weckerwaderende 20121220 1159091425 Titel:
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VÖ:

Titel:

"Kein Ende in Sicht (Live)"
Laut & Leise
16. Juli 2009

1. Leben im Leben
2. Schön ist das Alter
3. Damals
4. Feine Gesellschaft
5. Trotz alledem Iii
6. Was immer mir der Wind erzählt
7. Nun muss ich gehn
8. In diesen Nächten
9. Ich singe weil ich ein Lied hab
10. Mamita Mia
11. Wiener Fiakerlied
12. Gutti Land
13. Die Mine
14. Was keiner wagt
15. Traumtänzer
16. Dat Du min Leefste büst
17. Schlendern


Am 30. Juni dieses Jahres wird im Berliner Reichstag der Nachfolger des Ende Mai überraschend zurückgetretenen "Fettnäpfchen-Präsidenten" Horst Köhler gewählt. Der Musikeranteil bei den Wahlfrauen und -männern ist 2010 besonders hoch: Die CDU nominierte die Erfurter Rocksängerin Petra Zieger für die Bundesversammlung, die Berliner SPD entsendet den Chansonnier Klaus Hoffmann und die sächsische Linkspartei setzt auf Klaus' Genrekollegen KONSTANTIN WECKER. Grüne und FDP haben keine Künstler aber - bei den Liberalen ist mir dies sehr bekannt - VertreterInnen, die dafür bekannt sind, sich schon häufiger in ihrem Leben nicht haben mit einplanen lassen, weshalb ich hoffe, daß spätestens im dritten Wahlgang Vernunft und Historische Verantwortung über Parteiensoldatentum und erzwungene Biederkeit siegt.
Es wird auf jeden Fall eine spannende Veranstaltung, bei der das Rennen absolut offen ist - um 12.00 Uhr beginnt am kommenden Mittwoch die TV-Übertragung; es ist damit zu rechnen, daß, gerade aufgrund des unvorhersehbaren Ausgangs der Wahl, die Straßen der Republik genauso leer sein dürften, wie am vergangenen Mittwoch bei dem WM-Fußballturnier "Deutschland vs. Ghana".

Einen Tag später, am Donnerstag, dem 01. Juli 2010, ist möglicherweise das geplatzt, was sich derzeit Bundesregierung schimpft (oder, besser gesagt, gegenseitig BE-schimpft), auf jeden Fall aber ist der Herr Wahlmann der LINKEN in Hamburg konzertär zu Gast. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und ‚Bruder im Geiste', dem Volkssänger und Singer/Songwriter HANNES WADER und einer dreiköpfigen Begleittruppe, bestehend aus Konstantins langjährigem musikalischen Intimus Jo Barnikel (key, pi), dem Hamburger Bassisten, Gitarristen und Dozenten an der Hamburger Musikhochschule, Nils Tuxen, und dem Percussionisten Hakim Ludin, tritt er um 19.00 Uhr im gemütlichen Hamburger Stadtparkrund ‚open Air' auf. (weitere Tourtermine finden Sie hier: http://www.wecker.de/termine.html)
Seit 2000 begeben sich Konstantin (63) und Hannes (68) immer wieder gemeinsam auf Tourneen. Das aktuelle (insgesamt dritte) Konzertrepertoire der beiden unverbesserlichen Altlinken nennt sich "Kein Ende in Sicht". Die Höhepunkte daraus wurden am 18. und 19. März 2010 im "Theater Stuttgart" für eine gleichnamige CD mitgeschnitten, die am 16. Juli auf dem hauseigenen Label "Laut & Leise", vertrieben durch "Alive", auf den Markt kommt.

