Teil 9

Der vorletzte Teil von Michael Heubachs Autobiographie erzählt über den Aufenthalt der Gruppe LIFT bei den Weltfestspielen in Kuba, über Erlebnisse und Begegnungen vor Ort. In diesem Teil könnt Ihr außerdem erstmals das im Januar 2011 geführte Interview von Christian mit Michael Heubach in Auszügen lesen. Es geht darin um den Unfall in Polen. Die Biographie gibt außerdem Einblicke in Michaels Rückkehr ins "Berufsleben" nach dem Unfall, seine Zeit bei Ute Freudenberg & Elefant und bei Elke Martens & Megaphon...

 

Meeting mit Ramon Castro
Einmal machten wir eine Fahrt Richtung Varadero. Ein Polizist fuhr vor unserem Bus auf einem Motorrad japanischer Bauart. Er war ein Typ wie aus einem Film, wo die Frauenherzen schneller zu schlagen beginnen: Ein großer Mulatte, schlank, dunkle Pilotenbrille und mit einer maßgeschneiderten Uniform, die seinen perfekten Körperbau betonte. Und dann zeigte er, was er konnte und wofür er bei uns hätte den Dienst quittieren müssen: Er nahm die Hände vom Lenkrad und fuhr freihändig, wohl wissend, dass er viele weibliche Zuschauer im Bus hatte. Ich kenne die kubanische Straßenverkehrsordnung nicht, kann mir aber die Formulierung eines Ausnahmeparagraphen schwer vorstellen, der so etwas mit 60 km/h erlaubt.
 

Unsere Fahrt führte zu einer Ranch, oder besser gesagt dem Landsitz Ramon Castros. An der Kubanischen Revolution beteiligte er sich, im Gegensatz zu seinen anderen zwei Castro-Brüdern, nicht aktiv. Er blieb auf der Farm seiner Eltern und eignete sich vielfältiges Wissen über den Zuckerrohranbau an. Für Kuba war Zuckerrohr ein wertvoller Exportartikel und die Ostblockstaaten mussten immer eine gehörige Portion davon importieren, weil ja ein Bruder dem anderen zu helfen hatte. Nach der Revolution wurde Ramon ein wichtiger Berater der kubanischen Regierung in Fragen der Agrikultur. Er galt auf diesem Gebiet als einflussreicher als der zuständige Minister. Auf seiner Ranch wurde für uns eine kleine Bühne aufgebaut und unsere PA angeschlossen. Zwischendurch gab Zach Kindern Autogramme.
 

Wir begannen, Titel aus unserem Repertoire zu spielen. Es war eine sehr familiäre Atmosphäre und keine Spur von offiziellem Getue und das Dreschen bekannter Phrasen. Danach setzten wir uns mit Roman Castro privat in einen Raum seines Hauses, den ich in keine Wohnkategorie einordnen konnte. Er war sehr spartanisch eingerichtet und glich von der Einrichtung her in etwa den kleinen Hütten, die wir unterwegs an der Landstraße gesehen hatten: Tisch, Stuhl, Bett, Schrank und - ein Fernseher! Achtzehn Jahre später hatte sich daran nichts geändert, auch diese Erkenntnis hatte ich bei meiner zweiten Reise 1996. Ich nehme an, in Kuba wurde der angestrebte Kommunismus auch von den Regierenden in seiner Einfachheit nachvollzogen, und da gab es keine reichen, vollgefressenen Funktionäre, die Wasser predigten und Wein tranken. Oder wir bekamen sie nicht zu Gesicht, damals und achtzehn Jahre später.
 

Auf alle Fälle unterhielten wir uns mit Händen und Füßen und mit ein paar Englischbrocken mit ihm und seiner Frau, denn es war kein Dolmetscher dabei. Dann kam ein vielleicht fünfjähriger Junge hinzu und trat an die Seite seiner noch relativ jungen Mutter. Ramon verkündete stolz, das sei sein Sohn und ließ durchblicken, dass er schon die Vierundfünfzig überschritten hätte. Uns erschien das damals als eine gute Leistung (falls es nicht sein letzter Spermatropfen gewesen war). Bereitwillig stellte er sich vor unsere Fotoapparate, mit Dina im Arm natürlich, denn wegen ihr hat er sich vor allem so gastfreundlich gezeigt. Ob der wohl gewusst hatte, dass Zach ihr Mann war?
 

Vor der Bühne war ein buntes Völkchen Kinder, Jugendliche, Eheleute, Alte; alles war vertreten. Wir hatten zum ersten Mal das Gefühl, für ein kubanisches Publikum zu spielen und nicht vor bestellten Vertreten sozialistischer Länder. Es ist möglich, dass jener Castro-Bruder seinen eigenen Weg ging, denn sonst hätte er ja Landwirtschaftsminister sein können.
 

Nach ein paar Tagen ging ich wieder mal zwischen den Auftritten an unserem Yachthafen baden. Dort war kein Sandstrand wie in Varadero, sondern versteinerte, spitze Korallen, die man erst mal überwinden musste, um ins Meer zu gelangen. Es war unmöglich, ohne Schuhe die Korallen zu betreten. Da leisteten mir meine Badelatschen gute Dienste. Nach ein paar Metern hatte ich eine Stelle gefunden, an der ich meine Badelatschen ablegen konnte und machte den ersten Schritt ins hüfthohe Wasser. Mein rechter Fuß trat auf etwas Rundes, ich blickte auf den Grund und sah, was ich mir eingefangen hatte: Einen Seeigel! Na toll, dachte ich und begab mich mühsam aus dem Wasser zurück ans Ufer. Dann humpelte ich in unser Objekt. Bei jedem Schritt schmerze mein Fuß so sehr, dass ich kaum noch auftreten konnte. Am nächsten Tag ging ich zu unserem Leibarzt, denn die DDR hatte ja bekanntlich ein gutes Gesundheitssystem (dachten wir damals). Der sah sich meinen Fuß an, nahm eine Pinzette und zog achtzehn Stachen aus meinem Fuß.
 

"Den Rest kriege ich mit meiner Pinzette nicht zu fassen, das sind abgebrochene Stacheln. Die müssen herauseitern!"
 

Und sie eiterten heraus, ließen sich aber dabei Zeit. Erst am letzten Tag war ich sie los. Ich war verdammt, mit meinem rechten Fuß nicht mehr richtig auftreten zu können, aber damit war ich nicht der Einzige: Den aus den USA immigrierten Schauspieler, Sänger und Frauenliebling Dean Reed hatte ich als Partner. Wir tauschten uns täglich Stachel-Neuigkeiten aus, gaben den Eiterstand bekannt und beglückwünschten uns, wenn wieder mal ein Stachel seine Aktivität aufgegeben hatte. Leider kam es nicht zum Tausch von Telefonnummern und Visitenkarten, aber das ist wieder eine andere Geschichte...
 

Ich muss an dieser Stelle noch einfügen, dass wir uns bei unseren Auftritten ein T-Shirt überstreiften, das ein Weltfestspiel-Logo trug und nicht weiter auffiel, schließlich gehörten wir zumindest während unserer Auftritte offiziell einer Delegation an und waren keine Touristen aus Los Angeles.


Jam Session
An einem der letzten Tage wurde in unserem Objekt eine Session organsiert, wo sich alle Musiker und Solisten mal so richtig "ausspielen" konnten, wenn ihnen danach war. Alles was Rang und keinen Namen (oder umgekehrt) hatte, fand sich am Abend auf einer kleinen bühnenartigen Fläche in Freien ein, wo eine komplette PA aufgebaut war. Jeder, der wollte, konnte sich in einen Titel "reinhängen" oder ein Sänger wurde bei einem Song begleitet, den alle kannten - eine richtige Jam Session also. Auch Günther Fischer war anwesend. Günther Fischer war neben seinen vielen Filmmusiken auch als Jazzer bekannt, hatte er doch sein Günther-Fischer-Sextett, das aber nicht anwesend war. Seine Kollegen zogen es vor, daheim zu bleiben, weil sie alle Flugangst hatten. Selbst Egon Krenz konnte sie nicht mit dem "Weltfrieden" ködern, sagt die Legende. So stand Günther also einsam und allein mit seinem Altsaxophon neben den anderen, die auf eine Gelegenheit zum Mitspielen warteten. Ich war eigentlich fast immer an einem Fender-Piano zu finden, fiel es mir doch nicht so schwer, mich auch in mir unbekannte Titel reinzuhören und mitzuspielen. Bei irgendeiner Jazznummer sah Günther Fischer seine Gelegenheit gekommen. An einer Stelle, an der ein Solo kommen sollte, ging er zum Mikro und begann zu blasen.
 
