUSSELL ein, der vorher bei SCHWARZER PFEFFER gespielt hat, die ebenfalls aus Leipzig kamen. Tom war ein großer Cäsar-Fan, schaute sich viel von ihm ab und ich hatte den Eindruck, er spielte auch ein bisschen wie Cäsar. Es war also eine gute Konstellation damals.

Ihr beiden, also Du und Tom Leonhardt, habt Euch ja dann im Mai 1985 während eines Auftritts in der Bundesrepublik abgesetzt, wie es so schön heißt. War das eine spontane Entscheidung oder war das von langer Hand geplant?
Diese Entscheidung existierte schon länger in unseren Köpfen. Ich zumindest hatte bereits seit einiger Zeit den Gedanken, das Land zu verlassen. Die DDR war ein Land, in dem es einen Schießbefehl gab, in dem man nicht frei seine Meinung sagen durfte, ohne bespitzelt zu werden, in dem es Zwangsadoptionen gab ... In so einem Land kann man doch nicht leben! Ich hatte ja erst als Student und später dann als Lehrer viele Einblicke, was mich bestärkt hat zu sagen, wenn ich die Chance habe zu gehen, dann mache ich das. Obwohl ich Familie hatte, eine Frau und Kinder. Aber meine Frau redete mir zu und meinte, ich solle gehen, wenn es klappen sollte. Sie würden auf jeden Fall mit den Kindern nachkommen. Es konnte ja damals keiner ahnen, wie sich mal alles entwickelt.

Konnte die Familie denn einfach so nachziehen?
Nein, das war natürlich überhaupt nicht einfach. Wir waren ja vorher mit der Band schon mal vier Wochen auf Kuba, wir waren in Dänemark, waren mehrfach in Frankreich, waren vorher auch schon mal in der BRD. 1985 war es dann günstig, es passte alles, denn mein Onkel wohnte in der Nähe. Ich weiß zwar nicht mehr genau, wo wir gespielt hatten, aber wir wohnten in einem kleinen Hotel in der Nähe von Wermelskirchen. Irgendwo an einer Landstraße. Und es war der Vorabend des Pfingstsonntag. Herr Raschke hatte sogar seine Frau dabei. Sie hatte Geburtstag und das wurde gefeiert. Grundsätzlich war das sehr ungewöhnlich, dass ein Bandmitglied seine Frau mitnehmen durfte und eigentlich hätten damals schon alle Alarmglocken schrillen müssen. Zumal auch extra jemand dabei war vom FDJ-Zentralkomitee oder so, der aber natürlich in Wahrheit zur Staatssicherheit gehörte. Der passte bei jedem Auftritt auf, mit wem wir uns unterhalten, was wir spielen, was wir machen usw. Die haben sich dann abends hingesetzt, den Geburtstag gefeiert und ordentlich gebechert, während Tom und ich extra früher ins Bett sind und uns sagten, morgen früh um fünf sind wir weg. Genauso kam es auch. Wir schlichen uns aus dem Hotel und das war es dann für uns.

Es hält sich immer noch hartnäckig das Gerücht, Ihr beide hättet Euch mit der Bandkasse abgesetzt, um im Westen einen guten Start hinlegen zu können. Stimmt das?
Ich wusste von diesem Gerücht gar nichts. Später habe ich davon sogar in meinen Stasi-Unterlagen gelesen. Herr Raschke hatte wohl seinerzeit diesen Verdacht geäußert. Ich habe aber in den Unterlagen noch andere Dinge gelesen. So soll Herr Raschke bei den Vernehmungen durch die Staatssicherheit auch gesagt haben, dass meine Frau, die ohnehin schon ein Dreivierteljahr im Stasi-Knast eingesperrt war, nicht vor acht Jahren wieder rauskommen sollte. Also richtig böse und stark. Und da kam eben auch das Gerücht auf, Tom und ich hätten die Kasse mitgenommen. Ich muss erst mal sagen, dass ich überhaupt nicht wusste, dass es überhaupt eine Bandkasse gab. Im Übrigen hatten wir nur im Kopf, möglichst schnell zu verschwinden. Ich hatte lediglich meine Gitarre und eine Reisetasche dabei und wollte wirklich nur weg aus dem Hotel, wo der Schlüssel noch von innen steckte, was auch gar nicht hätte sein dürfen. Unser Ziel war also nur, unentdeckt abzuhauen. Geld wegzunehmen, irgendwen zu beklauen, das ist gegen meine Erziehung. Das wäre kriminell gewesen und so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gemacht. Tom ebenfalls nicht.

