Nino de Angelo: "Gesegnet & verflucht" (Album)

deangelo2021 20210208 1618158225VÖ: 26.02.2021; Label: SONY/Ariola; Katalognummer: n.b.; Musiker: Nino de Angelo (Gesang), Chris Harms, Corvin Bahn (alle Instrumente, Programmings, Backing Vocals), Niklas Turman (Gitarre, Backing Vocals), Scarlet Dorn (Backing Vocals); Musik & Texte: Nino de Angelo, Chris Harms, u.a.; Produzenten: Chris Harms, Benjamin Lawrenz; Bemerkung: Ausschließlich als CD erschienen;

Titel:
Sag es meinem Herzen bitte nicht • Gesegnet und verflucht • Zeit heilt keine Wunden • Equilibrium • Angel lost in Paradise (feat. Scarlet Dorn) • Ich bin dein Vampir • Romeo & Juliet • Der Panther (feat. Chris Harms) • Sonnenkind • Colonia • Brennender Engel • Denn wir wissen nicht was wir tun • Jenseits von Eden (2021)


Rezension:
Was haben SUBWAY TO SALLY, BLUTENGEL, JOACHIM WITT und Nino de Angelo gemeinsam? Sie alle wurden inzwischen von Chris Harms (Lord Of The Lost) produziert. Was auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen will, klingt auf den zweiten jedoch spannend und macht neugierig. Viele von Euch erinnern sich sicher an all die zu Musik gewordenen Schmachtfetzen, mit denen Nino de Angelo speziell in den 80ern das überwiegend weibliche Publikum im Sturm eroberte, das sich gleichzeitig auch die Wände ihrer Zimmer mit seinen Postern zu plakatierte. Wer deshalb in der Folge das Interesse an ihm als Künstler verlor und nicht wieder bei ihm vorbeischaute, hat aber definitiv was verpasst. Der einstige Popstar wanderte weiter zum Schlager, versuchte sich im Rock-Bereich und hinterließ immer wieder interessante Ergebnisse seiner Arbeit in Form von Platten und CDs. Abseits seines Berufs machte er aber auch immer wieder Schlagzeilen mit einer alles andere als stabilen Gesundheit, nervenaufreibenden Beziehungen und Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Substanzen. Ein Leben auf der Überholspur, das nicht selten mal mit Vollgas in Talsenken abtauchte. Und darauf wirft der Künstler nun einen Blick, verarbeitet vieles vom Erlebten in neuen Liedern und scheint gerade mit "Gesegnet und verflucht" sein bestes Album überhaupt im Studio aufgenommen zu haben. Es wird am 26. Februar 2021 erscheinen und da hören wir vorab schonmal rein ...