 
Es gab bei diesen Solo nur eine Grundharmonie und die Spiellänge wurde durch kein Schema begrenzt. Er spielte und spielte, dudeldudel-jazzjazz, bis sich ein nächster Solist durch Zeichen bemerkbar machte, er wolle auch mal drankommen. "Günther, 's reicht, der Nächste bitte", gaben wir ihm zu verstehen. Aber Günther hatte einen Hörfehler, in diesem Augenblick. Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. "Eh, Günther, aufhören, der Nächste will auch mal!" Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. Minuten oder gefühlte Stunden vergingen. "Günther, jetzt reicht's aber!", brüllte einer von hinten. Es war der Tontechniker am Mixer. Er zog den Regler von Günthers Mikro nach unten und damit war vom Altsaxophon über die PA nichts mehr zu hören. Ein normaler Mensch hätte spätestens jetzt begriffen, dass da etwas anders lief als geplant. Aber da Günther einer von den Jazzern war, die nicht zu spielen aufhören konnten, weil sie ihre Soli noch nicht bis zum Orgasmus getrieben hatten, spielte er selbstvergessen weiter, als sei nichts geschehen: Dudeldudel-jazzjazz. Inzwischen war der andere Solist schon wieder mit seinem Solo fertig, aber hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, konnte man ganz leise noch ein Dudeldudel-jazzjazz hören...


Henry hatte wieder einmal eine Randale mittleren Ausmaßes veranstaltet, weil er dem kubanischen Angebot alkoholischer Getränke nicht widerstehen konnte. Er schlief in unserem Massenschlafsaal über mir, als er mitten in der Nacht aufstand und irgendetwas in seine Teile zu zerlegen begann. Es müssen Möbelstücke oder sonst etwas gewesen sein; in der Dunkelheit konnte ich nur die Geräusche wahrnehmen. Nach und nach machten sich andere Mitbewohner bemerkbar und riefen um Ruhe, doch Henry ließ sich nicht stören. Erst mit den vereinten Kräften von Mitgliedern der Sportlerdelegation konnte Henry beim Zerlegen gebremst werde. Am nächstem Morgen wusste er wie gehabt von nichts.
 

Wir bekamen offiziell ein Taschengeld, damit wir uns auch ab und zu was kaufen konnten. Dafür gab es in unserem Objekt eine Art Mini-Intershop. Bezahlt wurde zwar mit Pesos, aber für uns gab es nur den konvertierbaren. Es existiert in Kuba noch immer eine zweite Währung, die so genannten "Peso convertible", die für den Erwerb von staatlich nicht subventionierten Luxusgütern sowie für den Gebrauch durch Touristen gedacht sind. Mit diesen Pesos bezahlten wir auch unsere Getränke im Yachthafen. Zach kaufte sich zwei Congas und ich zwei Flaschen Rum "12 Years Old". Weitere zwölf Jahre hielt er bei mir zu Hause nicht, denn bei diesem Getränk konnte man einfach nicht nein sagen. Die anderen Pesos für die Normalos waren quasi Spielgeld, für das man sich kaum etwas kaufen konnte. Es gab sehr viele Sachen auf Zuteilung und erinnerte an die Marken, für die man bis Ende der 50er Jahre auch in der DDR einkaufen musste. Aber damit waren wir damals nicht allein, denn die Briten mussten selbst in der 60ern damit vorlieb nehmen.


Am 8. August hieß es für uns Sachen packen, dem Personal noch einen Bakschisch dalassen und den Flieger nach Hause nehmen. Der Rückflug war weniger spektakulär, keiner türmte über den Transitraum, ich fotografierte in Gander nichts, weil mein Film schon längst voll war und mich kein FDJler stämmigen Ausmaßes daran hinderte, einen Blick auf das Flughafengebäude zu werfen. Das war eigentlich schade, denn da hätte ich jetzt eine weitere Anekdote hinzufügen können. Kurz vor Berlin traten bei orkanartigem Stürmen starke Turbulenzen auf, sodass wir Angst hatten, von der Kubareise doch nicht mehr zurückzukehren. Wir hatte aber Glück und der Flieger konnte in Schönfeld landen. Die Maschine nach uns mit Egon Krenz an Bord musste nach Warschau ausweichen. Von dort wurde er mit einer Staatskarosse nach Berlin gefahren - so etwas machte man halt in der DDR mit jungen Leuten ab vierzig.


Rückkehr in die Wirklichkeit
Nach und nach holte mich der Alltag wieder ein, ich gewöhnte mich an die 2-Takter-Trabiluft, an fehlende Südfrüchte und an dilettantisch tanzendes Jungvolk, das eher den Marsch in den Beinen hatte als lateinamerikanische Rhythmen im Blut. Am 10. November hatten wir mal ein Mini-Gastspiel in Polen, das mit einem Konzert in Rszeszow endete. Als ich den Namen das erste Mal aussprach, wie es geschrieben stand, fehlte mir anschließend ein Stück Zunge. Die Wunde heilte erst, als man mich auf Polnisch aufklärte: Rscheschow - so sprach ich es zumindest nach. Jetzt weiß ich auch, weshalb die Polen eine große Liebe zu den Franzosen pflegen, denn man spricht anders, als man schreibt. Bestimmt ist es nur eine Frage der Gewohnheit, aber es lag uns fern, slawische Sprachen zur Gewohnheit zu machen. Am letzten Tag gab es die Möglichkeit, in einem Hotel zu übernachten, weil die Rückfahrt von über 300 Kilometern einen gewissen Stress verursacht hätte. Till wollte sein Radeberger jedoch zu Hause trinken und auch Scheffi und Endrik hatten nichts gegen eine sofortige Rückreise. Wir klärten noch, wann die nächste Mugge sein sollte, und schon sah man von ihnen nur noch die Rücklichter. Zach fühlte sich am Morgen des 15. November nicht wohl, deshalb fuhr ich seinen 353er Wartburg. In Kalisz war ein Zwischenhalt geplant, denn ich hatte mir schon zu Hause einen Merkzettel gemacht, wo die Dinge draufstanden, die ich mir in Polen kaufen wollte, weil es sie in der DDR nicht gab.
 

Ich kaufte mir vor allem in Kalisz grünen Samt für Vorhänge, denn auch den gab es in der DDR nicht. Auslandsreisen waren ja immer gleichzeitig Einkaufsreisen, um eine Mangelwirtschaft besser überstehen zu können. In Ungarn z.B. besorgte ich mir die Partitur von Stravinskys "Le Sacre du Printemps" für umgerechnet 80,- Mark - das war sie mir wert.
 

Henry und Zach sahen sich nach anderen Dingen um, bis wir beschlossen, die Fahrt fortzusetzen. Gerhard versank neben mir in einen Schlaf, Henry saß hinter mir. Die Strecke, die ich vor mir hatte, war klar: Kalisz, Jarocin, Frankfurt/Oder, Berlin. Da blieb mir viel Zeit, meinen Gedanken nachzugehen. Wir hatten viel vor in den nächsten Tagen und Wochen und waren voller Elan, die nächsten Herausforderungen in Angriff zu nehmen. Gerhart hatte mal eine Andeutung gemacht, die Chancen stünden nicht schlecht, eine Westtournee zu machen, er müsse nur an den entsprechenden Stellen noch gewaltig rühren. Ja, in den Westen fahren, das wär's! Und dann die zweite LP und dann die Lebensabschnittspartnerin, klug, schön und all das mitbringend, das ich bei den anderen vermisst habe, ohne es mir einzugestehen. Also auf nach Berlin, das Beste aus dem Leben machen...
 
 
 



Interview-Auszug:
Auszug aus dem Deutsche Mugge-Interview aus Januar 2011
mit den Fragen zum Unfall in Polen, bei dem
Gerhard Zachar und Henry Pacholski ums Leben
kamen, und Michael Heubach schwer verletzte wurde...
 


Am 15. November 1978 kam es zu einem folgenschweren Unfall. Was genau ist da passiert?
Wir hatten eine Polen-Tournee, und am letzten Tag gab's die Möglichkeit, entweder nach Hause zu fahren oder noch eine Nacht im Hotel zu bleiben. Wir haben dann beschlossen, doch nach Hause zu fahren. Auf der Rückfahrt haben wir noch einen Halt gemacht um in Polen Sachen einzukaufen. Anschließend fuhren wir weiter. Ich selbst saß am Steuer, wie mir hinterher erzählt worden ist. Es hätte auf dem Weg ein Linkskurve gegeben, in die ich mit überhöhter Geschwindigkeit rein gefahren wäre. In der Kurve hätte ich gegengelenkt und wäre dann unter einen entgegenkommenden LKW geraten. Der war so groß, dass der Wartburg dazwischen passte. Ich selbst lag nach dem Unfall 10 Tage im Koma. Gerhard und Henry kamen beim Unfall ums Leben. Ich hab mich dann irgendwie nicht richtig aufrappeln können, aber irgendwie hab ich versucht, mich wieder an mein Dasein zu gewöhnen. Da ich auf der rechten Seite gelähmt war, hat es auch 'ne ganze Weile gedauert, bis ich durch eisernes Training - ich wurde physiotherapeutisch behandelt - einigermaßen wieder meine Bewegungen machen konnte. Und nach ca. 2 bis 3 Monaten – glaube ich - kam ich aus dem Krankenhaus raus. Ich war zuerst in der Neurologie Leipzig und wurde dann nach Berlin verlegt. Dort wurde ich untersucht und man stellte fest, dass ich auch noch Hepatitis hatte. Infolge dessen durfte ich noch 2 Monate länger im Krankenhaus bleiben, um meine Hepatitis auszukurieren. Ja, und im Hinterkopf hatte ich immer den Gedanken, "Du musst weitermachen und spielen!" Ich bin nach meinem Krankenhausaufenthalt zuerst von einem guten Bekannten aufgenommen worden, bei dem ich vorübergehend wohnen durfte. So hatte ich erstmal ein Zuhause, machte meine Fingerübungen und versuchte, langsam wieder meine Motorik aufzupeppeln. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, "Du musst wieder auf die Bühne!" In dieser Zeit habe ich versucht, kompositorisch etwas zu machen und für andere zu schreiben. Diese Aufgabe half mir etwas darüber hinweg, nicht selbst aktiv auf der Bühne zu spielen.