004adDann haben wir an dieser Stelle also endlich mal mit diesem Gerücht aufgeräumt. Während Du in der DDR ein Profimusiker warst und mit KARUSSELL auch in einer bekannten Band gespielt und sogar schon Platten veröffentlicht hast, kannte Dich im Westen ja nun niemand. Wie ging es denn direkt nach der Flucht für Dich weiter?
Ich habe zwei Wochen lang bei meinem Onkel gearbeitet, der war der Compagnon von JK Ergoline. Ich habe dort die Röhren in diese Sonnengeräte rein gedreht. Ich bin immer morgens hin, habe den ganzen Tag gearbeitet, hatte dann genug Geld zusammen und bin mit dem Flieger nach Westberlin. Da habe ich nämlich auch einen Onkel. Und auch der unterstützte mich ein bisschen. Er besorgte mir u.a. eine kleine Einzimmerwohnung. Ich habe dann in die "Zweite Hand", diese Zeitung für kostenlose Annoncen, rein geschrieben: "Professioneller Sänger, gerade angekommen, sucht Rockband". Die Zeitung kam immer dienstags und donnerstags raus. Am Donnerstag sollte meine Annonce erscheinen, am Dienstag zuvor las ich aber - und die Annonce habe ich sogar noch - den Text: "Professionelle Heavy Rockband sucht Sänger. Keine Vögel, sondern richtigen Sänger". Dazu gab es die Telefonnummer von Erich Holstein, der damals in Kreuzberg wohnte. Ich rief ihn an und sollte auch gleich mal vorbeikommen. Das tat ich auch, nahm meine KARUSSELL-Platte mit, legte die auf und nebenbei erzählte ich ihm, wer ich bin, wo ich herkomme. Auf der Platte lief gerade "Was kann ich tun für dich". Am Ende des Liedes kommt ein mehrfacher Schrei. Und dieser Schrei hat mir quasi die Tür zu KARO geöffnet, so hieß die Band. Ich wurde sofort als Mitglied in die Band aufgenommen. Die hatten einen Proberaum am Paul-Linke-Ufer, wo wir wirklich jeden Tag von morgens bis abends geprobt hatten. Draußen war herrlichstes Sommerwetter, aber wir hockten in diesem Probenraum. Kleines Detail am Rande: Robert "Karo" Straub war damals der Klavierlehrer von Nena. Dadurch kam ich in den Dunstkreis der NENA-Band rein, lernte die Musiker kennen, auch Nenas Schwester, Carlo Karges und alle, die sonst noch so dazu gehörten. Wir feierten schöne Partys, es war eine schöne Zeit. Dann stand an, dass die Band NENA am 21. September desselben Jahres in Westberlin in der Deutschlandhalle spielen sollte. Da Robert "Karo" Straub ja diese Verbindungen zur Band hatte, machte er klar, dass wir bei NENA als Vorband spielten. Also im Mai ging ich rüber in den Westen und schon vier Monate später, im September, spielte ich bereits im Vorprogramm von NENA in der Deutschlandhalle. Das war der absolute Hammer!

