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Text: Hartmut Helms (17.09.2011) | Fotos: Hartmut Helms
 

 

Einer runden Lady zum 80. Geburtstag
Wenn die heutige Jugendgeneration ihre Lieblingsmusik hören möchte, geht sie in irgendeinen von diesen riesigen sterilen Einkaufstempeln und greift sich aus tausenden von CDs eine heraus. Die anderen digitalen Medien hab' ich jetzt einfach mal ignoriert, weil die der wachsenden individualisierten Musikaufnahme via Ohrstöpsel nur noch das digitale Sahnehäubchen aufsetzen. Dann wird der kleine Silberling zu Hause oder schon im Auto in den Player eingeworfen und mit lautem Bumm Bumm und schnellen Beats durch die Gehörgänge gejagt. Schneller Konsum, schnelles Vergnügen und zumeist dumpfes Wegdenken, als könne man etwas verpassen.

Am 17. September 1931 wurde, als Folge einer langen und umständlichen Entwicklung, in New York die erste wirkliche Langspielplatte mit 33,5 Umdrehungen pro Minuten vorgestellt. Seither sind der Durchmesser, die Umdrehungszahl und eine Spielzeit bis zu 23 Minuten weltweit Standart und die Langspielplatte als Musikmedium aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Mit der einsetzenden musikalischen Pop-Kultur im Zeitalter des Rock'n'Roll wurde die LP zum Massenmedium und außerdem zum Objekt privater Sammlerleidenschaft und später auch zum Inhalt tiefphilosophischer Fangespräche und Deutungstheorien.

Was heutige Teenies überhaupt nicht mehr nachvollziehen können, das Vinyl ist seit Jahrzehnten Teil meiner Lebensqualität geworden und wahrscheinlich bin ich noch nicht einmal das einzige urzeitliche Reptil dieser Art. Wenn mir so ist, nehme ich mir die Langspielplatte meiner Wahl aus dem Plattenregal und halte sie in meinen Händen. Ehe ich die Platte aus ihrer Hülle nehme, betrachte ich mir das Cover und manchmal klappe ich es auf. Manche Cover kann man zwei- oder mehrmals aufklappen ("Yessongs") und dann liegt ein kleines Kunstwerk (Curved Air "Second Album") vor mir ausgebreitet auf dem Teppich. Manchmal entpuppt sich das Cover beim Auseinanderfalten auch als ein in besonderer Weise überdimensional gefaltetes Poster (Crosby, Stills, Nash & Young "Celebration Record").

Es gibt Cover, da sind kleine Spiele in Form einer Drehscheibe (Led Zeppelin "II") eingearbeitet, in eine andere wiederum ist ein kleines Fensterchen ausgestanzt, durch das man in ein anderes Universum blicken kann (Cat Stevens "Numbers") und es gibt auch eine, da stehen beim Aufklappen vier kleine Musikermännchen auf (Jethro Tull "Stand Up"). Es gibt ein Cover mit einem kleinen Spiegel zum Hineinsehen (Uriah Heep "Look At Yourself") und ein anderes, bei dem man mit einem Hologramm spielen kann (UB 40 "44"). Selbst eine Scheibe mit einem darin enthaltenen Bastelbogen für den Bau eines Raumschiffs (ELO "Out Of The Blue") gibt es zu entdecken.


Die Reihe dieser Gimmick-Cover ließe sich beliebig lang und beliebig variantenreich weiter fortsetzen. Sie alle haben gemeinsam, dass sich Covergestaltung, Text und Musik als künstlerische Gesamtheit verstehen, die den "Konsumenten" in ihren Bann ziehen. Noch bis ins hohe Fan-Alter sind die Abbildungen und Texte auch ohne Hinzunahme einer Lupe zu erkennen und lesbar.

