Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Lutz Jürgen Saager privat, Pixabay
In der damaligen DDR mussten die angehenden DJs, die im dortigen Behörden-Deutsch "Schallplattenunterhalter" hießen, eine amtlich anerkannte Ausbildung ablegen, bevor sie auf öffentlichen Veranstaltungen für und vor Publikum Platten auflegen oder Kassetten abspielen durften. Am Ende einer solchen Ausbildung stand ein Eignungstest, bei dem in erster Linie die rhetorischen Fähigkeiten des "Auszubildenden" geprüft wurden. Diese waren wichtig, da der Schallplattenunterhalter bei Veranstaltungen mit den Leuten im Saal kommunizieren und sie wie ein Moderator mit der Musik zum Tanzen animieren musste. Einer, der diese Ausbildung nebst Prüfung durchlaufen hat, ist Lutz Jürgen Saager aus Wilsdruff in Sachsen. Bei ihm fing es in den 1970ern im jugendlichen Alter von 17 Jahren an, dass er als DJ in seiner Heimat Leute bei Feiern unterhalten wollte.
Lutz Jürgen Saager, geboren am 31. Oktober 1961 in Freital, ging in die Polytechnische Oberschule seiner Heimatstadt Wilsdruff. Seinen Abschluss machte er nach 10 Klassen, dann folgte eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur. In diesem und ähnlichen Jobs war Saager in den Jahren danach auch tätig. Als Teenager wollte er neben dem "bürgerlichen Beruf" noch einen Ausgleich haben, und interessierte sich für ein besonderes und kreatives Hobby: Er wollte DJ werden. Wie in der Einleitung schon beschrieben, konnte er aber nicht so einfach sein Equipment aufstellen und für andere Leute den Alleinunterhalter geben. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder losziehen und anderen ohne amtliche Zulassung Freude bringen würde? Nein, zuerst musste er einen Lehrgang samt Abschlussprüfung hinter sich bringen. Er bewarb sich schließlich und in Lutz Jürgens Jahrgang waren 50 Mitbewerber, von denen am Ende lediglich 18 Jungs zu diesem Lehrgang zugelassen wurden. Ganze neun Monate dauerte die Ausbildung an der Feierabendschule, und Lutz Jürgen wurde für den Einsatz beim am Tanz interessierten Kunden vorbereitet. Und Kids von heute … jetzt mal aufgepasst: Nach den neun Monaten gab es drei Prüfungen: eine mündliche, eine schriftliche Hausarbeit und - die wohl Wichtigste - die Einstufungs-Veranstaltung, bei der überprüft wurde, was der Prüfling in der Praxis auf dem Kasten hat. Diese praktische Prüfung fand bei einer öffentlichen Tanzveranstaltung für Jugendliche, heute besser als Disko bekannt, statt. Die Jury, die über das Wohl und Wehe von Lutz Jürgen und seinen "Klassenkammeraden" zu entscheiden hatte, saß dabei im Publikum, um alles mit Argusaugen zu beobachten und mit gespitzten Ohren anzuhören. Wie schon erwähnt, waren die rhetorischen Fähigkeiten besonders im Blickpunkt der Prüfer, und es wurde bei seinem Auftritt natürlich auf die Wortwahl und den Satzbau, sowie die Artikulation in der Aussprache geachtet, und am Ende auch bewertet. "Das war Hardcore", sagt Lutz Jürgen, und von den 18 Prüflingen erhielten am Ende des Tages nur acht (!!!) die "staatliche Spielerlaubnis" im ersten Anlauf. Lutz Jürgen war einer davon.
Mit der "staatlichen Spielerlaubnis", die wie bei den Profimusikern auch schlicht "Die Pappe" genannt wurde, durfte der junge Mann fortan öffentliche Tanzveranstaltungen durchführen. Und nun begann sein Leben als "Plattenleger" und der Spaß am (Neben-)Beruf. Lutz Jürgen wurde zum singenden DJ, der die Hits, die ihm persönlich besonders gut gefielen und die er sich zutraute, während der Veranstaltungen live über Mikrofon mitsang. Das kam beim Publikum sehr gut an, besonders auch deshalb, weil er die Lieder nah am Original rüber bringen konnte. Dadurch entdeckte der junge Mann seine gesanglichen Talente, die er später noch verstärkt zum Einsatz bringen sollte. Bis zum Sommer 1988 war er jedoch mit viel Hingabe als singender DJ unterwegs, dann veränderte ein besonderes Ereignis sein Leben.
