triosence2013 20130408 1370240879 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Turning Points"
Triosence
SONY
8. März 2013

1. No One's Fault
2. One Too Much
3. Summer Rain
4. Secret Holiday
5. Your Nearness
6. Seven 2 Eight
7. Emi
8. Go For It
9. Unrequited Love
10. Winter Rain
11. Back To Progress
12. On A Tree
13. Speak Low
14. Wan Chuen Fong Ii. Ilha Formosa





Der Jazz hat in Deutschland Tradition, und das, obwohl er eigentlich hauptsächlich in den USA beheimatet ist. Schon 1919 gründete der Klarinettist und Saxophonist Eric Borchard die erste deutsche Jazz-Kapelle namens ERIC CONCERTO'S YANKEE JAZZ BAND und produzierte in den 20er Jahren eigene Platten. Die Nationalsozialisten stoppten den Aufwärtstrend dieser Musikrichtung dann in den 30er Jahren, verunglimpften sie als "Niggermusik" und verboten kurzerhand deren Einsatz im Rundfunk. Nach dem zweiten Weltkrieg entstanden in Westdeutschland zahlreiche Jazz-Keller. Anfangs fanden im ganzen Land sogenannte "Plattenabende" statt, bei denen in Gemeinschaft Jazz in allen Stilblüten von Platte gehört wurde. Ab Mitte der 50er nahmen die Live-Konzerte zu und die Plattenabende wurden weniger. Logisch, Live-Musik war auch früher schon viel attraktiver als Musik aus der Konserve. Auf der anderen Seite des "Eisernen Vorhangs" erfreute sich der Jazz ebenfalls größter Beliebtheit. Aufgrund seiner US-amerikanischen Wurzeln wurde er in der DDR jedoch von Anfang an skeptisch beäugt und die Szene "beobachtet". Den "hohen Herren" im Arbeiter- und Bauernstaat war die Szene und die Musik ein Dorn im Auge. Wer bisher glaubte, nur der Beat- und Rockmusik ging es Ende der 60er in der DDR schlecht, und nur dort wurden Spiel- und Berufsverbote ausgesprochen, der irrt. Schon Ende der 50er erhielt z.B. der Jazzmusiker Heinz Kretzschmar und seine Formation ein Berufsverbot, weil ihre Musik als "kulturfeindlich" eingestuft wurde und diese angeblich die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Diese Paranoia trug seltsame Blüten. So erwischte auch Karlheinz Drechsel im Jahre 1952 der Bannstrahl und er wurde nur wegen seiner Vorliebe für den Jazz als Mitarbeiter des Rundfunks der DDR entlassen. Erst sechs Jahre später durfte er wieder Jazzsendungen gestalten. Aber der Jazz hat sowohl den Nationalsozialismus als auch den "real existierenden Sozialismus" überlebt und brachte bis heute unzählige Spielarten und große Namen hervor. Hier seien nur Klaus Doldinger, Albert Mangelsdorff, Michael Naura, Gunter Hampel, Klaus Lenz, Peter Herbolzheimer, Helge Schneider, Götz Alsmann, Conny Bauer, Ulrich Gumpert und Till Brönner als Beispiele genannt. Diese Aufzählung ließe sich jetzt ewig weiterführen, würde aber den Rahmen einer Rezension sprengen. Auch heute - trotzdem ihm im TV-Programm kaum noch Platz eingeräumt wird - wachsen neue Solisten und Gruppen nach. Seit 1999 macht auch TRIOSENCE mit Bernhard Schüler (Piano), Stephan Emig (Schlagzeug) und Matthias Nowak / Ingo Senst (Bass) von sich Reden und reiht sich in die lange Liste der großen Acts dieser Szene ein...