Gefühlt in jedem der 12 neuen Songs steckt Autobiographisches, was das neue Album auch so persönlich, echt und nahezu komplett gelungen erscheinen lässt. "Sag es meinem Herz bitte nicht", ist die "dunkelrockig" eingekleidete Geschichte über eine Beziehung, die einseitig zerbrochen ist. Während der eine Partner noch an der Liebe festhält und nur unter größten Schmerzen eine Trennung ertragen würde, hat der andere bereits damit abgeschlossen und sich davon schon entfernt. Mit den Worten, "Mein Herz darf nicht wissen, wenn's vorbei ist. Erzähl mir das an einem anderen Tag", wird darum gebeten, die trügerisch heile Welt noch etwas länger aufrecht zu erhalten. Nino de Angelo scheint am Ende einer (oder mehrerer?) Beziehung besonders gelitten zu haben, was in diesem Lied sehr gut nacherlebbar wird.
Die ersten Töne des Stücks "Gesegnet und verflucht" klingen nicht allein des Schlagzeugs wegen wie eine Einlaufmelodie für Soldaten, die von einer Schlacht verletzt und erschöpft nach Hause zurückkehren. Der Künstler singt die ersten Zeilen, "Wie oft stand ich schon allein im Regen | Heute weiß ich nur, so ist das Leben", und es entwickelt sich letztlich zu seiner persönlichen Einlaufmelodie auf die Zielgerade eines Lebens voller Höhen und Tiefen und Erfahrungen, die oftmals alles andere als Gute gewesen zu sein scheinen. Die Schwermut, die in diesen ersten Sekunden unüberhörbar im Raume liegt, setzt sich im Rest des Stücks fort und hält kaum Platz für Optimismus bereit. Sie erfährt im Refrain sogar noch eine bedrohlich wirkende Steigerung, die dem Hörer einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen lässt. Dieser Song ist die Abrechnung mit einem Leben, das dem Menschen dahinter mehr Zitronen geschickt hat als er am Ende hat Limonade daraus machen können. Musikalisch wie inhaltlich ist es die Hymne für all die, die das Schicksal in einen Krieg geschickt hat, auf den sie nun verletzt und geschwächt zurückblicken. Was für ein unglaublich beeindruckendes und wegen seines persönlichen Inhalts trauriges Meisterwerk!
Schwere Cello-Töne und eine kaum leichter angelegte Klaviermelodie leiten "Zeit heilt keine Wunden" ein, das nahtlos an das eben beschriebene Lied anknüpft. "Aus Wunden werden Narben - Du wirst sie immer sehen", ist die Quintessenz aus der hier erzählten Geschichte und wieder wird die Erfahrung eines Menschen in Liedform gereicht, der all die erlittenen Schicksalsschläge ausgewertet und dabei festgestellt hat, dass die Zeit ganz offenbar wirklich nichts heilen kann, man aber lernt, mit erfahrenen Tiefschlägen zu leben. Ein Lied über Verlust und Zweifel, bei dem sich die zerbrochene Hoffnung auch direkt in der Musik widerspiegelt, in dem sich die Sonne aber trotzdem ihre Bahn durch tiefschwarze Wolken bricht, indem der Mut zu kämpfen und der Wille, das Lebenswerte im Leben dabei zurück zu erobern, deutlich gemacht werden. Ein weiteres Mal ist man beim Hören tief beeindruckt und angefasst von dem, was einem Nino de Angelo da präsentiert.
Und auch "Equilibrium" ist alles andere als ein zu Tönen gewordenes Grußkartenmotiv - ganz im Gegenteil. Zu opulentem Rocksound wird ein Blick auf ein von Whisky und Kokain bestimmtes Leben geworfen. Das Wort, das dem Song seinen Namen gibt, bedeutet Gleichgewicht oder Balance, nach dem wir ja alle im Leben irgendwo suchen. Nino de Angelo singt hier von Zeiten, in denen diese Balance verloren gegangen ist und ein Ausweg in Alkohol und Drogen gesucht wurde. Offen, ehrlich, bedrückend und ein weiteres Mal berührend. Die dazu gewählte, dunkel und trüb klingende Rockmusik sorgt für die passende Stimmung, die die hier vorgetragene Geschichte über einen erlebten Teufelskreis erzeugt und man kann den Moment sehr gut nacherleben, in dem alles gut zu sein scheint, einen dann aber doch wieder irgendwas umhaut.
Wer nach den ersten vier, tief unter die Haut gehenden Liedern glaubt, dass nun die Wolkendecke aufreißt und Helligkeit aufkommt, der muss sich durch den Song "Angel Lost In Paradise" eines Besseren belehren lassen. Das im Duett mit Scarlet Dorn gesungene Stück führt den Hörer nun in den Dark Wave- und Gothic-Bereich, und damit war im Zusammenhang mit dem Namen Nino de Angelo wohl eher nicht zu rechnen. Opulente Wände aus Klängen, fette Beats und dazu die wunderbar klingende Stimme der Sängerin Dorn neben der des Hauptakteurs. Im Refrain hat der Song was von einer Oper, soviel Bombast wie hier von Chris Harms eingeschraubt wurde. Spätestens beim Gitarren-Solo haben sich auch die restlichen Härchen auf Armen und Beinen aufgestellt. Was für ein fettes Brett!