Im Juli 1988 reiste Lutz Jürgen Saager in den Westen aus. Er verließ die DDR in Richtung Bayern. Statt als DJ betätigte er sich dort dann als Sänger einer Amateurrockband namens WILD LIFE. Neue Heimat - neue Aufgabe. Es waren seine ersten Gehversuche als Frontmann, die zuerst im Proberaum und bei ein paar privaten Festen stattfanden, und ihn von dort dann zu einer ersten öffentlichen Veranstaltung führten. Damit hatte er seine wahre (nebenberufliche) Passion gefunden. Er war Sänger mit Leib und Seele. Nach der Zeit mit dieser ersten Band hatte Lutz Jürgen noch einige andere Projekte dieser Art. Es war immer der Rock, den er liebte und gesanglich auch sachgerecht rüber brachte. Positive Resonanzen vom Publikum gaben ihm in seinem Tun Recht und bestärkten ihn, diesen Weg weiter zu verfolgen. Mit der Zeit wuchs in ihm aber der Wunsch, auch eigene Lieder vorzutragen. Bisher war es eben immer Covermusik, die bei den Konzerten gespielt wurde. Obwohl es ihm riesigen Spaß machte, vorn am Mikro das Publikum zu unterhalten und zu begeistern, stellte ihn das ewige Nachspielen von Kompositionen anderer Kollegen nie wirklich zufrieden. Also begann er damit, die ersten eigenen Lieder zu schreiben. Aber auch, sich mit seinem "Instrument" weiterzuentwickeln.
Lutz Jürgen nahm bei einer gesangspädagogischen Dozentin für klassische Stimmbildung in München Privatunterricht in klassischem Gesang. Jadwiga, so hieß die Dame, war sehr resolut, stammte aus Polen und war äußerst attraktiv … ja, richtig sexy. Allerdings auch unnahbar und "teuer, was den Unterricht betraf", erinnert sich der einstige Gesangsschüler noch heute an die Frau, der er viel zu verdanken hat. "Sie war die Beste", sagt Saager, und stellt mir die Frage, "Kennst Du den Unterschied zwischen einer Sopranistin und einem Terroristen? Mit Terroristen kann man verhandeln!", und lächelt breit. Zeitgleich zum privaten Gesangsunterricht besuchte Lutz Jürgen das Munich Guitar Institute in München. Er belegte dort einen Anfängerkurs und ein Jahr später einen Kurs für Fortgeschrittene. Das dort Erlernte sollte neben dem Singen die Grundlage für das Komponieren von Lieder mit einem Instrument werden. Dermaßen gut mit Wissen und Feinschliff ausgerüstet, konnte es nun weitergehen …
Knappe 10 Jahre nach seiner Übersiedlung in den Westen zog es ihn zurück in seine alte ostdeutsche Heimat. Mit Frau und erster Tochter ging es im Dezember 1998 zurück ins sächsische Wilsdruff. Dort angekommen schloss er sich einigen kleineren Musikprojekten an. Es war wie ein Deja Vu, denn auch dort fand nichts anderes statt, als das ewige Nachspielen von bekannten Liedern anderer Künstler. Frustration - Resignation. Lutz Jürgen stieg schließlich beim heimischen Kirchenchor ein, wo er schließlich 10 Jahre lang sang. In Sachen Stimmbildung war dies eine sehr produktive Zeit, in der er auch an diversen Konzerten mit großem Orchester teilnahm. "Es war ein schönes Gefühl, Teil eines solchen Klangkörpers zu sein", erinnert er sich gern an diese Erfahrung zurück. Und er hatte dort einen kirchenmusikalischen Ziehvater, den Domkantor zu Meißen und seinen Duzfreund Andreas Weber. Ihm ist er für seine Hilfe und seine in ihn investierte Arbeit bis heute dankbar. Im Domchor zu Meißen durfte er sogar Tenor mitsingen, ehe er kurz darauf Mitglied im "Wilandes-Chor" zu Wilsdruff wurde. Kein geringerer als DER Tonmeister der DDR, Helmar Federowski, der im Berliner Studio bei AMIGA alle Gruppen und Bands abgemischt und auf Amiga-Platten gebannt hatte, wollte ihn in seinem noch jungen Chor haben. Das verschlug Lutz Jürgen erst mal die Sprache, denn der Freitaler Kollege Federowski war damals schon eine lebende Legende. Den Ritterschlag erhielt Saager dadurch, dass er und Federowski einige Jahre als Duo zu Silvesterbällen gesungen und gespielt haben. "Es waren unvergessliche Auftritte, die ich mit ihm haben durfte", sagt er heute und fügt an, "… mit Helmar bin ich immer noch sehr gut befreundet und wir treffen uns ab und zu immer mal wieder."
Die berühmte "Schublade" füllte sich bei Lutz Jürgen und lief mit eigenen Ideen und Liedern, die keinen interessierten, über. Er suchte nach der Möglichkeit, die für ihn wichtige Musik, die aus seinem Innersten kam und die er selbst komponierte, aufnehmen zu können. Für die Schublade war das alles viel zu schade. So traf er im Jahre 2004 in der "Dresdner Herkuleskeule", dem bekannten Musikkabarett, auf seinen "großen Bruder", wie er ihn liebevoll nennt, Volker "Fips" Fiebig, der dort schon eine feste Größe war. "Fips" wurde für Lutz Jürgen wie schon seine Gesangslehrerin Jadwiga in München, Chorleiter Andreas Weber in Meißen und Helmar Federowski in seinem Heimatort zu einem der wichtigsten Menschen in seinem musikalischen Lebenslauf. In "Fips" Studio entstanden schließlich die Aufnahmen aller Lieder, die Lutz Jürgen bis dahin fertig geschrieben hatte. Sie sind auf der CD "… wir rocken deutsch!" zu finden. In den fast zwanzig Jahren, die sich die beiden inzwischen kennen, ist eine feste Freundschaft gewachsen, die auch von starkem Vertrauen geprägt ist.