1988 habt Ihr mit "Heavy Birthday" sogar ein eigenes Album veröffentlicht.
Das stimmt. Wir haben immer weiter geprobt, geprobt, geprobt. Zufällig lernten wir in Frankfurt Peter Haucke kennen, der uns dann auch in ein Studio einlud, wo wir Wochen und Monate zugebracht hatten. Meine Kollegen nahmen für die Fahrt dorthin das Auto, während ich die Strecke von Berlin nach Frankfurt immer fliegen musste, denn ich konnte ja nicht durch das Gebiet der DDR fahren. 1987 kam dann mit Teldec der Plattenvertrag zustande. Anschließend ging es auch nochmal in den Süden von London in ein Studio, wo z.B. CUTTIN CREW ihren Hit "I just died in your arms" aufgenommen hatte. Da waren wir übrigens unterwegs mit Tony Platt, der auch Produzent von Bands wie FOREIGNER oder CHEAP TRICK war. Mit Tony nahmen wir drei Songs auf und kurz darauf wurde auch schon die Platte unter dem Titel "Heavy Birthday" veröffentlicht. Nach dem Erscheinen des Albums folgte eine Support-Tour für MATT SINNER, der ja bis heute noch fleißig unterwegs ist. Und danach kam dann die Geschichte mit MEAT LOAF. Wir haben daran aber nichts verdient, sondern bekamen nur eine Art Taschengeld, fuhren aber trotzdem mit.

Trotz alledem ging es hier um MEAT LOAF und es war eine Europatour! Was ist Dir davon besonders im Gedächtnis geblieben? Ja, da erinnere ich mich an folgendes: MEAT LOAF selber war nie da, er schonte sich immer und kam erst zum Beginn der Show. Wahrscheinlich war er auch schon ein bisschen angeschlagen durch sein Gewicht, jedenfalls war alles nicht so hundertprozentig in Ordnung mit ihm, wie es sein sollte. Ich für meinen Teil ging gleich am ersten Tag hin zu der englischen Crew, hatte auch extra eine Flasche Whisky gekauft. Durch mein Studium konnte ich ja auch ganz gut englisch sprechen. Ich bat also bei den Jungs um gut Wetter, um die volle Beleuchtung und guten Sound für uns. Das klappte auch, alle Amps und Endstufen waren an, wir hatten volles Licht. Und beim dritten Gig kam er, der Meister persönlich, und schaute sich unseren Auftritt an. Danach mussten wir die Hälfte der Amps abschalten und das Licht deutlich reduzieren. Zwar spielten wir immer schon gegen halb acht während des Einlasses, aber auf dieser Tour haben wir 20.000 Platten verkauft! Das war natürlich cool! Die Leute fanden uns super, kamen auch schon immer etwas früher. Die Crew war auf jeden Fall super und auf unserer Seite. MEAT LOAF selber kam nicht mehr gucken, was wir trieben, und wenn er irgendwann auftauchte, war schon alles vorbei und wir von der Bühne runter. Das ist mir auf jeden Fall in Erinnerung geblieben. Außerdem weiß ich noch genau, dass z.B. in Mannheim Fans über die Straße gelaufen kamen, um von uns Autogramme zu erhaschen. Das hatte was. Für mich war es natürlich doppelt toll, denn ich kam ja aus der DDR, wo mich jeder kannte. Wir waren ja auch ständig in Fernsehsendungen wie "rund", "bong", "Ein Kessel Buntes" oder "Stop! Rock" präsent. Aber im Westen war alles noch eine Spur schöner, das fand ich schon super.

