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Titel: Interpret: Label: VÖ:
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"Maschine" Dieter Birr Heart Of Berlin/Universal 14.03.2014
1. Leben ist kurz 2. Lebenszeit 3. Geh zu ihr 4. Boote der Jugend 5. Regen 6. Mein Weg 7. Lied für Generationen 8. Was wussten wir denn schon 9. Wenn ein Mensch lebt 10. November im Mai 11. Du hat Schuld, dass ich dich liebe 12. Wirst du für mich da sein |
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Rezension:
Unumwunden muss ich an dieser Stelle vorab eingestehen, mich in meinem Leben noch nicht allzu intensiv mit den PUHDYS, immerhin der größten Rockband der untergegangenen DDR, beschäftigt zu haben. Vermutlich hat dies in erster Linie daran gelegen, dass ich von meinen Eltern sehr „westlich“ erzogen worden bin und, zu Zeiten des „Kalten Krieges“, jegliche Form von „Ost-Rock“ bei uns zu Hause überwiegend als verpönt galt. Nun gut, diese Zeiten sind gottlob vorbei, so dass es für einen Freund gutgemachter deutscher Rockmusik, wie ich gerne einer bin, eigentlich nur eine Frage der Zeit sein musste, bis auch ich dazu kommen sollte, mich näher mit der inzwischen 45 Jahre lang bestehenden Rocklegende, die am 19. November 1969 ihren ersten Auftritt im Konzert- und Ballhaus TIVOLI in der sächsischen Universitätsstadt Freiberg absolvierte, auseinander zu setzen. Nun soll es endlich soweit sein!
Waren mir bislang ausschließlich z.B. der allererste Titel der PUHDYS, den ich jemals, damals erst zehn Jahre alt, hörte – „He John“, im Sommer 1981 vorgestellt in der allsonntäglichen „Deutschen Schlagerparade“ mit Ilse Rehbein auf NDR II –, die in jener Dekade im Windschatten des immensen West-Erfolgs von „Karat“ („Der Blaue Planet“, 1982) über die Innerdeutsche Grenze gen Westen schwappenden NDW-Versuche des Quintetts a la „Sehnsucht“, „Hiroshima“ bzw. „Computerträume“, oder im Laufe der Jahre natürlich die unvergessenen Evergreens der Band (z.B. „Wenn ein Mensch lebt“, „Das Buch“, „Alt wie ein Baum“, „Perlenfischer“ oder „Ohne Schminke“) ein Begriff, so liegt nun auf einmal das zweite Soloalbum von Dieter „Maschine“ Birr, dem Gründungsmitglied, Hauptvokalisten und Gitarristen der PUHDYS, zwecks Rezension vor mir! Und siehe da: Fast alle Songs aus „Maschine“ – so der Titel von Dieters erneutem Soloversuch - sprangen mich beim ersten Hören sogleich überaus positiv an, imponierten mir teilweise sogar unerwartet stark, und machten darüber hinaus Appetit, mich in Futuro vielleicht doch noch mal ausgiebiger in das inzwischen über 40 LPs/CDs umfassende Schaffen der PUHDYS hineinzuempfinden!
Zwölf Titel, darunter einige sattsam bekannte PUHDYS-Dauerbrenner, wie gleichsam ein paar Geheimtipps aus den letzten 45 Jahren, sowie zwei bislang unveröffentlichte, brandneue Kompositionen, hat Dieter Birr, der von Anbeginn an aufgrund seiner ausgeprägten Esslust „Maschine“ genannt wird (in Anlehnung an „Fressmaschine“, als die er von PUHDYS-Keyboarder Peter Meyer einst apostrophiert wurde), für seine zweite Soloscheibe (nach einem – mir allerdings nicht geläufigen - ersten Alleingang in den 80ern), zusammengestellt, aktuell und zeitnah ausgekleidet, oft deutlich entschlackt, aufs nötigste reduziert, aber zumeist äußerst sympathisch und mit umtriebiger, jugendlicher Frische ausgestattet, abermals arrangiert und, häufig mit spannenden Duettpartnern, neu eingesungen.
Gleich zu Beginn gibt sich ein allseits begehrter Deutschrock-Kollege uss Kölle am Rhing die Ehre, gemeinsam mit „Maschine“ den 1989er-„Puhdys“-Titel „Leben ist kurz“ neu zu interpretieren, der seinerzeit auf der schon von den anstehenden gesellschaftlichen Umbrüchen gekennzeichneten LP „Neue Helden“, damals jedoch noch in Form und Ausprägung eines dröhnenden Hardrockers, erstmals zum Einsatz gekommen war. Es handelt sich bei Dieters Gesangspartner um niemand geringeren, als das Kölsche Urgestein Wolfgang Niedecken, Frontmann von BAP, den mit den PUHDYS seit genau 30 Jahren ein historisch markantes, heutzutage eher skurril anmutendes (beinahe) gemeinsames Erlebnis verbindet. Doch dazu später mehr!