Wer in die eben erwähnte CD hinein hört, stellt schnell fest, dass die Musik von SAAXON stark von vielen Bands des Genres inspiriert ist. So erinnert "Ode an die Schönheit" stark an die PUHDYS und ihre NDW-Phase Anfang der 80er. "Zeit dafür" hat seine Wurzeln im Ostrock der 70er - dieser Eindruck wird besonders durch den Einsatz der Orgel befeuert. Ein Hauch Klosterbrüder, eine Prise Bürkholz … und doch ist es SAAXON. Die Gruppe Juckreiz lässt beim "Song für Optimisten" grüßen und REFORM könnten bei "Heut' ist ein Tag" Pate gestanden haben. Nun ist das Album produktionstechnisch keine Meisterleistung, immerhin haben wir es hier mit einer Amateurband zu tun und den für sie greifbaren und bezahlbaren Möglichkeiten, aber die Songs haben durchweg Potential und dürften live ordentlich zünden. Viele Kollegen in dem Bereich wären allerdings froh, so eine Scheibe im Gepäck und als Referenz zu haben und es war gut, dass Lutz Jürgen nicht müde wurde, seinen Traum vom eigenen Album wahr werden zu lassen.
Inzwischen ist es auch schon wieder neun Jahre her, dass Saager Leute für eine eigene Band suchte, die seine Lieder live auf der Bühne umzusetzen vermochten. Im Jahre 2015 fand er den ersten Mitspieler, nämlich seinen Schlagzeuger Steffen Keidel, ein Urgestein und lieber Freund des Bandgründers. "Die Chemie muss in einer Band stimmen, sonst wird das nichts", weiß Lutz Jürgen und sagt, "… bei Steffen und mir stimmte diese von Anfang an und bis heute." Die Besetzungen der anderen Positionen gestaltete sich dagegen eher schwierig. So gaben sich im Laufe der Zeit wohl mindestens zehn Musiker die berühmte Klinke in die Hand … Besondere Momente für SAAXON waren ihre Auftritte zu den "Kneipennächten" ihrer Heimatstadt in den Jahren 2018 und 2019, und nach der Corona-Zeit das Gastspiel beim Trabi-Treffen in Nossen im Jahre 2022. Besagte Corona-Zeit warf die Band in ihrer Arbeit auch ein Stück weit zurück, denn wieder drehte sich das Personalkarussell und wer weiß wo SAAXON heute stehen würde, hätte man in den drei Jahren vernünftig arbeiten und auftreten können. Stand Heute, im Februar 2024, besteht die Band SAAXON aus fünf Musikern, von denen einer jedoch schon bald gehen wird. Neben Lutz Jürgen und seinem Kumpel Steffen gehören noch Jo an den Tasten und am Saxophon, sowie der waschechte Wikinger Erik am Bass (der Kollege, dessen Abgang wegen seines Umzugs in die alte Heimat aber bevor steht) dazu. Gerade frisch eingestiegen ist ein exzellenter Lead-Gitarrist, und parallel wird ein neuer Bassmann gesucht, denn wenn Erik die Band verlässt, soll es nahtlos weitergehen. "Da stehen wir heute, wir wollen spielen und gehört werden", sagt Lutz Jürgen mit stolzgeschwellter Brust. Er und seine Jungs wollen ihre Lieder einer größeren Öffentlichkeit präsentieren und darum suchen sie auch nach Auftrittsmöglichkeiten. Der Rock'n Roll möge ewig leben, und sie wollen ihren Teil dazu beitragen, dass das auch so bleibt.
"Musik begleitet mich schon mein ganzes Leben", sagt Lutz Jürgen Saager, und wie man dem hier soeben nachgezeichneten Weg entnehmen kann, hat er diesbezüglich eine lange Strecke zurückgelegt. Alles - wohlgemerkt - neben seinem Hauptberuf und in zwei verschiedenen politischen Systemen. Und obwohl seine Band SAAXON eine Amateur-Formation ist, hat er das Handwerk von der Pieke auf erlernt und sich stets weiter geformt. Heute ist ein derartig großer Aufwand nicht mehr nötig, um sich auf eine Bühne zu stellen und Musik zu machen, was bei so manch einer Darbietung auch gut ablesbar ist. Nicht jeder hat so hohe Qualitätsansprüche an sich und seine Musik, wie Lutz Jürgen Saager. Und wer ihn und seine Band SAAXON gern auf seiner Veranstaltung spielen sehen und hören möchte, kann sie unter www.saaxon.de buchen und sich diesen Wunsch erfüllen.