Du sagtest gerade, "...wie man mir erzählt hat". Erinnerst Du Dich gar nicht, wie der Unfall passiert ist?
Von dem Unfall hab ich nichts mitbekommen. Die letzte Erinnerung, die ich an diesen Tag und das Geschehen noch habe ist, sind die Ereignisse ca. 60 Kilometer vor dem Unfallort. Und wie gesagt, wachte ich erst nach 10 Tagen aus dem Koma in einem polnischen Krankenhaus wieder auf. Dort konnte ich beim Blick aus dem Fenster erkennen, dass Schnee auf den Bäumen war und das erste, an das ich mich erinnere war, dass eine in weiß gekleidete Krankenschwester ins Zimmer kam. Dann bekam ich nach zwei oder drei Tagen Besuch, und zwar von meiner Mutter. Es war sehr schwer, denn ich konnte nicht richtig reden, weil ich eben diese Verletzungen und die Lähmung hatte. Und der Besuch war sicherlich auch nicht gerade das Leichteste für sie. Man stellte mir dann meinen eigenen SONY-Radiorecorder, den ich mir mal gekauft hatte, neben mein Bett, und ich hab' mit dem anderen Arm, den ich noch bewegen konnte, das Radio bedienen und über Kurzwelle irgendwelche DDR-Radiosendungen hören können. Auf einem DDR-Radiosender wurde von einem Unfall der Gruppe LIFT berichtet. Und da wurde mir erst mal klar, was passiert sein musste. Das hatte mir vorher nämlich keiner mitgeteilt. Über das Radio erfuhr ich davon zum ersten Mal. Da war ich natürlich sehr geschockt. Als ich dann in Leipzig in der Neurologie lag, besuchte mich der Saxophonist von LIFT, und das nicht nur, um mir gute Genesung zu wünschen. Er wollte bei dem Besuch auch klären, ob meine Anlage in das Eigentum der weiter bestehenden Gruppe LIFT übergehen könnte. Und bei dieser Gelegenheit hat er mir auch nebenbei mitgeteilt, dass ich der Fahrer des Unfallautos gewesen bin. Danach war ich natürlich total am Boden. Aber wie gesagt: es musste weitergehen...


Wie bist Du dann aus dem körperlichen und vor allem seelischen Loch wieder heraus gekommen?
Im Wesentlichen hab ich mich selbst hochgezogen und bin wieder aufgestanden, weil man mit der Zeit auch körperliche Fortschritte in der Reha gesehen hat. Wenn du deinen Arm hoch nehmen willst und an einer bestimmten Stelle tut's dann weh, und der Therapeut dir sagt, "Ja, hier beginnen wir mit der Arbeit", dann weißt du, was auf dich zukommt. Und wenn du weißt, du bekommst den Arm nach einer Woche schon 10 Zentimeter höher als am Anfang, merkst du, dass es weitergeht. Also Leute, die mal einen Unfall hatten oder aus einem anderen Grund in Physiotherapie waren, können das bestimmt bestätigen. Sowas baut auf! Außerdem spielte es eine große Rolle, dass es immer noch Leute gab, die mich nicht vergessen hatten.
 
 





Mein zweites Leben


Festmusik mit Risiko
1979 war für die DDR ein Jubiläumsjahr - 30 Jahre hatte sie nun allen Widerständen zum Trotz durchgehalten. Leider. Da war wieder einmal Gelegenheit, sich selbst zu beweihräuchern. Zum Tag der Republik, am 7. Oktober, wurde im Haus des Lehrers am Alex eine Fete in allen Räumen veranstaltet. Auf der Hauptbühne im akustisch undenkbarsten Kuppelsaal, bei dem ja nur ausgesuchte Interpreten mit Spitzenleistungen auftraten, spielte auch eine Bigband - das Orchester Günter Gollasch. Es war das Orchester des Deutschen Demokratischen Rundfunks und wurde dort als Hausband für alles eingesetzt. Damals konnte man sich so etwas noch leisten. Ich bekam den Auftrag, ein Medley unter dem Motto "30 Jahre DDR-Tanzmusik" zu schreiben (man beachte den Titel!) Nun sind 30 Jahre ein weites Feld und ich hatte also die Qual der Wahl. Aber es war die Gelegenheit, einen kleinen pseudorevolutionären Seitenhieb auf die DDR-Kulturpolitik auszuteilen. Es gab ja mittlerweile einige Bands und Songs, die nicht mehr gespielt werden durften und damit quasi als verboten galten. Kein Redakteur wagte es, diese Titel wieder im Rundfunk zu senden. Ich begann mit dem Hit von Bärbel Wachholz, "Damals" (nur für Historiker interessant), und arbeitete mich dann bis zu den 70ern hin. Renft war verboten, weil der kleine David den SED-Goliath nicht schlagen konnte und einige Mitglieder schon das Land verlassen hatten. Damit war für mich klar, hier musste ein Renft-Lied wieder auf die Bretter gebracht werden, die die DDR-Welt bedeuteten. Im Falle, ein Stasi-Beauftragter der Abteilung Kultur hört und erkennt, dass hier eine Bigband es wagt, "Wer die Rose ehrt" zu spielen, würde ich immerhin in einem feuchten Stasikeller unter Daumenschrauben und Elektroschocks aussagen können, dass das Intro und der Zwischenteil von mir seien. Da würde mir Bautzen erspart bleiben. Damals wusste man ja nie, wie irgendetwas ausgelegt wird. Die Nummer zwei in meinem konterrevolutionären musikalischen Gepäck war natürlich der "Farbfilm". Nina hatte ja inzwischen auch die DDR verlassen und war von allen DDR-Sendern gestrichen worden. Es gab bestimmt auch Genossen die wünschten, in den Hirnen einiger Millionen ihrer Landsleute diesen Titel auszulöschen. Aber so ist das eben mit dem Volk: Auch die Genossen müssen mit dem Volk leben, das es gerade gibt, eine Version "Volk zum Selbstbauen" gibt es - außer auf einer Spielwarenmesse - derzeit noch nicht. An dieser Stelle muss ich gestehen: Ich habe den "Farbfilm" doch etwas entfremdet, die Teile in der Dur-Tonart habe ich in Moll arrangiert, die in Moll wurden in Dur umgewandelt. Ich und mein eingezogener Schwanz hofften, dass das keinem auffällt. Und es fiel keinem auf! Zum Ersten war der Raum ja vollkommen akustisch überbelastet, man hörte eigentlich nur Klangbrei, zum Zweiten waren kaum Leute im Saal und zum Dritten interessierte es die einen Dreck, was auf der Bühne passierte, aßen sie doch ihren Kartoffelsalat mit Majo. Ein, zwei mir bekannte Musiker hörten sich das Ganze an, weil ich ihnen zuvor von dem Projekte erzählt hatte. Als ich hinterher meine musikalischen Fangfragen stellte, ob ihnen denn an irgendwelchen Titel etwas aufgefallen sei, mussten sie das verneinen. Ihre Augen wurden sehr groß, als ich von meinen konterrevolutionären Machenschaften berichtete. Ich nahm mir vor, beim Fest "50 Jahre DDR" selbst "Wer die Rose ehrt" und den "Farbfilm" zu singen, und anschließend eine Gedenkminute für Renft und Nina einzulegen. Spätestens dann sollte das Volk aufwachen, denn bei meinen Gesang wird Schlafen zu einer Herausforderung! Aber wie wir alle wissen, bin ich noch mal drum rumgekommen.


Ich habe von dieser Aufführung ein so genanntes Tondokument in meinem Archiv, aufgenommen mit den eingebauten Stereo-Mikros meines Sony-Kassettenrekorders. Nach einigen Jahrzehnten hört sich das sehr lustig an. Ich wurde trotzdem für diese Mugge fürstlich entlohnt, denn für Jahrestage war immer ein großer Topf vorhanden, in den man reingreifen konnte. Das Ergebnis? 3000,- Mark!


