Diverse: "Frauen im Rock" (Live-Album)

frauenimrock 20240703 1828541686VÖ: 10.05.2024; Label: sechzehnzehn/Buschfunk; Katalognummer: BF08492; Musiker: Angelika Mann, Uschi Brüning, Katrin Lindner, Eva-Maria Pieckert, Tamara Danz, Anett Navall (alle Gesang), Andreas Bicking (Piano, Synthesizer, Tenor-Saxophon), Andreas Fregin (Rhodes, Solina), Udo Weidemüller (Gitarre), Stephan "Grete" Weiser (Bass), Matthias Philipp (Drums); Gäste: Siegfried Bicking (Trompete), Joachim Hesse (Trompete), Holly [damals Volker] Schlott (Alt-Saxophon), Bernd Swoboda (Posaune), Norbert Jäger (Percussion); Mastering: Manne Pokrandt; Bemerkung: Dieses Album ist ausschließlich auf CD erhältlich. CD im Digipak mit Booklet, inkl. Liner Notes von Jörg Stempel;

Titel:
"Jingle mit Ansage", "Was treibt mich nur" (Angelika Mann), "Wuthering Heights" (Anett Navall), "Der Einlasser" (Anett Navall), "Light My Fire" (Eva-Maria Pieckert), "Ja, es gibt Momente" (Eva-Maria Pieckert), "Karussell dreh dich schnell" (Katrin Lindner), "The Girl From Ipanema" (Uschi Brüning), "Erst mal sehn" (Uschi Brüning), "MOA" (Obelisk), "Everlasting Love" (Angelika Mann), "Nun lieb ich dich" (Angelika Mann), "Yesterday" (Tamara Danz), "Die wilde Mathilde" (Tamara Danz), "Stevie-Wonder-Medley" (alle Sängerinnen)


 
 
Rezension:


Einmal mehr gibt es ein kleines Kunstwerk aus dem Hause sechzehnzehn. Wer von Euch hatte die Veranstaltung "Frauen im Rock" noch auf dem Schirm, die am 31. März 1983 auf der Bühne des Berliner "Palast der Republik" stattfand? Na gut, "Rock für den Frieden" kennt man noch. Davon gibt es ja auch schon eine CD-Box vom gleichen Label, aber diese Veranstaltung hier war zumindest mir bis jetzt noch nicht bekannt, auch wenn das Wortspiel mit den "Frauen im Rock" absolut pfiffig gewählt wurde und mir allein deshalb schon hätte auffallen müssen. Wie dem auch sei … Einen Mitschnitt davon schickte der Sender "DT64", der auch Veranstalter der Mugge war, im Frühjahr ´83 über den Äther, und ein "Ausschnitt" davon kommt nun für Euch auf CD (das Live-Programm war weit länger und ist wahrscheinlich in ganzer Länge nicht mehr rettbar gewesen).

Vor über 41 Jahren stellte der Veranstalter die populärsten weiblichen Stimmen, aber auch vielversprechende Newcomerinnen auf die Bühne, und ließ sie eigene Hits und spannende Coverversionen live mit Band präsentieren. Neben damals schon großen Namen wie Uschi Brüning, Angelika Mann, Katrin Lindner und Tamara Danz hatten auch die damals noch nicht ganz so bekannten Sängerinnen Anett Navall und Eva-Maria Pieckert die Chance, sich einem größeren Publikum zu zeigen. Als Begleitband diente die Gruppe OBELISK mit ihrem noch ganz jungen Leader Andreas Bicking, der zum Zeitpunkt der Mugge erst 23 Jahre alt war. Der Komponist, Arrangeur und musikalische Leiter fügte seiner Gruppe noch einen Bläsersatz und den Perkussionisten Norbert Jäger (Stern-Combo Meißen) hinzu, und hatte so einen großartig groovenden Klangkörper am Start, der die "großen Stimmen" vorne am Mikrofon perfekt in Szene setzen konnte.

