scmlive1 20140110 1701083842 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Live im Theater am Potsdamer Platz"
Stern-Combo Meißen
Pool
10. Januar 2014

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Eigentlich macht man sowas nicht. Als direkt oder indirekt Beteiligter sollte man keine Rezension über ein Produkt schreiben, weil das zu sehr nach Lobhudelei riecht. Als Richter vor Gericht würde man sich sofort ein Ablehnungsgesuch bzw. einen Befangenheitsantrag einfangen. Bei der neuen Live DVD/CD der Stern-Combo Meißen haben wir so einen Fall. Deutsche Mugge hat die Band als Partner seit fast einem Jahr auf ihrem Weg zum ersten Live-Video begleitet - und der Weg ist noch nicht zu Ende. Wir waren bei den Proben, wir haben das "Strippenziehen" im Hintergrund mitbekommen und wir waren vom ersten bis zum letzten Moment beim Konzert am 8. April 2013 im Theater am Potsdamer Platz dabei. Alle Neuigkeiten rund um dieses Konzert und die DVD/CD-Box gab es bei uns. Das Urteil über diese DVD kann demnach nur positiv ausfallen. Ganz sicher fehlt dem Rezensenten, in diesem Fall mir, die Neutralität und Objektivität. Könnte man meinen. Aber all das, was ich jetzt hier schreibe, kann belegt werden. Außerdem spricht die DVD/CD-Box für sich selbst und braucht keinen Werbetext der Deutschen Mugge.

Ich bin erst sehr spät zur Musik der Stern-Combo Meißen gekommen. Genauer gesagt hat mich Thomas Kurzhals an die Musik herangeführt. Das war Anfang des neuen Jahrtausends. Er schenkte mir die CD "Hits" und meinte, "Hör Dir die mal an". Das tat ich. Mehrmals, denn gleich beim ersten Hören war die Musik etwas sperrig. Nicht im Sinne von "schräg", sondern im Sinne von anspruchsvoll. Man kann beim ersten Hören der Stern-Lieder nur eins: Entweder auf den Text achten, oder auf die irre verspielte und mit vielen Details durchsetzte Musik. Beides kann man nicht erfassen, dafür bedarf es mehrere Durchgänge. Seit diesem Hörerlebnis hat mich die Combo nicht mehr losgelassen. Thomas hatte mich mit der CD angezündet und ich stand in Flammen. Diese Musik hätte ich zu gerne mal live gehört, aber die Gelegenheiten waren für mich nicht so günstig. Bis 2008 riet man mir sogar davon ab, ein Konzert der Band zu besuchen. Das hätte nicht mehr viel mit der Combo zu tun, hieß es. Das ist aber eine andere Geschichte. Irgendwann hatte ich dann endlich die Gelegenheit, und seitdem liebe ich die Musik dieser Kapelle. Ab sofort reichten die Studioalben nicht mehr, denn live ist die Band unheimlich dynamisch und mitreißend. Das ist nochmal eine ganze Stufe besser als das, was man auf Platte und CD hat. Eine Rockband ohne Gitarristen, die einen so von seinem Platz im Zuschauerraum abholt, hat definitiv eine hohe Qualität und spielt in einer anderen Liga wie die Plastikbands dieser Tage. Leider konnte man dieses Gefühl eines Stern-Combo Meißen-Konzerts nicht mit nach Hause nehmen, um es dort immer und immer wieder genießen zu können. Der Wunsch vieler Fans, eine reine Live-DVD NUR mit der Stern-Combo zu haben (immerhin gab es ja schon eine DVD mit dem Sachsendreier), wurde nun endlich erhört. Die Band hat diesen Wunsch vieler mit der DVD/CD-Box "Live im Theater am Potsdamer Platz" erfüllt.