Lehr- und Wanderjahre: Ute Freudenberg & Elefant
Im November 1979 bekam ich das Angebot, wieder in die Musik-Szene einzusteigen. Der Texter der Puhdys, Burkhard Lasch, hatte in Weimar eine Band aufgebaut, für die er als Texter und Manager fungierte. Geld war bei ihm nie ein Problem, hatten ihm doch einige Puhdytexte zum reichen Mann gemacht. Damit konnte er sich außer einer guten PA für die Bühne auch noch Veranstalter für Muggen kaufen, und zu den Medien in Berlin reichte sein Einfluss auch noch. Er erkannte aber, dass das nicht alles war, denn er brauchte noch ein Produkt, das er verkaufen konnte. Für dieses Produkt wiederum sollten Musiker in die Band kommen, die einen Namen hatten und auch gleichzeitig ihr Instrument beherrschten - er dachte also 1979 in der sozialistischen DDR schon wie ein bundesdeutscher Manager, er war der Kapitalist im Sozialismus. Die prominente Magdeburger Band Reform wurde gemolken und der Drummer Peter Piele und der Gitarrist Werner Kunze wechselten in das Lager der Band mit neuer Besetzung "Ute Freudenberg und Gruppe Elefant" über. Dieses war der erste Streich.
 

Nun brauchte er noch ein Schreiberling und Tastenmenschen, und so kam er deshalb zu mir. Lasch schilderte mir sein Projekt in den höchsten Tönen: DDR-Tourneen, Auslandsgastspiele, Rundfunkproduktionen, Schallplattenproduktionen, TV und nach dem Auftritt immer ein festliches Abendbrot. Das klang gut, verdammt gut sogar. Ich war hungrig nach Musik, hungrig nach dem Live-Spielen, hungrig, wieder unter Leute zu kommen, andere Städte zu sehen und vor allem hungrig auf einen Neuanfang als Musiker. Das alles schien mir hier gegeben.


Lasch lud uns drei Neulinge in sein Haus nach Weimar ein. Er war die Inkarnation der Freundlichkeit, war Kumpel, ein guter Gastgeber, hatte den Thüringer Humor und den Weimarer Dialekt. Alles in allem kamen wir bei dem Vorgespräch wunderbar miteinander aus. Er führte uns stolz seine SONY-Anlage vor, die ein Import aus Japan war und im Westen komplett 4000,- DM kostete, wofür man in der DDR aber 16.000,- Mark hinlegen musste. Ich kaufte mir ein Jahr später selbst das Tape-Deck von einem Kumpel, natürlich gebraucht und natürlich für 4000,- Mark. 1990 verschleuderte ich es für 400,- DM. Den Plattenspieler aus dieser Kollektion holte ich mir in einem Rundfunkladen - in Berlin war das möglich. Aber immerhin, man wollte 3.000,- Mark dafür haben. Warum die DDR ein für sie günstiges Geschäft mit den Japanern gemacht hatte, wurde mir erst nach und nach klar. Später legte ich mir auch noch die Lautsprecherboxen zu. Sie waren mit sehr empfindlichen Hochtonlautsprechern bestückt, die bei einem größeren unerwarteten Impuls ihren Geist aufgaben. Dann musste man sich einen Spezialisten suchen, der für 100,- Mark eine neue Spule wickelte, mit der Hand, denn im Osten musste man sich zu helfen wissen. Der Plattenspieler war aber ein hervorragendes Gerät, er hielt durch, bis ich ihn 1990 meiner geschiedenen Frau Ulrike mit auf den Weg gab und meine beiden Söhne ihm durch falsche Bedienung oder Scratching oder was weiß ich den Garaus machten. Kinderhände beschmierten vor einhundert Jahren noch Tisch und Wände, jetzt zerlegen sie Elektronik!


Ich kannte meine zukünftigen Kollegen nur vom Hörensagen, ihr Image war gut, wir hatten musikalisch auch ähnliche Vorstellungen, kamen wir doch vom Progressiv-Rock... irgendwie jedenfalls. Da fielen schon mal Namen wie Pink Floyd, King Crimson oder Genesis. Unsere Augen funkelten bei Erinnerungen an nachgespielte Songs und Werke, wir machten schon Pläne, was wir von dieser Strecke noch übernehmen könnten. Da hatten wir aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, und der Wirt hieß Burkhard Lasch, den ich der Kürze wegen in B.L. umtaufte, und der in einigen Kreisen diesen Spitznamen noch heute trägt.
 

B.L. ist ein Siegertyp, eine Art Gerhard Schröder der Popmusik, der zwar nicht in Bonn am Kanzleramt rüttelte und Einlass forderte, aber er rüttelte beim Zentralrat der FDJ, er rüttelte im Kulturministerium, bei der Künstleragentur und bei allem, was mit Partei und FDJ zu tun hatte, er war ja schließlich Genosse. Die beginnenden 80er Jahre wollten auf dem Tanzsaal keine großartigen Werke mehr zelebriert wissen, die Diskotheken ersetzen die Bands, die keinen Namen hatten, und die mit Namen spielten bei den so genannten Tanzveranstaltungen abwechselnd mit der Disko. So geschah es mit Elefant, und das wusste Lasch. Er wusste auch, dass ein Repertoire her musste, was den Leuten unten tanzbare Musik bescherte. Gleichzeitig musste er sich aber seine Neueinkäufe bei Laune halten, wusste er doch um deren Geschichte. Also wurde erst einmal ja gesagt und gleichzeitig in der Band andere Verbündete gesucht. Da war vor allen Dingen die begabte Sängerin Ute Freudenberg. Sie gehörte zur Generation Popmusik, stand auch auf Progressiv-Rock, wollte aber draußen Lieder singen, die mit Rock im herkömmlichen Sinn nicht viel zu tun hatten - Popmusik eben. Hier war kein Platz für Schmutz und für ein schmutziges weibliches Wesen schon gar nicht. Da musste ein Kompromiss her.


Ehe wir einstiegen, hatten sie nämlich einen Hit, der "Jugendliebe" hieß und in den Hitlisten vordere Plätze einnahm, weil er für Alt und Jung zugleich war - ein Schlager eben. Es war aber kein "Farbfilm", dafür war er zu unoriginell, aber er hatte einen Refrain, den man getrost in der Badewanne mit Schaum im Ohr vor sich hinträllern konnte. Dieser Schlager war B.L.s Türöffner, mit ihm machten wir TV, fuhren zu Festivals, aber eben nicht nur damit. Da Ute Freudenberg auch richtig singen konnte, fielen mir für sie einige Songs ein, die sogar auf Platte gepresst wurden. Da konnte sie zeigen, dass sie nicht umsonst dieses Fach studiert hatte.


Bei Elefant waren zwei Gitarristen besetzt, denn neben dem Neueinkauf Werner Kunze war noch der alte Gitarrist Bernd Henning geblieben, der den Spitznamen "Geist" trug. Die Historiker streiten sich nicht mehr um die Herkunft des Namens, "Geist" blieb ein Staubkorn der DDR-Musikgeschichte. Als die Band nach Berlin umzog, weil Kariere nur in Berlin gemacht werden konnte, wenn der Manager Lasch hieß, brauchte Geist eine Bleibe, und Bleiben waren in Berlin verdammt schwer zu bekommen. Da halfen selbst Laschs gute Beziehungen nichts. Er hätte eben doch mal mit einem DM-Schein beim Wohnungsamt vorbeigehen sollen, denn bei harter Währung wurde mancher weich. Ich hatte eine Riesen-Wohnung für mich allein und sah ein, dass hier etwas geschehen musste. Also bekam Geist nebst Frau und Kind die beiden hinteren Zimmer, durften meine Küche mit benutzen, wobei es da ja nicht viel zu benutzen gab. Nun kämpften schon vier Personen um den Platz auf der ein Quadratmeter großen Toilette, die den Namen Klo verdiente. Wir lebten und teilten in friedlicher Ko-Existenz und störten uns kaum.
 

Der Drummer Peter Piele zog auch bei mir ein, aber nicht in meine Wohnung, sondern in meine Bodenkammer, und das auf seinen persönlichen Wunsch. Zu dieser Zeit gab es noch Bodenkammern und Wäscheboden, weil man es mit den Brandschutzbestimmungen nicht so genau nahm. Später war der Boden gesperrt. Er stellte eine Klappliege auf, Schrank, Stuhl und Tisch kamen vom Sperrmüll, und die Wände wurden gestrichen - das genügte ihm, war es doch nur als Überbrückungsquartier gedacht, wenn er mal nicht nach Magdeburg zurückfahren konnte.


Der Dezember wurde zum Proben genutzt und auch im Januar war noch nicht alles geschafft. Am 26. Januar 1980 aber hatte das neue Projekt Premiere in Gera. Bald folgte auch schon einer der berüchtigten Lektoratstermine im Rundfunk und es passierte, was bei Lasch eigentlich nicht passieren sollte: Ein Text wurde wieder einmal abgelehnt. Es hört sich an wie eine Episode aus dem Kindergarten, denn es ging wieder mal nur um ein Wort. Die Textzeile war:
 

"Einmal ganz oben, einmal ganz unten, so ist das Leben..."
 

"Das Leben" war eine Aussage ohne den richtigen Klassenstandpunkt, fand man, denn im Sozialismus gibt es 1. kein "Oben" und "Unten" und 2. ...überhaupt! So wurde "ist das Leben" in "war sein Leben" geändert. Denn das Individuum durfte im Sozialismus mal einen Fehler machen, aber dafür gab es ja die Partei, die dem Außenseiter wieder auf den rechten Weg führte, die führende Rolle der Arbeiterklasse sozusagen. B.L. hatte eigentlich Lektoratserfahrungen, aber auch ihm konnte so etwas widerfahren.
 