Du sagst es gerade, Ihr wart auf Tour mit MEAT LOAF, Ihr habt Platten ohne Ende verkauft und trotzdem löste KARO sich relativ schnell wieder auf. Was war passiert?
Nichts. Das Ganze passierte eigentlich unverschuldet. Wir waren nach der Tour sofort wieder im Probenraum. Und ich weiß nicht, ob Du es mitbekommen hast, später hat Robert "Karo" Straub nochmal zwei Alben unter den Titel "Heavy Birthday 1" und "Heavy Birthday 2" rausgebracht. Das sind alles Songs, die wir 1988 vor und auch nach der Tour schon wieder neu gemacht hatten. Es waren insgesamt wohl um die fünfzig Songs. Die boten wir der Plattenfirma an, aber die wiederum wurden genau während dieser Zeit gerade von WARNER aufgekauft. Teldec löste sich auf und damit gleichzeitig auch unser Label. Das heißt, wir hatten plötzlich keine Plattenfirma und kein Label mehr und für Hardrock hatte in dem Moment auch niemand mehr eine Verwendung. Die ließen uns also einfach hängen. Wir ketteten uns in Hamburg an, schmissen den Schlüssel weg und sagten, wir wollen den Chef sprechen. Der Chef war damals übrigens Thomas Stein. Der ließ sich aber nicht sehen, doch irgendwie haben sie sich breitschlagen lassen. Der Feierabend kam und wir waren unten am Treppengeländer festgekettet. Das sah natürlich nach außen hin nicht sonderlich gut aus. Also sagte man uns, wir sollen doch nochmal etwas schicken, was wir auch taten, aber natürlich hat sich nie wieder jemand gemeldet. Es waren ja letztlich auch nur Optionen. Wir hatten gleich drei Optionen. Erste Option: eine weitere LP und dann drei weitere Optionen. Das wiederum bedeutet, Du hast eigentlich gar nichts. Dadurch hatte sich das für die Band einfach zerschlagen. Die Lust war weg, es war nicht mehr so diszipliniert wie vorher. Bei mir selber war familiär nicht mehr alles in Ordnung. Meine Frau war ja bekanntlich monatelang im Knast, das allein war schon schwierig. Ich ging daraufhin nach München zu meinem Freund Tom Leonhardt, war also weg aus Berlin, woraufhin die Band KARO sich auflöste. Das war im Januar 1990.

Wann zwischen dem Aus von KARO und Deiner ersten Solosingle "Hold on me" 1991 hast Du Dir Deinen Künstlernamen Dan Lucas zugelegt und warum?
Ich musste mir den Namen zulegen, weil ich damals viel in Kanada war. Die Plattenfirma "Marlboro Music" wollte daraus eine internationale Geschichte machen und es so drehen, als sei ich gar kein Deutscher, sondern wir seien irgendwie gemischt. Deshalb brauchte ich einen wohlklingenden Namen.

Marlboro Music ist ja ein ziemlich kurioses Label. Ich fand es ja schon immer kurios, dass eine Zigarettenmarke auch ein eigenes Plattenlabel hat. Wie hast Du denn da den Plattenvertrag bekommen?
Über Robert Papst. Ich war bei Robert im Studio. Den kannte ich von Mambo Music, die sich damals auch um Bands wie die MÜNCHENER FREIHEIT gekümmert hatten. Das war jedenfalls der Grund, weshalb ich meinen Namen gewechselt habe. Dadurch lernte ich ihn kennen. Der war damals übrigens der Gitarrist und Songschreiber von DOMINO, die diesen "Here I am"-Hit hatten. Von dem Geld, was er dadurch verdiente, richtete er sich in München dieses Studio ein, wo wir anfingen, ein paar Songs zu schreiben. Über Mambo Music kam ich dann jedenfalls zu Marlboro Music. In der Münchener Szene kennt man sich halt. Wir fuhren dorthin, spielten vor und die Herren sagten nur: "Geil!"

Du hast unter dem Künstlernamen "Dan Lucas" in den Neunzigern mehrere Alben veröffentlicht, bist in der Welt herumgekommen, warst also richtig gut beschäftigt. Und Du hast mit richtig namhaften Künstlern zusammen gearbeitet. Was waren für Dich persönlich die Höhepunkte dieser Zeit?
Mit Desmond Child an dessen Flügel in Santa Monica zu sitzen, und "Close Your Eyes And Say Goodbye" zu schreiben. Das war ein Highlight. Ich lernte ihn auf der Party meiner Produzentin Susan Hamilton kennen. Sie ist eine Hammer-Produzentin, die auch das Buch "Hit Woman" geschrieben hat. Ich weiß nicht, ob Du es kennst ...

