centralreflected 20121219 1107890428 Titel:
Label:
VÖ:

Titel:

"reflected"
Rockville (Soulfood)
28. Januar 2011

1. Guns 'R Us
2. Free Fall
3. White Princess
4. Another Part
Visions Of Cassandra
5. (5.1) Vision
6. (5.2) Doom (Winterstorm)
7. (5.3.) Awakening
8. Path Of Mercy
9. The Last Tear

Denkt man an die Progressive Rock-Szene in Deutschland, fallen einem sofort Bands wie Grobschnitt, Hoelderlin, Stern-Combo Meißen, Electra oder Eloy ein. Lange, frickelige Rock-Kunstwerke mit Hammond-Orgel und schrägen Gitarren, tiefgehende Kompositionen mit inhaltsreichen Texten. Denkt man an die Progressive Rock-Szene in Deutschland, fallen einem aber auch leider keine guten, aktuellen Werke ein. Es befinden sich zwar ein paar in der Pipeline, aber von denen weiß man derzeit noch nicht, ob sie das halten können, was sie versprechen. Andere konzentrieren sich nur noch auf das, was sie schon geschaffen haben, und spielen das heute noch live, ohne etwas wirklich Neues zu entwickeln. Kurz: Eine Musikrichtung, die im Mainstream sowieso keine Chance mehr hat, und von der der Nachwuchs leider immer häufiger die Finger lässt. Das ist leider auch nicht verwunderlich, da sich von den Feiglingen hinter heutigen Radiomikrophonen auch keiner mehr traut, mal Songs aus dem Genre (und anderen) zu senden. Wovon sollte die nachkommende Generation also auch inspiriert oder angetrieben werden? Umso überraschter war ich, als ich dieser Tage das Album "reflected" von der Gruppe Central Park in die Finger bekam. Eine brandneue ProgRock-Produktion...

Central Park ist eine Rockband aus Süddeutschland, die es bereits seit 1983 gibt. Also kein Nachwuchs, aber eine Band die sich noch traut, diesen Acker zu bestellen. Die Kapelle spielte in den frühen 80ern auf einem Level mit Gruppen wie z.B. Asia, Marillion oder SAGA. Qualität, Können und ihre Musik überzeugten nicht nur die Kritiker. Der Plattenvertrag mit Chrysalis Records lag schon unterschriftsreif in der Schublade, da löste sich die Band überraschend auf. Das war's... Erst im neuen Jahrtausend - über zwei Jahrzehnte nach dem Aus - entschieden sich die Musiker zu einer Wiedervereinigung. Man traf sich auf einem YES-Konzert (Wo auch sonst?) und die Entscheidung, es nochmals zusammen zu versuchen, stand fest. Und diese Entscheidung war gut... sehr gut sogar! Vor knapp vier Jahren veröffentlichte Central Park dann das Debüt-Album "unexpected" (2006, Transformer Records) und begeisterte damit alte Fans wie neugierige Interessierte gleichermaßen. Der Spiegel schrieb sogar: "Hipster Vincent Gallo hätte seine Freude am majestätischen Debüt." Im kommenden Januar wird das eingangs erwähnte, zweite Album der Band um Gitarrist Hans Ochs, Bassist York von Wittern, Keyboarder Jochen Scheffter, Schlagzeuger Artur Silber und (erstmals auf einem Tonträger mit dabei) Sängerin Jannine Puschin in die Läden kommen, und Ihr solltet Euch warm anziehen.

Schon der Opener "Guns 'R Us" geht nicht nur musikalisch unter die Haut. Hinter dem Song steckt eine aufrüttelnde Geschichte. Das Lied ist eine musikalische Anklage gegen den Missbrauch von Kindern als Kindersoldaten. Inspiriert wurde die Band durch einen Auftritt im Rahmen eines UNICEF-Benefizkonzerts, bei dem sie im Jahre 2009 mitwirkten. Sie wurden dort Zeuge der Erzählungen des gebürtigen Angolaners Samuel Zombo, der von seinen Erlebnissen als 10-jähriger Kindersoldat in seinem Heimatland berichtete. Dies berührte die Band so sehr, dass danach "Guns 'R Us" entstand. Ein Klanggewitter mit bedrohlichem Sound und einer eindeutigen Aussage.

Wie jedes gute ProgRock-Album hat auch "reflected" einen Song in Überlänge. "Visions Of Cassandra" heißt das Stück, ist insgesamt über 21 Minuten lang und in drei Teile ("Vision", "Doom" und "Awakening") aufgeteilt. Hier ließ sich die Gruppe Central Park vom Gemälde Aniela Adams' inspirieren, und begibt sich nach 2006 ("Don't Look Back" vom Album "unexpected") erneut in die Tiefen der griechischen Mythologie. Eine Bildvertonung bestehend aus Geräuschen, Sprachfetzen, Gitarrengewittern und allem, wonach das Herz des geneigten Rockfans gelüstet. Augen zu, zuhören und sich vor dem inneren Auge selbst ein Bild malen. Erstklassig!

Es sind insgesamt neun Titel geworden, die ab dem 28. Januar 2011 auf der neuen Scheibe zu finden sein werden, wovon drei aber dem eben erwähnten "Visions Of Cassandra" vorbehalten sind. Man kann eigentlich nicht mehr viel zu dieser Scheibe sagen, außer dass man sie als Hörer selbst erlebt haben muss. Mal erinnert die Musik stark an die Klang- und Soundcollagen eines Mike Oldfield ("Taurus II" oder "Crisis"), dann meint man die alten Genesis mit Peter Gabriel zu hören. Und doch ist die Musik von Central Park eigenständig und eignet sich nicht, mit der anderer Bands verglichen zu werden. Besonderes Merkmal ist die wunderbare Stimme der Sängerin Jannine Pusch. Sie versteht es, ihre Stimme als Instrument für alle Stimmungslagen so perfekt einzusetzen, dass jeder einzelne Titel überzeugend rüberkommt. Mal hört man die junge Kate Bush, mal die Röhre einer Doro Pesch. Jannine singt ihre Parts mal mit trauriger, mal zerbrechlicher und dann wieder mit starker, anklagender Stimme. Das ist ganz große Klasse und sucht in den aktuellen Top 100 fast vergeblich nach Vergleichbarem.
Die Songs auf "reflected" sind so angelegt, dass jeder der fünf Musiker seine Stärken deutlich unterstreichen kann. "reflected" ist die typische "cinema show", die das nach Anspruch verlangende Kopfkino braucht. Verschachtelte Arrangements mit krachenden und bedrohlichen Elementen, aber auch mal ruhige Töne anschlagend. Für das eine Ohr vielleicht schräg, für das andere eine wunderbare Aneinanderreihung von Tönen, eine Sinfonie, auf die man viele Jahre gewartet hat... Nichts für das seichte Terrain der Trullalla-Sendungen, die uns all samstäglich bei den Öffentlich-Rechtlichen serviert werden, aber für den eingefleischten Rockpalast-Fan ein Ereignis wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Und das ist wahrlich keine Übertreibung!
(Christian Reder)


   
   
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