Eisbrenner: "Heilige Nacht" (Album)

lp18 20211209 1615875493VÖ: 03.12.2021; Label: Manana Records; Katalognummer: 426024250164; Musiker: Tino Eisbrenner (Gesang, Akustikgitarre, E-Gitarre, indianische Flöte, Mundharmonika), Alejandro Soto Lacoste (Keyboards, Akustikgitarre, Akkordeon, Chor), Matthias Wiesenhütter (Konzertgitarre), Cristian Carvacho (Rhythmussektion), Heiner Frauendorf (Bajan), Tobias Unterberg (Cello), Morten Luxemburger (Keyboard), Oliver Siegmann (Bass), Olli Becker (Schlagzeug), Jan Schachmann (Gitarre, E-Gitarre) und Gäste; Bemerkung: Erschienen als CD im aufklappbaren Pappcover. Mit Booklet inkl. Avdruck der Texte. Fünf Klassiker dieses Genres (Vier Kunst- und Volksweisen zur Winterzeit aus deutschen Jahrhunderten und eine Nachdichtung aus dem Altenglischen), fünf neue Eisbrenner-Songs, sowie das lebensweise "Grusinische Lied" von Bulat Okudshava in eisbrennerscher Nachdichtung;

Titel:
Es ist ein Ros`entsprungen • Der Schnee wird schneller schmelzen • Der Leiermann • Truba-Tuba-Mann • Gib dem Weihnachtsmann Schnee • Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum • Heilige Nacht - schweigende Macht • Spur unterm Schnee • Leise rieselt der Schnee • Grusinisches Lied (Duett mit Lidia Valenta) • Silvestersong (Dies Glas)


Rezension:
Einmal im Jahr, immer kurz vor dem Jahreswechsel, wird es friedlich, besinnlich und die Menschen rücken zusammen. Die Hektik verschwindet und macht Platz für Harmonie. Es ist Weihnachten … es ist Heilige Nacht. Und das geht schon über 2.000 Jahre so. Aber woher kommt das? Hat es wirklich etwas Übersinnliches in sich, oder ist es menschengemacht weil vom Menschen gewollt? Dieser Frage geht der Song-Poet TINO EISBRENNER in dem Stück "Heilige Nacht - Schweigende Macht" nach, das auf seinem ersten Weihnachts-Album (oder sollten wir es nicht besser "Winter-Album" nennen?) zu finden ist. Der Mann vom Vier-Winde-Hof in Plath geht das Thema Weihnachten also eher philosophisch statt "lebkuchensüß" an, wie man es von solch saisonalen Werken fast ausschließlich gewohnt ist. Hören wir mal genauer hin ...