Wir hatten reichlich Auftritte, spielten im Monat zwischen fünfzehn und zwanzig Mal, reisten vom tiefen Süden in den hohen Norden des kleinen Landes und nahmen alles mit was es so an mehr oder weniger prominenten Kulturhäusern gab. Ich gewöhnte mich wieder an nasskalte Säle, die beim Soundcheck nach abgestandenem Bier und nichtgeleerten Aschenbechern stanken, an Interhotels mit gutem Service und an Absteigen mit Massenklo auf dem Flur.
 

Ich spielte weiterhin Fender-Piano und Moog-Synthesizer, hatte sogar ein Mikrofon stehen, um bei einem A-Capello-Lied den Basspart zu übernehmen. Es war irgendein Stück aus der irischen Folkmusik und Werner Kunze hatte sich die Mühe gemacht, daraus einen guten Chorsatz zu basteln. Das waren noch Phasen einer gewissen musikalischen Experimentierfreudigkeit, auch wenn es nur Coverversionen betraf. Die Band sollte ja immer mehr Richtung Kommerz streben, der Zeitgeist war ein anderer geworden, die Leute unten im Saal wollten Spaß haben und sich keine ellenlangen Gitarrensoli anhören. Dieser Trend begann in der DDR verspätet Anfang der 80er, weiter westlich setzte er schon früher ein. So versuchten wir einen Mittelweg zu finden, "wir" sind in diesem Fall die alte Garde; Geist, der Basser Bodo Huth sowie Ute gehörten ja schon der Next Generation an. Geists Bruder Rolf "machte den Ton", d.h. er stand am Mixer und regelte die Instrumente und den Gesang. Boxentragen oder andere fußvolkmäßigen Handlungen waren ihm zuwider. Dafür waren ja zwei weitere Menschen angestellt, die "Hucker". Rolf war ein cleveres Bürschchen und die rechte Hand von B.L. für all die Sachen, die mit Management zusammenhingen. B.L. war nämlich nur bei ausgesuchten Muggen anwesend, wenn es um Promotion ging oder wenn er im Rampenlicht stehen konnte. Sonst organisierte Rolf alles, was mit der Veranstaltung am Ort zusammenhing, und da war er sehr selbstständig. Er hat bei B.L. viel gelernt, was er nach der Wende bei einer eigenen Equipment-Firma anwenden konnte. Nur wenn er sich in musikalische Fragen einzumischen versuchte, war manchmal ein kritischer Punkt erreicht. Was er unten im Saal zusammenmixte, konnten wir von oben nur schwer verfolgen. Rolf war ein Gitarrenliebhaber, was durch seinen Bruder auch noch mehr zum Tragen kam. Die Klampfe war immer gut zu hören, wenn der Sound von den Wänden zurückgeworfen wurde. Von meinen Keyboards konnte ich das nur schwer sagen. Auf der Bühne war alles top, ich hatte ja meinen eigenen Verstärker und eine Monitorbox, aus der die nur von mir gewünschten Instrumente klangen. Das hatte aber mit dem nichts zu tun, was im Saal zu hören war. Außerdem war Rolf geradezu fanatisch nach Höhen - wo es ging, wurden die oberen Frequenzen angehoben, und er verfolgte damit einen kurzweiligen Trend, der besagte, "Alles was Höhen hat, ist gut". Ich habe mal heimlich ein Konzert mitgeschnitten und bin beim Anhören erstarrt. Da blieb nur die Hoffnung, dass das eine Ausnahme gewesen ist.


Im Sommer fand alljährlich ein Pop-Festival im polnischen Sopot statt. Ich freute mich schon, endlich wieder mal in einem anderen Land spielen zu können, als ich die Mitteilung erhielt, ich dürfe nicht mitfahren. Polen war eigentlich zu dieser Zeit visafrei, aber bei einer Dienstreise brauchte man einen gültigen Pass mit eingetragenem Visum. Der wurde mir verweigert. Mein Anwalt wendete sich an eine dafür zuständige Stelle und bat um Stellungnahme. Er erhielt aber keine Auskunft, worin die Gründe einer Verweigerung lagen. Ich wurde selbst aktiv und rannte von Hinz zu Kunz, aber auch mir blieben die Türen der Erkenntnis verschlossen, hinter denen meine Ablehnung ausgebrütet worden war (Hier fehlte also der Privatdetektiv aus dem Film!) Ich erfuhr nur, dass es ein ungeschriebenes Gesetz gäbe, nach dem man verurteilt werden muss, wenn man in einem "Bruderland" eine Straftat begangen hatte. Drum also mein angekündigter Platz in Rüdersdorf. Und dass ich nun nicht nach Sopot fahren durfte, hing wahrscheinlich auch mit meinem polnischen "Tatort" zusammen. Ich habe die wahren Gründe bis heute nicht erfahren. Trotzdem, einen Titel und ein Arrangement durften sie mir für Sopot nicht verweigern! Es wurde kein Preis gewonnen. Klar, denn ich war ja nicht dabei und damit redete ich mir die Sache schön, grinsend natürlich.


Es war November, als ich mit B.L. von einem Konzert in seinen Auto nach Berlin fuhr. Wir kamen ins Quatschen und ich merkte, dass da irgendetwas Unausgesprochenes zwischen uns war. Dann rückte er langsam mit der Sprache raus: Elefant hatte ein Angebot, im Westen zu spielen, bei so einem DKP-Fest oder einer anderen roten Mugge, aber eben im Westen. Da ich schon nicht nach Polen fahren durfte, war mir eine Westreise erst recht gänzlich verwehrt. Nun hatte B.L. die Musiker seiner Band zusammengetrommelt, den Fall geschildert und abstimmen lassen, wer "für Heubach ohne Westen" oder "ohne Heubach mit Westen" war. Das Ergebnis war klar, sie entschieden sich für den Westen. Ich war nicht böse wegen ihrer Entscheidung, denn ich wusste nicht, ob ich an ihrer Stelle nicht auch so gehandelt hätte. Wir waren in der Band zwar Kumpels, aber zu einer Liebesbeziehung ist es nie gekommen. Da wurden gemeinsame Erlebnisse auch zweitrangig. Zum Beispiel besorgten wir uns aus Polen das Spiel Master Mind, um die langen Tanzabende von fünf Stunden zu überstehen und mit dem dann die Pausen überbrückt wurden. Ich spielte vor allem mit Werner Kunze, denn der hatte etwas Logisches in seiner Denkweise. Trotzdem, diese Entscheidung der Band bedeutete für mich, dass am Ende des Jahres Schluss mit Elefant sein würde. B.L. lobte mich wegen der "Größe", die ich gezeigt hätte und wie toll ich das wegstecken könne.
 

An dieser Stelle möchte ich bemerken: die Zeit bei Elefant hat mir sehr geholfen, zu mir zurückzufinden. Ich bin wieder zum aktiven Musiker geworden, konnte Songs schreiben und fünf von ihnen auf der ersten Elefant-LP unterbringen. Was wollte ich mehr? Das nächste Kapitel in meinem Dasein konnte beginnen!


Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon
Es war 1981 - ich hatte das Band-Leben hinter mir gelassen - begann gleich mit neuer Arbeit: Ich hatte von der Generaldirektion Mentor-Verträge für zwei junge Nachwuchskünstler an Land gezogen. Das staatliche nichtkapitalistische Management Komitee für Unterhaltungskunst hatte in den Bezirken seine Fühler ausgestreckt und war fündig geworden. Ich schrieb also einige Songs für meine Schützlinge und es kam sogar zu Rundfunkproduktionen. Die Sängerin Gerda G. war eine Musikantin und hatte Talent. Später wurde sie Schlagersängerin in einem Tanzorchester, heiratete und wurde körperlich ziemlich üppig. Der Sänger Jürgen M. aus einer Rockband wollte auch eine Sololaufbahn, hatte ein gutes Timbre, war aber ansonsten auch austauschbar wie so viele. Die Dritte im Bunde, für die ich Mentor wurde, war Elke Gierth, 25 Jahre jung. Elke hatte die Dresdner Musikhochschule im Fach Gesang mit Auszeichnung abgeschlossen (ich habe das Zeugnis nie gesehen, muss also glauben, was sie gesagt hat). Bei ihrem Studium wurden auch Nebenfächer mit berücksichtigt, wie Bewegungserziehung, Sprecherziehung und natürlich auch GeWi, das Kurzwort für Gesellschaftswissenschaft. In Berlin bekam das Komitee für Unterhaltungskunst nach irgendeinem Auftritt große Ohren, lud sie ein, nahm sie unter Vertrag und kümmerte sich fortan um Autoren für Songs und eine weitere Ausbildung und was weiß ich nicht noch alles. Da hatten sie nämlich einen dicken Fisch an Land gezogen, denn die DDR-Szene war ausgeblutet und es gab auf dem Pop-Sektor keinen nennenswerten Nachwuchs. Elke Gierth hatte den Kollegen in Berlin klargemacht, dass sie eigene Vorstellungen von einer Bühnenshow hatte. Nun brauchte sie nur noch die entsprechenden Leute, um sie in die Tat umsetzen zu können.
 

