Titel: Autor: Verlag: ISBN-13: VÖ: Beschreibung: |
"Das Lügenlied vom Glück" Veronika Fischer Heyne 978-3453200265 11. März 2013 238 Seiten, gebundene Ausgabe (Hardcover), Autobiographie |
Ihre markante Altstimme, mit der Veronika Fischer es spielend versteht, zwischen verschiedenen Stilen gekonnt hin und her zu springen und damit auch zu überzeugen, kennen und schätzen viele Musikfreunde in Deutschland. Man erkennt sie aus zig anderen Sängerinnen deutlich heraus, denn es ist die Einzigartigkeit ihrer Stimme, die die Ohren und Herzen der Zuhörer öffnet. Verwechslungsgefahr? Gibt's nicht! Weder in den 70ern auf der einen, noch in den 80ern auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze. Ab 1990, als eben diese innerdeutsche Grenze von der Landkarte verschwunden war und sie gesamtdeutsch "operieren" konnte, erst recht nicht. Ich habe im Laufe der Jahre immer mal wieder gelesen, sie sei eine Sängerin, die nie einen Nr. 1 Hit gehabt hätte. Wer sowas zu Papier (oder ins Netz) bringt, der hat seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht. Eine "Nummer 1" hatte sie sehr wohl, und eine wesentlich wertvollere als die heutigen sogar. Wertvoller, weil sie diese in einem Land hatte, in dem nicht nach Verkaufszahlen, sondern mit Hörerstimmen abgerechnet wurde. "In jener Nacht" war die Nummer 1 des Jahres 1975 in der DDR. Und um das Ganze noch etwas zu untermauern, landete "Auf der Wiese" im gleichen Jahr auch noch auf Platz 3 der gleichen Hitliste. Zwischen 1975 und 1977 war sie dort immer in der Top 10. Dann wechselte sie den Wohnort und gleichzeitig auch das Land. Ab da gelang ihr wirklich kein Top 10-Hit mehr, aber an der Qualität ihrer Musik hat es dabei nicht gelegen. Auch im Westen hatte sie ihre Fans. Wieder waren es die Stimme und ihr Auftreten, die sie auch in der BRD zum Star werden ließen. Einen Abend mit Veronika Fischer zu verbringen und sich mit ihr über ihre Karriere, ihre Stationen, ihre Erlebnisse und/oder ihre Lieder unterhalten zu können, dürfte wohl die Erfüllung eines jeden Fans sein. Sicher vergleichbar damit wäre, wenn ein Ferrari-Fan einmal einen Formel 1-Wagen der italienischen Autoschmiede auf dem Nürburgring fahren dürfte. Unerreichbar weit weg. Aber diesen Wunsch kann man sich jetzt zumindest teilweise erfüllen, nämlich indem man sich das Buch "Das Lügenlied vom Glück" im Fachhandel besorgt...
Auf 368 Seiten kann man sich nun für ein paar Stunden in das Leben und die Karriere der Vroni Fischer hinein versetzen. Einmal angefangen, kann man die Schwarte nicht mehr aus der Hand nehmen. Es begleitet einen von der Couch zum Esstisch, vom Esstisch zur Couch und von der Couch ins Bett. Wäre da nicht die lästige Nachtruhe, man bliebe wohl dran, um möglichst in einem Rutsch die vielen bedruckten Seiten zu verschlingen. Das Buch ist an keiner Stelle langweilig und zeigt die Künstlerin von einer Seite, die man von einer Schallplatte oder einer CD nicht abhören kann. Leicht zu lesen ist das Buch nicht, man muss schön aufmerksam bleiben und sollte sich nicht ablenken lassen. Veronika Fischer lässt durch ihr Buch Zusammenhänge verständlich werden, die man möglicherweise vorher gar nicht so gesehen oder bemerkt hat. Sie zeichnet ihren eigenen künstlerischen Weg und lässt dabei keine Phase aus. So erlebt man mit ihr und durch sie ihre Teilnahme am Nachwuchsfinde-Format der DDR, "Herzklopfen kostenlos". Bei Heinz Quermann schlug sie den gleichen Weg ein, wie z. B. Frank Schöbel und Chris Doerk. In einem weiteren Teil des Buches erzählt sie von ihrer Zeit an der Musikhochschule in Dresden und der gerade in den Kinderschuhen steckenden Rock- und Pop-Szene der DDR. Viele große Namen haben sie in ihrer Ausbildung und in der Anfangszeit ihrer Karriere begleitet. Auch später kreuzten sich die Wege wieder. Inzwischen weiß man ja, dass Vroni bei der Stern-Combo Meißen ihre Stimme ebenso zum Einsatz brachte, wie bei der Gruppe Panta Rhei, aus der später u. a. KARAT hervor ging. Die Zusammenhänge und die enge Bindung der DDR-Musiker wird beim Lesen des Buches sehr deutlich - einige der Damen und Herren begleiten sich ja gegenseitig bis heute. Veronika Fischer erzählt über ihre Zeit in den 70ern, als sie ihre eigene Karriere selbst in die Hand nahm und mit eigener Band an den Start ging. Dabei vergisst sie nicht zu erwähnen, dass Leute wie Franz Bartzsch und Kurt Demmler einen großen Anteil daran haben, dass aus Vroni das wurde, was aus ihr wurde. Ohne irgendwelche Denkmäler anzukratzen, beschreibt sie diese beiden Personen aber als normale Menschen, mit Fehlern und Macken. Das alles wirkt sehr sympathisch - ich hab' schon andere Biographien gelesen, in denen