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 Text: Hartmut Helms (19.03.2013) | Fotos: Archiv Karlheinz Drechsel, Hartmut Helms

 

 

Der Jazz führte zu DDR-Zeiten, wie so manch andere Kunstrichtung auch, ein geduldetes Dasein in der Nische. Wer jetzt glaubt, das wäre "im Westen" sehr viel anders und sowieso besser gewesen, der irrt. Die Spielarten des Jazz sind vielfältig, vom Be-Bop über Swing bis hin zum cool gespielten oder Free-Jazz. Die wohl zahlenmäßig meisten Anhänger kann der Dixieland um sich scharen. Die zur jeweiligen Zeit modernen Spielweisen hatten es stets schwer, egal ob im Westen oder Osten. Wie dieser Prozess in der DDR vor sich ging, wer an welchen Orten diese Musik praktizierte und welche Menschen es waren, die ihn liebten und deshalb hörten, davon hat KARLHEINZ DRECHSEL, genannt "Dr. Jazz", eine Menge mitbekommen und vieles a 20130319 1896440073davon auch aktiv über Jahrzehnte begleitet. Im Jahre 1973 war er Mit-Autor des Jazz-Büchleins "Fascination Jazz", erschienen bei VEB Lied der Zeit, in dem man schon damals eine Menge davon nachlesen und - noch schöner - auf Bildern nacherleben konnte. Frühe Fotos von Gerhard "Hugo" Laartz, von "Lude" Petrowski oder Reinhard Lakomy belegen, aus welchem Umfeld spätere Größen des DDR-Jazz und der Rockmusik kamen. Das war Grund für mich, das Buch zu kaufen, als es für 17,- Mark der DDR zu haben war. Heute ist es eine gesuchte Rarität.


Nun hat ULF DRECHSEL, der Sohn vom 82-jährigen Jazz-Enthusiasten, 2011 ein Buch vorgelegt, das viele der Stationen und Erlebnisse des Vaters für eine interessierte Leserschaft und für spätere Jahre nachvollziehbar dokumentiert. Beide kamen und ich fuhr, gleich anderen, um mir ein Stück davon selbst zu bewahren.

In einem kleinen Nest nahe Bad Liebenwerda namens Saxdorf leben, solange ich kulturell zurück denken kann, zwei sehr menschliche Unikate. Karl-Heinz Zahn ist seelsorgender Vater und Pfarrer der kleinen Gemeinde und Hanspeter Bethke ein studierter Bildender Künstler. Beide haben sie über viele Jahre den Pfarrgarten zu einem lebendigen Kunstwerk gestaltet und mittendrin ein Kleinod der Künste in Gestalt eines kleinen Pavillons geschaffen. Hier an diesem idyllisch versteckten Ort wird seit vielen Jahren musiziert, gelauscht, betrachtet, gelesen und diskutiert. Der Ruf von Saxdorf geht inzwischen weit über die Region Elbe-Elster hinaus und selbst Fernseh- und Filmkameras haben hier schon hinein geschaut. Das wollte ich auch schon immer mal tun, aber wie das so manchmal ist im Leben, man schweift in die Ferne und übersieht die Nähe. Diesmal aber hatte ich mir vorgenommen, dabei zu sein und zu hören, wie einer die Entwicklung des Jazz in der DDR, quasi von innen, erlebt hat und ich hoffte, Parallelen entdecken.

