Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:
Titel:
"Trost"
Meystersinger
Universal/Arabella MV
10. Februar 2012
1. Keine Fragen
2. Winterlied
3. Wie das Meer
4. Endelied
5. Es ist Liebe
6. Geht's dir gut da, wo du bist
7. Trost
8. Die Weite
9. An diesem einen Tag
10. Am Ende aller Dinge
11. Trost (Radio Remix)
meystertrost 20121016 1778785901
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ich hatte mit dieser CD-Besprechung ein ganz spezielles Problem. Nicht des Inhalts der CD wegen, sondern weil ich vor gar nicht all zu langer Zeit einen Konzertbericht schrieb über einen Auftritt der MEYSTERSINGER und beim Anhören des Materials dieser CD schnell wusste, ich müsste mich wiederholen und meine Hauptaufgabe würde eher darin bestehen, andere Worte für das bereits Geschriebene zu finden, damit es nicht so auffällt. Aber dann kam ich zu der Überzeugung, dass das Quatsch ist. Ich würde mich quälen, denn das einst Gesagte war tief empfunden und diese tiefe Empfindung wiederholte sich beim Anhören der CD erneut, auf dieselbe Weise und ich würde blindlings dieselben Worte wählen. Insofern kam ich zu dem Entschluss, auch eingedenk dessen, dass selbst die Nutzung eines Linkverweises oftmals zu zeitaufwendig erscheint, greife ich zu doch zur Methodik, welche vielleicht als die Guttenbergsche in die Geschichte eingehen wird, ich kopiere für die Einleitung, in diesem Falle jedoch das von mir selbst Geschriebene. Ich bitte dies im Vorfeld zu entschuldigen:
 
MEYSTERSINGER - das ist das neue Projekt von Luci van Org, der Dame mit den vielen Namen wie Lucilectric, auch eben einfach Luci van Org, Übermutter oder nun Meystersinger - und genau das ist jedoch wiederum eine Falschaussage. Denn es handelt sich nicht um das Projekt einer einzelnen Sängerin, Schauspielerin, Autorin und was weiß ich nicht noch alles an zu betitelnden tatsächlichen Talentpotentialen die in ihr stecken. Es ist das Projekt zweier Menschen. So soll es verstanden sein, und so fühlt es sich auch an. Die zweite Person ist Roman Leitner-Shamov, ohne welchen dieses Projekt in gar keinster Weise aus meiner Sicht ein solches hätte werden können wie es nun eines ist. Was jedoch nicht behaupten will, dass es ohne Luci van Org ein solches geworden wäre, denn dies wäre eine weitere Falschaussage. Da ist eine künstlerische Symbiose zu erleben auf der Bühne und auf der mittlerweile vor der eigentlichen CD erstellten EP "Vier" wie sie wohl seines- oder sollte man besser sagen ihresgleichen sucht. Als wären sie schon ewig unzertrennlich gewesen, sich einander ergänzend, verehrend, belächelnd, miteinander vertraut, ja verwandt. Seelenverwandt. Ein Glücksfall und ich glaube nicht, dass es sich bei diesem Eindruck um eine inszenierte Täuschung handelt. Luci van Org und der Schauspieler, Musiker und Sänger Roman Leitner-Shamov sind so gegensätzlich einheitlich, dass es schon alleine Spaß macht, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie miteinander und dabei vor allem füreinander agieren. Und das erfühlt sich sofort, wenn man staunend im Publikum sitzt und das Maul nicht mehr zubekommt und nicht genug davon kriegen kann, was die beiden da für uns singen, erzählen und improvisieren. Nun kommt natürlich positiv erschwerend hinzu, dass beide auch noch auf wundervollste Weise ihr Handwerk beherrschen, scheinbar mühelos. Und selbst wenn mal etwas schief geht und ein bisschen etwas ging ja auch schief, ist das einfach nur ein humorvoller zutiefst menschelnder Effekt, der jede Starallüre abkreidet. Beide sind lebendig, hier und unter uns, und was sie uns zu sagen, respektive zu singen haben, zeugt von einer derartig überzeugenden Empathie für jedwede Arten von Menschen, solange sie respektierfähig sind, dass man ihnen abnimmt zu wissen, was mitfühlen und mitdenken heißt, denn wir dürfen es mit ihnen.
 