„Leben ist kurz“ erklingt 2014, trotz aller nachdenklich-philosophischer Tiefe, lebenserfahrener Abgeklärtheit und Ernsthaftigkeit, aus allen Ritzen frühlingshaft, munter, geradezu wie neugeboren, zwar nicht mehr so heavy-lastig überdreht, wie einst, aber dafür positiv lakonisch, friedensstiftend und versöhnlich, musikalisch auf luftig-leichter Folkrock/Pop-Basis aufgebaut. Obwohl Niedecken sich zunächst einige Verse auf Hochdeutsch versucht – was nicht so recht zu gelingen vermag -, avanciert die Neuauslegung von „Leben ist kurz“ spätestens zu jenem Zeitpunkt, wenn der BAP-Urvater in den letzten zwei Strophen des Liedes endlich in seinen gewohnten Kölschen Dialekt entfliehen darf, zu einem famosen Beispiel für gesungene (und sicht- bzw. hörbar) gelebte Kölsch-Berlin'sche Freundschaft.
Als knisternde, einwenig nächtlich-verträumt anmutende Mixtur aus sachtem Akustik-Swing, hintergründiger Reggaerhythmik und proper austariertem, romantisch-introvertierten Folk-Pop, garniert mit zig Fiedeln und anderen Streichinstrumenten, erklingt die in gesanglicher Kooperation mit CITY-Sänger Toni Krahl aufgenommene 1976er-Komposition „Lebenszeit“ (aus der LP „Sturmvogel“), die weniger rockig bebt, im Gegensatz zum Original hörbar im Tempo gedrosselt wurde, und somit im Neuarrangement enorm viel Altersweisheit und Lebenserfahrung von „Maschine“, der 2014 seinen 70. Geburtstag feiert, und seinem vier Jahre jüngeren CITY-Kollegen ausstrahlt.
Augenzwinkernd, wiederum im spritzigen Folkambiente umgesetzt, diesmal unterstützt durch eine originäre Maultrommel (!), die von Dirk Michaelis, seines Zeichens ehemaliger Frontmann der Leipziger Rockband KARUSSELL, gespielt wird, sowie durch eine dunkel-bassige Tuba, freche jazzige Bläsersätze und eine lieblich zirpende Akustikgitarre, gefolgt von bluesigen Slide-Spielereien, ertönt 2014 „Geh zu ihr“ – derjenige fulminante Generationshymnus, der 1973 eigens für den DEFA-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ aus dem gleichen Jahr, mit Angelica Domröse und Wilfried Glatzeder in den Hauptrollen, geschrieben worden war und nicht nur das Lebensgefühl der DDR-Jugend in den frühen 70er Jahren genau auf den Punkt brachte, sondern zudem mit für spießige DDR-Verhältnisse jener Tage verhältnismäßig offenherzigen Textzeilen der Sorte „Gehe zu ihr und lass Deinen Drachen steigen“ (auf gut Deutsch: geh zu ihr und schlaf mit ihr) betörte. Ebenfalls dem viel diskutierten Kinostreifen aus dem Frühjahr 1973 ist der musikalisch locker-flockige, lyrisch etwas naive Ohrwurm „Wenn ein Mensch lebt“ entliehen, den „Maschine“ 41 Jahre nach Entstehung gekonnt, originalgetreu, ohne Abstriche in Sachen Stimmung und Intention, und vor allem bar jeglicher unnötiger Modernisierungen, und dennoch in runderneuertem, lebensfrohem Flair wiederaufleben lässt!
Zu einem fetzig straighten, durch und durch bluesgetränkten Gitarrenrocker, allerdings auf nahezu vollständig akustischer Basis, sich nach und nach in Sachen Tempo und Lautstärke trefflich aufbauend, gerät 2014 die einst überwiegend elektronisch, an damaligen NDW-Sperenzchen angelehnt inszenierte 1984er-Stellungnahme „Die Boote der Jugend“ (aus der LP „Das Buch“) in ihrer hervorragenden, erdig-rockigen Neufassung!
