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Titel: Label: EAN: VÖ: Titel: |
"Das eigene Gesicht" Pipmatz 454 797-2 Juni 2009 1. Wenn Man Älter Wird |
Der gebürtige Greifswalder GERD CHRISTIAN galt als einer der erfolgreichsten Schlagersänger der "DDR". Sein großer Durchbruch gelang dem heute knapp 59jährigen 1979 mit dem unzerstörbaren Evergreen "Sag ihr auch", den übrigens sein ebenso gefragter, zwei Jahre jüngerer Bruder Holger Biege geschrieben hatte, der selbst als Liedermacher und Chansonnier tätig ist.
Nach Mauerfall und Wiedervereinigung rutschte der gelernte Zimmermann kurzzeitig in die zweite Liga ab - aber, wie heißt es so schön: Totgesagte leben länger. Das 21. Jahrhundert war kaum angebrochen, da fand Gerd Christian im Produzententeam Andreas Goldmann/Heike Fransecky treffliche Partner; er unterzeichnete einen Vertrag mit Andreas Goldmanns Label PM Musikverlag (Vertrieb: DA Music) und veröffentlichte von nun an mehr als 20 Singles, sowie vier Alben, die sich sämtlich auf den höchsten Rängen der Airplay-Charts wieder fanden.
Seine fünfte Produktion für seine aktuelle Firma nennt sich "Das eigene Gesicht" und beinhaltet insgesamt 13 Beiträge, überwiegend aus der Feder von Heike, die bislang u.a. für Christian Lais, Ute Bresan, Simone, Ireen Sheer, Ute Freudenberg, Michelle, Bata Illic, Ronny Krappmann, Nicole Freytag oder Michael Morgan profunde Schlagertexte verfasste, und Andreas, der seine Arbeitspartnerin seit 1992 kompositorisch unterstützt. Zwei Titel entstammen dem Fundus von Holger Biege, wobei es sich hierbei um zwei Neuaufnahmen früherer "DDR"-Hits handelt; als Bonus-Track fungiert ein Remix von "Tausend Sterne", einer Variation des "Gefangenenchors" aus Giuseppe Verdis Oper "Nabucco", die seit langem zu den Höhepunkten bei Gerds Liveauftritten zählt.
Das Repertoire von "Das eigene Gesicht" hält sich stilistisch zwischen gehobenem Schlager, sachten Chanson-Anklängen, einer Prise Deutschpop und ein paar leckeren Country-Einsprengseln auf. Von so kräftiger, wie einfühlsamer Stimme beseelt, besingt Gerd emotionale Themen, Nachdenkliches, Alltägliches, Liebevolles - stets authentisch, eingängig und mitreißend.
So lässt er im Eröffner seiner aktuellen Silberscheibe, dem freundlichen Mid-Tempo-Chanson "Wenn man älter wird", seine Kindheit und Jugend, letztlich sein gesamtes bisheriges Leben, so melancholisch wie augenzwinkernd, Revue passieren; vorantreibenden Deutschpop auf Gitarrenbasis gibt's in "Dafür lieb ich Dich" zu hören. Gleichfalls eher im Popkontext, denn im klassischen Schlagerklischee, verharren der zurückhaltend arrangierte Ohrwurm "Träum in meinem Arm", sowie das ultraehrliche Liebesgeständnis "Du machst dieses Leben schöner".
Philosophisches, Abstrakteres, dargeboten zu folkigen Countryklängen, inkl. Akkordeon und halbakustischer Gitarre, vernehmen wir dagegen im hymnischen Muntermacher "Glück lebt in unseren Herzen"; programmatisch präsentiert sich der Künstler im sommerlich frischen, treibenden, durchaus rasanten Popschlager "Ich sag es mit Musik".
Eine wunderschöne Geschichte erzählt der Interpret in der schier grandiosen Ballade "Diese letzte Rose": Der Sommer sagt so langsam Lebewohl, der Herbst naht, der Winter ist nicht mehr weit... Der Protagonist verabschiedet sich von seiner Urlaubsliebe mittels einer "letzten Rose", die er, kurz vor seiner Abreise, bereits vom Herbstbeginn gezeichnet, im Abendwind am Wegrand gefunden hatte... "Heute schenk ich Dir diese letzte Rose / Weil sie den Duft des Sommers nicht verliert" (Textzitat). Hier wurden die fragilen Worte von Heike auf perfekteste Weise seitens ihres langjährigen Schützlings gesanglich umgesetzt.
