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"Lebensuhr" Stern-Combo Meißen BuschFunk 30. September 2011 Das kurze Leben des Raimund S. |
Eine Meinung der Redaktion:
Nicht alles im Leben ist präzise planbar, nicht jeder Ablauf vorher abgesteckt und jede Kurve ausgemessen. Zweckgemeinschaften sind nützlich, können aber irgendwann auch bremsen. Eine Weisheit, die sicher im Leben eines jeden ihren Platz hat. Wenn das Umfeld und die eigene Motivation stimmen, finden sich Freund- und Partnerschaften, entdeckt man neue Horizonte und die Ideen für neue Projekte kommen wie von selbst, weil der Kopf wieder frei ist. Bis zu diesem Punkt hat die STERN-COMBO MEISSEN diesmal etwas länger gebraucht. Es brauchte mehr als 20 lange Jahre, ohne deshalb zwischendurch untätig gewesen zu sein.
In den vergangenen Jahren waren einige der neuen Stücke schon live zu erleben und man konnte sich so schon mal einen fragmentarischen Voreindruck des kommenden Werkes abholen. Allen voran die aufwühlende Ballade vom Leben des "Raimund S." sowie das Instrumentalstück "TNTK", das erstmals live beim 60. Geburtstag von Thomas Natschinski (TN) von Thomas Kurzhals (TK) in der Berliner Wabe vorgestellt wurde.
Nun liegt die neue Scheibe zwar leider nicht auf meinem Plattenteller, aber ich kann den frischen Silberling im CD-Player abspielen - endlich! Der startet mit einen Stück, das scheinbar mühe- und nahtlos schlappe drei Jahrzehnte überschreitet und eine Brücke zum "Weiten Weg" von 1979 schlägt. "Das kurze Leben des Raimund S." landet mit voller Wucht in der Gegenwart, inmitten computersüchtiger facebookelnder PC-Junkies und ahnt die Gefahren, die sich daraus ergeben können, wenn der Joy-Stick von falschen Händen geführt wird. Über einem pulsierendem Rhythmus thront, einem immer wiederkehrendem Signal gleich, eine Sythesizer-Figur, aus der sich der packende Song heraus entwickelt. Wiedererkennung für Alt-Fans garantiert, denn das Teil is'ne Wucht!
Von nun an begibt man sich mit dem Silberling auf eine Reise und wird dabei immer wieder neu überrascht. So von Marek Arnolds Komposition "Es geht die Zeit" oder einem Lied von Martin Schreier, das sich einem der heikelsten Probleme unserer Zeit stellt. "Die Zeder von Jerusalem" stellt, in eine wunderschöne, beinahe kindlich wirkende, Melodie verpackt und verbunden mit einem im Gegensatz dazu schrillen Chorus, unbequeme Fragen und steht für mich in der Tradition der "Sage" von 1979. Ich kenne den "Schwarzen" schon aus frühesten Zeiten als Sänger, gleich ob er "Hey Joe" oder Jahre später "Leben möchte' ich sang". Hier hat er sich sein vielleicht intimstes kleines Meisterwerk aus dem Herzen gerissen und damit vielen Menschen aus selbigem gesprochen. Andere wiederum werden sich an diesem Stück reiben und so Diskussionen entfachen. Das sind auch die Themen und Bezüge, die man von moderner Rockmusik erwarten kann, statt sich am ewig alten "Sonnenschein deiner Liebe" zu befriedigen.
Auch am "old-fashioned-sound" des Titelstücks "Lebensuhr" mit seinem "Ooh, Aah, Yeah, Yeah" werden sich die Geister entzünden oder sich mehr vom Saxophon wünschen. Letztlich demonstriert so eine Nummer die Vielseitigkeit, die sich durch die Scheibe zieht, sich mit "Deines Geistes Glas" und weiteren jazzigen Einschüben fortsetzt. So einen weiten Bogen muss man erst mal, statt sich in einer Einbahnstrasse zu bewegen, spannen können und dieses "Deines Geistes Glas ist längst nicht leer" auch selbst leben und musikalisch / textlich umsetzen können.
"Ein Tag, ein Jahr, ein Leben" ist wieder ein Bekannter aus dem Live-Geschehen, in dem sich die Nummer bereits, ähnlich wie "Raimund S.", bewährt hat und dort fand auch "Der zweite Blick" schon seine Bestätigung durch die Fans, die auch gemeinsam dieses "Ooh, ooh" am Ende live mitsingen.
Die nächste Überraschung gibt's mit "Reiter der Nacht" und einer Melodie, die von einem Hauch keltischer Atmosphäre lebt und durch das Spiel der Thin Wistle (Andy Wiczorek als Gast) eine ganz besondere Farbe in die CD einbringt. Auch hier überzeugt der Schwarze als einfühlsamer, eigenwilliger Sänger des Liedes.
Schmissige Rhythmik folgt mit "Verlieren ist sinnlos" und vielleicht findet man danach Ruhe beim Klang von "Ewigkeit", wo man einfach mal nur der Gesangsstimme von Larry B. folgen und mit ihr verweilen kann. Etwas Ruhe, die man braucht, um sich dem Höhepunkt "Mal seh'n, wohin die Reise geht" mit allen Sinnen nähern zu können.