Das alles und noch viel mehr kann man staunend und mit einem Lächeln betrachten und dabei ist man noch nicht einmal bis zur eigentlichen LP vorgedrungen. Die nimmt man dann, einer sehr privaten Zeremonie gleich, behutsam aus der Innenhülle, die meist mit den Texten bedruckt sind, heraus. In vielen Platten stecken auch kleine Heftchen, die sog. Booklets, in denen man die Texte und viele tolle Fotos oder Grafiken großer Künstler finden kann.


Eines der wohl schönsten und an Inspiration, Ideenreichtum und opulenter Aufmachung kaum zu überbietendes "Gesamtkunstwerk Langspielplatte" ist das in ein Buch eingebundene Doppelalbum "The Pentateuch Of The Cosmogony" von Dave Greenslade (Musik) und Patrick Woodroffe (Text & Grafik), über das eventuell an anderer Stelle zu reden wäre.

Lyrics, Fotos und Grafiken vermitteln einem dann die Inspiration, tief in die Musik der jeweiligen Langspielplatte einzutauchen, wenn man endlich die runde Scheibe behutsam auf den Plattenteller gelegt und den Tonarm herab gesenkt hat. Dann hat man auch den Zustand der inneren Ruhe erreicht, der dazu führt, dass man die Musik in all ihrer Vielfalt und Schönheit genießen kann. Nichts da, von wegen schneller Musikorgasmus - der Weg zum Sound ist das Ziel und der dauert auch länger, zumal viele der Platten einem inhaltlich geschlossenem Konzept oder einer Idee folgen. Da muss man schon hinhören wollen und die nötige Zeit mitbringen. Es ist, im übertragenen Sinne, wie ein Ticket an der Theaterkasse zu kaufen, die Garderobe abgeben und sich eventuell mit einem Glas Wein in der Hand für eine ausgedehnte Weile der Musik hinzugeben. Selbst dann, wenn die Musik von "Made In Japan" mit der Stimme von Ian Gillan und der Gitarre von Ritchie Blackmore im Stereo-Sound aus den Boxen kracht oder einem die urigen Folk- und Bluegrass-Klänge der Nitty Gritty Dirt Band durch die Gehörgänge tanzen.

Bis in heutige Zeiten, da digitale Medien eine Übermachtstellung inne zu haben scheinen, hat sich das Vinyl eine gesonderte Position für Liebhaber und Genießer erhalten. Zudem ist es kein Geheimnis, dass immer noch sehr viele Hörer und Musikfreunde den analogen Klang der Schallplatte der digitalen Reinheit der CD vorziehen. Es klingt einfach natürlicher! Das sehen auch viele Stars so und deshalb verwundert es nicht, dass auf der letzten LP von Neil Diamond ("12 Songs") gleich mal zwei Songs mehr drauf sind, als die 12 der CD und auch Marianne Faithful hat auf der Vinylausgabe von "Horses And High Heels" zwei Songs zusätzlich untergebracht. Zudem sind die Ausgaben in Vinyl meist aufwendiger und mit zusätzlichen Extras gestaltet, mal ganz davon abgesehen, dass Vinyl heute auch farbig und durchsichtig sein oder leuchten kann. Selbst eine Laser-Gravur auf der Vinyl-Scheibe (Styx "Paradise Theatre") ist keine Seltenheit. Das Auge kauft und genießt mit und so soll es auch bleiben.

Heute vor 80 Jahren, so kann man sagen, wurde der Grundstein für diese Art des Musikhörens gelegt, als die 33er Langspielplatte erfunden wurde und ich bin frech genug, der runden Scheibe herzlich zum 80. Geburtstag zu gratulieren und ihr noch mindestens weitere 80 Jahre Dasein zu wünschen, damit noch meine Enkel und Ur-Enkel Freude und Genuss an der Plattensammlung ihres Opas und Ur-Opas haben können. Was dann so manche Scheibe an Wert darstellt, ist dabei unerheblich. Musik machen und hören ist eine Frage des Herzens und eine Art Lebensgefühl, das die Langspielplatte widerspiegelt. Sie nimmt und gibt mir die dafür nötige Zeit und Ruhe.

 

 


   
   
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