Dass das Werk teilweise morbide ist war nicht anders zu erwarten und ich glaube, ich wäre hochgradig enttäuscht, wenn dieser scharfe Abstand von jedwedem vorgebildetem Ästhetikpotential nicht gewesen wäre. Aber ich wurde ja nicht enttäuscht, ich wurde begeistert, mitgerissen, ja noch viel schlimmer und arglistiger: Ich wurde süchtig gedrogt nach der eigenwilligen und ganz besonders einzigartigen Kunst des Duos, der MEYSTERSINGER.
 
Luci van Org und Roman Leitner-Shamov lernten sich, so erzählten sie mir in einem Interview zur Oktoberausgabe meiner Sendung "Wahl-Lokal", während der Vorbereitungen zu einer Hochzeit kennen, zufällig. Und es war wohl einer jener Glücksmomente, welche ein höheres Wesen nur den ganz Begnadeten schenkt, als Lohn für Mühe und Arbeit, ein Pendant, ein notwendiges, ein weiterbringendes für jeden der beiden. Kurze Zeit später wurden sie selbst ein Paar, ein künstlerisches. Und wenn sie liiert sind, so richtig als Mann und Frau, dann nur in der Comedy-Serie "Heim Herd Hund", welche zu Halloween auf ZDF Kultur lief.
 
Die Lieder selbst, ich deutete es bereits an, sind textlich von einer großartigen oft sich selbst entlarvenden Tiefe, dass es manchmal weh tut und manchmal auch zu Lachsalven animieren möchte. Es trifft einfach und trotz oft verqueren Humors den Kern der Sache. Oder der Sachen. Die da sind. Liebe, Leid, Missverständnis, Tod - die Themenpalette ist mit Sicherheit nicht breiter als die anderer Künstler ähnlicher Profession, aber im wesentlichen empathisch bis in Details hinein ausgefeilt. Die Bilder der Metaphern sind grandios. Und ohnedies macht es einfach glücklich und mehr als aufmerksam, diesen beiden großartigen Sangestalenten beim Zelebrieren mit einer ungeheuer beeindruckenden scheinbaren Leichtigkeit zuzuschauen und zuzuhören. Und das Ganze ist nicht nur zutiefst ins Herze gehend, es ist teilweise auch noch witzig. Es ist eine Art Seelenhumor, der keine Tabus kennt (obschon er nie unter die Gürtellinie will und da auch gar nicht hingehört), der sich nicht scheut, Menschen als Menschen empfinden zu lassen.
 
Es ist elektronische Musik, recht minimalistisch eingespielt und doch angereichert mit vielen Klangfacetten. Im Mittelpunkt des gesamten Werkes steht für mich der ungeheuerlich in die Tiefe gehende Gesang Luci van Orgs und Roman Leitner-Shamovs. Einen Vergleich finde ich nicht, in meinem Erfahrungsschatz ist er unvergleichlich. Des Weiteren stehen im Fokus die Texte. Seelenbotschaften. Wir werden gleich am Anfang der CD behämmert, so als hätten wir eine Techno-Scheibe aufgelegt. Wir werden gehetzt und getrieben. "Keine Fragen". Die verschwinden, wenn man sich von der Zeit oder eher dem Zeitdruck treiben lässt. Gar gegen seinen Willen. Man lässt sich von der Panik anstecken, um sich danach gleich vom "Winterlied" beruhigen und melancholisch in aller Wintersentimentalität und Frühlingssehnsucht schönen zu lassen. Da sich hier aufzeigt, dass elektronische Musik - wie es noch oft auf diesem Album zu hören sein wird - zu einer orchestralen Größe heranwachsen kann, haben die beiden die Kraft, uns in eine Weite der Hoffnung hineinzusingen, dass man gar das Gefühl bekommt, höhersphärisch kann man von einem Gesang gar nicht mehr getragen werden. Großartig!
 
Um zu beweisen wie weitgefächert ihre künstlerischen Kapazitäten sind, nehmen sie uns mit aufs Meer und lassen uns sein "Wie das Meer". Wie die Stimmen miteinander harmonisieren und spielen, das ist Chorwerk. So eines, von welchem Heinrich Schütz in seinem verträumten Bad Köstritz sicherlich sehr angetan gewesen wäre. So ruhen wir bei einander oder auch jeder bei sich aus und genießen die Stille, die Liebe ... und zwar zu allen und allem.
 
