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"Land in Sicht" Keimzeit Comic Helden / Edel 19. November 2010
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Seit November steht "Land in Sicht" in den Läden, eine Doppel CD, die es wahrlich in sich hat. Der Albumtitel ist etwas irreführend, denn wenn eine Band ein klares Konzept verfolgt, immer geradlinig ihren Weg gegangen ist und damit auch immer ihr Ziel erreicht hat, dann ist das Keimzeit. Wonach also hat man Ausschau gehalten, um es jetzt in Sichtweite zu haben? Der Untertitel verrät mehr über das Produkt, denn es ist - so steht es geschrieben - eine "Werkschau". Und bleiben wir an dieser Stelle mal bei der ersten CD dieses Doppel-Albums. Hier hört man bekannte Töne, denn es handelt sich ausschließlich um bereits veröffentlichtes Material, das die Band in ein zeitgemäßes Klangkleid gesteckt hat. Neben bekannten Songs wie "Bunte Scherben" (aus dem gleichnamigen Erfolgsalbum von 1993) und "Kling Klang" (aus dem gleichen Werk) gibt es weitere neun Neuaufnahmen alter Songs. Dabei legt die Band wie immer großen Wert darauf, musikalisch anders zu sein und sich gepflegt von Produktionen anderer Musiker abzusetzen. Dabei aber trotzdem hörbar zu bleiben, ist eine Stärke der Gruppe. Neu einspielen muss nicht immer heißen, dass etwas "gangbarer" oder "mainstreamiger" werden muss, und das zeigen uns die Herren mal wieder mehr als deutlich. Weitere Stärken von Keimzeit sind z.B., dass sie Gefühle in Musik umwandeln können und dabei gerne Klänge verwenden, die eigentlich gar nicht zusammen passen wollen. Außerdem erzählen sie Geschichten, die vom Leben da draußen sonst schon mal vergessen werden und sie finden dafür Worte, wie sie treffender und schöner eigentlich nicht sein können. Es ist stets höchst anspruchsvoll, was als Output letztlich in CD-Form vor'm Konsumenten liegt. Davon kann der interessierte Hörer bei "Land in Sicht" wieder einmal Ohrenzeuge werden. Hinter die elf "Neuaufnahmen" hat die Band noch vier ganz neue Stücke gepackt. Sie sind ebenfalls älteren Datums, haben es aber bisher nie auf eine Langrille oder Silberscheibe geschafft. Das ändert sich jetzt und sowohl "Fliegen" als auch "Was redest Du von Liebe", "Affentempo" und "Die Reisenden" finden nun Zugang zu den Ohren der Keimzeitfans. Sie haben lange in der Schublade gelegen und sind wie ein guter Wein gereift. Reif für eine Veröffentlichung!
Auf der zweiten CD gibt's dann die eigentliche Werkschau. Eine Best of-Kopplung mit den schönsten Liedern (wenn man das überhaupt auf nur so wenige Stücke eingrenzen kann) der letzten vier Studio-Alben + drei ausgewählte Songs aus dem Live-Album "Mensch Meier". Bei aller Abstraktheit ihrer Musik und ihrer Texte waren die Keimzeitler aber immer ehrlich und auf dem Punkt. Lediglich der Sound änderte sich von einer zur nächsten Platte schon mal. Womit wir wieder bei der eingangs erwähnten "Treue" zu sich selbst sind. Keimzeit war und ist, und wird wahrscheinlich immer die Band sein, die an ihren Stützpfeilern selbst nicht rütteln wird. Warum auch? Die Fans lieben sie und ihre Werke, und wer bis heute keinen Zugang dazu gefunden hat, wird ihn wahrscheinlich nie finden. Darum verbieten sich Experimente von selbst. Was uns wieder zum irreführenden Albumtitel bringt. Die Frage ist auch trotz intensiven Hörens der neuen Platte noch nicht geklärt... Mit "Land in Sicht" ist hoffentlich nicht das Ende der Band gemeint, das nicht selten mit der Veröffentlichung einer Best of-Kopplung einher geht. Ich hoffe, dass "Land in Sicht" auf das bevorstehende Jubiläum bezogen ist und den Hunger der sechs Musiker zum Ausdruck bringen will, den sie nach wie vor haben. Hunger darauf, neue Songs zu erschaffen und den Keimzeit-Stil, wie er auf dieser Doppel CD zu hören ist, noch möglichst lange am Leben zu erhalten. Hunger nach Live-Konzerten und auch weitere Jahre noch Bock auf die Bühne. Ich drücke die Daumen, denn dieses Album unterstreicht mehr als deutlich all die Stärken der Band und ihrer Musik. Sowas verlangt nach weiteren 30 Jahren!
(Christian Reder)