Die Damen standen jedoch im Vordergrund der Veranstaltung und den Anfang (zumindest hier auf der CD) macht die "Lütte", Angelika Mann, mit dem Song "Was treibt mich nur", einer zu Musik gewordenen, autobiographischen Vorstellung ihrer Person. Hier ließen sowohl Sängerin als auch die Band, die ja ihre eigene war, keinen Zweifel daran, dass sie das vorgetragene Liedgut bereits bestens kannten.
Und schon an Position 2 sitze ich als Hörer völlig überrascht vor der Anlage und lausche den Klängen von "Wuthering Heights" - im Original von Kate Bush. Die Britin war für einen Auftritt in der DDR nicht greifbar, gab zu diesem Zeitpunkt sowieso schon keine Konzerte mehr. Da lag es nahe, ihren Output eine heimische Sängerin covern zu lassen. Im März ´83 tat dies Anett Navall, die gerade selbst begann, sich ein eigenes Publikum zu ersingen, und die kurz zuvor zusammen mit der Gruppe Gura Fogg die Stücke "Ohne mich" und "Streicheln" beim Rundfunk der DDR produziert hatte. Liest man nur auf dem Papier, dass sich hier eine Sängerin an Kate Bush versucht, kann man eigentlich nur von einer Blamage ausgehen, denn NIEMAND kann eine Kate Bush kopieren. Aber weit gefehlt: Sowohl Anett Navall als auch Bicking mit seinen Mitspielern liefern hier eine fantastische Version auf international hohem Niveau ab. Und das auch noch live! Dass Frau Navall stimmlich reichlich was auf dem Kasten zu haben schien, wird dann auch gleich danach mit ihrem Vortrag des Songs "Der Einlasser" dick unterstrichen. Mich erinnert sie ein wenig an Nina Hagen, sie hat aber sehr viele eigene Erkennungsmerkmale in ihrem "Instrument".
Eine weitere Cover-Nummer und gleichzeitig auch Überraschung liefert im Anschluss Eva-Maria Pickert mit ihrer Version des DOORS-Klassikers "Light my Fire". Die Nummer hier kommt etwas angejazzt und funky daher, und macht diese Version durch ihre Gesangsleistung noch zusätzlich smoother, als es das Original ist. Dieser Coverversion ließ Eva-Maria Pickert noch ihren eigenen Song "Ja, es gibt Momente" folgen, der im gleichen Jahr bei AMIGA als Single veröffentlicht wurde.
Im Programm geht es mit einem Song der Sängerin Katrin Lindner weiter, den man bisher noch auf keinem Tonträger finden konnte. Es handelt sich dabei um das Stück "Karussell, dreh dich schnell", einer für diese Zeit typischen Pop-Nummer mit viel Keyboard-Sound und 80s-Beat, das ein wenig auf der NDW-Welle mitschwamm und auf dieser CD seine Platten-Premiere feiert. Also die nächste Überraschung …
Weitere sollen noch folgen, so z.B. die geniale Instrumentalnummer "MOA" von OBELISK, die sich hier über sechs Minuten ins Gedächtnis gräbt und einem viele Gründe dafür liefert, wieso die Kollegen von Stern Meissen später so scharf auf eine Verpflichtung Bickings waren. Ins Bein fahren einem bei diesem Stück auch noch Norbert Jäger mit einem fulminanten Solo-Ausflug auf seinen Schlag- und Schüttelinstrumenten, sowie die Pustefix-Abteilung, die einem einen heißen Bläsersound um die Ohren wehen lässt. Ein still sitzen bleiben fällt schwer, auch direkt vor der Anlage.
Es gibt zudem noch weitere Vokal-Ausflüge von der "Lütten", die uns ihre Version von "This Will Be (An Everlasting Love)", einem Stück, das im Original von Natalie Cole stammt, kredenzt, sowie mit "Nun lieb ich Dich" einen weiteren eigenen Song, den sie mal eben ganz charmant raus haut. Nicht unerwähnt dürfen Uschi Brüning und Tamara Danz bleiben, die zur damaligen Zeit ebenfalls schon große Namen und allseits bekannt waren. Die zuletzt genannte SILLY-Frontfrau hatte ihre Version der BEATLES-Nummer "Yesterday" bereits ein Jahr zuvor auf einer AMIGA-Quartett-Single veröffentlichen können, und tat dies hier nochmals mit der Gruppe OBELISK als Verstärkung live. Diese Live-Version mit OBELISK klingt noch einen Tacken schärfer als die Studiofassung der AMIGA-Single - auch gesanglich, da Tamara hier noch in der Lage war, eins oben drauf zu setzen. "Die wilde Mathilde" rundet das Bild von Tamara als echte Rock-Größe ab. Auch das ist eine Besonderheit, denn ansonsten wurde diese Nummer von Tamara nur mit SILLY performt. Hier hört man den ersten und einzigen Ausflug mit anderer Begleitband.
Uschi Brüning überzeugt im Programm mit ihrer Version des Jazz-Standards "The Girl From Ipanema", das sie davor mit Sicherheit schon mit verschiedenen anderen Formationen präsentiert hatte, wahrscheinlich aber nicht so eingängig und farbenfroh arrangiert wie hier. "Grete" Weiser am Bass gräbt einem mächtig in der Magengrube und die Bläser - allen voran das Saxophon von Holly Schlott - versprühen lateinamerikanische Lebensfreude pur. Im gleichen Stil kommt dann auch Uschis eigene Nummer "Erst mal sehen" daher.
Das große Finale bildet schließlich ein fast 16-minütiges Medley mit Stevie-Wonder-Songs, bei dem sich alle zuvor allein singenden Damen nochmal gemeinsam austoben. Das Wort "austoben" klingt hier als Beschreibung aber ein wenig despektierlich, denn die Sängerinnen feiern - wie auch schon davor - das vorgetragene Liedgut förmlich auf ganz hohem Niveau. Ehrfürchtig gehen die Damen hier an Wonders Kompositionen ran, und lassen sie mit weiblichem Gesang einmal ganz anders erklingen. Gleiches gilt auch für die Band, die noch einmal in die Lage versetzt wird, die eigene Leistung in den Vordergrund zu stellen und die Vorlagen des US-Musikers mit viel eigenem Charme zu würzen. Das geht gleichermaßen in Bein und Herz!

