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Ein Nachruf von Christian Reder. Fotos: Michael Fritzen privat



Vor 50 Jahren war er ein gefeierter Star der DDR-Musikszene. Er kam aus dem Jazz, war kurzzeitig ein Teil der PUHDYS und machte ab Mitte der 1970er Party-Musik, u.a. zusammen mit Nina Hagen. Bereits am 23. Februar starb Michael Fritzen weit weg vom Star sein in Rüdersdorf bei Berlin - ganz leise und von der Öffentlichkeit fast unbemerkt.

Fritzen wurde 1938 in Rötha bei Leipzig geboren. Sein Vater war ein Kapellmeister, der nach dem Krieg nicht mehr nach Hause zurückkehrte und im Westen blieb, und seine Mutter eine Sängerin, die ihn und seinen Bruder nach dem Fernbleiben des Vaters allein aufzog und als Musiklehrerin an verschiedenen Internaten arbeitete. Erste Schritte in der Musik machte er als kleiner Junge beim Pfarrer seines Heimatortes, auf dessen Orgel er spielen durfte. Das hatte zwar nichts mit dem zu tun, was Fritzen später mal machen würde, aber immerhin brachte es ihn letztlich doch auf den Weg. Seine Instrumente wurden später die Klarinette und das Saxophon. Das Spielen darauf eignete er sich mit viel Fleiß und Akribie an. Nach der Schule, die er mit dem Abitur verließ, wurde ihm ein Ingenieurstudium verweigert, weshalb er tagsüber als Hilfsarbeiter jobbte und abends in einer ersten Band Tanzmusik spielte. Als Michael Fritzen merkte, dass sich mit der Musik gutes Geld verdienen ließ, war der Entschluss gefasst, dies zukünftig als Hauptberuf ausüben zu wollen.



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Das Michael-Fritzen-Quartett (Foto: Udo Reichel privat)


Sein Weg führte ihn nach Berlin, wo die Mutter unterrichtete, und wo er sich der Jürgen-Fromm-Combo als Mitglied anschloss. Ganz nebenbei hatte er ein Studium begonnen, wollte Musiklehrer werden … Doch bevor es dazu kommen konnte, kassierte ihn die Nationale Volksarmee ein und verpflichtete ihn zum Wehrdienst. Diese Zeit verbrachte Fritzen jedoch nicht an der Waffe, sondern am Instrument, denn er wurde Teil der Soldaten-Big-Band. Dies ermöglichte es dem jungen Soldaten, tagsüber in Uniform für den Staat Musik zu machen und am Abend in Zivil ganz "privat" in einer Band. Den Abschluss als Musiklehrer in der Tasche, konnte Michael Fritzen nach der Armeezeit ganz offiziell als Profimusiker arbeiten.

Zwar gründete Michael Fritzen im Jahre 1963 bereits seine eigene Band, das MICHAEL FRITZEN QUARTETT, nach dem Dienst an der Waffe … Entschuldigung … dem Saxophon schloss er sich 1965 aber den SPUTNIKS von Henry Kotowski an. Es war Fritzens erster Kontakt mit "moderner" Musik, da er ja eigentlich vom Jazz kam. Die SPUTNIKS aber waren eine der angesagtesten Beatbands der damaligen Zeit, und dass die Beatmusik-Fans - anders als das Jazz-Publikum - auch mal ordentlich abgehen und Randale machen konnten, war ihm bis dahin so nicht bekannt. Allerdings war dies auch mit ein Grund, warum die SPUTNIKS - wie andere Beat-Gruppen in der DDR auch - Anfang 1966 verboten wurden. Während seine Kollegen auch noch mit einem Berufsverbot belegt wurden, durfte er als Musiker an anderer Stelle aber weitermachen.

Als Saxophonist schloss er sich kurz darauf den PUHDYS an, die damals allerdings noch nicht so viel mit der später erfolgreichen Besetzung mit Dieter Birr zu tun hatten. Auch Herbert Dreilich (später Panta Rhei und KARAT) und Henry Kotowski gehörten damals kurzzeitig diesem Unternehmen an. Fritzen weilte auch nicht lange bei den PUHDYS, und schon bald strich er wieder die Segel um zu seinen Wurzeln zurückzukehren: Er stieg bei den JAZZ OPTIMISTEN BERLIN ein, die im Bereich Dixieland ziemlich erfolgreich unterwegs und als Begleitband u.a. für Ruth Hohmann, Eva Maria Hagen und Manfred Krug aktiv waren.


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Autogrammkarte von Fritz Fritzen & seine Riesen (Michael Fritzen privat)



Nach den JAZZ OPTIMISTEN gab es 1973 die Gründung einer weiteren eigenen Band, die sich der populären Musik zuwandte und die er FRITZ FRITZEN & SEINE RIESEN taufte. Schließlich kam das Jahr 1975 und die Band, die eingangs schon genannt wurde und die für Michael Fritzen der größte Erfolg werden sollte: FRITZENS DAMPFERBAND. Dort standen so große Namen wie Christian Biege (alias Gerd Christian), Achim Mentzel und die damals 19-jährige Nina Hagen am Gesangsmikrofon, und Letztere brachte von ihrer vorherigen Band AUTOMOBIL den Hit "Du hast den Farbfilm vergessen" mit. Die Gruppe war oft zu Gast im Fernsehen und auch in die UdSSR an die "Trasse" musste sie reisen, um die dort tätigen Arbeiter aus der DDR nach vollbrachtem Tagwerk und begleitend zum Konsum von viel Alkohol (also die Arbeiter, nicht die Musiker) mit fröhlichen Liedern zu bespaßen. FRITZENS DAMPFERBAND gab es ungefähr bis 1984, dann nahm die Geschichte ein Ende.