 

Eben dieses Kasseler Trio hat mit "Turning Points" Anfang März ihr viertes Album veröffentlicht. Nachdem die Gruppe im Jahre 2001 den ersten Preis beim Bundeswettbewerb "Jugend jazzt" in Erfurt gewann, sammelte TRIOSENCE weitere Preise ein und stellte die eigene Kreativität mit Alben und zahlreichen Live-Konzerten immer wieder unter Beweis. "Turning Points" ist ein weiteres Dokument ihres Schaffens und Wirkens. Sie sind die Vertreter des jungen und neuen Jazz in Deutschland. Diese ungezügelte Energie und der Ideenreichtum der drei Musiker ist in jedem Ton auf dieser Platte hör- und fast auch greifbar. Unterstellt man dem Jazz gerne mal, dass er steif sei und sich kaum weiterentwickele, überzeugen Schüler & Co. alle Kritiker mit Leichtigkeit vom Gegenteil. Klavier, Bass und Schlagzeug - mehr braucht es gar nicht, um die Ideen der jungen Musiker in Musikstücke zu gießen. Es ist gelungen, eingängige Melodien mit klassischen Songstrukturen des Jazz so zu verbinden, dass daraus kleine Meisterwerke entstanden sind, die eine eindeutige Handschrift tragen. Es gibt diese erfrischenden, an der Nahtstelle zur musikalischen Poesie liegenden, Momente auf dieser Platte, bei der man einfach nur der Musik lauschen und von nichts abgelenkt werden möchte. Dabei wird beim Hören im ersten Moment nicht klar, ob die Arrangements bei den Aufnahmen so vorgesehen waren oder ob sich hier und da nicht kleine und im Moment entstandene Improvisationen hineingeschlichen haben. Die Stücke auf dem Album überzeugen vielleicht auch gerade deswegen, weil man es ihnen wirklich nicht anhört, z.B. bei den Stücken "emi" und "Long Fall, Pt. 2", in deren Verlauf sich Bassist Stephan Emig scheinbar in seinem Spiel verliert, um am Ende doch wieder in das Ganze der Band-Gemeinschaft zurück zu finden. Oder bei "Long Fall; Pt. 1" oder "Speak Low", bei denen Bernhard Schüler am Klavier regelrecht auszubrechen scheint. Es gibt aber auch diese ganz ruhigen Momente, wie z.B. im ersten Teil des Stücks "Wan chuen fong", bei dem das Trio sanfte Töne anschlägt und bei dem man von der Musik einfach nur weggetragen wird. Bei TRIOSENCE handelt es sich um ein Klavier-Trio, bei dem natürlich das Klavier im Vordergrund steht. Das heißt aber nicht, dass ihn die Kollegen einfach nur begleiten, während er sich an seinen schwarzen und weißen Tasten austoben kann. Jeder der drei Musiker scheint gleichberechtigt zu sein und bekommt genügend Platz, sich und sein Können zu zeigen. Trotzdem ist Bernhard Schüler hier der Mastermind, denn er war für die CD nicht nur als Produzent tätig, sondern hat bis auf die Stücke "Speak Low" (Kurt Weill, Neil Odgen) und "Wan chuen fong" (Deng Yu Shian) auch alle Songs auf "Turning Points" selbst geschrieben. Und hier legte der Musiker all sein Können, das er sich seit frühster Kindheit in Sachen Songwriting angeeignet hat, hinein. Manch ein Stück erinnerte mich von der Klavier-Figur her an David Benoit, manchmal meint man auch, das Crimson Jazz Trio zu hören, aber TRIOSENCE hat eindeutig einen eigenen Stil und eine eigene Note, die eine Verwechslungsgefahr von vornherein ausschließt.

 

Ich habe diese CD inzwischen schon einige Male gehört und habe mich von dieser Mischung aus Smooth Jazz, Modern Jazz und Fusion regelrecht anstecken lassen. Die Stücke auf der CD sind abwechslungsreich und vielschichtig. Den Musikern könnte es durch die wirklich frische Musizierweise gelingen, auch Hörer abzuholen, die sonst vielleicht nicht so viel mit dem Jazz zu tun haben. In diesem knapp 70-minütigen Feuerwerk exzellenter Jazz-Musizierweise, dem man sich nicht entziehen kann, sobald die CD gestartet wurde, wurden viele Möglichkeiten ausgelotet, um sich eben von anderen Jazz-Acts deutlich abzusetzen. Ich finde, dass den jungen Kassler Musikern dies ausgezeichnet und ganz offenbar mit Leichtigkeit gelungen ist. Davon kann man sich in Auszügen auch am Ende dieser Rezension selbst überzeugen, denn dort ist das offizielle Video zum Song "No One's Fault" zu finden. Übrigens ein Novum, denn mir ist nicht bekannt, dass im Bereich Jazz in Deutschland Videos gedreht werden...
(Christian Reder)




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