Wahrscheinlich war sie sich damals noch nicht bewusst, dass man außer Autoren und Musikern auch die Entsprechende Hardware benötigte und alles, was damit zusammenhing. Ich wurde von der GD als Komponist angesetzt und nahm Kontakt auf. Sie wohnte in Dresden und schickte mir ein Telegramm in einem ganz lustigen Stil, der verriet, dass sie keine dümmliche Schlager- oder Poptussie war. Sie lud mich zu einer Probe nach Dresden ein, denn sie verkündigte mir stolz, eine "eigene" Band zu haben. Ich nahm also den Zug und fand ein attraktives Mädchen vor: Lange, echt blonde Haare, die ihr bis zu Hüfte reichten, wenn sie keinen Pferdeschwanz trug, eine stattliche Oberweite, die sofort den Blick auf sich zog, mir aber nicht so wichtig war; ein relativ sauberes Hochdeutsch und einen richtigen Händedruck. Wir begaben uns mit der Straßenbahn an den Rand Dresdens, wo die Häuser kleiner und die Gärten mehr wurden. In einem barackenähnlichen Etwas, wo sich heute die Clochards verkriechen würden, war ein ungeheizter Raum von vielleicht sechzehn Quadratmeter, die Wände mit Müll vollgestellt, ein paar Stühle und ein kleiner Ofen, sonst nichts. Der Begriff Gartenlaube wäre angebracht gewesen. Von der Decke baumelte eine Glühbirne ohne Schirm und warf ein trübes Licht auf die Band, die gerade dabei war, den Ofen anzuheizen. Es herrschte ein wenig Pfadfinderstimmung und es fehlte nur noch das Lagerfeuer. In der Enge fanden sogar Keyboard, Schlagzeug und Verstärker Platz.


Das Neue an dieser Band war die Besetzung, denn am Piano war ein Mädchen, das auch noch den Namen Christine Reumschüssel trug. Reumschüssel! Sie schämte sich furchtbar dafür und flüsterte ihn nur, wenn sie mal dazu aufgefordert wurde, ihn zu nennen. Zwanzig Jahre später wäre sie stolz darauf gewesen, gab es doch Leutheusser-Schnarrenberger und ähnliche Namensgebilde. Ich habe sie nach der Wende noch einmal zu Gesicht bekommen, aber zu einer Neubewertung ihres Namens gab sie kein Statement ab. Sie war die beste Vom-Blatt-Spielerin, die ich gekannt hatte. Man konnte ihr alles vorlegen, sie hatte keine Mühe, die Noten in Töne umzusetzen. Dafür konnte sie ohne Noten nicht existieren und glich dann einem nackt in Grönland ausgesetzten Wesen. Sogar Soli, die sonst improvisiert werden, musste ich ihr aufschreiben, und sie spielte sie wie eine Maschine ab. Einmal drehten wir ihr die Noten in einem unbeobachteten Augenblick um 180 Grad. Sie spielte mit sturem Blick auf das Notenblatt ihr Solo und hätte es eigentlich umgekehrt spielen müssen. Daran erkannte ich die Placebo-Wirkung von Noten!
 

Die Gitarre wurde von einem Amateurmusiker gespielt, der aber wie alle anderen "in Ausbildung" war und auf seinen vorläufigen Berufsausweis hoffte. Offiziell hatte Leo L. einen Job als Hausmeister, es kann aber auch Pförtner gewesen sein oder Mitarbeiter einer Elektronikbude. Er hatte etwas mit Elektronik studiert und konnte mit dem Lötkolben umgehen. In dieser Hinsicht waren die Dresdner ja findig und brachten es sogar zur Professionalität. Dazu die passende Legende:
 

Dresdner Basteleien
Zu LIFT-Zeiten gab es das Trio um die Elektroniker Grunwald, Radehaus und Cardell. Das waren einst begabte Bastler, die die Marktlücke in Bezug auf Verstärker und Mixer in der DDR nutzten, um eben diesen Markt zu bedienen (und da haben wir sie wieder, die Untergrund-Marktwirtschaft). Sie analysierten einige gängige Markenverstärker wie Sound City, Fender oder Marshall, klauten von allen das Beste und bauten eine eigene Version davon. Es war wie mit dem Kopieren von Musik: Das Ziel der Kopie stand fest, wurde nie erreicht, aber dadurch entstand eine Neuschöpfung, die mit dem Original mithalten konnte oder es sogar übertraf. Peter Grunwald und die beiden anderen besorgten sich auf krummen Wegen Bauteile aus dem Westen, gaben Aufträge an andere illegale Subfirmen für Gehäuse und andere Hardware-Teile, entwarfen Leiterplatten, Gehäusedesign inklusive Kunststoffbezug, besorgten Transformatoren, die auch Trafos hießen, Drehknöpfe, Buchsen und jede Menge Kabel und bauten das Ganze zusammen. Grunwald kam zu Hilfe, dass er gerade bei der Messtechnik Dresden beschäftigt war und seine sozialistische Arbeitszeit nutzen konnte, um in einem Hinterzimmer die Vorarbeiten für einen von ihm entwickelten Gesangsverstärker mit 400 Watt Leistung zu erfüllen. Seine Mitstreiter bauten unterdessen die LAY-Verstärker in Serie (der Name LAY ging auch auf ihr Konto). Es gab fast keine Band, die sich mit Rockmusik beschäftigte, die keinen LAY in ihrem Equipment hatte. Auch "Keule" spielte bei LIFT darüber. Das war nicht nur eine Frage der Professionalität, sondern schlicht und einfache die des Geldes. Für einen Verstärker verlangten sie 4000.- Mark, für einen Original-Marshall legte man gut und gern 8.000,- Mark hin. Außerdem gab es Garantie, diese zwar nicht schriftlich, aber dafür garantiert. Ihre Produkte klangen sehr unterschiedlich, es war geradezu Glücksache, einen guten Verstärker zu erwischen. War man nicht zufrieden, fuhr man zu ihnen und tauschte das Objekt um. Sie hatten immer Ersatz am Lager - da bekam der Nächste eben nicht seinen Ausgesuchten, sondern einen anderen.
 

Da die Drei so viel Kohle machten, kam es auch bei ihnen zu dem dafür passenden Lebensstil: Weiber, Feten, Alk, schnellere Autos als Trabant oder Wartburg, auf großem Fuß leben, also wie im Westen, und doch nur der Westen zweiter Klasse. Sie merkten bald, wo ihre Grenzen lagen. Es gelang ihnen nicht, ihr privates Hinterhof-Verstärkerbau-Unternehmen legal als Privatunternehmen in die DDR-Planwirtschaft zu integrieren. Wahrscheinlich wäre der Staat überfordert gewesen, die nötige Valuta für Bauteile zu beschaffen. Damit stand für sie fest, im Westen wäre das nicht passiert und sie beschlossen die sogenannte Republikflucht über Bulgarien. Bis nach Bulgarien kamen sie auch mit dem Flieger, aber dann war Schluss. Wer sie am Weiterfliegen hinderte, ist nicht bekannt, es kann wie so oft eine undichte Stelle gewesen sein, die die Stasi aktiv werden ließ. Die machte nicht viel Aufhebens und überließ ihnen die Entscheidung: Zwei Jahre Knast und dann Entlassung in den Westen, wenn sie Schwein hatten, oder ein kurzer Knastaufenthalt und frohe Tage ohne Bauteile in der DDR. Radehaus und Cardell entschieden sich für den langen Weg. Sie sind jetzt - so die Gerüchteküche - in Westdeutschland Professoren für wer weiß was und entwickelten weiterhin Elektronik, diesmal wieder mit Bauteilen und die vielleicht sogar aus der "ehemaligen DDR". Peter Grunwald wählte den kürzeren Weg. Ein typisches Flüchtlingsschicksal also. Er baute dann weiter, aber sehr legal. Er war ja der Kopf des Unternehmens gewesen und beteiligte sich weniger an den Ausschweifungen seiner Mitstreiter. Er baute auch das erste Quadrophonie-Mischpult, das Stern-Combo Meißen auf ihren Touren mit sich rumschleppte. Selbst zu Zeiten, als LIFT vier Techniker hatte, kamen wir nicht auf die Idee, uns so ein Ding anzuschaffen, der Aufwand wäre immens riesig gewesen. Entweder man ist der Erste und kann den Ruhm ernten, oder man bäckt einfach kleinere Soundbrötchen. Nach der Wende wurde Grunwald ein kreativer gefragter Mann und stattete auch das Rundfunk-Popstudio mit der von ihm konzipierten Elektronik aus. Wie man wieder sehen kann - es war nicht alles schlecht im Osten, auch Elektroniker haben überlebt!


Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon (Fortsetzung)
Aber zurück zu Leo L., dem Gitarristen und Elektroniker: Er hatte mir sogar einen Verstärker gebaut, der auch funktionierte, mit diversen Westbauteilen natürlich. Der Trommler Uli Mader "machte sein Ding", wie man so schön sagt, war aber kein Naturtalent. Er hätte ebenso in einem Kirchenchor mitsingen können, ohne aufzufallen. Später sattelte er um und wurde Pauker in einem klassischen Orchester. Aber hier trommelte er eben und das mit viel Engagement, denn auch er war noch jung und lernte gern. Ich brachte Noten eines Songs von mir mit und wir begannen mit der Probe. Mir fiel gleich auf, dass der Basser eigentlich den Namen Un-Basser verdient hätte. Er war unrhythmisch, machte viele Fehler, war des Notenlesens fast unkundig und hatte einen IQ unter 90. Nun kenne ich auch andere Musiker mit diesem IQ, aber hier kam eben alles zusammen. Er war aber ein lieber Kerl und das machte es so schwer, ihn auszutauschen. Einen anderen Basser gab's im Raum Dresden nicht, der sich so einem unausgegorenen Projekt angeschlossen hätte. Da musste ich wohl oder übel mit ihm arbeiten. Ich leitete also die Band an diesem ersten Tag an, besprach Repertoire, Harmonien und stilistische Details, war für sie ein Lehrer.
 

Nach der ersten Zusammenkunft bei den Laubenpiepern fuhr natürlich kein Zug mehr nach Berlin. So ging ich mit Elke Gierth in ihre Wohnung, die sie zur Teilhauptmiete bewohnte: Sie hatte ein Zimmer in einer Erdgeschosswohnung, mit Loggia und eine kleiner Küche, das Bad der Vermieterin durfte einmal in der Woche benutzt werde und das Klo täglich; gewaschen wurde sich in der Pseudoküche unter einem kalten Wasserhahn. Elke hatte ihr Zuhause sehr wohnlich gestaltet, die teilweise antiquarischen Möbel waren praktisch platziert, an den Wänden hingen selbstgemalte und andere Bilder, der Kleiderschrank musste seinen Platz in der Loggia einnehmen. Am meisten fiel ein Hochbett auf, unter dem ein Klavier stand. Gebaut war es von einem ihrer Freunde, der was von ihr wollte, sie aber nicht von ihm - so sagte sie es wenigsten. Vielleicht versuchte er, wie ein Minnesänger durch den Bettenbau ihr Herz zu gewinnen und das Bett auszuprobieren
 

Elke Gierths Freund kam also aus gutem Hause, hatte künstlerischen Geschmack und den nötigen Grips. Er machte später auch Texte für mich und schrieb etliche für LIFT. Texteschreiben machte er aber nur nebenbei, denn er studierte zu dieser Zeit gerade Filmregie an der Babelsberger Filmhochschule. Später durfte ich neben seinem Debut-Film noch einige andere von ihm vertonen. Er zählte damals zu den DDR-Nachwuchstalenten und wurde nach der Wende u.a. auch Grimmepreisträger. Er war und ist ein Intellektueller aus Dresden, der in Berlin wohnt: Bernd Böhlich! Ich verlor nach der Wende den Kontakt zu ihm und las nur ab und zu mal sporadisch in der Zeitung, welchen Film er gerade gedreht hatte. Durch Zufall begegneten wir uns mal auf der Straße, weil er gerade in meiner Ecke drehte, und da bot er mir an, die Musik für ein neues Projekt zu machen. Das klang ja erst mal fabelhaft und da wusste ich noch nicht, was alles an technischen Erneuerungen auf mich zukommen sollte.


Filmmusik - Aufwand und Nutzen
Früher war es ja einfach mit der heimischen Hardware-Anforderung für das Komponieren von Filmmusik, doch das transportable Videorekorder-Ungetüm, mit dem ich die einzelnen Szenen abspielen konnte und mir auf dem Klavier eine mehr oder weniger lustige Melodie oder ein dramatisches Ungewitter einfallen ließ, war ja nicht mehr zeitgemäß. Als Komponist hatte man mittlerweile seinen eigenen Videorekorder, da wurde die Kassette eingelegt und los ging's: Partitur schreiben, dem Regisseur am Klavier skizzieren, was man musikalisch meint, Stimmen rausschreiben lassen durch einen Notenschreiber und dann die Aufnahme der Musik in Babelsberg mit großem Orchester oder kleinem Ensemble. Später spielte ich die entsprechenden Tracks mit einem Keyboard in einen Computer der Marke ATARI ein, das Musikprogramm passte auf eine 3,5"-Diskette, und das war winzig im Vergleich zu heutigen Musikprogrammen. Gearbeitet wurde mit so genannten MIDI-Daten. Diese steuerten ein Soundmodul an, das dann aus ihnen Musik machte. Je mehr Soundmodule, desto mehr Instrumente konnte man imitieren: Streicher, Bläser, Drums, Klaviere und was es sonst noch alles gab. Mit dem ATARI und der Software NOTATOR arbeitete ich seit 1988. Alle von mir gespielten Daten fanden auch auf einer Diskette Platz - das waren gerade mal 1,4 MB! Damals waren keine Terabyte-Festplatten notwendig. "Und vor zwanzigtausend Jahren lebten die Menschen auch noch in Höhlen und das ging auch!", könnte man jetzt noch hinzufügen.
 

Also, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, musste ich mich technisch verändern und zumindest so tun, als sei ich ein top-cooler Mitstreiter der technischen Revolution. Die Zeit schritt schnell voran, denn ATARI gab's ab den 90ern nur noch im Museum und NOTATOR auf dem Second Hand-Markt (Die Softwarefirma hatte auch erkannt, dass mit ATARI nichts mehr zu holen war und stieg auf den PC um. Ab dieser Zeit hieß das Programm LOGIC. Um das Maß voll zu machen: Mitte des ersten Dezenniums des neuen Jahrtausends verabschiedete sich LOGIC vom PC und lief zum Mac über, aber das nur am Rande...) Also musste auch ich auf den PC umsteigen. Ich investierte ein kleines Vermögen in Hardware, Software plus einen neuen PC und kaufte mir das sündhaft teure Keyboard Kurzweil K2400 mit der entsprechenden Ausstattung. Dieses Instrument kam einem Mercedes gleich. Damit auf alles vorbereitet, begann ich, die Filmmusik für B. Böhlich zu komponieren. Wer jetzt durch die vielen technischen Details noch aufnahmefähig ist, soll getrost weiterlesen:
Ich schickte ein Demo nach München, wo PRO7 saß, die den Film in Auftrag gegeben hatten. Monatelang hörte ich nichts mehr von ihnen. Irgendwann erreichte ich Böhlich am Telefon:
 

"Tut mir Leid, aus dem Auftrag für dich ist nichts geworden, kann auch nichts dafür. Die haben sich irgendwie anders entschieden, haben einen Komponisten aus München gefunden. Was, du hast investiert? Dumm gelaufen, kann ich auch nichts für. Und schönes Wochenende noch!"
 

"Hallo Mafia!", kann ich da nur sagen, und zwar die Münchener. Das war das Ende meiner Karriere als Filmkomponist. Ich gab es auf, in die Festung der Filmkomponisten eindringen zu wollen, dazu war ich ein zu kleines Licht am Filmmusikhimmel und konnte außer Talent auf diesem Gebiet nichts vorweisen.


Rückkehr auf die Bühne
Ich hatte Interesse an Elke Gierth, sehr großes sogar, und deshalb auch Interesse an dem Erfolg ihres Bandprojektes. Ich wusste jedoch, dass mit ihrem Basser nicht mal Trostpreise zu gewinnen waren. Inzwischen hatte ich auch den Manager des Unternehmens kennengelernt, den Elke Gierth in der Dresdner Szene ausfindig gemacht hatte. Es war der Ungar Istvan Farkas. Er sah wir die meisten Südländer zehn Jahre älter aus, war ein Prahlhans und Auf-den-Busch-Klopfer, hatte aber Beziehungen und konnte die Leute bequatschen. Das war wichtig in dieser Branche, er hat auf diese Weise schon manche Mugge an Land gezogen. Elke, Istvan und ich setzten uns an einen Tisch und ich sagte ihnen, ich würde vorübergehend die Rolle des Bassers übernehmen, bis ein passender anderer gefunden ist. So schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich war bei Elke und konnte gleichzeitig meinem Helfersyndrom frönen. Dazu brauchte ich aber wieder Geld, um mir eine Anlage kaufen zu können. Also verkaufte ich mein Haus an einen Popmusiker, der aber nicht den ganzen Kaufpreis aufbringen konnte und mir deshalb Musik-Elektronik als Ausgleich anbot. Neben einem Synthesizer war auch noch ein Sequenzer dabei. Damals waren die Dinger im Popbereich gerade im Kommen und es war die Lite-Ausführung eines großen teuren Bruders der Firma Korg.
 

Auf diesem Sequenzer konnte man per Schalter und Drehknopf eine Tonfolge einstellen, die sich immer wiederholte. Ein Prinzip also, was jedes kleine popelige Musikprogramm mittlerweile kann. Aber damals war das schon eine Ausnahme, zumindest im Osten. Ich schichtete mir aus Synthesizer und Sequenzer einen Turm, hinter den ich mich auf die Bühne stellte und mit modisch kürzer geschnittenen Haaren die Funktion eines Bassgitarristen mit Tasten ausübte.
 