Es ist wie immer bei TINO EISBRENNER und seiner Musik: sein Anliegen ist es, dass der Hörer gut aufpasst, zwischen den Zeilen liest und auf die verbauten Besonderheiten achtet. Nichts ist vorhersehbar, nichts ist von der Stange. Richtig bekannte Songs "zum Fest" findet man auf der CD deshalb wohl auch nur drei, nämlich "Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum", "Es ist ein Ros' entsprungen" und "Leise rieselt der Schnee". Aber nur auf den ersten Blick, denn die "Rose" bekommt durch seine Instrumentierung, allem voran dem Akkordeon und der Percussion, einen völlig anderen Anstrich. Im Stile der LaTINO connexión erstrahlt der Klassiker mit komplett anderer Fassade ganz neu, nur der Inhalt ist der alte. Gleiches beim "leise rieselnden Schnee", der im lockeren Country-Gewand daher kommt und seine klassischen Züge für ein zeitgenössisches Make Up eingetauscht hat. Anders als "woanders" klingen auch die weiteren Lieder auf dieser CD.
Statt "Frosty" dem Schneemann begegnen wir bei TINO EISBRENNER dem "Leiermann" aus Franz Schuberts Liederzyklus "Winterreise", einem barfuß auf gefrorenem Boden stehenden alten Mann, der unermüdlich seine Leier dreht. Weder er noch seine Musik sind von Interesse für die Menschen, nur Hunde bemerken ihn und knurren. Sofort kommt einem der Gedanke an die vielen Musiker in den Sinn, die in unserer heutigen Zeit durch Corona und die damit einhergehenden Verbote und Konzertabsagen wieder gezwungen sind, ihren Hut aufzustellen und auf der Straße und in Fußgängerzonen Musik zu machen, um überleben zu können. So wie früher in dunklen Zeiten, bei Wind und Wetter, und im - für die hohen Herren gefühlten - Idealfall "drüben hinterm Dorfe". So traurig und bedrückend sich der Inhalt anhört, so lässt Tino auch die Musik dazu auf den Hörer wirken. Tiefe Moll-Töne und eine monotone, immer wiederkehrende Melodie sorgen dafür, dass die mit Worten gezeichneten Bilder im Kopf zu einem Gemälde werden können. Kein sehr schönes, aber so ist das Leben eben …
Anders und wesentlich fröhlicher kommt der "Trouba-Tuba-Mann" aus den Boxen, um sich dem Hörer vorzustellen. Eine Erfindung von TINO EISBRENNER, dessen Wortschöpfung zur Musik entstand, und der eine Anlehnung an den bekannten Troubadour ist. Dem Musiker ist damit ein Kinderlied für Erwachsene gelungen, das ganz in der BEATLES-Tradition steht. Ähnlich wie deren "Yellow Submarine" kommt auch der "Trouba-Tuba-Mann" um die Ecke, bringt passenderweise einen Satz Bläser mit, versprüht insgesamt gute Laune und pflanzt Dir einen Ohrwurm, quasi einen Begleiter für den Tag, ins Ohr. Herrlich!
Nach so viel Instrumenten-Einsatz machen Tinos Begleiter erst mal eine Pause und lassen den Chef sein "Gib dem Weihnachtsmann Schnee" a capella vortragen. Lediglich eine laute und schräge Stromgitarre, die wütend ihre Meinung zum Inhalt zum Ausdruck bringen will, ist als einziges Instrument mit dabei. Es geht inhaltlich darum, dass wir mitten im Umbruch stecken. So z.B. mit dem Klimawandel, so dass der Weihnachtsmann deshalb auf grünem Klee statt auf Schnee anreisen muss, während profitorientierte Industrielle weiter Wälder abholzen und Umwelt zerstören. Aber auch andere Missstände werden angesprochen, wie z.B. die Maskenpflicht für Kinder. Kein Wunder, dass die Gitarre da so laut wird …
Noch erwähnen möchte ich Tinos eigene Version von "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", die er im Song "Spur unterm Schnee" als Lied hat entstehen lassen. Die Suche nach der Liebe zu einer Mischung aus mittelalterlich klingender Musik und folkartigen Arrangements im Stile eines Tom Waits.
Es warten noch weitere tolle Songs auf diesem Album, deren Entdeckung ich aber den mittels dieser Rezension nun neugierig gemachten Lesern überlassen möchte, insbesondere "Grusinisches Lied", ein Duett von Tino mit der in Dresden lebenden Russin Lidia Valenta, die einem hier ganz wunderbar zeigt, wie warm und harmonisch ihre Landessprache in der Musik klingen kann. Zum Niederknien schön!

Tinos Weihnachts-Album ist eigentlich keins. Zumindest kein reines … Du kannst es beginnend mit der trüben Zeit im November bis zu den ersten warmen Tagen im Frühjahr immer und immer wieder hören. Auch wird hier auf zu Musik gewordenen Zuckerstangen und kandierte Äpfel in Lied-Form verzichtet. Nennen wir es also "Winter-Album", wie es der Musiker ja selbst auch bezeichnet. "Heilige Nacht" überrascht durch die Vielfalt der gewählten Inhalte wie gleichermaßen auch der hier zu hörenden Musik. Abwechslung von vorn bis hinten, und keine Gefahr, dass sich das hier zu hörende Programm schnell abnutzt.
(Christian Reder)





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