Obwohl er und seine Mitstreiter mit ihrer Musik und ihren Auftritten gutes Geld verdienten, stellte Bandchef Fritzen Anfang des Jahres 1984 einen Ausreiseantrag. Das Desinteresse des staatlichen Plattenlabels AMIGA an der Produktion einer eigenen LP der Dampferband und der Fakt, das mehr als die Hälfte aller von ihm für seine Gruppe geschriebenen Songs vom Lektorat abgelehnt wurden, waren ihm übel aufgestoßen, allerdings waren das nur zwei Gründe dafür, warum Michael Fritzen sein Heimatland Richtung Westen verlassen wollte. Der allgemeine Niedergang im Arbeiter- und Bauernstaat und die unschöne Erfahrung, dass seine Anträge für Reisen in den Westen, um den eigenen Vater besuchen zu können, abgelehnt wurden, waren weitere Gründe. Schließlich durften er, der inzwischen 47 Jahre alt war, seine Frau und die zwei Kinder aus dieser Ehe am 17. Dezember 1985 die DDR über Ostberlin in Richtung Westberlin/BRD verlassen. Vorher hatte er alles versilbert, was sich zu Bargeld machen ließ und was bei der Übersiedlung nicht mitgenommen werden durfte. Hausrat, Instrumente, Auto … alles. Seine Barschaft gab er dann einem Diplomaten auf dessen Reise in den Westen mit, der bei der Ein- und Ausreise an der Grenze nicht kontrolliert werden durfte, verbunden mit dem Auftrag, die Ost-Mark in D-Mark zu tauschen und auf einem Konto einzuzahlen. Damit sollte bei seiner Ankunft in der neuen Heimat sicher gestellt sein, dass da ein gutes Startkapital auf ihn wartete.


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Autogrammkarte von Fritzens Dampferband (Michael Fritzen privat)



Dies war auch nötig, denn die Anfangszeit war nicht leicht. Direkt nach der Ankunft im Westen zog er bei seinem Vater ein, und als Musiker konnte er auch nach großer Anstrengung keinen Fuß in die Tür bekommen. Einen einzigen Auftrag für eine Theatermusik konnte er an Land ziehen, das war's. Davon konnte man schlecht leben. Also wurde eine Alternative gesucht - und gefunden: Es ging zurück in den Beruf, den er mal erlernt hatte. Fritzen wurde Lehrer für Musik, Sport und Werken an einer Grundschule, und übte diesen Beruf - später auch an einer anderen Schule - bis zur Rente aus. Kurz nach der Wende kehrte Michael Fritzen 1990 nach Berlin zurück und gründete zusammen mit Hubert Katzenbeier als Geiger und Posaunist das Swing Duo/Fritzens Swing Band. Später wurde aus dem Duo eine größere Besetzung und dazu gehörten zeitweilig auch Christoph Adams (Gesang, Piano), Gerd Lübcke (Gitarre) und der Schlagzeuger Wolfgang Winkler. Nebenbei brachte sich Fritzen das Spielen auf dem Keyboard bei und trat gelegentlich noch als Alleinunterhalter auf. Im Jahre 2005 trat Michael Fritzen nochmals mit FRITZENS DAMPFERBAND nahezu in Originalbesetzung auf. Anlass war eine Einladung in die TV-Sendung "Wiedersehen macht Freude" des MDR. Einzig Achim Mentzel fehlte, dessen Gesangspart Fritzen übernahm. Wenn man überlegt, wo er her kam, lagen zwischen seinem Leben im Osten und dem im Westen Welten.

Eigentlich wollten Michael Fritzen und ich über all dies "bei Gelegenheit" mal plaudern. Und wie das immer so ist, wenn man was auf "irgendwann" verschiebt, kommt einem die Zeit und der Lauf der Dinge in die Quere. Wieder einmal … Michael Fritzen war schon etwas länger nicht mehr der Gesündeste, lebte nach einem längeren Aufenthalt in Thailand wieder hier in Deutschland. Er bewohnte eine kleine Wohnung in Berlin-Rahnsdorf. Dort, wo er einst auch ein Haus sein Eigen nannte. So oft und häufig, wie er in den 1970ern und 1980ern in den Medien präsent war, so leise und unbemerkt verließ er am 23. Februar im Alter von 85 Jahren diese Welt. Gestern, am 25. April, erfuhr ich von meinem Kumpel Jens, dass Michael Fritzen gestorben ist. Die Buschtrommel funktioniert noch, auch wenn es die Medien schon lange nicht mehr richtig tun.





Schade, dass es zu dem angedachten Gespräch mit Michael nicht mehr kommen wird. Es wäre sicher ein weiteres höchst interessantes Interview für unsere Plattform geworden und hätte manch eine offene Frage, die sicher noch im Raume stand, beantwortet. Manch eine Frage wird aber in seinem Buch "Geschmacklos, aber geil" beantwortet, aus dem auch viele Details dieses Nachrufs entnommen wurden. Auch soll es … so heißt es … eine CD geben, die Fritzen vor einigen Jahren mit befreundeten Musikern aufgenommen haben soll. Titel und Erscheinungsjahr sind hier nicht bekannt und bleiben vorerst eine dieser eben erwähnten "offenen Fragen". Wahrscheinlich ist sie auch nur im Eigenvertrieb erschienen. Wer sie hat, möge sich bitte mal melden. Lieber Fritze, mach's gut, wo auch immer Du jetzt bist, und hab Dank für die Musik und die gute Unterhaltung, die Du Deinem Publikum in all den Jahren geschenkt hast …




   
   
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