Titel: Interpret: Label: VÖ: Inhalt: |
"Mein Herz" 108 Fahrenheit Revolver/rough trade 18. März 2016 1. Sag kein Wort 2. Mein Herz 3. Leerer Planet 4. Letzter Tag 5. Du bist das Lied 6. Kopf hoch, Baby 7. Gib nicht auf 8. Schweigend mit Dir stehen 9. Wie Du 10. Verzeih Dir 11. Wasserblau 12. Ich warte auf Dich 13. Da, wo Du hingehst Anmerkung: Auch auf Vinyl (Schallplatte) erhältlich! |
"Im Osten" war vor knapp 15 Jahren ein Überraschungshit für Kai Niemann. Platz 4 der Media Control Single Charts und eine Goldene Schallplatte fuhr er mit der Nummer ein. 300.000 verkaufte Maxi CDs mit dem Song befinden sich seitdem in bundesdeutschen Haushalten. Das ist lange her und mit dem Niemann von früher hat der Niemann von heute nicht mehr ganz so viel zu tun. Der Musiker hat sich weiterentwickelt, weitere Platten veröffentlicht und mit 108 FAHRENHEIT seit kurzer Zeit einen neuen Namen für seine Band, mit der er vor knapp 8 Wochen das Album "Mein Herz" veröffentlichte.
Hinter dem Namen 108 FAHRENHEIT stecken neben Kai Niemann (Gesang/Gitarre) noch Marco Pfennig (Banjo/Gesang), Adrian Kehlbacher (Kontrabass/Gesang), sowie die weiteren Musiker Alex Henke (Gitarre), Thomas Hübel (Gitarre) und Friedo Steinke (Schlagzeug). Insgesamt 13 Lieder umfasst das eben schon erwähnte erste Album, das die Band unter dem neuen Namen veröffentlicht hat, und jedes dieser Lieder hat es in sich! Hier ein paar Beispiele ...
Kai Niemann ganz pur, nur zur Gitarre und Geige, hört man beim Opener "Sag kein Wort". Bob Dylan lässt grüßen, aber Kai Niemann kann man besser verstehen. Eine kurze, aber wunderbare Einleitung in ein Album, das mit reichlich Überraschungen aufwartet.
Mit darauf enthalten ist auch die Single "Schweigend mit Dir stehen". Diese Nummer verordnet seinen Hörern - wie eigentlich alle anderen Stücke auch - die volle Aufmerksamkeit. Es geht um die Vereinsamung der Gesellschaft durch die digitalen Welt, in die sich viele nur noch verkriechen. Ein Problem, das schon seit einiger Zeit besteht, so richtig aber noch nicht angegangen wurde. 108 FAHRENHEIT tun dies jetzt mit ihrem Lied.
Aber das ist nicht das einzige Problem unserer Zeit. Auch müssen wir zusehen, wie unsere Umwelt immer weiter zerstört wird, ohne dass wirklich etwas dagegen getan wird. Darum befindet sich mit "Leerer Planet" auch ein vertonter Alptraum auf der Platte, der vom Text und von der Musik gleichermaßen eine Endzeitstimmung verbreitet, die nicht wirklich schön ist. Aber der Song ist es, weil er eben keine der üblichen Mahnungen ist, sondern richtig unter die Haut und ans Gewissen geht.
Das Thema Depressionen wird im Titel "Gib nicht auf" behandelt. Das Lied gibt einen tiefen Blick in das Innere einer kranken Seele sowie in die des Freundes oder Lebenspartners der betroffenen Person, der letztlich mit in ein tiefes Loch fällt, wenn die Krankheit erstmal da ist.
Einen richtigen Aufrichter stellt hingegen das Lied "Kopf hoch, Baby" dar. Man kann durchaus mal fallen oder verlieren, sollte dabei aber nicht vergessen, wieder aufzustehen. Wer dabei Hilfe benötigt, kann sich dieses Lied in allen Lebenslagen reinziehen. Es hält zu einem, macht Mut und feuert einen an.
In Sachen Liebeskummer weiß Herr Niemann auch die richtigen Worte zu finden, so wie im Stück "Wasserblau". Es ist die Zeit direkt nach einer Trennung, wenn die Gedanken noch immer am Partner hängen, der nun nicht mehr da ist. Es beschreibt die Sehnsucht und den Wunsch, bestimmte Dinge noch einmal erleben zu dürfen ("Lass mich schwimmen in Deinen wasserblauen Augen | Lass mich Dich noch einmal seh'n"). Eine unglaubliche Atmosphäre, die hier erzeugt wird, und so ganz nebenbei blüht die Geflügelpelle auf Arm und Rücken. Großartig!
Kai Niemann, der hier alle Texte und Kompositionen geschrieben hat, ist ein ausgesprochen guter Geschichtenerzähler, der sein Publikum für eine bestimmte Zeit ganz leicht in seine Welt locken und begeistern kann. Man erlebt darin die Ängste vor dem Ende der Welt ebenso, wie den tiefen Schmerz nach dem Verlust einer großen Liebe. Man wird dort u.a. auch Zeuge einer immensen Kraft, mit der jemand wieder aufgebaut und zum Weitergehen gebracht wird. Das alles wird hier greif- und fühlbar, nicht zuletzt auch wegen der tollen instrumentalen Ausarbeitung. Und hier kommen die anderen Musiker ins Spiel, die die Inhalte zum Leben erwecken. Eine höchst schmackhafte und dichte Mischung aus Rock, Pop, Country und Folk in Verbindung mit den eben erwähnten, wunderbar formulierten Inhalten, erwartet den Hörer, der sich zudem auf eine Vielzahl von Instrumenten freuen kann, die hier zum Einsatz kommen. Gitarren, Bass und Banjo stehen hier zwar im Vordergrund, lassen aber genügend Platz für allerlei andere Zutaten, wie z.B. Trompeten, Posaunen, diverse Streicher, Flügelhorn, Pedal Steel, Keyboards, Fiddle, Whistle und und und. Was auf den ersten Blick total überladen wirkt, klingt auf dem Album aber sehr harmonisch und durchdacht. Jedes Detail hat seinen Sinn, jeder Versuch, etwas Außergewöhnliches zu kreieren, ist von Erfolg gekrönt und jede einzelne Episode (Lied) wird so zu einem einzigartigen Erlebnis. Die Lieder leben, auch wenn sie nicht unbedingt die fröhliche Welt darstellen, sondern die harte Realität widerspiegeln. Über das Radio werdet Ihr die Lieder dieser CD nicht für Euch entdecken können. Dafür sind sie zu sehr in die Tiefe gehend und beladen mit Themen, die der Mainstream in seiner derzeit vom Frühling durchfluteten Zauberwelt nicht haben möchte. Darum kauft Euch das Album ruhig guten Gewissens als Folge dieser Rezension, empfehlt es weiter und tragt es in die Welt.
(Christian Reder)