Reinhard Fißler, der einstige Sänger der Band und jetzt schwer erkrankte Streiter und Kämpfer, nimmt uns mit auf eine emotionale Reise durch sein Leben, seine Erlebnisse und Erfahrungen, sein Umfeld (Zirkus Multi-Kulti) und wir teilen seinen Blick auf das heutige Deutschland, in dem sogar "leuchtende Pilze im Wald" machbar wären, wenn's denn Geld brächte. Der weise Mann, der nun nur noch an sein Bett gefesselt liegt, versprüht Liebe, Witz und findet nötigenfalls auch bissige Worte als Zeitkommentar. Ich erlebe irgendwie noch einmal die Wandlung eines Reinard Fißler vom Frontmann zum nachdenklich streitbaren und liebenswerten Menschen Reini, der hier sein kleines Lebensvermächtnis selbst eingespielt und gesungen hat. Einfach nur Hut ab und Schweigen! Das wird kein Hit, aber es "wird bleiben nach dem Tode" eines jeden von uns, wie die einsame Fahne am "Südpol".
Einfühlsam und fließend geht es über zum Instrumentalstück "T.N.T.K" (Part I & II) und damit zum kompakten Tastensound der Stern-Combo Meißen. Zeit zum Verweilen und Nachdenken, bei der ich die Wandlung des Stückes entdecke, die es vom ersten Hören in der Wabe, über die Live-Versionen bis hin zu diesem Studiowerk durchgemacht hat. Ausgereift, komplex und vielleicht beinahe perfekt, wie in "besten Zeiten", die es für mich heute wieder sind, erlebt man im zweiten Teil das rasante und kraftvoll wirkende Wechselspiel der Tastenmänner, die sich vor dem frischen Rhythmusgespann Frank Schirmer (dr) und Robert Brenner (bass) austoben dürfen.
Das kurze Stück "Zeugen dieser Zeit" wagt einen ehrlichen Blick zurück, während "So geseh'n" wieder im Heute angesiedelt ist. Zwei eher leichte Pop-Nummern, die wie eine Überleitung zum nächsten heißen Thema wirken können. Die Frage nach der Zukunft dieses Planeten wird bei "Prima Klima" in eine einprägsame Melodie und in aufrüttelnde Worte gekleidet, das zu einem großen mehrstimmigen Finale führt und wer mag, kann sich musikalisch an eine Band mit den Kürzeln BJH erinnert fühlen und das möchte ich durchaus als Lob verstanden wissen. Kantige Texte dürfen zart verpackt werden, um im Herzen und im Verstand zu landen.
Auf eben diese Weise dreht sich mit "Waldesstille" die Scheibe langsam und einfühlsam ihrem Ende zu. Doch wie bei den Konzerten der Band tickt die Uhr diesmal rückwärts, um den Hörer fröhlich und ein wenig ironisch aus der Rille zu schmeißen. "Die gelbe Elbe" muss man live erlebt haben und wer es noch nicht hat, kann sich hier schon mal für das nächste Event der Meissener Musikanten einen Vorschuss holen.
Ich gestehe, dass ich diese neue CD der STERNE mag. Sie knüpft an "alte Zeiten" an, ohne sie vollständig und krampfhaft konservieren zu wollen. Sie wagt neue Töne und Klänge, die sich Dank des Wollens und Könnens der Neuen gleichwertig an der Seite vom "Kurzen" und unter Bandchef Martin Schreier entfalten können. Die Band wirkt wieder wie ein Ganzes auf der Bühne und bestätigt diesen Eindruck nun auch auf der Scheibe. Vielfältig wie die Charaktere der Musiker, ist ihre Art zu komponieren und die neuen Stücke gemeinsam leben zu lassen. Das macht den Reiz der CD aus, verhindert Gleichförmigkeit und gibt den Höhepunkten der Platte den Raum, den sie zum Entfalten brauchen. Mit Larry B. ist zudem ein charismatischer Sänger und Frontmann gefunden, der mit dem Schritt von Reinhard Fißler die Spur weiter verfolgen und fortsetzen kann. Wer die CD einlegt, sollte also Zeit und Wollen zum Hin- und Hineinhören haben, dann wird sich über weite Strecken höchster Hörgenuss und Gleichklang mit den Texten einstellen.
Der Nicht-Kenner oder jugendliche Hörer, sollte sich den Begleittext von Walter Cikan, dem einstigen Produzenten der Sterne, in Ruhe zu Gemüte führen. Die "Alten" wie ich werden wohl ein wenig das Fehlen von Norbert Jäger bedauern, der gut und gerne ein kleines wichtiges Rädchen in dieser schönen "Lebensuhr" hätte sein können.
Das Artwork des Covers zeigt dem Betrachter schon vorab, wohin die Reise gehen wird, nämlich in ein menschliches Universum zwischen Geburt und Gehen, in der die Zeit unwiederbringlich tickt, in dem man sie sinn- und ehrenvoll verbringen kann und sollte. Davon erzählen die Texte, diese Idee begleitet und gestaltet die Musik. Auf diese Weise schließt die Scheibe eine große Lücke und wagt einen - hoffentlich gierigen - Blick nach vorn. So kannte ich die Band und genau so gibt sie sich wieder beim Hören zu erkennen.
Als leidenschaftlicher Vinyl-Liebhaber stelle ich mir ein faltbares Doppel-Cover vor, auf dessen Front-Seite in alter Gimmix-Manier ein drehbare Sanduhr eingearbeitet ist und in deren, aus Folie gestalteten Gläsern mal vielfältiges entdecken kann. Statt eines kleinen Heftchen wünscht sich der Fan ein reich bebildertes Booklet, in das er sich auch ohne Brille vertiefen kann. Ich hab' neben den Kopfhörern eine große Lupe liegen und so werde ich auch in den nächsten tagen viel Freude beim Hören und Sehen haben.
(Hartmut Helms)
bei BuschFunk