17 Titel plus soundsoviele launige, oft sehr selbstironische Zwischentexte, bei denen sich die Herren Wecker und Wader gegenseitig augenzwinkernd und liebevoll auf die Schippe nehmen, zeigen ein mehr als nur überzeugendes, empfehlenswertes Liveprogramm, das sowohl bekanntes Material beider Interpreten, als auch brandneue Kompositionen und Bearbeitungen beinhaltet, die teilweise von einem derart hinterfotzigen Sarkasmus durchzogen sind, daß es ein pures Vergnügen ist, diese - oft stark politischen - Bissigkeiten auf sich wirken zu lassen. Die beiden Freunde singen zumeist im Duett, auch bei Liedern, die der jeweils andere komponiert und/oder betextet hat. Den Startschuß für das genialische, klingende Feuerwerk zwischen Emotionalität, Nachdenklichkeit und Politsatire, gibt Konstantins leicht swingende Up-Tempo-Komposition "Leben im Leben". Daraufhin folgt eine Menge hochinteressanter, kompetent ausgewählter Kleinode, stilistisch angesiedelt im Spannungsfeld von Country, leicht Jazzigem, Ballade, Folk, Kammerblues und latenten Klassik-Elementen.

"Schön ist das Alter" karikiert auf gekonnte, aberwitzige, aber auch philosophische Art und Weise das unvermeidliche Älterwerden, die gnadenlose Zeitgeistkritik "Feine Gesellschaft" stammt im Original aus Konstantins Jazz-Phase, die er in der zweiten Hälfte der 80er Jahre intensiv, ehrlich und höchst energetisch auslebte (LP: "Stilles Glück - Trautes Heim", 1989). Selbst, wenn der unvergleichliche Urbayer aus dem Münchener Stadtteil Giesing am kommenden Mittwoch seitens einer programmatisch gänzlich anderen Partei zur Abstimmung in die Bundesversammlung geschickt wird, als eine sehr enge Freundin des Verfassers dieser Zeilen, die für die Hamburger FDP im Bundestag sitzt (und somit zugleich Mitglied ebenjenes Gremiums ist, das den neuen Bundespräsidenten wählt), so beschreibt er in diesem trefflichen, ätzenden Kommentar zu Oberflächlichkeit, Ignoranz, Arroganz und Dummheit nichts anderes, als die viel zitierte "Spätrömische Dekadenz" des Herrn Guido W. ;))

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Zum Ausgleich hierzu, intonieren die zwei immerjungen Kreativlinge gleichermaßen eine den Sozialismus verherrlichende dritte, ergo aktualisierte, auf heutigen Stand gebrachte Fassung des in der Urversion bereits 1848/49 nach der Bürgerlich-Demokratischen Revolution entstandenen Traditionals "Trotz alledem". Der ‚glorreichen' tiefroten Ideologie huldigen meine (nahezu einzigen) ‚Lieblingsmarxisten' ebenfalls mittels der vom sagenumwobenen "DDR"-Sänger/Schauspieler Ernst Busch betexteten Volksmoritat aus Zeiten des Spanischen Bürgerkrieges, "Mamita Mia", die Hannes, wie auch eine frühere Auslegung von "Trotz alledem", schon 1977 für seine legendäre Live-LP "Hannes Wader singt Arbeiterlieder" aufgenommen hatte.