Nein, ist mir nicht bekannt.
Sie war ganz früher eine Ikone der Werbeszene in Amerika. Sie hat im Radio und Fernsehen nahezu alles gemacht und von Chuck Berry bis Michael Jackson kannte die dort auch alle. Mit denen hat sie all die Werbefilme gemacht. Und darüber schreibt sie in ihrem Buch, in dem ich übrigens ebenfalls vertreten bin (lacht). Sie hatte jedenfalls einen Kalender, und da standen die Telefonnummern von allen namhaften Musikern drin. Susan hat damals auch meine Band zusammengestellt. Kane Roberts, der Gitarrist von Alice Cooper, der gerade auch wieder eine neue Platte rausbringt, kam auf diesem Wege in meine Band. John Pierce als Bassist gehörte auch dazu. Der kam zur Probe immer mit seinem Privatflieger angereist. Also einige gute Leute, und dann eben auch Gast-Gitarristen wie Reb Beach von WINGER, Michael Thompson, Michael Landau, Jim Pierce und solche Leute, die alle auf meiner Platte mitgespielt haben. Oder - wie gesagt - der Kontakt zu Desmond Child, mit dem ich dann einen Song schreiben konnte. Bei Susan gingen die Leute einfach ein und aus. Wir haben Partys gefeiert, Songs geschrieben ... Das war die schönste und auch meine beste Zeit. Ich bin damals in einem offenen Cabriolet den Highway entlang gefahren, hatte meine eigene Kassette im Radio und mein "Heart Of America" laut aufgedreht ... Die Sonne scheint, rechts ist das Meer, links sind die Berge und Du fährst da mit 'nem Cabrio durch die Gegend. Da kannst Du eigentlich nur noch schreien vor Freude.

Ein Postkartenmotiv, wie Du es gerade beschreibst ...
Ja! Und wenn Du aus der DDR kommst und da aufgewachsen bist, dann kannst Du das mit einfachen Worten gar nicht beschreiben, was in diesem Moment in Dir vor geht. Lass es ein Klischee sein wie es ist, aber es kommt in dem Moment gar nicht bei Dir an. Das war der totale Wahnsinn.

Trotzdem ging es mit Dan Lucas als Solist nicht weiter. Du hast drei Alben veröffentlicht, danach war Feierabend. Ab 2000 ist hier eine große Lücke, wo von Dir nichts zu Hören und Sehen war. Was hast Du nach dem dritten Album gemacht?
Die Plattenverkäufe gingen zurück. Ich hatte nicht mehr viel gemacht und auch keine Band mehr, denn die war vorher immer so zusammengestellt. Inzwischen hatte ich wieder Familie und Kind, und brauchte irgendwann Geld. Es ging dann nur noch darum, wo man wohnt, was man macht und wo Geld herkommt. Da habe ich mich daran erinnert, dass ich mal was gelernt hatte, und habe dann wieder als Lehrer gearbeitet. Zuerst drei Jahre in Memmingen und dann als Sozialpädagoge in München, und habe damit meinen Lebensunterhalt verdient. Und das gar nicht mal schlecht, muss man sagen.

