Sinfonie der Sterne

Die Stern-Combo Meißen live 1979

 Ein Beitrag mit Fotos von Hartmut Helms

 

 

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Sie ist über Jahrzehnte eine der tragenden Konstanten im ostdeutschen Rockgeschehen, wenn nicht sogar eine gesamtdeutsche, auch wenn das westlich vom Harz vielleicht nicht viele hören möchten. Bei allen Stilwechseln, die sich an internationalen Trends orientierten, aber auch neuen Besetzungen geschuldet waren, die STERN-COMBO MEISSEN war immer präsent, hatte mit ihrem außergewöhnlich hohen musikalischen Anspruch auch immer etwas zu sagen und war stets am Puls der Zeit, diktierte ihn sogar mit. Diese Band war neben der legendären THEO SCHUMANN COMBO aus Dresden, UVE SCHIKORA und den BEROLINA SINGERS aus Berlin eine meiner ersten Live-Erfahrungen als Jugendlicher Mitte der 60er Jahre.
 

Ich erinnere mich noch gut einer Zeit, da begann die STERN-COMBO jeden Tanzabend - Konzerte wurden noch nicht gespielt - mit "For Your Love" von den Yardbirds. Der Bühnenvorhang war noch geschlossen und während die vier Akkorde, die Kenner und Genießer wissen, was ich meine, gespielt wurden, kurbelte jemand den Vorhang auf und die Band begann auf der Bühne zu spielen. Als wäre es erst gestern gewesen, sehe ich den jungen Martin Schreier auf der Bühne von "Hoppenz" in Elsterwerda hinter dem Schlagzeug sitzen und "Hey Joe" von Jimi Hendrix singen. Damals waren sie noch Amateure und vielleicht war sogar "JOCKEL" an der Gitarre dabei, den ich später in den 70ern bei den PRIMANERn aus Bad Liebenwerda wieder traf. Dort allerdings an der Orgel.

 

Dann gab es jene Phase, da stand die Band mit kompletter Bläsersektion und auch mit einer Sängerin namens VERONIKA FISCHER auf der Bühne. Beat nannte sich jetzt Rock und die Band huldigte den Vorbildern Blood Sweat & Tears, Chicago sowie Temptations und brachte deren opulenten Bläserarrangements auf die Bühne. Der Sound war schwarz und die Stimme des neuen Sängers, REINHARD FIßLER, versuchte dies nachzuempfinden. In zunehmenden Maße gestaltete die Band ihre Konzertprogramme mit eigenen Songs und Bearbeitungen klassischer Vorlagen. Auf dem Höhepunkt im Jahre 1975 ging man sogar mit den Magdeburger KLOSTERBRÜDERn als FUSION auf große Tour durch die kleine DDR und spielte gemeinsam das großartige "Masterpiece". Danach war dieser Höhepunkt Geschichte und auf der Bühne der STERN.COMBO MEISSEN befand sich nach einer weiteren Neuausrichtung nun eine Ansammlung diverser Tasten- und Percussionsinstrumente. Die musikalische Ausrichtung orientierte sich an klassischen Vorbildern von Mussorgski bis Sibelius, die Band hatte einen Sound, der dem von Nice, Ekseption und Emerson Lake & Palmer nahe kam. Das ganze nannte sich Art-Rock und wenn die STERN-COMBO in den beginnenden 70ern live spielte, war die "Finlandia" mein Lieblingsstück.

 

Inzwischen hatte AMIGA endlich auch mitbekommen, dass diese Band aus dem Sächsischen Meissen den Nerv der Jugend und offensichtlich auch mancher Experten traf. Gottfried Schmiedel, ein freischaffender Musikwissenschaftler aus Dresden, den ich gut kannte, hat sich oft begeistert über die STERNE geäußert und war der festen Überzeugung, dass die "Bilder einer Ausstellung" in der Art von ELP eine ernst zu nehmende zeitgenössische Interpretation des Werkes darstellten. In diesem Kontext sah er auch die Meissner und ELECTRA aus Dresden sowie ihre Bearbeitungen klassischer Vorlagen. Diese Weitsicht und fachliche Kompetenz hätte ich schon damals gern so manchem Kulturoberen gegönnt! Heute darf man das den Plattenbossen wünschen, denn Zensur gibt es nicht mehr, Einschränkungen und Nichtbeachtung sehr wohl.