Die Leute, die dabei waren, lobten das Konzert in den höchsten Tönen. Einen sehr schönen, und das Geschehen gut wiedergebenden, Bericht hat mein Kollege Torsten gleich im Anschluss an das Konzert bei Deutsche Mugge veröffentlicht (siehe HIER). Darum brauche ich über die beiden Konzertfilme, also den ersten und den zweiten Teil des Mitschnitts, nicht mehr viel zu erzählen. Ich kann mich also auf mein persönliches Empfinden beschränken. Ich habe mir das fast vier-stündige Programm in einem Rutsch angeschaut. Was bei dieser DVD und dem Konzertmitschnitt u.a. ins Auge bzw. Ohr sticht, ist Manuel Schmid. Seit etwas über einem Jahr ist er der neue Sänger der Stern-Combo Meißen. Was wurde die Band damals von manchem Zeitgenossen belächelt, als sie ein Casting für die Suche nach einem neuen Sänger startete. Dass dieses Unternehmen völlig richtig und gut war, beweist sich jetzt, wenn man die Combo live erlebt. Da vorne steht ein junger Mann, noch keine 30 Jahre alt und während der großen Jahre in den 70ern noch gar nicht geboren, und singt die großen Lieder, die einst Werther Lohse, Reinhard Fißler, Falkenberg und Larry B. gesungen haben. Lieder, die für eben genannte Sänger (oder auch von ihnen selbst) geschrieben wurden. Keins der Lieder, die man in der Box hören und sehen kann, sind für Manuel geschrieben worden. Und doch singt er sie, als hätte er es schon immer getan. Er hat sie eingeatmet und haucht sie bei jedem Konzert wieder aus. Es sind so viele Momente bei diesem Live-Mitschnitt, wo sich einem die Härchen aufstellen und die Gänsehaut von oben nach unten läuft. Manuel Schmid steht am Mikrophon und singt "Die Sage". Seine Stimme fügt sich in die große Komposition und das verspielte Arrangement des Stücks ein und hinterlässt Spuren. Ohne einem Falkenberg zu nahe treten zu wollen, aber "Wir sind die Sonne" habe ich noch nie in einer so geilen Version gehört wie in der, der Manuel mit seiner Stimme eine unüberhörbare Frischzellenkur verpasst hat. Gleiches gilt auch für das im "Rabe-Medley" untergebrachte Stück "Mein Weg". Wenn man von Larry B. vor ein paar Jahren schon von einem Glücksfall für die Combo sprach, dann dürfte Manuel der Sechser im Lotto, und zwar mit Superzahl, sein. Wer meint, das sei zu dick aufgetragen und ich würde mit Fanbrille auf der Nase ins Schwärmen geraten, der überzeuge sich beim Anschauen der DVD bitte selbst davon.
Aber es ist nicht nur Manuel. Es ist die ganze Band. Sogar Martin Schreier, über den so manche Stimme schon geschrieben/gesagt hat, seine Präsenz und Aufgabe auf der Bühne sei nicht mehr nachvollziehbar, ist ein wichtiger Teil des Kollektivs. Gerade in den Momenten, in denen mehrstimmiger Gesang in die Lieder eingebaut wurde, ist seine Stimme der perfekte Kontrapunkt zu der von Manuel (und umgekehrt). Und auch der Vortrag "seiner" Lieder "Reiter der Nacht" und "Rabe Medley" unterstreichen, wie wichtig sein Dazutun immer noch ist. Nicht unerwähnt soll seine Rolle in "Das weiße Gold" sein.
Die Abteilung "Rhythmus", bestehend aus Frank Schirmer und Lexa Schäfer, trommelt, slapt und zupft über die komplette Distanz (mit Ausnahme des "Frühlings") den Takt, an dem sich der Rest der Band orientieren kann. Wie ein Motor arbeitet das Duo, es gibt aber auch reichlich Momente, in denen Frank und Lexa aus dem Gefüge ausbrechen und sich mit Soli präsentieren können. Die komplizierten Bass-Figuren, die einst Bimbo Rasym in die Songs der "Stundenschlag"-LP eingeschraubt hat, spielt Lexa mit Leichtigkeit. Er und sein Spiel auf dem Tieftöner sind sowieso ein Blickfang und ein 7-Gänge Menü für die Ohren.
