Stern-Combo Meißen: "Finlandia" (Album)

lp26 20221017 1889650703VÖ: 16.09.2022; Label: Sechzehnzehn/Buschfunk; Katalognummer: BF 08432; Musiker: Manuel Schmid (voc, key), Reinhard Fißler (voc, g), Martin Schreier (dr, perc, voc), Axel Schäfer (bg), Sebastian Düwelt (key), Frank Schirmer (dr), Norbert Jäger (key, voc), Bernd Fiedler (bg), Thomas Kurzhals (key) u.a.; Bemerkung: CD als limitierte Auflage im aufklappbaren Digipak;

Titel:
"Finlandia", "Rhapsody in Blue", "Toccata und Fuge d-moll", "Concerto grosso d-moll", "Das alte Schloss", "Eine Nacht auf dem Kahlen Berge", "Der Frühling", "Bolero", "Promenade", "Das große Tor von Kiew", "Von fremden Ländern und Menschen"


Rezension:


Wer wissen möchte, was außer den bekannten Sachen aus dem Pop- und Rock-Bereich mit einer guten Mischung aus Instrumenten, eigenen Vorstellungen von "Sounds", Experimentier- und Spielfreude noch so alles in der Musik möglich ist, der ist seit jeher bei der Stern-Combo Meißen bestens aufgehoben. Egal ob auf Studioaufnahmen oder bei Live-Konzerten: das Ensemble um Firmengründer und Urgestein Martin Schreier liefert genügend Stoff für die Ohren und Fachgespräche nach dem Genuss ihrer Erzeugnisse. Und es gibt immer noch Neues aus dem Hause SCM, selbst wenn es sich um älteres Material handelt. Einmal mehr war das Rundfunkarchiv Quelle für das Schließen noch offener Lücken am "Sternenhimmel", und dabei konnte im Fall der nun vorliegenden CD "Finlandia" sogar das bandeigene Archiv helfen.

Zusammenstellungen mit den größten Hits und bekanntesten Songs der "Combo" hat es seit der Wende ja schon einige gegeben. Der komplette Back-Katalog wurde inzwischen auch durch das unermüdliche Treiben Jörg Stempels wiederveröffentlicht, von daher dürfte in diese Richtung nicht allzu viel Überraschendes mehr zu erwarten sein. Aber auf der frisch erschienenen CD "Finlandia" sind Live-Mitschnitte - in concerto Klassik-Adaptionen - aus den Jahren 1976 bis 2022 zusammengetragen worden, die man teilweise jetzt zum ersten Mal - weil bisher in irgendwelchen Archiven schlummernd - "für Zuhause" bekommt. Dass es überhaupt solch spezielle Klangerzeugnisse gibt, verdanken wir Thomas Kurzhals, der vor fast 50 Jahren Pionierarbeit leistete. Im Jahre 1973 war die Bearbeitung eines "Concerto Grosso" von Georg Friedrich Händel Kurzhals' Einstieg bei der "Combo". Diese entstand für die Konzertreihe "Die Orgel von Bach bis Beat" im Dresdner Kulturpalast. "Ich war immer auf der Suche nach klassischen Stücken, setzte mich in die sächsische Landesbibliothek und wühlte in Partituren", erzählte Kurzhals über die Entstehung seiner Bearbeitungen und darüber, wie auch nach 1973 in jedem Jahr neue Adaptionen entstanden. Aufzeichnungen davon gibt es aber scheinbar erst ab dem Jahr 1975, als die "Combo" Mussorgskis "Nacht auf dem Kahlen Berge" in die 1970er Jahre holte und damit für Aufsehen sorgte. Und es folgten weitere Bearbeitungen, die glücklicherweise dann auch aufgezeichnet und nunmehr auf "Finlandia" zusammengetragen wurden …

Man darf sich hier über die 1996 bereits auf der inzwischen vergriffenen CD "Live" (Edition BARBArossa, Katalognummer EdBa 01308-2) publizierten Bearbeitungen von Jean Sibelius Komposition "Finlandia" und George Gershwins Komposition "Rhapsody In Blue" freuen. Die Aufnahme von "Finlandia" entstand beim Konzert am 16. Juli 1976 in Fürstenwalde und wurde mit einem Ü-Wagen gemacht. Die "Rhapsody" ist - laut Aussage von Thomas Kurzhals - aus dem Jahre 1978. Wer die "Live-CD" hat, bekommt damit nichts Neues, aber alles was daneben auf dieser neuen CD zu finden ist, ist bisher nur Insidern zugänglich gewesen.