Schräg daher - und uns so die Idylle ein wenig raubend - kommt das "Endelied". Na, diese Spielverderber ... Es geht um das Liebes-Ende. Und darein mischen sie klassische Anleihen mit Effekten aus ihrer großen Klangwerkstatt, immer etwas zerbrechend und doch wiederum selbst so zerbrechlich. Da ist die Musik bereits schon die Botschaft und zwar sehr vielschichtig. So wie die Seelen sind, wie das Leben ist. Der Text gleicht so auch sehr dem ebenfalls klassisch angelehnten traditionellen deutschen Liedgut.
 
Man glaubt schon, einen Aha-Effekt gehabt zu haben und eine Marotte erkannt. Doch dann kommen sie fast poppig daher. "Es ist Liebe". Na gut, sagt man sich, aber textlich machen die das so: Erst versprechen sie uns Liebe, um sie im nächsten Titel wieder zu beenden, nur um im darauf folgenden Titel eine große Liebe zu verheißen, die sie allerdings im übernächsten Titel ... - "Es ist Liebe, es ist Klang" - so könnte man auch das Album beschreiben. Und egal, worüber sie uns singen - Schönes, Leidvolles, Lieben, Sterben - es ist in allem immer wieder einfach nur ... beglückend.
 
"Geht´s dir gut, da wo du bist?" Ich glaube, das ist mein Lieblingslied von dieser CD, wenn man überhaupt in diesen vielen wunderschönen Liedern ein Lieblingslied erkennen kann. Jedesmal, wenn ich diesen Titel höre, beginne ich zu weinen. Es ist irre, dass so ein musikalisch bescheiden scheinendes Werk solches zu bewirken vermag. Vielleicht mag ich diesen Titel deshalb so sehr. Denn wann vermag heutzutage noch ein Lied einen zum Weinen zu bringen?
 
Mit "Trost", auch wieder eine zu hymnischer Größe gesungene Musik, gibt es uns tatsächlich auch das, was man sich wünscht, wenn man schon mal weinen muss: Trost eben ... und Stärke. Diesen Titel gibt es am Ende der CD auch noch einmal als Radio Remix.
 
Naiv, fast an die Neue Deutsche Welle erinnernd, "Die Weite". Mit einem Refrain in einer titelbezogenen Attitüde, unterbrochen von einer verträumten Instrumentierung. Hier könnten wir tanzen, mitsingen und - wenn wir dieses nicht vermögen, ich zum Beispiel bin ein hundsmiserabler Tänzer - uns einfach mit Headbanging begnügen.
 
Doch die Uhr tickt und treibt uns weiter. "An diesem einen Tag hatte ich zuviel gesehn". Es gibt solche Tage, die kennt wohl jeder, an denen man aus der Zeit fällt; an denen man das Gefühl hat, ins Bodenlose zu fallen; an denen man jeden Sinn hinterfragt und keine Antwort findet ... Und doch kann dieser Tag oder die darauf folgende zergrübelte Nacht der Zeitpunkt sein, an welchem man nach langer Zeit endlich zu sich selbst oder zu sich selbst zurück findet. Das erzählt uns dieses starke leise Lied.
 
Und da sind wir schon mit Geigenklängen fast beim Ende des Albums. Und "Am Ende aller Dinge". Leichtes luftig-lustiges Sterben und ein neu Beginnen.
Mann, steckt in dieser Musik eine Kraft! Was für Texte, was für Ideen und was für ein Gesang! "Und am Ende aller Dinge werd ich lachen über mich ..." Genauso soll es sein...
 
Was ich mir wünsche - denn ansonsten bin ich trotz aller Spannung und Erwartung auf Kommendes fast wunschlos glücklich mit diesem Album - wäre auf der nächsten Scheibe eine á-capella-Nummer. Das wäre wohl noch das Tüpfelchen auf dem i.
"Trost" von den MEYSTERSINGERn: Ich hatte anfangs gedacht, schreiben zu wollen, wir sollten diese CD vor allem an besonderen Tagen hören. Aber das ist Blödsinn. Eher ist es so: Die Tage, an welchem man diese CD bewusst hört, werden mit dieser zu besonderen Tagen.
(Andreas Hähle)
 

 
Beitrag kommentieren:
Dieses Album oder die Rezension kommentieren? Das kannst Du im Forum.
 

   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.