Das Bandleben bedurfte einiger Umgewöhnung, wir mussten kleinere Brötchen backen und manchmal war es auch nur ein vertrockneter Keks. Ich nahm sogar auf mich, wie in alten Pionierzeiten, als man das amerikanische Land eroberte, zur Mugge mit Leo L.s Trabi zu fahren, Elke Gierth "vertrug" das nicht und fuhr mit dem Herrschaftswagen, einem Polski Fiat. Elke verpasste ich den Künstlernamen Martens, denn bei Gierth dachte jeder an "Elke giert nach...", und das macht sich bei einem Mädel nicht so gut. Mit dem Bandnamen war es auch nicht so leicht, bis ich auf den Namen Megaphon kam. Darunter konnte man sich allerhand vorstellen oder auch nicht. Ab jetzt hieß das Unternehmen Elke Martens und Megaphon.
 

Wir versuchten das aufzubauen, was man im Westen schon seit Jahrzehnten eine Show nannte. Wenn wir zum Tanz spielten, hatten wir einige Schwierigkeiten, weil Songs in unserem Repertoire waren, die man sehen musste oder sich den Text zu Gemüte führen sollte. Gab es aber Konzerte mit Stuhlreihen, lief es teilweise ganz gut, wenn auch anfangs noch sehr amateurhaft. Die einzigen Profis waren Elke und ich. Aber ich merkte auch, sie lebte ihre Rolle nicht, sie spielte sie nur. Das muss auch in den Bäuchen der Leute so angekommen sein. Verglichen mit Nina lagen schon Welten dazwischen. Es hatte alles irgendwie einen mehr intellektuellen Anspruch oder sollte es zumindest haben, und wer war schon intellektuell von den Leuten unten im Saal? Spielten wir bei der Armee, hatten wir die Kämpfer auf unsere Seite. Was wollte man mehr, ist man in Eggesin im tiefsten Mecklenburg stationiert, darf kein Alk mit ins Objekt nehmen und hatte sehr wenig Ausgang? Da kommt ein hübscher Singezahn, blonde Haare, Titten und eine verbale Anmache - da kann man ja nur vor Begeisterung pfeifen, johlen oder anzügliche Kommentare von sich geben. Spielten wir zum "Kindertanz" (abfällige Bemerkung unsererseits) um 16:00 Uhr, hatten wir schon Schwierigkeiten. Da getraute sich keiner, als erster den Tanzreigen zu eröffnet, bis sich zwei Mädchen auf die Tanzfläche begaben, verfolgt von pubertären Jungenblicken, die ihre Vita Cola schüchtern in der Hand hielten und heimlich unter dem Tisch ihr Kleingeld durchzählten. Wir mussten solche Auftritt durchstehen - Istvan nahm alles mit, die Hauptsache: Kohle! Wir spielten für'n Appel und 'n Ei, sogar ich bekam nicht mehr Gage. Wir verdienten weniger als 100,- Mark pro Auftritt. Ich hätte mich nicht wohl gefühlt, wenn ich mehr Geld gefordert hätte, denn das wäre dem kleinen Kollektiv-Pflänzchen nicht gut bekommen. Elke wurde besser entlohnt. Darauf war ich nicht neidisch und die anderen auch nicht, schließlich trug das Projekt ihren Namen.
 

Wir wurden immer besser, spielerisch und showmäßig. Wir coverten natürlich Songs, die zum Programm passten. Mein Graf Öderland mit Drum-Solo gehörte genauso dazu wie eine Menge anderer eigener Lieder mit Böhlich-Texten.
 

Im Herbst war wieder mal ein DDR-Leistungsvergleich angesetzt und... wir bekamen einen Preis! Das war für mich schon eine komische Situation, als wir nach unserem Auftritt den Weg zur Auswertung antreten mussten. Als wir in den Sitzungsraum kamen, sah ich nur Duzfreunde oder Bekannte von mir, die diesmal meine Leistung zu beurteilen hatten - sonst saß ich mit ihnen in der Jury und bewertete Gruppen und Solisten. Ich habe den begrüßenden Handschlag aber geflissentlich übersehen, denn sonst hätte man schnell von Kumpanei sprechen können.


Wieder heimgekehrt machten wir Studioproduktionen im Rundfunk. Ich hatte das Glück, mir dafür Session-Musiker einladen zu können, die alle einen Namen in der Szene hatten. Mit denen dauerte das Einspielen eines Titels nicht lange. Ich erklärte kurz, in welchem Stil die Musik eingespielt werden sollte oder deutete es am Instrument an. Einmal schrieb ich die Musik für eine 30-minütige Kindersendung mit dem Titel "Geschichtenlieder". Mit dabei waren Altmeister des Chansons Jürgen Walter, die Schauspielerin Franziska Trögener und natürlich Elke Martens. Es waren 15 Songs, die in einem ehemaligen Kino mit einem Ü-Wagen eingespielt werden mussten. Wir schafften das Playback in acht Stunden - das war ein Rekord! Später kam dann noch der Gesang hinzu, der aber wesentlich länger dauerte. Ich habe selten Sänger erlebt, bei denen ein Synchron schnell ablief, sie waren halt keine Instrumentalisten, sondern - Künstler!


1981/82 bekam ich die Möglichkeit, an dem ersten Arrangierbuch mitzuschreiben, das in der DDR erschienen ist und die Begriffe Rock und Pop mit im Titel trug: "ARRANGIEREN ROCK POP". Ein ehemaliger Kollege meines Vaters, Wieland Ziegenrücker, arbeitete mit ihm beim Zentralhaus für Kulturarbeit zusammen und war später bei dem Verlag VEB Lied der Zeit als Verleger und Lektor beschäftigt. Er wollte ein Buch auf den Markt bringen, das nicht die Arrangements der 50er Jahre in den Mittelpunkt stellt, sondern auch auf der Höhe der Zeit sein sollte. Also brauchte er für Rock und Pop einen jungen, unverbrauchten Autor, und der war ich. Für mich war das natürlich Neuland, ich hatte weder Ahnung als Schreiberling, noch wusste ich, wie ich methodisch vorzugehen hatte. Was ich an der Hochschule gelernt hatte, konnte ich völlig vergessen, denn bei diesem Buch handelte es sich um eine Käuferklientel, die nicht schulmeisterlich belehrt werden wollte. Außerdem merkte ich bei der Arbeit, dass es ein Spagat war zwischen Beispielen aus der englischsprachigen Popwelt und Titeln aus dem eigenen Land oder Stücken von mir. Schließlich mussten für Westbeispiele Tantiemen in Valuta gezahlt werden, die im DDR-Haushalt nicht allzu üppig vorhanden waren. Ich versuchte einen Kompromiss, baute auch eigene Beispiele ein in der Hoffnung, man hätte die Titel irgendwann mal im Radio gehört oder sogar auf LP zu Hause. Ich habe nie eine Rückmeldung bekommen, wie das Buch bei den Käufern angekommen ist, denn der Verlag betrieb diese Art von Marktforschung nicht - in der DDR hatte es wegen der Planwirtschaft keinen Markt im westlichen Sinn zu geben. Ich habe auch nie erfahren, wie hoch die Auflage gewesen ist und bekam nur eine Abrechnung, wo die Anzahl der Stückzahl nicht vermerkt war. Um ehrlich zu sein, es interessierte mich eigentlich auch nicht. Die erste Auflage des Fachbuches erschien 1982, von weiteren Auflagen ist mir nichts bekannt. Als ich 1988 das erste Mal in Westberlin in einer Musikbuchhandlung in den Regalen stöbern durfte, entdeckte ich auch ein Fach von einem Meter Breite, in dem nur Arrangierbücher standen. Viele davon waren nur in Englisch erschienen, aber ich wusste sofort: Mein Buch war geradezu Hinterwäldlerisch im Gegensatz zu dem internationalen Angebot. Ich schämte mich ein bisschen und redete mir ein, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, mich genügend informieren zu können. Und wenn auch - ich bin immer noch der Meinung, man muss damit groß geworden sein, um darüber schreiben zu können - aus erster Hand sozusagen. Wenn die DDR-Käseglocke mal ein wenig West-Licht hinein ließ, glaubten wir schon, bis zu den Sternen gucken zu können. Trotzdem: Es war ein Schritt in die richtige Richtung und einer muss ja mal anfangen. Klar, jetzt kann ich mich genüsslich in meinen nichtvorhandenen Schaukelstuhl fläzen und stolz vor meinen Augen vorbeiziehen lassen, wo und wobei und womit und mit wem ich überall der Erste gewesen bin. Aber dabei lasse ich die DDR-Käseglocke immer fein unten, ist besser so, schon wegen der Realität...
 

Ich fuhr mit Elke Martens später auch mal nach Prag, weil da u.a. Josef Laufer auftreten sollte. Sie war ganz aufgeregt, aber das völlig umsonst: Als wir ihn nach der Veranstaltung kurz am Bühneneingang erwischten, hatte er nur Zeit zum Handreichen ohne ein "Wie geht's", weil neben ihm schon wieder ein anderes Weib stand, blond, mit großen Titten. Ich habe mich gefreut. Diebisch!
 
 
 
 
 

   
   
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