Ebenso nachdenklich und intensiv zeigt sich der Plot von "Der Himmel kann warten": Eine verzweifelte, suizidgefährdete Frau ruft irgendeine Nummer aus dem Telefonbuch an, nur, um einfach reden zu können - und der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung vermag es tatsächlich, diese Frau vom Selbstmord abzuhalten! Eine ganz tolle, herzzerreißende Geschichte, musikalisch sanft, aber eindringlich ausgedrückt, betreffs Intonation eine faszinierende Mixtur aus Sprechgesang und eingängiger Melodie. Das einzige, was an diesem einfach nur traumhaften Lied ggf. zu mokieren wäre, ist seine Betitelung. Die Titelzeile "Der Himmel kann warten" ist m.E. unverbrüchlich mit Andreas Martins gleichnamigem, ebenso romantischen und gefühlvollen 1984er-Klassiker verbunden, so daß sich die hochtalentierte Texterin eigentlich ein anderes Obermotto für ihre, darüber hinaus fraglos äußerst gelungenen, Strophen hätte auswählen müssen.
Eine so liebe, wie blutjunge Schönheit betört das Lied-Ich in "Fünfzehn Jahre früher". "Sie" hat sich Hals über Kopf in den ältlichen Mann verliebt... "er" wünschte sich so sehr, mit ihr eine Beziehung einzugehen, gesteht sich aber abgeklärt, wenn auch enorm enttäuscht, ein: "Fünfzehn Jahre früher - ich hätte ja gesagt - Fünfzehn Jahre früher - ich hätt noch mehr gewagt..." (Textzitat). Doch der Verstand mußte nun mal über das Gefühl siegen, weshalb er das frühreife Mädel schweren Herzens ziehen ließ.
Selbstverständlich darf auch eine sympathische Neuauslegung von Gerds bislang größtem Hit, "Sag ihr auch" (1979 - geschrieben von Bruder Biege), nicht fehlen, der als meist gecoverter Ost-Titel gilt, und sich besonders in der Fassung von "Schlagertitan" Bernhard Brink, 2000, auf dessen damaliger CD "Direkt", zu einem Riesenerfolg für B.B. mauserte. Der Titelsong "Das eigene Gesicht" wurde gleichfalls einst von Holger Biege ersonnen und konnte im Original vor genau 30 Jahren in der "DDR" zu einem beliebten Topschlager erwachsen.
Auf den obligatorischen, ausschließlich von Piano und Streichern, ohne jegliches anderes Instrumentarium getragenen Abschiedsschleicher (Titel: - klar - "Abschied"), folgt die "Zugabe" in Form von "Tausend Sterne", einer von Heike kongenial betexteten Version des legendären "Gefangenenchors" aus Verdis "Nabucco", wobei Gerds Interpretation dessen den Rezensenten irgendwie an die Intonationsweise von Freddy Quinn erinnert.
"Das eigene Gesicht" ist ein Album, das sich zwischen alle Stühle setzt. Es passt in keiner Sekunde in die Schublade "Banales Schlagerallerlei", trägt oft vielmehr Chansonhaftes, "Intellektuelles" in sich. Sänger Gerd Christian, Komponist Andreas Goldmann und Lyrikerin Heike Fransecky harmonieren auf geradezu phantastische Art und Weise miteinander.
Hier analysierter Tonträger eignet sich niemals zum Nebenbeihören, zum Partymachen und Abtanzen. "Das eigene Gesicht" dient eindeutig zum Nachdenken, zum Mitfühlen, zum sprichwörtlichen "Zwischen-den-Zeilen-Lesen". Eine äußerst gelungene Produktion, die viel zu schade ist, um sie "unter ferner liefen" zu behandeln. Fans von stilähnlichen Kollegen der Sorte Waggershausen oder Andre' Stade, dürften an Gerd Christians "eigenem Gesicht" zweifellos ihre helle Freude haben! Gesamtnote: 1
(Holger Stürenburg)