sich der Hauptdarsteller gern mit anderen Federn schmückte. Das tut Veronika Fischer nicht - hat sie auch gar nicht nötig... Im Verlauf des Buches wird auch das Thema "Staat" angesprochen. Sie erzählt über den Moment, in dem sie merkte, dass ohne den Staat nichts ging, auch wenn man vielleicht nicht unbedingt mit ihm wollte, über Versuche, sie einzubinden und ihre Arbeit zu behindern. Das Thema Stasi kommt vor, wie dieser Verein ihr Leben und ihre Arbeit beeinflusste, erzählt sie auch. Hier liegen auch die Gründe dafür, dass Veronika Fischer die DDR 1981 in Richtung Westen verließ. Hier beginnt eine neue Zeit und ein neues Erleben für die Sängerin. Eindrucksvoll und auch bedrückend schildert sie, was sie im Westteil als Musikerin erlebte. Die Unterschiede zwischen Ost, wo es um Qualität und Spaß an der Musik ging, und West, wo alles auf den Kommerz ausgerichtet war (viel geändert hat sich da bis heute ja nicht, Anm. d. Verf.) werden aufgezeigt und man ärgert sich beim Lesen mit ihr über die Respektlosigkeit, die ihr in den Jahren zwischen 1981 und der Vereinigung beider Staaten 1990 widerfuhr. Veronika Fischer musste erkennen, dass der Anspruch und der Tiefgang bei den großen Plattenfirmen des Landes zu Gunsten von schnellem Profit auf der Strecke bleibt. Es ist ja schon lange so, dass man mit verblödendem Schrott und Zeug aus dem Ausland doch viel besser und schneller Geld verdienen kann. In dem Zusammenhang werden auch Namen genannt und siehe da: Einer ist sogar dabei, der auch mir selbst schon seit Jahren unsympathisch ist. Wenn man Vronis Zeilen liest, kribbelt es einem nur noch mehr in der Faust, als es das ohnehin schon tut. Bei allen negativen Erfahrungen hat die Autorin aber vergessen zu erwähnen, dass es neben ihr keine andere Sängerin mit Wurzeln in der DDR schaffte, auch in der BRD erfolgreich zu sein und Platten zu veröffentlichen. Trotz Widrigkeiten verschiedenster Art hat sich die Qualität doch ganz gut durchgesetzt, und nicht nur ein Song ist bis heute noch im Ohr geblieben - auch ohne eine hohe Platzierung in den Charts verzeichnet zu haben. Auf die fehlende "Nr. 1" im Westen kann sie sich also sehr gut ein Ei pellen...
Der Leser dieser Zeilen wird es sicher schon bemerkt haben, dass man sich beim Lesen des Buches richtig in das Thema hinein versetzen kann. Man ist förmlich an Veronika Fischers Seite und erlebt es mit. Man freut sich mit ihr genauso, wie man sich über das eine oder andere mächtig ärgert. Man erlebt die innere Zerrissenheit, die im Verlauf des Buches sehr deutlich wird. Man versteht dabei sehr gut das Problem eines Künstlers, DEN richtigen Weg zu finden - es zu schaffen, sich selbst nicht untreu zu werden und trotzdem Zugeständnisse zu machen, um etwas erreichen zu können. "Das Lügenlied vom Glück" ist ein spannendes und richtig gut geschriebenes Buch. Den größten Teil schrieb die Autorin zwar selbst, hat aber noch jemand anderem Platz eingeräumt, in IHRER Geschichte einen eigenen Beitrag zu leisten. Dieser "Jemand" ist Manfred Maurenbrecher. Das passt ganz wunderbar, durch ihn und seine Worte kommt eine weitere Farbe hinzu, die dieses Buch richtig gut abrundet. Das ist übrigens auch bei den derzeit gegebenen Lesungen der beiden Musiker zu beobachten. Auch wenn man die 368 Seiten gelesen hat, ist man sich am Ende sicher, das Buch mit etwas Abstand noch einmal zu lesen. So erging es zumindest mir. Trotzdem, oder gerade deshalb, bleibt bei mir auch der Wunsch weiter bestehen, den eingangs erwähnten Abend mit Veronika Fischer gemeinsam verbringen zu können, um vielleicht noch tiefer in das Thema, in ihre Karriere und ihre Gedanken eintauchen zu können. Das Buch hier ist jedenfalls ein Anfang, denn da gibt es sicher noch viel mehr zu erzählen. Veronika Fischer ist musikalisch eine faszinierende Frau, die in ihrer Arbeitsweise und mit ihrer Sicht auf die Dinge wohl eine aussterbende Art ist. Sie ist nicht nur mit großem Talent gesegnet, sie hat auch was im Köpfchen. Eine fantastische und sehr reizvolle Verbindung und ich wage zu bezweifeln, dass eine dieser gecasteten Amateure und zwitschernden, aufgepimpten Tussis im heutigen Showbizz, also die hübschen Blöden, die zwar die Haare schön haben, aber die Nationalhymne nicht unfallfrei singen können oder die mit ihren dünnen Stimmchen und ihrem künstlich gehypten Plastikpop nur durch akustisches Rumgenerve, als durch Talent, auf sich aufmerksam machen, auch nur ansatzweise diese Klasse erreichen können, wie sie eine Veronika Fischer schon seit Jahren hat. Wenn es dazu noch eines Beweises bedarf: Einfach dieses Buch lesen...
(Christian Reder)
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