Die große Überschrift lautet zwar "Kultursommer 2013", jedoch von einem Sommer gibt es an diesem Sonntagnachmittag weit und breit keine Spur. Die Felder und Wiesen, die an meinem Blechfreund vorüber sausen, sind noch verschneit und die Luft klirrend kalt, wie schnell zu spüren ist. Die Kirche von Saxdorf, mitten im Ort gelegen, ist vom starr vereisten Pfarrgarten umgeben und nur durch die kahlen Äste der umstehenden Bäume steckt die Sonne ihre grellen Leuchtfinger hindurch. Diese Szenerie sieht zwar schön aus, ist aber auch arschkalt. Dafür ist es drinnen im Pavillon warm und gemütlich. Selbst an Kaffee und Kuchen hat eine umsichtige Seele gedacht und so fällt das Einstimmen auf das Kommende in der intimen, von Blumen gerahmten, Räumlichkeit, relativ leicht. Klaviermusik - dem Anlass entsprecht etwas Angejazztes - erfreut die Ohren und etwas später spricht der Kulturamtsleiter des Landkreises einige wenige, aber treffende Worte zur Begrüßung. Danach nehmen KARLHEINZ DRECHSEL, die Hauptperson dieser Stunde, und sein Sohn, ULF DRECHSEL, als Autor und Moderator am Tisch vor den Stuhlreihen Platz. Das Gespräch zum Buch, das sich bald als Monolog erweisen wird, kann beginnen.

 

Also fragt der Junior, stellvertretend für die Anwesenden, den Senior, woher denn dessen Faible für den Jazz käme. Irgendwann und irgendwie müsse das ja mal begonnen haben. Den dann folgenden Worten lausche ich wie gebannt. Den Rückblick zum Opa, der all das Ungemach dieser Welt auf die Juden zurückführte, die warmen Worte für die Mutter, die ihm ein humanistisch ausgerichtetes Zuhause gab und die große Achtung für den älteren Bruder und dessen Plattensammlung sowie dessen Worte, dass er nun, der Jüngere, der "Herr über diese Sammlung sei".

 

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Das alles erzählt uns KARLHEINZ DRECHSEL sehr bild- und glaubhaft und in vielen seiner Worte erkenne ich Parallelen zu einem anderen Jungen in einer anderen Zeit, der auch seine Liebe zur Musik entdeckte, beinahe süchtig danach wurde und die Platten wollte. Nur eben etwas anders, doch nicht weniger intensiv und beseelt.

 

KARLHEINZ DRECHSEL muss erkennen, dass sein geliebter Jazz eine Musik ist, "die Feinde hat", weil sie von vielen nicht verstanden werden will, gleich gar nicht deutsch ist. Das schmerzt und noch mehr schmerzt es, dass die geliebte Plattensammlung in jener Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 dem Feuer der englisch-amerikanischen Bomben auf Dresden zum Opfer fällt. Es ist Krieg und die von Deutschland Überfallenen tun, was die Deutschen vorher taten. Auch da bin ich gedanklich wieder bei meinem Vater und seiner ersten Familie, die in genau jener Februarnacht in Dresden ihr Leben völlig sinnlos verlieren musste.

Es ist gut, dass an dieser Stelle der Junior eine Zäsur setzt und wir die Chance bekommen, beim Klang des Flügels, dessen Tasten AMY ZAPF in bemerkenswerter Weise zu berühren vermag, ein wenig in uns selbst lauschen zu können. Dann fragt der Junior erneut und Senior, spricht von seiner Zeit in Dresden, vom langsamen Aufbau einer neuen Plattensammlung, von Konzertbesuchen und von den vierzehn Big Bands, die es damals in der Stadt gab. Von der Gründung eines Swing-Zirkels ist die Rede, vom Ärger mit der FDJ und vom folgenden Verbot des Zirkels. Manch Detail überrascht, manches scheint skurril und manches wieder kommt mir durchaus bekannt vor. Er spricht von seiner Zeit in Berlin, von der beginnenden Lehre beim Rundfunk und von dem, was er dort erlebte. Als sich schließlich KARLHEINZ DRECHSEL wieder ein Stück Musik wünscht, bekommt er von AMY ZAPF "Take The A-Train", die Erkennungsmelodie vom Orchester Duke Ellington, gespielt.

