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Ein Nachruf von Christian Reder. Fotos: Torsten Meyer, Christian Reder



Wann immer jemand den Namen AnNa R. nannte, kam mir als Erstes nicht die Gruppe Rosenstolz in den Sinn. Das mag daran liegen, dass mich diese Band wirklich nie interessiert hat. Ich konnte musikalisch damit nichts anfangen, auch wenn die Stimme von AnNa R. immer einen großen Reiz auf mich ausübte. Nein, mein erster Gedanke war immer der 19. April 2016 - der Tag, an dem ich AnNa R. in Dortmund getroffen habe.

Ein Dienstag im Frühling vor neun Jahren: Ich fuhr damals in unsere Nachbarstadt Dortmund zu einem Konzert der Gruppe GLEIS 8. Kenner wissen, dass hinter GLEIS 8 keine Geringere als AnNa R. steckte, denn sie war die Sängerin dieser Band. Kurz zuvor hatten wir am Telefon ein Interview geführt, in dem wir uns über das neue Album unterhielten. Das war ein sehr angenehmes Gespräch, und am Ende lud sie mich zu ihrer Show in Dortmund ein. Ebenso angenehm wie dieses Gespräch war dann die persönliche Begegnung mit ihr vor dem Konzert in Dortmund. Diese war so gar nicht geplant, denn ich war nur für das Konzert gekommen. Nachdem ich das Auto auf dem Parkplatz abgestellt hatte, lief ich ihr jedoch über den Weg.


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AnNa R. stand rauchend vor der Tür des Backstage-Bereichs und holte noch einmal tief Luft, bevor es drinnen gleich losgehen sollte. Es ist nicht meine Art, Musiker vor dem Beginn eines Konzerts noch groß in Gespräche zu verwickeln, aber dies ließ sich hier einfach nicht vermeiden. Denn wenn man sich begegnet, sagt man auch "Guten Tag" und bedankt sich für die Einladung - so habe ich es beigebracht bekommen. AnNa R. war sehr freundlich, freute sich, mich und meine Begleitung zu sehen, und wir verfielen schnell in ein Gespräch. Mir fiel gleich auf, dass sie eine eher introvertierte Person ist. Das kennt man bei Sängerinnen oft anders: aufgekratzt, viel plappernd, kichernd, manchmal auch arrogant. Aber nichts davon traf auf sie zu. Zehn Minuten stand ich so bei ihr und unterhielt mich mit ihr. Dann war es mir selbst einfach zu viel, sie vor der Arbeit noch in der Konzentration auf die gleich beginnende Show zu stören. Ihr schien es zwar nicht zu viel zu sein, so hatte ich den Eindruck, ich aber empfand es als unpassend. Ich verabschiedete mich freundlich, wünschte ihr eine gute Show und begab mich ins Innere des Veranstaltungsgebäudes. "Komm doch nach dem Konzert noch mal rum", sagte sie noch.

Die Mugge selbst, auch wenn sie gut war, blieb nicht so in Erinnerung wie diese kurze Begegnung mit dieser bescheidenen, freundlichen und in sich ruhenden Sängerin. Und nein, ich war anschließend nicht mehr backstage. Auf dem Weg zum Auto ließ ich die Tür dorthin links liegen und den Musikern ihre Ruhe. Man würde sich ja irgendwann mal wiedersehen, zu einem anderen Anlass und in einem ruhigeren Moment. Es muss ja nicht nach der Arbeit sein.

Der zweite Gedanke, der mir beim Namen AnNa R. in den Sinn kommt, ist immer noch nicht Rosenstolz. Es ist vielmehr ihre kurze, aber sehr beeindruckende Zeit bei Silly - eine Aufgabe, in die sie sich richtig reingefuchst hat. "Die Silly-Lieder sind nicht wirklich etwas für ihre Stimme", dachte ich damals, als die Nachricht über ihr Mitwirken bei der Berliner Kultband die Runde machte. Eine Tamara Danz zu kopieren, funktioniert nicht. Lieder, die für Tamara geschrieben sind, einfach so zu übernehmen, funktioniert auch nicht. Und AnNa R. tat sich anfangs auch wirklich etwas schwer, hat aber ziemlich schnell den Bogen rausgehabt und die Lieder, die im Programm für sie bestimmt waren, wunderbar umgesetzt. Das ist bleibend - zumindest in meinem Gedächtnis. Ein Dokument davon ist die CD "Instandbesetzt", die sie mit Silly und der weiteren Gastsängerin Julia Neigel damals herausgebracht hat. Auch wenn darauf nur Remakes zu hören sind, die nicht die Originale mit der Stimme von Tamara Danz ersetzen können (und das auch nicht wollen), kommt genau diese CD doch oft bei mir zum Einsatz. Eben weil die Lieder neu arrangiert sind und mit den Stimmen von Julia Neigel und AnNa R. in einem neuen Licht erstrahlen - einem, das nicht weniger attraktiv ist als das, in dem Tamara stand.





Nun sitze ich heute hier mit diesen Gedanken und mit dem Moment im Kopf, in dem jemand vorhin sagte: "Ey, AnNa R. ist gestorben. Nur 55 ist sie geworden." Ja, wieder einer dieser Momente, in denen einem der Boden unter den Füßen wegzubrechen scheint. Viel zu viele schlechte Nachrichten in letzter Zeit, und diese kommt jetzt noch oben drauf. AnNa R. stammte aus meiner Generation. Sie war nur zwei Jahre älter, und sie war jemand, von dem man nicht gedacht hätte, dass sie schon dran wäre. Doch das Schicksal meinte es anders. Die genauen Umstände ihres Todes werden nicht mitgeteilt. Man muss sie auch nicht kennen, um traurig zu sein. Traurig darüber, dass diese Stimme nie wieder live zu hören sein wird. Die Rosenstolz-Fans müssen ihre Hoffnung auf ein Comeback nun endgültig begraben. Das tut mir ebenfalls sehr leid für all jene, die diese Musik geliebt haben und immer noch lieben. Und es tut mir leid für ihre Kollegen von der Gruppe GLEIS 8, die vielleicht auch noch einmal ein neues Album mit ihr hätten aufnehmen wollen. Und überhaupt: ihre Kollegen und Freunde, die gerne Zeit mit ihr verbracht haben - mit dieser angenehmen Person, die immer so viel Ruhe ausstrahlte und das absolute Gegenmodell zu den vielen überdrehten, jungen und hippen Sängerinnen darstellte, mit denen man heute medial so belästigt wird.

An dieser Stelle spare ich mir, etwas über die Geschichte und den Werdegang von AnNa R. zu schreiben. Das kann man ganz wunderbar in dem Interview nachlesen, das ich mit ihr damals geführt habe und das ich vorhin schon angesprochen habe. Nehmt euch diesen Moment Zeit und lest noch etwas mehr über sie. Erinnert euch an sie - und vor allem, vergesst sie nicht. Und wenn demnächst jemand den Namen AnNa R. nennt, wird mein erster Gedanke ein ganz anderer als der bisherige sein, nämlich: "Warum so früh?"









   
   
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