Am 13. März 1977 gab die Band im Berliner "Palast der Republik" ein weiteres auf Tonband konserviertes Konzert. Hier wurden ihre Klassik-Bearbeitungen der Stücke "Toccata und Fuge in D-Moll" von Johann Sebastian Bach, das vorhin schon genannte Einstiegswerk von Thomas Kurzhals bei Stern, "Concerto Grosso" von Georg Friedrich Händel, sowie "Das alte Schloss" und "Eine Nacht auf dem Kahlen Berge" aus Modest Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" präsentiert. Damals nur im Rundfunk gelaufen - ab sofort jetzt auch über die heimische Stereoanlage nacherlebbar. Musik- und Zeitgeschichte pur!
Ein letztes Tondokument dieser Schaffensperiode stammt vom 17. Februar 1982. Bereits in den popmusikalischen Bereich abgewandert, spielte die nunmehr nur noch als STERN MEISSEN firmierende Kapelle mit "Der Frühling 1. Satz" aus Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten" (als Studioversion auf der LP "Der weite Weg" von 1979 zu finden) eine letzte Klassik-Adaption live, ehe man sich sowohl im Studio als auch auf der Bühne für viele Jahre anderen Musiken als dem Art-Rock widmete.

Aus der "Neuzeit", in der es wieder Bearbeitungen klassischer Werke und eine Rückkehr zu den Wurzeln gibt, wurden Maurice Ravels "Bolero", mitgeschnitten bei einem Konzert in Stendal am 4. April 2014, "Promenade", mitgeschnitten bei der öffentlichen Generalprobe von "Bilder einer Ausstellung" am 12. Juni 2015 im Kulturhaus Böhlen, "Das große Tor von Kiew" (2019, einmal mehr ein Stück aus "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski), sowie Robert Schumanns "Von fremden Ländern und Menschen", mitgeschnitten am 3. Juni 2022 beim Schumann-Fest 2022, auf dieser CD verewigt. Alles - wie gesagt - für die Öffentlichkeit bisher noch nicht auf Platten oder CDs greifbar. Allein durch das Lesen der Titelliste dürfte sich nicht nur der Klassik-Fan angesprochen und neugierig gemacht fühlen. Aber Vorsicht: Für das "ungeschulte" Ohr könnte die eine oder andere Sequenz verstörend oder befremdlich wirken - sowas wird nämlich seit Jahren nicht mehr "hergestellt" und wer damit nicht vertraut ist, muss sich an so manche "Tonfolge" erst gewöhnen. Es macht aber alles Sinn, Freude beim Hören und ist handwerklich ganz großes Tennis!

"Finlandia" spannt einen Bogen über mehrere Jahrzehnte, zeigt die Anfänge der Band, als Thomas Kurzhals Vorlagen großer Namen aus dem Klassik-Bereich in die Welt der Rockmusik übertrug, und führt den Hörer in die heutige Zeit, in der Manuel Schmid das Schaffen Kurzhals' seit dessen Tod im Jahre 2014 fortsetzt. Alles von zuletzt genanntem Musiker wenn nicht gar selbst eingespielt zumindest aber aus dem Archiv gehoben, und von ihm - natürlich sound-technisch frisch bearbeitet - auf diesem Silberling kompiliert. Damit dürfte diese CD eine der umfangreichsten - wenn nicht sogar DIE umfangreichste - Sammlung(en) von Klassik-Adaptionen einer deutschen Band sein. Dass so eine Veröffentlichung Sinn macht und längst überfällig war, zeigt u. a. auch der ausgesprochen gut angelaufene Verkauf von "Finlandia" im Fachhandel. Du hast sie noch nicht? Dann solltest Du das bald nachholen, denn hier kannst Du wirklich hören, was musikalisch alles so geht …
(Christian Reder)


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