Tja, und dann Thomas ... Es ist gerade einmal eine Woche her, da haben die Band und andere Menschen aus dem Stern-Umfeld einen wichtigen Menschen verloren. Es sind fast drei Stunden Konzert auf den beiden DVDs zu sehen. Dazu das Bonusmaterial, zu dem ich nachher noch kommen werde. Überall ist der Kurze zu sehen und hören - spielend oder Statements abgebend. Ein sichtlich fröhlicher Musiker, der sich mit seinen Kollegen auf der Berliner Bühne einen Lebenstraum erfüllt. Erstmals kann man sein Wirken hinter dem Turm aus Keyboards, Moog und Synthesizern aus der Nähe betrachten, auch Dank der tollen Arbeit der Kameraleute, die den Herren der Combo immer wieder auf die Finger schauen. Thomas und Sebi am gegenüber stehenden Tastenturm harmonieren zusammen. Sebastian "Sebi" Düwelt ist der geniale Partner an Kurzhals' Seite. Sie spielen sich die musikalischen Bälle zu und freuen sich sichtlich und hörbar über die Augenblicke, in denen ihnen das Publikum andächtig lauscht um im nächsten Moment in einen Jubelsturm auszubrechen. Es ist sowieso ein Geben und Nehmen zwischen Publikum und Band. Die einen spielen das beste Konzert ihrer Laufbahn, die anderen quittieren dies mit Beifall und Standing Ovations. Wenn ich Thomas da wirbeln sehe, z.B. bei seinem Solo in "Ein Tag, ein Jahr, ein Leben" oder direkt im Anschluss mit einem weiteren Solo bei der "Lebensuhr", dann läuft es mir kalt und heiß den Rücken runter. Plötzlich bricht "Bäcker" aus dem Bandgefüge aus. Er scheint zu improvisieren. Der Kurze liebt den Jazz, und den baut er an dieser Stelle rotzfrech in ein Stern-Combo-Stück jüngeren Datums ein. Seine Finger rasen über die Tasten, seine Mine lebt jeden einzelnen Ton. Und just in dem Moment, in dem man glaubt, Kurzhals hat sich jetzt komplett verlaufen, findet er zurück zum eigentlichen Lied und ist ruck zuck wieder im Song angekommen. Das ist groß, das ist einzigartig und das ist unwiederbringlich weg. Momente der Traurigkeit wechseln sich mit denen der Freude ab. Traurig ist man, dass der Mann, der da oben noch so fröhlich und fit seine Lieder mit seiner Combo spielt, heute nicht mehr da ist. Nie wieder da sein wird. Das, was hier auf DVD verewigt wurde, wird man so nie wieder live erleben können. Gerade noch war man vertieft in das, was die Band dort auf der Bühne spielt. Im nächsten Moment holt einen die Realität ein und man verfällt in eine kurze aber tiefe Traurigkeit. Diese wird aber schnell von der Freude wieder abgelöst. Freude darüber, dass Thomas sich mit seiner Band noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen konnte und ebenfalls Freude darüber, dass er dieses Denkmal noch in Händen halten konnte, bevor er den Weg in die Ewigkeit antreten musste.
Nach dem Konzert gibt es sowohl auf der ersten, als auch auf der zweiten DVD Bonusmaterial. Das Making Of gewährt einen Blick hinter die Kulissen. Die Band vor der Show. Aufregung, Nervosität, Scherzen, Anfeuern. Hier wird die Bühne hergerichtet, der nächste Blick geht in die Garderobe. Ein Mitglied der Crew kommt nach hinten zur Band: "Draußen stehen ohne Ende Leute am Einlass. Und die sind wegen Euch da und nicht wegen Lindenbergs Musical", lässt er die Band wissen. Begeisterung und ungläubiges Nachfragen: "Echt? Geil!" Dieser halbstündige Blick hinter die Kulissen lässt den Zuschauer ganz nah am Geschehen sein. Er ist plötzlich Teil dieser Vorfreude, dieser angespannten aber positiven Nervosität. Momente zum Schmunzeln ebenso, wie überraschende Momente. Im Anschluss an das "Making Of" gibt es eine Dreiviertelstunde Geschichtsunterricht. 49 Jahre Stern-Combo Meißen, erzählt von seinen Protagonisten. Es gibt keinen Erzähler, der aufgelesene Infos über die Band aufsagt und durch Fundstücke aus dem Fernseharchiv unterstützt wird. Es sind die Musiker und ihr Manager, die die Geschichte der Stern-Combo Meißen locker und aus ihrer Sicht erzählen. Man erfährt etwas darüber, dass die Stern-Combo Meißen eigentlich schon viel älter als 50 Jahre ist. Martin Schreier hat 1964 die Bühnendekoration einer Kapelle übernommen, deren Musiker gerade die Instrumente an den Nagel gehängt hatten. Und diese Kapelle hieß Stern-Combo Meißen. Und weil die Bühnendeko so dufte war und überall dieser Name stand, wurde er einfach für die neue Band übernommen. Reinhard Fißler erzählt über ein Konzert an der Ostseeküste, zu dem 10.000 oder 12.000 Leute gekommen waren und bei dem es ziemlich heiß her ging. Thomas Kurzhals erzählt über seine Zeit, als er noch in Meißen "in einer kleinen Stube mit Blick auf die Elbe" gewohnt hat. Dort sind ihm einige der heute zu Klassikern gewordenen Songs und Adaptionen eingefallen. Geschichte reiht sich an Geschichte, Geschichte wird durch die Erzählungen der Leute, die sie miterlebt haben, lebendig. Man taucht tief ein und lässt sich von den Musikern in ihre Welt entführen. Diese Collage aus Interview-Teilen bildet eine kurzweilige und spannende Biographie der besonderen Art. Auf der zweiten DVD gibt's als Bonusmaterial den von unserem Kollegen Torsten im Proberaum gedrehten Film, den Regisseurin Melanie Braun geschickt zusammengeschnitten hat und den wir auf unserer Stern-Combo-News-Seite im Frühjahr 2013 veröffentlicht haben.

