KEIMZEIT.: "Kein Fiasko" (Album)

lp23 20220130 1063161409VÖ: 18.02.2022; Label: Comic Helden/Indigo; Katalognummer: 217602; Musiker: Norbert Leisegang (Gesang, Gitarre), Hartmut Leisegang (Bass), Andreas "Spatz" Sperling (Tasteninstrumente, Produzent), Lars Kutschke (Gitarre), Sebastian Piskorz (Flügelhorn, Trompete), Lin Dittmann (Schlagzeug); Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Zuerst als CD, ab 29.4.2022 auch als Schallplatte erhältlich;

Titel:
Plastiktütenmann • Berlinale • Mädchen Für Alles • Das Zieht Sich • Kein Fiasko • Manchmal • Thronräuber • Nummer Eins • Alles Durcheinander • Hausmeister • Clowns • Gutschein • Zweig


Rezension:
Da haben wir es also: Das Album zum 40. Geburtstag von KEIMZEIT. Es ist - wie es vorn auch unübersehbar drauf steht - "Kein Fiasko" geworden. Das kann bereits an dieser Stelle verraten werden und war auch nicht anders zu erwarten, denn die Leisegang-Combo ist seit eh und je bekannt für deutsche Pop- und Rockmusik der anderen aber ganz besonders feinen Art. Warum sollte das plötzlich anders sein?

Als zweite Erkenntnis sei zu Beginn schon verraten, dass das aus Brandenburg kommende Ensemble auf das seit Monaten allgegenwärtige Thema komplett verzichtet hat. Also keine Corona-Hymnen und in Musik verwandeltes Wehklagen. Der erste Pluspunkt für das Werk, den der Verfasser dieser Zeilen vergeben muss. Ach was …! Weil uns dieses Thema inzwischen mächtig auf den Sack geht, gibt es gleich zwei Pluspunkte. Aber davon sammeln die KEIMZEIT'ler noch mehr ein.
Das Album beginnt mit einer eigentlich tragischen Geschichte. Zum treibendem Beat, blubberndem Bass und nur kurz angeschlagener Stromgitarre wird uns hier die Geschichte eines Messie erzählt, dessen Wohnung im Plattenbau durch seine Plastiktütensammelwut aus allen Nähten zu platzen droht. "Plastiktütenmann" heißt der Song, bei dem man sich lange nicht sicher ist, ob man vom Thema nun unangenehm berührt sein oder es mit einem Lächeln quittieren soll. Diese Entscheidung überlässt die Band jedenfalls seinen Hörern, aber letztlich ist das Lied eine haarscharfe Beobachtung dieses Syndroms, das hier nicht als Leiden dargestellt wird sondern eher als Phänomen, das jeder Sammler in Teilen auch bei sich selbst beobachten kann.
Definitiv ein Lächeln ins Gesicht zaubert einem aber der folgende Song "Berlinale". Beschwingt im Sound der 60er wird hier über einen besonderen Autogrammwunsch berichtet, der so wohl nicht alle Tage und auch nur auf der Berlinale passieren kann. Das "Mädchen für alles" ist eine luftig leichte Popnummer, die als Hommage an alle im Hintergrund ganz leise und unauffällig ihre Arbeit verrichtenden Kollegen aus dem Service-Bereich an den Schauspielhäusern und in den Konzertsälen zu verstehen sein dürfte. Eben jene, die mit dafür verantwortlich sind, dass der Ablauf einer Veranstaltung reibungslos von Statten geht, und dass die Hauptdarsteller auf der Bühne am Ende des Tages gut aussehen. Zu selten bekommen sie dafür die nötige Anerkennung, die Band stellt diese Kollegen mit "Mädchen für alles" nun in den Mittelpunkt.
Fein platzierte Melancholie begegnet dem Hörer im von Andreas "Spatz" Sperling nicht nur geschriebenen sondern auch gesungenen "Manchmal", das herrlich entspannt und ruhig im Raum seine Bahnen zieht. Eine Insel zum entspannten Lauschen und sich fallen lassen.
Wenig melancholisch, dafür aber unruhig zappelnd macht "Thronräuber" auf sich aufmerksam. Das Stück erklärt uns nüchtern und auf den Punkt, dass der Platz auf dem Thron in der Musikszene nur für eine kurze Zeit besetzt werden kann. Er wird ganz natürlich nach einer Weile an die nächste Generation weitergegeben, denn "seine alten Könige köpft der Rock'n'Roll selbst". Als eine von zwei Singles aus all den neuen Liedern ausgewählt wurde der "Hausmeister", ein augenzwinkerndes Loblied auf die gute Seele eines großen Mietshauses. Er weiß alles, sieht alles und kennt auch jeden im Hause. Entsprechend hat er auch viel zu erzählen und kokettiert gelegentlich auch mit der Wichtigkeit seiner Rolle vor Ort. Lars Kutschke sorgt mit seinem Spiel auf der Gitarre für das gewisse Etwas im Gesamtbild, während Sebastian Piskorz der insgesamt mittel-flott arrangierten Nummer nach hinten raus einen jazzigen und als sehr angenehm empfundenen Anstrich verleiht.
Als weiteren und letzten Stellvertreter für dieses 13 Stücke umfassende Album sei hier noch "Clowns" erwähnt. Ein Lied für und über alle, die raus auf die Bühne oder in die Manege gehen, um ihr Publikum zu unterhalten. Im Arrangement ähnlich wie der uns auf dieser Platte empfangende "Plastiktütenmann" vermittelt uns das Stück, dass hinter der Schminke nur Menschen stecken.

KEIMZEIT gelingt es mit "Kein Fiasko" einmal mehr die gewohnte Qualität in Textdichtung und Komposition abzuliefern. Sie lassen zu erwartende Themen aus und beschäftigen sich lieber mit solchen, die ihnen im Moment wichtiger erscheinen. Bloße Zustandsbeschreibungen oder schlichte Erlebnisberichte gibt es nicht. Manch "reale Vorlage" wird mit Fiktion so massiv angereichert, dass das fertige Lied am Ende dicker aufträgt als jeder Strickpullover ("Berlinale"), an anderer Stelle steht die sortierte Ruhe und der reflektierte Blick auf sich selbst im Fokus ("Manchmal"). Sogar sich selbst baute die Band in "Alles durcheinander" mit ein und lässt damit zu Beginn der Nummer auch einen intimen Blick in die Schaffensphase zu. Einen Blick, der woanders sicher raus geschnitten würde. An Abwechslung mangelt es dem Hörer jedenfalls nicht, auch wenn musikalisch der Sound der guten alten 60er immer wieder mal durchscheint. Es ist auf der neuen Scheibe eben der rote Faden, der entspannt in den ansonsten typischen und sofort wiederzuerkennenden KEIMZEIT-Sound baumelt. Apropos Sound. Die Platte ist wunderbar gemischt, der Klang transparent und griffig. Kurz gesagt, wir haben hier ein weiteres Highlight aus der KEIMZEIT-Liederschmiede mit langer Haltbarkeit. Zeitlos und in keiner Weise irgendwelchen Trends nachäffend, nur um in Massenformaten stattfinden zu können, bei denen man das Publikum wahrscheinlich eh nur überfordern würde. Am Ende hat das Album so viele Pluspunkte gesammelt, das hier der Überblick verloren wurde.
(Christian Reder)





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