"Was immer mir der Wind erzählt" und "Was keiner wagt", die Vertonung eines Gedichts des katholischen Theologen Lothar Zenetti, sind waschechte Wecker-Kammermusik in Bestform, die mehr klassisches Ambiente ausstrahlen, als womöglich poporientiertes Liedermachertum fürs Radio. Die düstere Gitarrenfolkballade "Nun muss ich gehen" repräsentiert dagegen Hannes, wie er musikalisch von jeher leibt und lebt. "In diesen Nächten", eine im wahrsten Sinne des Wortes nächtliche, urbane, sacht verschrobene Milieustudie, im balladesk-hymnischen Kontext gehalten, die erstmals 1977 auf Konstantins legendärem Studioalbum "Genug ist nicht genug" zum Einsatz kam, wird diesmal ebenfalls solo von Hannes vorgetragen.
Kevin Johnsons unschlagbarer 1974er-Evergreen "Rock'n'Roll (I gave you all the Best Years of my Life)" wurde von dem einstigen DKP-Mitglied aus Bethel bei Bielefeld kongenial zu "Damals" ins Deutsche transferiert, wobei Hannes ausdrücklich darauf hinweist, daß seine Musik niemals mit der eigentlichen Stilistik des Rock'n'Roll zu tun hatte und hat, sondern es ihm in diesem Song vielmehr um die "Lebensweise Rock'n'Roll" (Zitat) geht.
Für die 2009 verstorbene, gebürtig aus Argentinien stammende Grande Dame der südamerikanischen Folklore, Mercedes Sosa, hatte Konstantin 1988 die programmatische Ballade "Ich singe, weil ich ein Lied hab" ersonnen, welche die musikalische Weltenbummlerin seinerzeit in spanischer Übersetzung als "Yo canto porque tengo" eingesungen hatte. Der Komponist singt anno 2010 den deutschen Text, während Hannes den spanischen Part übernimmt.

Einen, wenn nicht gar DEN herausragenden lyrischen Höhepunkt auf "Kein Ende in Sicht" stellt zweifelsohne DER ultimative, fundamentale, monumentale ‚Guttenberg Blues' "Gutti Land" dar. Der unserem bildhübschen Verteidigungsminister Freiherr Karl-Theodor von und zu gewidmete, musikgewordene Polit-Rundumschlag ist, zumindest aus Sicht des Rezensenten, einer der inhaltlich, wie formulierungstechnisch besten, prägnantesten, provokantesten gesellschaftskritischen Parodien, die Konstantin jemals zu Papier (und zu Notenpapier) gebracht hat. Jedes Wort sticht; so traurig das ist, aber auch der bürgerlich-liberale Verfasser dieses Berichts, der mit der LINKEN rein gar nichts zu tun hat, teilt zu bestimmt 90 Prozent, wenn nicht sogar mehr, die in dieser pianobetonten Brachial-Abrechnung mit dem politischen Irrsinn des Heute und Hier vertretene, selbstverständlich, Wecker-gemäß zugespitzte und mit den genau richtigen Worten ausstaffierte Meinung.

Philosophisch, kryptisch wird's im von Hannes gesungenen, rasanten Country-Blues "Die Mine", musikalisch ebenso ausgerichtet ist das flotte Duett "Traumtänzer", das letztlich für das anarchische, freiheitliche Denken der beiden Konzertanten steht.
Wahrhaft wahnwitzige Stimmung kommt auf, wenn sich der konsequente Norddeutsche Hannes das traditionelle "Wiener Fiakerlied" vornimmt, und sein Sangeskollege aus Bayern eine ‚boarische' Sichtweise des zutiefst plattdeutschen Volksliedes "Dat Du min Leefste büst" hervorzaubert - dies straft alle diejenigen Lügen, die vorurteilsvoll meinen, zwischen Nord- und Süddeutschen bestünde eine dauerhafte "Erbfeindschaft". Der stille, zugleich immens hoffnungsvolle Schleicher "Schlendern" beendet eine fulminante Live-CD, die tatsächlich Appetit macht, auf die nahende Tournee von Konstantin Wecker und Hannes Wader. Sie ist textlich, wie musikalisch überaus anspruchsvoll geraten, nicht selten sollte man auch zwischen den Zeilen hören, sich intensiv mit den Aussagen, den Wortspielen, der sprachlichen und klanglichen Atmosphäre des Opus auseinandersetzen.

Und falls sich Herr Wecker nächsten Mittwoch im Dritten Wahlgang doch noch für Herrn Gauck entscheidet, ist die Welt zwar noch längst nicht wieder in Ordnung, aber einen guten Schritt weiter in diese Richtung!
(Holger Stürenburg)

 


   
   
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