Den Klang der alten Aufnahme für die Veröffentlichung auf einem Tonträger aufgemöbelt hat ENGERLINGs Manne Pokrandt, dessen erstklassige Arbeit an dieser Stelle auch mal erwähnt werden muss. Dass die Songs so druckvoll und sauber aus den Boxen Deiner Anlage kommen, ist ihm zu verdanken. Das Rohmaterial lieferte ihm das hier zu hörende Ensemble, bestehend aus Sängerinnen und Musikern, die man nach dem Hören der Scheibe nur allzu gern mal alle live erleben möchte. Dies geht aber leider aus verschiedenen Gründen nicht mehr. Umso dankbarer darf man für die Konservierung dieses Spektakels auf einer CD sein, um es sich immer und immer wieder daheim anhören zu können. Jede der Stimmen kriecht einem unweigerlich bis tief unter die Haut, während einen gerade diese ausgesprochen gut aufeinander eingestimmte und erstklassig klingende Kapelle ein ums andere Mal vom Sitz (oder Sofa) reißt.

Gereicht wird Dir der Inhalt auf einer CD, die in einem reichlich bebilderten und betexteten Digipak steckt. Neben einem ausführlichen Vorwort von Jörg Stempel, der auch noch etwas über den Veranstalter, das Radio "DT64", erzählt, werden noch ein paar Fotos aus der damaligen Zeit mitgeliefert. Kurz: Einmal mehr halten wir ein Gesamtkunstwerk und zeitgeschichtliches Dokument in Händen, das wirklich in jede gut sortierte Deutsch- bzw. Ostrock-Sammlung gehört.
(Christian Reder)









   
   
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