Titel: |
"Die Bewaffnung der Nachtigall" |
Weshalb schreibt man Tagebuch? Für sich selbst? Für die Nachwelt? Für niemanden? Im Falle von Klaus Renft finden wir die Lösung gleich in seinem ersten Eintrag vom 24. Juli 1968: "Es soll kein Tagebuch noch ein Geschichtenbuch sein, doch der Versuch, Klarheit in meinen Kopf zu bringen, damit ich zielstrebiger denken kann". Inzwischen liegen einige biografische Publikationen zum Thema vor, so dass man meinen könnte, eigentlich sei darüber bereits alles erzählt. Die Intimität eines Tagebuchs vermag zwangsläufig jedoch keines dieser Werke auch nur ansatzweise zu erreichen.
Mit Heike Stephan, freischaffende bildende Künstlerin und überdies langjährige Lebensgefährten von "Jenni", und der Autorin Undine Materni, haben nun (bezeichnenderweise) zwei Vertreterinnen des weiblichen Geschlecht die hinterlassenen sechs Tagebücher der bereits im Jahre 2006 verstorbenen Rocklegende aufgearbeitet und entschlackt - letzteres insbesondere insoweit, als dass die handschriftlichen und "zuweilen auch unter Einfluss von Alkohol entstandenen" Notizen ihre eigene Auffassung von Rechtsschreibung hatten und folglich gelegentlich kosmetischer Korrektur bedurften. Zudem blieben - wofür jeder Verständnis haben dürfte - allzu private Aufzeichnungen außen vor.
Das Leben des Klaus Renft lässt sich vergleichsweise einfach in Zeitabschnitte einteilen, denen dementsprechend auch die Tagebucheinträge folgen. Es gab die Vor-Renft-Zeit, die vorliegend bereits angesichts der erst im Sommer 1968 begangenen Aufzeichnungen einen überschaubaren Umfang ausmacht, dann natürlich die Jahre des Erfolges mit der Band bis hin zum Verbot 1975, die Ausreise nach Berlin-West mit, wie zu erfahren ist, vielen Entbehrungen und Selbstzweifeln, und letztlich die neue Zeitrechnung mit der Rückkehr in den Osten.
Aufmerksamkeit erzeugt zunächst die Erkenntnis, dass Klaus Renft sich mehr als erahnbar mit sich selbst zu beschäftigen schien. Immer wieder Selbstkritik und -zweifel und die stete Frage nach dem Sinn. Dabei schien es ihm weniger um Anerkennung oder gar Liebe anderer gegangen zu sein, sondern zuvorderst um Selbstbestätigung und schlichte Harmonie: "Ich bin eigentlich das größte Problem für mich / Das Wir ist möglich, doch mit dem Haufen Egoismus / Es ist die Suche nach der inneren Ruhe (Befriedigung) / welche mich bewegt mich zu bewegen" (aus: "Ich über mich"). Überhaupt finden sich seine Gedanken immer wieder in poetischen Versen, ja Gedichten wieder, so dass man sich fragt, weshalb es Jenni eigentlich nie zum Songtexter gebracht hat. Übrigens entstammt auch der auf ersten Blick etwas skurril und ambivalent anmutende Titel des Buches einem solchen Eintrag.
Zwischen Pfingsten 1969 und Sommer 1971 klafft bedauerlicherweise eine verdammt große Lücke in dem Werk - war diese Zeit doch nicht so ganz unbedeutend für die Entwicklung der Klaus-Renft-Combo und der Rockmusik in der DDR schlechthin. Bisweilen amüsant erscheinen die hier und da vorzufindenden, sicher nicht immer todernst gemeinten Anmerkungen zu seinen Bandkollegen. Als beispielsweise Kuno Anfang 1972 den Platz an der Orgel von Michael Heubach übernommen hatte, ließ Jenni sich zu der Bemerkung "19 Jahre, fett, verheiratet, scheint aber sonst ein ganz verträglicher Mensch zu sein" hinreißen. Dass es im weiteren Verlauf der Bandgeschichte insbesondere zwischenmenschlich nicht immer zum Besten bestellt war, ist hinlänglich bekannt. Nachdem die Differenzen und Zerwürfnisse immer offenkundiger wurden, rief das natürlich den Kapellmeister auf den Plan: "Auf dem gegenwärtig eingeschlagenen Weg ist meinerseits eine weitere Zusammenarbeit mit der Gruppe in der gegenwärtigen Besetzung nicht mehr möglich ..." Es folgt ein regelrechtes Manifest an angedachten Maßnahmen der Befriedung. Die Einblicke, die uns hier in sein Seelenleben und seine tiefe Zerrissenheit gegeben werden, finden auch in späteren Jahren mit steter Regelmäßigkeit aufkommenden Lebenskrisen ihre Fortsetzung. Und sie sind zugleich Beleg dafür, dass sich Klaus Renft diesen immer wieder aufs Neue gestellt hat und seine progressiven Kräfte nicht zuletzt auch aus existentiellen Konflikten zu schöpfen vermochte, dabei stets mit Augenmaß um Kompromisse ringend. Dies mag vielleicht auch der Grund dafür sein, dass es eine Klaus-Renft-Combo unbeschadet des Bandnamens ohne ihn ziemlich sicher nicht gegeben hätte, selbst wenn er kein begnadeter Musiker gewesen sein mag (was ihm stets bewusst war und natürlich zeitlebens zu schaffen machte).