Erst "Ich bin Dein Vampir" führt den Hörer etwas weg von Bedrücktheit und Finsternis. Mehr noch … Eine mystisch anmutende Geschichte in Verbindung mit einem Mix aus Schlager und Dark Wave bietet dem Künstler die Möglichkeit, auch mit seinen neuen Liedern medial Beachtung zu finden, denn das bis dahin gehörte Songmaterial dürfte mit dem Tagesprogramm unserer wenig abenteuerorientierten Radiostationen und dem "Heile-Welt-Konzept" der noch verbliebenen Musiksendungen im TV kaum bis gar nicht kompatibel sein.
Artverwandt, wenn auch Gitarren lastiger als die eben noch gehörte Vampir-Story, ist "Romeo & Juliet", das wohl der typischste Nino de Angelo-Song auf dessen neuem Album sein dürfte. Hier verbinden sich die traditionellen Elemente in Sachen Gesang und Musik mit einem Text, wie man ihn von de Angelo eigentlich erwartet, und einem aktuellen und vom Zeitgeist geprägten Rock, und bilden so alle Voraussetzungen, auch damit in den Musikredaktionen von Funk und Fernsehen Beachtung zu finden, ohne sich dem klebrigen Schlager- und 08/15-Pop-Standard unserer Zeit ergeben zu müssen.
Mit "Der Panther" folgt nun das erwartete Duett mit dem für dieses Album auch verantwortlichen Produzenten Chris Harms. Für diesen gemeinsamen Auftritt haben sich die beiden Musiker eine Rock-Ballade mit Gothic-Farbtupfern ausgesucht, die auf der Platte ohne große Überraschungen ihre Bahnen zieht. Zumindest bei den bisherigen Hördurchgängen entwickelte sich dieser Song beim Rezensenten zum unauffälligsten von allen.
Bei "Sonnenkind" wird der Hörer wieder von einem Cello begrüßt und von schweren Gitarren-Klängen begleitet, aber anders als im Song "Zeit heilt keine Wunden" herrscht insgesamt eine positivere Grundstimmung. Hier wird nochmals ein Blick auf das Leben geworfen, der insgesamt aber positiver ausfällt, denn im Text wird davon erzählt, dass man die dunklen Wolken lieber reitet, statt sich von ihnen nass regnen zu lassen.
Mit "Colonia" hat sich dann aber ein Fremdkörper auf das Album geschlichen. Sowohl inhaltlich als auch musikalisch will dieser Song gar nicht zum Rest passen. Nino de Angelo macht seiner Heimatstadt Köln mit dem Lied eine Liebeserklärung im Stadion-Rocksound, der im ersten Moment an Wolle Petry erinnert. Und da wird die Nummer auch besonderes gut aufgehoben sein … im Stadion und bei Wolle-Petry-Gedächtnis-Seminaren im heimischen Party-Keller.
Mit "Brennende Engel" und "Denn wir wissen nicht was wir tun", zwei weiteren Rock-Balladen im Harm-Sound, nähert man sich dem Ende von "Gesegnet & verflucht". Noch einmal zeigt sich Nino de Angelo als vielseitiger Vertreter seiner Zunft und versetzt seine Hörer mit dem Song "Denn wir wissen nicht was wir tun" kurz vor Feierabend noch schnell in Weltuntergangsstimmung. Nochmal packt er sein Publikum dort, wo Gänsehaut entsteht und beeindruckt mit einem bombastischen Soundgewand sowie einer gelungene Gesangsleistung.
Den Schlusspunkt setzt jedoch ein alter Bekannter, nämlich "Jenseits von Eden", der den Abschluss dieses Albums bildet und dort in einer neuen, von Chris Harms wesentlich rockiger angelegten Fassung daher kommt, als es das Original im Jahre 1983 tat. Hier möge jeder selbst entscheiden, ob der Hit von damals in Sachen Klang und Charme nochmals getoppt wurde, oder ob man sich diesen Ausflug in alte Zeiten doch hätte sparen können.

"Gesegnet & verflucht" ist in so vielerlei Hinsicht eine positive Überraschung. Ich kenne kein Album des Künstlers, das inhaltlich wie musikalisch so viel Abwechslung bietet, wie dieses hier. Chris Harms ist es ausgesprochen gut gelungen, den Sänger facettenreich, gereift, echt und auch nach fast 40 Jahren im Geschäft noch überraschend rüber kommen zu lassen. Stimmlich und auch thematisch erwachsen zeigt sich der einstige Mädchen-Schwarm und Posterboy im Jahre 2021 und bietet nun auch Leuten etwas an, die um ihn bisher einen großen Bogen gemacht haben. Mit dem Wissen um seinen gesundheitlichen Zustand wirkt "Gesegnet & verflucht" aber auch wie ein Vermächtnis … ein letztes "Zu-Wort-melden" eines Menschen, dem das Schicksal so oft schon ein Bein gestellt hat. Ich drücke dem Musikanten jedenfalls die Daumen, dass dies nicht die letzte Platte gewesen ist, und dass er anders als bisher dieses Mal dem Schicksal in den Hintern tritt!
(Christian Reder)





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