Ich habe nicht viel Ahnung von der Arbeit eines Regisseurs. Ich habe nicht viel Ahnung davon, wie man viele zeigenswerte Momente eines Konzerts so einfängt, dass man keinen zu zeigen verpasst. Wovon ich aber Ahnung habe ist, was mir an einem Konzertmitschnitt Spaß macht und wichtig ist. Bei Live-Mitschnitten ist es das unaufgeregte Einfangen von tollen Momenten. Die Konzentration auf das Wesentliche, ohne interessante Details am Rande auszublenden. Es sind viele Kleinigkeiten, die mir beim Anschauen einer Live DVD wichtig sind. Das wird auf dieser DVD in allen Punkten erfüllt. Melanie Braun gehört offenbar zu den Regisseuren, die das Geschehen in den Vordergrund rückt, und weniger mit neumodischen Splitt-Screens und anderen nervigen "Innovationen" beim Konzertfilmmachen rumhantiert. Keine holprigen und schnellen Schnitte, bei denen man Gefahr läuft, einen epileptischen Anfall zu bekommen. Sie rückt die Band und ihre Musik in den Vordergrund. So, wie der Zuschauer ein Konzert aus der Konserve erleben möchte. Besonders großartig finde ich auch den "Rückblick auf 49 Jahre SCM". Es wird eine Geschichte erzählt. Viele Leute erzählen sie und jeder aus seiner Sicht. Hier ist es gelungen, einen roten Faden aufzunehmen und durch die kompletten 45 Minuten zu ziehen. Chronologisch erzählen die Beteiligten über die Bandgeschichte. Keine unverständlichen Sprünge, keine überflüssigen und vom Thema abschweifenden Erzählungen ... Es fängt vorne an und hört im heute auf. Knackig, frisch und absolut sehenswert. Was den Konzertmitschnitt betrifft, so ist der Einsatz verschiedener Kameras incl. Kran lobend zu erwähnen. Es eröffnete der Regisseurin viele Möglichkeiten und Blickwinkel, aus denen sie die Essenzen für die DVD ziehen konnte. Kamerafahrten über das Publikum fangen zudem die Stimmung im Saal ein. Entstanden ist ein harmonisch ablaufender Konzertfilm, bei dem neben dem Bild auch der Ton als erstklassig einzustufen ist. Der Einsatz von Licht und Licht-Effekten ist im Einklang mit der Musik dosiert worden, und konnte beim Aufzeichnen sehr gut eingefangen werden. Das Farbenspiel der einzelnen Scheinwerfer fügt sich in den musikalischen Teil der Veranstaltung ein und wirkt keinesfalls übertrieben. Obwohl die Bühne riesengroß ist, füllt die Band sie komplett aus. Das ist u.a. auch ein Verdienst der "Macher"!
Ich habe in meiner Zeit als Musikfan schon sehr viele DVDs mit Konzertmitschnitten gesehen. Meine Lieblings DVD ist die von Peter Gabriel aus dem Jahre 1994 mit dem Mitschnitt seiner "Us-Tour". Ich habe auch schon eine ganze Menge Müll gesehen, die anlässlich irgendwelcher Bandgeburtstage oder Bühnenjubiläen erschienen sind. Ich erinnere mich noch an eine DVD, da wurde über die komplette Länge des Konzerts die Flinte (eine Videokamera!!!) drauf gehalten und am Ende 1:1 mit allen Fehlern und Leerläufen auf DVD gebrannt (ja, auf einen Rohling gebrannt und als Original verhökert). Oder der Mitschnitt einer britischen Kapelle, die ich eigentlich sehr mag. Die haben aus einem Konzertmitschnitt eine Art "Movie" gemacht, mit Monster im Hintergrund und anderem Scheiß, der vom eigentlichen Geschehen nur unnötig ablenkt und mehr peinlich als cool ist. Die Stern-Combo Meißen hat gut daran getan, die Aufgabe eines Konzertmitschnitts zur Veröffentlichung auf DVD an jemanden zu übergeben, der wirklich Plan von dem hat, was er da tut. In diesem Fall eine sie: Melanie Braun mag zwar noch jung an Jahren und gerade frisch von der Uni entsprungen zu sein, aber für ihr erstes Werk in Sachen Konzertmitschnitt ist "Live im Theater am Potsdamer Platz" eine Referenz, mit der sie bei Bewerbungen für andere Projekte richtig punkten kann. Glückwunsch, Melanie und Glückwunsch Stern-Combo Meißen. Ihr habt Euch wirklich ein Denkmal gesetzt und schiebt Euch mit dieser DVD direkt hinter Peter Gabriels eben erwähnten Silberling, den aber sowieso niemand mehr einholen kann.
(Christian Reder)


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