Und vom Sänger mit eigenen Songs bist Du dann zum Sänger einer Coverband geworden. Seit 2011 bist Du nämlich Frontmann der Gruppe HELTER SKELTER. Ist dieser Job für einen Künstler wie Dich, der ja schon seine eigene Kreativität gezeigt hat, überhaupt ausfüllend, wenn er die Lieder anderer singt und seine eigenen Sachen nicht mehr vorkommen?
Ich bin ja auch immer wieder mal mit meinen eigenen Sachen aufgetreten. Auch solo ... Das war für mich cool und das fanden die Leute auch gut. Ich habe dann aber angefangen die Musik zu machen, mit der ich früher aufgewachsen bin. DEEP PURPLE, KANSAS, ROLLING STONES ... alles was da in den 60er und 70er Jahren so angesagt war. Deswegen hat mich das auch nie gestört, dass ich Lieder anderer nachgesungen habe. Für mich ist es außerdem immer noch eine große Herausforderung wenn ich Songs singe, die sonst keiner singt. Seitdem ich in der Band bin hat es sich auch so entwickelt, dass es immer voran ging. Meine Kollegen behaupten sogar, die Band wäre heute nicht dort, wo sie jetzt ist, wenn ich nicht dabei wäre. Es sei eine andere Liga. Wir spielen inzwischen im Circus Krone in München, wir fahren bis nach Soest oder spielen in der "Tante Ju" in Dresden. Im kommenden Mai spielen wir eine Tour mit Konzerten in Bamberg, Würzburg und Potsdam. Sowas geht aber auch nur, wenn die Leute kommen und sich dafür interessieren. Deswegen befriedigt mich das auch, in einer Coverband zu spielen. Ich sehe das auch nicht als Coverband sondern als Classic-Rockband die Sachen spielt, an die sich sonst keiner heran traut. Es ist nicht mein eigenes Zeug, was wir da spielen, aber ich komme rum und habe obendrein auch noch ein nettes Kollegium, das wie eine große Familie ist. Wir verstehen uns alle super und die Frauen der Musiker sind auch immer zusammen unterwegs. Das macht alles total viel Spaß.

Gehen wir mal davon aus, dass diese The Voice-Sache hier durch die Decke geht, Deutschland Dich wiederentdeckt und Du plötzlich richtig gefragt sein wirst. Bist Du vom Umfeld und von der Einstellung her denn bereit, ein größeres Comeback voll auszuleben?
Na klar! Es ist sicher so, dass ich da terminlich einiges absprechen müsste. Da gibt es ja die Band, die auch nicht auf mich verzichten möchte und will, aber auch nicht muss. Es gibt mit dem Label Universal zwar einen Vertrag, aber ich habe dort ein paar zusätzliche Klauseln drin, so dass ich alles gut auf einen Nenner bringen kann. Was durch "The Voice Senior" jetzt passieren wird, muss man erstmal sehen. Wenn es denn so kommt, müsste die Band den einen oder anderen Termin mal mit einem Ersatzsänger machen. Das müsste man dann halt absprechen. Aber eins darf man nicht übersehen. Ich bin kein 21-jähriger Typ, der über "The Voice" jetzt die große Karriere anstrebt. Ich muss in den Charts nicht auf Platz 1 gehen und jeden Tag präsent sein. Ich glaube, dass es bei uns Senioren ein bisschen anders läuft - alles ein bisschen medium und moderater.

Aber ausgeschlossen ist so ein Comeback mit großem Erfolg ja nun nicht ...
Nein, natürlich nicht. Es tut sich ja jetzt schon so einiges. Gerade bekam ich eine E-Mail von der Redaktion einer großen Tageszeitung, gestern war ich zum Interview bei Rockantenne ... Wenn die Sendung am Sonntag im Fernsehen laufen wird, wird auch noch etwas mehr an Presse kommen. Das macht mir aber großen Spaß. Ich finde das cool und es passiert mir ja nix. Was soll mir denn passieren? Ich habe doch schon Platten veröffentlicht und vieles schon erlebt. Es ist nicht so einfach mit mir (lacht).

Ich möchte zum Schluss aber auch im Namen der Kollegen von Deutsche Mugge noch sagen: Wir gönnen es Dir von Herzen, dass Du wieder so präsent und in den Medien ob Deines Gesangstalents vertreten bist ...
Ich danke Dir sehr, da freue ich mich.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Sat1 Pressematerial, Jim Rakete (Foto KARO), Privatfundus Dan Lucas



 


   
   
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