Je mehr sich danach "Dr. Jazz" in die Neuzeit und immer näher der Gegenwart erzählt, vermittelt er mir ganz persönlich immer öfter das Gefühl, er wäre so ziemlich der Einzige hier gewesen, der dem Jazz und dessen Entwicklung zuneigt gewesen sei. So vermisse ich zum Beispiel wenigstens einen klitzekleinen Hinweis auf Gottfried Schmiedel, der in Dresden, gleich ihm, eine Institution darstellte. Das geht mir beim zufälligen Entstehen der Tour von Albert Mangelsdorff durch die DDR so und auch, als er gebeten wird, Louis Armstrong zu begleiten. Auch seine Rundfunktätigkeit scheint er mir so zu erzählen und manche lustige Anekdote, die damals zu Ärger mit den Kulturoberen führte, würde heute bei Veranstaltern und Agenturen wahrscheinlich ähnliche Reaktionen auslösen. So, als er vom frühen Entstehen des Dixieland-Festivals in Dresden spricht, von den Repressalien durch Funktionäre und Staatsapparat und dann in einem Nebensatz quasi die weitere Existenz dieses Dixieland-Festes in der Zukunft in Frage stellt, weil keiner mehr die Kosten zu tragen bereit ist.

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Selbst die Stadt Dresden zeige kein Interesse und fordert für die Straßenwerbung bzw. deren Nutzung, wenn ich das richtig verstanden habe, runde 18.000,00 Euro. Das lässt er dann unkommentiert stehen und überlässt dem staunenden Publikum die Wertung. Da hätte ich mir ein kritischeres Wort gewünscht, denn im Heute geht noch was zu bewegen, in der Vergangenheit nicht.

Nach einer Pause und einem weiteren musikalischen Intermezzo durch AMY ZAPF, beginnt der Nachmittag sich zu ziehen. Zwar bieten der Blick auf das Dixieland-Festival und auf die Begegnung mit Louis Armstrong durchaus interessanten Stoff, jedoch verliert sich der Erzähler in Details, die man als Besucher gern in Einzelgesprächen erfragt hätte, während andere diese Einzelheiten vielleicht nicht mehr interessant finden würden. Nur noch ein einziges Mal gelingt es ihm, mich emotional heftig zu berühren, als er vom nahendem Tod Satchmos und einem persönlichen Brief von ihm spricht. Plötzlich vibriert seine Stimme unmerklich, fällt ihm das sprechen schwer. Plötzlich sprühen die Emotionen, war vom alles überschauenden "Dr. Jazz" und dessen so überragender Position in der Szene keine Spur mehr. Nur noch der Musikliebhaber, der begeisterte Fan und Mensch. Plötzlich wirkt der angeblich so coole Macher für mich authentisch, verletzlich und ehrlich, so wie der Jazz, den er liebt. Da war auch ich wieder an seiner Seite, da konnte ich mitfühlen und Parallelen finden. Solche Momente hätte ich mir mehr und in einem begrenzten Zeitrahmen gewünscht.

Als AMY ZAPF am Ende "What A Wonderful World" als Hommage an Louis "Satchmo" Armstrong erklingen lässt, ist ringsum mehr Erleichterung als Neugier spürbar. Einige, die es ohnehin getan hätten, kaufen sich sein Buch und bitten um einen Eintrag in die ersten Seiten. Dann verliert man sich relativ schnell nach draußen und dort in alle Himmelsrichtungen. Das finde ich schade, kann mich aber selbst nach mehr als drei Stunden auch nicht mehr aufraffen, Details zu hinterfragen. Sie werden für mich wohl, wie manches andere auch, ewig unbeantwortet bleiben und das wiederum wird meine Neugier am Leben erhalten. Was nützt uns "All That Jazz" und der ganze Rock'n'Roll, wenn wir alles von ihnen wüssten und nicht mehr neugierig wären. So gesehen und erlebt, hat der Nachmittag im Pavillon bei der ersten Veranstaltung vom "Kultursommer 2013" in Saxdorf durchaus seinen Sinn und Zweck erfüllt.

 


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