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Ein Beitrag von Christian Reder (Fotos: Rüdiger
Lübeck, Sandy Reichel, Torsten Meyer
, PvW privat)



Irgendwann, Mitte der 90er, schleppte ein Arbeitskollege einen Haufen AMIGA-Schallplatten an, die er von seiner "Ostverwandtschaft" über die Jahre zu allen möglichen Jahres- und Feiertagen per Paket aus der DDR bekommen hatte. Jede einzelne Scheibe in der mitgebrachten Kiste hatte noch nie einen Plattenteller, geschweige denn jemals eine Nadel gesehen. Zu dem Zeitpunkt kannte ich die üblichen Verdächtigen wie Karat, wegen denen er mir das ganze Vinyl eigentlich mitgebracht hatte, City, Silly und die Puhdys natürlich,001 20220610 1169634154 aber all die "Exoten" waren mir gänzlich unbekannt. "Wer ist Ralf Bursy?" - "Wer bitte schön ist IC?" - Fragen über Fragen warf diese Sammlung bei mir auf, und ich nahm außer den Karat-Scheiben alles mit, was irgendwie interessant aussah. Dabei war auch eine LP, die "Swinging Pool" hieß und deren Interpretin den ungewöhnlichen Namen Pascal von Wroblewsky trug. Nachdem die schwarze Langrille ihre Jungfernfahrt auf meinem Kenwood P-44 hinter sich gebracht hatte, war ich schwer angezündet und froh, sie mitgenommen zu haben. Sie gehört seitdem zu meinen Lieblingsstücken.

PvW - ich kürze mal ab - begeisterte mich sofort mit ihrer Stimme. Die Plattennadel wanderte gleich mehrmals zurück auf die Stelle vor dem letzten Song der zweiten Seite. "Maiden Voyage" heißt das Stück, stammt im Original aus dem Jahre 1965 und ist von Herbie Hancock; dort allerdings instrumental. Hier hingegen wird es mit einer "schwarzen Stimme" zelebriert, die sofort die Gedanken, "Sowas kann unmöglich in diesem Land gewachsen sein" und "Die kann nur aus den Staaten kommen", in meinem Kopf auslöste. Das Plattencover erzählte aber etwas anderes. Gut, dann kommt sie tatsächlich "von hier", aber von der Stimmfarbe und der Art des Vortrags musste die Dame auf jeden Fall schon älter sein. Aber auch da irrte ich mich. Ich erfuhr allerdings erst einige Zeit später, dass sie nur 10 Jahre älter als ich, und zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade Mitte 20 war. Heftig!

Als Jugendliche sah der Vater dieses Talent bei Pascal nicht. Er hätte die Tochter gern als Instrumentalistin gesehen und dort am liebsten in den Bereich Gitarre gelenkt. Auch die Musikschule, an der sie sich bewarb, sah das ähnlich wie der Vater und lehnte sie ab. Aber das Mädel schüttelte sich nur einmal, glaubte weiter an sich und gab das Singen nicht auf. Ein Glück! Mit 16 hatte sie ihren ersten Auftritt - zusammen mit ihrem Vater und einer französischen Sängerin - und war direkt danach in der Folk-Bewegung unterwegs. Sie wollte einfach nur singen und spielen, und war dort - wie sie selbst über sich sagt - eine "Rampensau". Ganz nebenbei machte Pascal eine handwerkliche Lehre an der "Komischen Oper" in Berlin. Es folgten Stationen in Rock- und Tanzbands, und sogar in einer Dixieland-Kapelle hinterließ sie ihre Spuren. Mit 23 Jahren klappte das dann doch noch mit der Musikschule, und zwar mit der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, wo die junge Frau ihr Studium aufnehmen konnte. Dort hielt sie es aber nur drei Semester lang aus, denn das ihr als Lehrer vorgesetzte Personal brachte sie nicht wirklich weiter. Die Praxis auf der Bühne und der Umgang mit älteren, erfahreneren Kollegen taten dies aber sehr wohl, denn hier holte sie sich schließlich ihr Rüstzeug für die Karriere als professionelle Sängerin ab. Und den in der DDR nötigen Berufsausweis, die sogenannte "Pappe", erhielt sie 1985 trotzdem. Alfons Wonneberg half ihr dabei.


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Nur ein Jahr später erschien das eben von mir erwähnte und in der "Grabbelkiste" meines Arbeitskollegen gefundene Album "Swinging Pool". Da war sie schon knapp zwei Jahre in der DDR-Jazzszene aktiv. Ihr Weg führte weiter - zuerst als Gast, dann auch als festes Mitglied - zur Gruppe BAJAZZO, mit der sie 1987 das Album "Fasten Seat Belts" aufnahm. Und da war sie schon mittendrin … in der jazzigen und bis heute andauernden Karriere der Pascal von Wroblewsky … Zwischen meinem Erstkontakt mit der Sängerin und dem nächsten "Aufeinandertreffen" lagen dann 16 oder 17 Jahre. Wie schon gesagt, steht ihre Debüt-Scheibe seit Mitte der 90er in meinem Plattenschrank, aber nach `95 fiel mir die Sängerin mit der reifen, schwarzen Stimme nicht noch einmal auf. Der Jazz und das Feld, das sie fleißig bestellte, waren (noch) nicht das Meine. Im Januar 2012 landete jedoch eine CD mit dem Titel "Seventies Songbook" auf meinem Tisch. Absender war Pascal von Wroblewsky. "Ach, guck an … Die kennst Du doch auch?!", war meine erste Reaktion. Ich legte die Silberscheibe ein und hatte wieder dieses tolle Gefühl wie schon Jahre zuvor. Diese Stimme … diese Art, die Lieder zu singen … Der Hammer! Die Künstlerin hatte ihre Song-Favoriten aus den 1970ern, angefangen mit Liedern von Kollegen wie z.B. 10 CC, DEEP PURPLE, MARVIN GAYE, DON MCLEAN bis hin zu THE DOORS, zu ihren eigenen Liedern gemacht. Eingejazzt und "verPASCALisiert" klingen die Stücke ganz wunderbar anders, neu und aufregend. Die Entdeckungsreise war richtig aufregend, zumal manches sogar deutlich mehr Charme als das Original hatte (und noch immer hat). Was für eine wunderbare Begegnung. Zur CD legte ich mir zusätzlich noch die Schallplatten-Ausgabe zu, denn "Warmes" muss man auch "warm" genießen. Ein Meisterwerk.


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Heute wird die hier beschriebene Frau, deren Vater einst nicht gedacht hätte, dass sie das Zeug zur Sängerin hat, und die vom Folk über den Rock und der Tanzmusik den richtigen Weg zum Jazz gefunden hat, 60 Jahre alt. Kaum zu glauben, aber wahr. Ihre Stimme klang vor 36 Jahren schon so "reif" und "erwachsen" wie deren Besitzerin heute erst wird, und es ist ihr zu wünschen, dass dieser Zahl von Jahren noch viele weitere folgen werden. Sie möge es uns konzertant und über hoffentlich weitere Platten und CDs noch möglichst lange warm ums Herz werden lassen. Herzlichen Glückwunsch der großartigen Stimme, die hier eigentlich gar nicht gewachsen sein kann, und ihrer Besitzerin.






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