 

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Im Jahre 1975 dann endlich das erste Vinyl, eine Single mit "Hoch war der Berg". Zwei Jahre später die erste Langrille, ein Live-Mitschnitt aus Nünchritz bei Riesa, der schon nicht mehr aktuell war, als er in die Läden kam. Mit mehr Mut und offeneren Herzen hätte daraus lange vor den Puhdys die erste Live-Doppel-LP des DDR-Rock, inklusive der "Finlandia", werden können. Wieder einmal hatten Kleingeist, Dummheit und Bürokratie über künstlerische Innovation gesiegt. Damals hatte ich schon mehrfach versucht, die STERN-COMBO endlich auch in Elsterwerda auf der Bühne zu haben, dort wo ich sie in den 60ern erstmals zum Tanz gesehen hatte. In den Jahren danach musste ich nach Ruhland ins "Zollhaus" oder nach Riesa in den "Stern" fahren, um sie erleben zu können. Dort sah ich auch das Projekt FUSION und hatte zum ersten Mal das quadrophone Raumklangerlebnis - wie hätten wohl die frühen Pink Floyd in meinen Ohren geklungen?

 

Nachdem die STERN-COMBO MEISSEN einen Termin bei uns 1978 wegen einer Auslandsverpflichtung abgesagt hatte (als "Ersatz" gaben REFORM ein Konzert), war es am 16. Mai 1979 endlich soweit. Die Band hatte ihr Equipment auf der großen Bühne des Kulturhauses in Plessa aufgebaut, die Musiker plauderten mit uns in der Garderobe und der Saal war ausverkauft. Wir waren wohl um die 450 Platzkarten los, heute würde man wahrscheinlich über 1000 Besucher in den Saal lassen, wenn das alte Haus noch einen Betreiber hätte. Doch das ist schon wieder ein ganz anderes Thema. Als Martin Schreier seinen Platz am Mischpult eingenommen hatte, am Schlagzeug saß schon seit geraumer Zeit Michael Behm, von der NEUEN GENERATION kommend, konnte die "Sinfonie der Sterne" beginnen.

 

Allmählich erfüllten geheimnisvolle, ja düstere Geräusche den Raum und zu Orgel-Stakkato und Sythesizer-Figuren meinte man die Hexen von Kiew durch den Saal schweben zu sehen. "Die Nacht auf dem Kahlen Berge" nach Mussorgski verarbeitet die alte Sage, nach der es drei zu Hexen verwandelte Schöne nachts zum Kahlen Berg zieht, von einem uralten Zauber angezogen, um dort den Leibhaftigen zu treffen. Erst mit den morgendlichen Glockentönen der Kirche verschwindet der Spuk. Dies Stück ist ein beinahe ausuferndes Klangemälde, das Stimmungen der alten Sage wunderbar umsetzt, düster, wild und unheimlich. Nach den hellen Glockentönen aus NORBERT JÄGERs "Röhren- und Glocken Laden" ertönt dann REINHARD FIßLERs klare Stimme: "Steig empor, neuer Tag". Von Beginn an hatte die STERN-COMBO ihr Publikum in ihren Bann gezogen, denn durch die Umsetzung durch eine Rockband bekam dieses Werke eine zusätzliche, moderne und wuchtigere Dimension.

 

Eine der markanten Schöpfungen vor allem des Komponisten THOMAS KURZHALS war neben dem "Weissen Gold" das Opus "Reise zum Mittelpunkt des Menschen", das schon in großen Teilen live gespielt wurde, obgleich die Platte erst im darauf folgenden Jahr erschien. Das Werk besaß alles, was man damals von so einem komplexen Artrock-Stück erwarten durfte. Da erklangen ausgefeilte Instrumentalpassagen, bei denen sich vor allem die Tastenvirtuosen beweisen konnten, sowie besinnliche und liedhafte Teile, um den Worten sowie ihren Inhalten Raum und Zeit zu geben. Damit stand dieses Konzeptwerk durchaus auf Augenhöhe mit jenen Konzeptalben, die sich damals auch international miteinander maßen. Mir ist noch heute die Wucht genau dieses Stückes bestens in Erinnerung, mal davon abgesehen, dass uns der Inhalt auch noch heute viel zu sagen hat, wenn man genau auf den Text achtet, denn... "was bleibt sind wir". Wie wahr!Der Sound der Band wird in den ausgehenden 70ern von den Tasten und einer fulminanten Rhythmus-Gruppe bestimmt. An den Drums wechseln sich MARTIN SCHREIER, der Bandgründer, und der dynamische MICHAEL BEHM, der auch Gesangsparts übernahm, ab. Ergänzt durch NORBERT JÄGER an einem breit gefächerten Percussions-Arsenal sowie wahlweise auch mal als Keyboarder sowie BERND FIEDLER, den langjährigen Bassisten, geben sie den STERNEN ein sicheres und kraftvolles Rhythmusfundament.


Die beiden Zauberer an den unterschiedlichen Keyboards sind LOTHAR KRAMER, der von den KLOSTERBRÜDERn kam und THOMAS KURZHALS, der mit seinen kompositorischen Fähigkeiten zunehmend das Profil der Band prägte. Mit seiner markanten Stimme, die auch schwierige Gesangsparts spielerisch meistert, rundet der Sänger REINHARD FIßLER das Klangbild der sechsköpfigen Band ab, gibt ihr Seele und lyrischen Ausdruck sowie im Scheinwerferkegel ein Gesicht.