Minutiös dokumentiert wurden selbstverständlich auch die vielen zerreibenden Auseinandersetzungen mit den DDR-Kulturoberen, namentlich dem Komitee für Unterhaltungskunst, die letztlich und allen Bemühens unseres Autors zuwider im Renft-Verbot mündeten. Musikproduzentin Luise Mirsch seinerzeit dazu: "Das hättet Ihr doch wissen müssen oder wolltet Ihr es bewusst auf die Spitze treiben?" Das "Ihr" ging sicher nicht in erster Linie an die Adresse des Klaus Renft, denn jener wusste sehr wohl, dass das Fass übergelaufen war. Es gleichwohl zu verhindern, hat er zumindest versucht.
Einen breiten Umfang in den Tagebuchaufzeichnungen nehmen die Westberliner Jahre ein. Die Probleme dort waren zunächst andere, wenngleich nicht minder zermürbend. Exemplarisch hierfür, nach erfolgter Ausreise, bereits der ernüchternde "Empfang" auf dem Bahnhof Zoo. Die ersten 10 Tage wurden bei einem Alkoholikerehepaar verbracht. Es waren - so Jenni - "grausame 10 Tage". Die dann folgende Odyssee durch Ämter und Behörden, den täglichen Kampf um die Almosen des sog. Sozialstaates kannte er in dieser Form bislang nicht. Und folgende Versuche, musikalisch (mit Windminister) wieder Fuß zu fassen, endeten im Desaster. Weniger bekannt sein dürfte indes, dass Klaus Renft in dieser Zeit immer wieder seine alte Heimat besuchen konnte und hiervon auch rege gebrauch machte.
Mit dem Fall der Mauer dann einmal mehr neue Erfahrungen: "Du billiges DDR-Schwein", aufgeschnappt bei zwei sich streitenden Schulbuben. Dazu die zum Greifen nahe, eigentlich nicht mehr für möglich gehaltene Renft-Reunion. "Gibt es den Namen Renft auch nach der Wende oder ist es nur Nostalgie? Der Name Renft ist doch die Legende und auch ein gewisses Alibi ...". Und zum gleichen Thema: "Die DDR hat nun mal ein Produkt Renft hinterlassen, was nicht verbraucht wurde."
Es war nur eine Frage von wenigen Monaten, dann knirschte es wieder im Gebälk. Der Machtkampf mit Thomas "Monster" Schoppe um die künftige Ausrichtung der Band ist voll entbrannt und macht Jenni einmal mehr schwer zu schaffen. Die größte Lebenskrise, die über ihn hereinbrach, sollte aber erst noch kommen, am 31.07.96: "Band - rausgeschmissen / Partnerin - weg / Wohnung - gekündigt". Dazu ferner: "Ich finde es zum kotzen, dass ich erklären muss, das ich Klaus Renft bin." Der letzte Eintrag datiert vom 17.11.97.
Das Leben des Klaus Renft war ein Leben voller Widersprüche, Widerstände und Kämpfe. Nicht jeden dieser Kämpfe konnte er für sich entscheiden, doch bleibt ihm der Verdienst, eine wichtige Epoche in der (ost-) deutschen Kulturlandschaft maßgeblich mitbestimmt, ja geprägt zu haben. Die nunmehr vorliegenden Tagebücher liefern einen wichtigen Beitrag, kulturgeschichtliche Zusammenhänge, projiziert auf einen maßgeblich beteiligten Künstler, in ihrer Tiefe substantieller als bislang zu begreifen, "zwischen Zorn und Zweifel, Zwietracht und Zuversicht", um das treffliche Fazit des publizierenden Buschfunkverlags an dieser Stelle einmal zu zitieren. Pflichtlektüre - Punkt!
Und was sagt Jenni? "Was ist Renft? Eine Idee von Erfolg, Protest und Anpassung. Im Grunde eine geniale Fehlleistung. Renft ist meine Bühne, auf der sich jeder produzieren darf." Dem ist nichts hinzuzufügen.
(Rüdiger Lübeck)