Zusammen mit der russlanddeutschen Soullady Julia Neigel, intoniert „Maschine“ die hochgradig gefühlvolle Liebesgeschichte „Regen“ (aus der 2005er-CD „Alles hat seine Zeit“), die über das Kennenlernen eines Paares, nach Ende eines Sommers, zu Beginn der kühlen, stürmischen, nassen Jahreszeit, wortgewandt und intensiv erzählt, und ganz besonders Dank des über alle Maßen gekonnt ausgeloteten Stimmungswechsels zwischen Dieters abgeklärt-verliebtem Gesang und Julias heißblütiger Soulintonation zusätzlich an Intensität und Überzeugungskraft gewinnt.
Fröhlich, offensiv, latent rockig, wird’s im eingängigen Folk-Rock-Ohrwurm „Mein Weg“, einer für „Maschine“ entstandenen Neukomposition des PUHDYS-Masterminds, die stilistisch durchaus zu so manchem ähnlich ausgerichteten Liedgut auf Springsteens aktueller CD „High Hopes“ passen würde; Dirk Michaelis von KARUSSELL singt diesmal im Chor mit.
Das vom Älterwerden handelnde „Lied für Generationen“ entstammt in der Urfassung der zweiten LP der PUHDYS aus dem Jahr 1975 und bekam 2014, mittels einer sehr stillen, kammermusikalischen, fast semiklassischen Neueinkleidung auf der Basis von führendem Piano und graziös untermalenden Streichern, ein so ausdrucksstarkes, wie bodenständiges Chanson-Ambiente verliehen, im Rahmen dessen „Maschines“ rohe, authentische, wahrhaft reife und weise Stimme ganz besonders prachtvoll zur Geltung kommt, was der einstmals einwenig verquast-verspielt daherkommenden Hippie-Rock-Nummer außerordentlich gut zu Gesicht steht.
Stets als Überwinder von Generationen – und oft auch von Grenzen – hat sich der Rock’n’Roll im Laufe seiner Existenz ein ums andere Mal bewiesen. Dass dies nicht immer so einfach bzw. mit den herrschenden politischen Verhältnissen in Einklang zu bringen war, davon weiß nicht nur Dieter Birr ein Lied zu singen. So singt er auch ein solches namens „Was wussten wir denn schon“, wiederum gemeinsam mit BAP-Chef Wolfgang Niedecken, welches von der ersten – wenn auch damals noch arg ungemütlichen und politisch höchst brisanten - noch nicht einmal persönlichen Begegnung zwischen BAP und Puhdys, so punktgenau wie liebevoll, mit sympathischem augenzwinkernden, ironischem Abstand versehen, erzählt.
Wie in meiner ausführlichen Huldigung der genau vor 30 Jahren erschienenen BAP-LP „Zwesche Salzjebäck un Bier“ zu lesen ist, die kürzlich auf Deutsche-Mugge.de in der Rubrik „Klassiker“ veröffentlicht wurde, wollten Wolfgang Niedecken und die Seinen, als Folge von Udo Lindenbergs kurzer DDR-Visite auf dem „Rock für den Frieden“-Festival im Herbst 1983 im Ostberliner Palast der Republik, im darauffolgenden Frühjahr ebenfalls eine Tournee durch den Arbeiter- und Bauernstaat durchführen, da auch BAP jenseits der Zonengrenze eine große Anzahl von treuen Fans besaßen. Doch daraus wurde nichts, da sich im Vertrag zur geplanten Tour der Passus befand „Die Künstleragentur der DDR behält sich Programmänderungen vor“, den die gewieften DDR-Kulturfunktionäre der freigeistigen Rockband aus der Rheinmetropole unterschummeln wollten. Dieser staatliche Eingriff in ihr Konzertrepertoire wurde seitens der Band jedoch vehement abgelehnt. So beschlossen die Kölschrocker, nach einigen Stunden harter Verhandlungen im Ost-Berliner „Hotel Unter den Linden“, am Vorabend des lange anvisierten ausverkauften ersten Auftritts eben im Palast der Republik, wiederum Kehrt zu machen und ihre Konzertreise durch 14 ostdeutsche Städte abzusagen. Die Ost-Berliner Fans warteten an jenem Abend also gespannt und voller Vorfreude auf ihre Helden von BAP – aber statt derer enterte plötzlich der staatliche Konzertveranstalter die Bühne, faselte irgendetwas davon, die Kölschrocker hätten zwar immer betont „sich nicht einplanen zu lassen“ (so geschehen im Text des 1982er-Friedenshymnus „Zehnter Juni“), sich nun aber offenbar „vor den Karren des US-Imperialismus spannen lassen“, weshalb sie sich weigerten, „vor der weißen Taube auf blauem Grund“ (ergo: der Friedenstaube) zu spielen. Als Ersatz begrüße man nun – juhu! - die PUHDYS …
Da stand so manchem anwesenden BAP-Anhänger ganz schön der Schreck im zuvor so erwartungsvoll strahlenden Gesicht geschrieben. Die jungen Leute waren wütend und traurig gleichermaßen – und die PUHDYS hatten die undankbare Aufgabe, die Vertretungsnummer zu machen und so die eigentlich einzig und allein wegen BAP angereisten Rockfans bei Laune zu halten. Davon, über verschämte und doch so unbändige Rock’n’Roll-Gefühle in „zweierlei Deutschland“ (Textzitat), handelt gewitzt, aber würdevoll, trefflich und vor allem von beiden Seiten überaus ehrlich und unverblümt dargeboten, in Springsteen-ähnlichem, wiegenden, aber dennoch kraftvollem, gitarrenbetonten Folkrock-Gewande die zweite gesangliche Zusammenarbeit von Dieter Birr mit Wolfgang Niedecken auf vorliegender CD.