 

Danach wurde es wieder klassisch, denn das Duo KRAMER & KURZHALS demonstriert mit spielerischer und perfekter Leichtigkeit, wie man mit einem elektronischen Instrumentarium das pulsierende Leben in der Natur musikalisch hör- und nacherlebbar machen kann. Die Bearbeitung von Vivaldis "Der Frühling" aus den "Vier Jahreszeiten" ist eines der Glanzstücke und konnte sich ohne weiteres, ebenso wie die "Reise zu Mittelpunkt des Menschen", internationalen Maßstäben des Genres stellen, wenn dies denn möglich gewesen wäre. Die beiden übersetzen den aufkommenden Frühling und das Erwachen von Flora und Fauna gekonnt in die Sprache elektronischer Sounds und Samples.

 

Wer STERN sagt, meint auch den "Kampf um den Südpol". Beide sind untrennbar miteinander verbunden, seit es gelang, die tragische Geschichte von Amundsen und Scott und deren Wettlauf bis zum Südpol in Töne zu kleiden und darunter den schwarzen Temptations-Groove zu legen. Es ist die Frage nach dem Wissensdurst der Menschen, nach dem WARUM und dem, was "nach dem Tode bleibt". Es ist zugleich der Song, mit seinem nach vorn drängenden Rhythmus- und Chorusgeflecht, der auch das musikalische Credo der Band seit Jahrzehnten formuliert. Man kann förmlich nachvollziehen, wie spannend aber auch opferreich diese Expedition gewesen sein muss. Der quadrophone Live-Sound der STERN-COMBO machte daraus ein äußerst effektvolles sowie beeindruckendes Live-Erlebnis. Für viele war dies immer der Höhepunkt eines STERN-Konzertes und meist auch sein fulminanter Abschluss.Wie sehr die STERN-COMBO schon immer historischen Themen zugewandt war, zeigt "Die Sage", ein vertontes historisches Geschehnis aus uralten Zeiten, das als musikalisches Gleichnis aus dem Gestern in die Gegenwart gespiegelt wird, um den "Mächtigen" dieser Welt die Worte und den Willen der einfachen Menschen ins Stammbuch zu schreiben. Zu DDR-Zeiten erdacht und formuliert, ist es im gemeinsamen deutschen Lande gültiger und aktueller denn je zuvor.


Ich mag die wunderschöne Melodie, die sich langsam auf einem Synthesizer-Riff zu einem fulminanten Höhepunkt empor schwingt, denn sie hat etwas majestätisches und aufrüttelndes zugleich. Ein Song, der bis heute zu meinen "Stern-Talern" zählt. Damals wurde er von MICHAEL BEHM (auf der Platte von Werther Lohse) gesungen. Reinhard Fißler unterstützte ihn mit seiner zweiten Stimme.


Ich bin einer derjenigen, die sich freuen, dass eine Band wie die STERN-COMBO MEISSEN, neben einigen anderen, immer ein Teil meines Lebens war. Es macht mich glücklich zu erleben, dass die Tasten wieder den Sound prägen und der "KURZE" wieder die Richtung vorgibt, in die sich das Flaggschiff des Art-Rock im Osten bewegen soll. Dem "Schwarzen" und seinen STERNEN wünsche ich die medialen Erfolge, die ihnen eigentlich zustehen und "LARRY" stets genug Power in den Stimmbändern, um über dem Sound, wie einst REINHARD FIßLER, mit Leichtigkeit und Ausstrahlung dahin zu gleiten, neuen Klängen und Horizonten entgegen.Zurückblickend muss ich gestehen, dass dieses Konzert Ende der 70er für mich einmalig war. Die Band um MARTIN SCHREIER befand sich wieder einmal im Zenit ihres Schaffens und die Umsetzung der Musik als Klang-Sinfonie aus vier Kanälen ringsum im Raum war einzigartig. Mit dem Duo KURZHALS & KRAMER agierten zwei Keyboarder auf der Bühne, die ihrer Zeit weit voraus musizierten und die unverkennbare Stimme von REINHARD FIßLER gab den jeweiligen Inhalten einfühlsam einen besonderen und nachhaltigen Ausdruck. Damals stand er noch vor dem Mikrofon und plauderte mit uns in der Garderobe. Wir alle waren noch irgendwie jugendlich unbeschwert und der Blick in die heutige Zukunft war nicht das, was uns hätte beschäftigen können. Um so tiefer ziehe ich heute den Hut vor einem Mann, der offensichtlich vieles durchlebt, durchlitten und auch gelernt hat, einer der uns zeigt, was Haltung und Rückrad bedeutet, auch wenn er heute auf selbigen liegen muss.

 


Foto Impressionen:
 

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