Die hymnisch, aufmunternde Reanimierung von „November im Mai“, aus der CD „Frei wie die Geier“ (1997) ist wiederum deftig-kraftvoll folkrockig geraten, hier und da blickt einwenig Großmeister Dylan durch Melodieführung und Inszenierung, zudem verspürt man Fragmente eines Van Morrison oder (wenn auch nur versteckt) Momente des energetischen Schottenrocks von BIG COUNTRY, ausgestattet mit wohlig wimmernder, blueslastiger E-Gitarre und vertracktem Rhythmus – einfach nur ein schönes, gefühlvolles Lied zum Träumen, mit rockigen Widerhaken; auf jeden Fall schon jetzt einer meiner Favoriten aus „Maschine“.
Die sanfte, gänzlich akustisch gehaltene Pianoballade „Du hast Schuld“ verbindet düsteres Randy-Newman-Großstadtnachtempfinden mit des Herrn Dylans Verlierer-Epos „Wanted Man“ und ist ein herrlich geständiges Klagelied, angefüllt mit Wehmut und gleichzeitiger Hoffnung, ein unpathetisches Liebeslied voller Tiefe und Verständnis. Als Epilog von „Maschine“ dient das liebevolle Gute-Nacht-Lied „Wirst Du für mich da sein“, bei dem Dieter Birr von seiner (übrigens für ihr junges Alter äußerst stimmstarken) achtjährigen Enkelin Annabell kollegial und kongenial gleichermaßen gesanglich unterstützt wird, und das mit einer wohl austarierten Mischung aus Gitarren-Folk, purem Chanson und einwandfreien Country-Einsprengseln überzeugt!
Ja, dies war nun meine erste intensivere Reise in die künstlerischen Welten von „Maschine“ Dieter Birr und somit natürlich auch in diejenigen seiner langjährigen Hausband, den PUHDYS. Klangen mir diese jedoch von jeher oft zu harsch, zu laut, zu krachend – in den letzten Jahren oft viel zu Heavy- und Alternative-Rock-beeinflusst - und waren mir manche Arrangements aus DDR-Zeiten häufig zu verquast, zu abgehoben, zu hippie-gemäß – klar, in der Diktatur natürlich eine gute Fluchtmöglichkeit für kreative Geister vor der staatlich aufgezwungenen Enge -, so sprechen mich die so herrlich nüchternen, grundlegend entschlackten, oft gar geradezu fragilen Neoversionen, die meist tiefst im Blues, im Irish und Scottish Folk, im frankophilien Chanson, im Springsteen/Dylan-Americana-Umfeld, und nur ganz, ganz selten und wenn, dann nur äußerst wohldosiert, in leichteren Popgefilden oder gar krachenden Rockgewittern verwurzelt sind, weitaus mehr an, als nicht weniges, was so einst im Band-Gefüge entstand. Dieter Birr ist ein famoser Texter, er verfügt über eine ehrliche, einwenig knarzige, stets gutmütige und auf dem Boden gebliebene Stimme; seine Kompositionen leben im akustischen Folk-Umfeld enorm auf bzw. sich aus.
„Maschine“ war mein erster Blick ins musikalische Leben des Dieter Birr – und es wird, Dank solch grandioser Folk-Perlen, wie „November im Mai“, „Regen“, „Mein Weg“ oder „Die Boote der Jugend“, garantiert nicht der letzte, sondern viel mehr der Beginn vieler weiterer in Zukunft sein!
(Holger Stürenburg)
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Videoclip:
Offizielles Video: "Regen" (mit Julia Neigel)
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